Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 13 KR 79/06 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage der einstweiligen zulassungsüberschreitenden Versorgung einer an Brustkrebs erkrankten Versicherten mit dem Arzneimittel Herceptin (Wirkstoff Trastuzumab) und der Anwendbarkeit der Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 auf Fälle des off - label - use.
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin die begonnene Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin einstweilen weiter zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Versorgung mit dem Arzneimittel Herceptin (Wirkstoff Trastuzumab).
Die Antragstellerin ist am ...1964 geboren und bei der Antragsgegnerin gesetzlich kran-kenversichert. Am 17.01.2005 wurde bei ihr ein Mammakarzinom links diagnostiziert. Sie befand sich sodann vom 19.01. – 21.01.2005 in stationärer Behandlung im Klinikum O. in R., wo am 20.01.2005 die Stanzbiopsie durchgeführt wurde. Zwischen dem 26.01.2005 und dem 22.06.2005 wurde eine neoadjuvante / primäre Chemotherapie durchgeführt. Vom 18.07. – 28.07.2005 befand sich die Antragstellerin erneut in stationärer Behandlung im Klinikum O. in R., wo am 19.07.2005 der Tumor operativ entfernt wurde. Vom 28.09.2005 bis 14.11.2005 erfolgte dann eine adjuvante Bestrahlung der linken Mamma in der Klinikum C. gGmbH. Vom 04.01.2006 bis 01.02.2006 führte die Antragstellerin eine Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik St. I. in P. durch.
Mit Schreiben vom 31.01.2006 beantragte die anwaltlich vertretene Antragstellerin bei der Antragsgegnerin mit Fristsetzung für die Erteilung eines Bescheides bis 06.02.2006 die Kostenübernahme für eine einjährige – zulassungsüberschreitende - Therapie mit dem Arzneimittel Herceptin. Das Arzneimittel Herceptin ist bisher nur bei metastasierenden Mammakarzinomen zugelassen. Die Zulassungserweiterung wurde Mitte Februar 2006 beantragt.
Am 10.02.2006 begann die Klägerin mit der Herceptin – Therapie, wobei aller drei Wo-chen die Gabe von Herceptin per Infusion im Klinikum O. in R. erfolgt. Unter dem 10.02.2006 holte die Antragsgegnerin eine Stellungnahme ihres Medizinischen Dienstes (MDK) ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass Herceptin in Deutschland zwar nur bei Patienten mit metastasierendem Mammakarzinom zugelassen sei. In der adjuvanten Therapie sei aber unter folgenden Voraussetzungen eine Behandlung mit Herceptin aus medizinischer Sicht im Hinblick auf die laufenden Studien vertretbar: gesicherte Diagnose eines nodal - positiven Mammakarzinoms, Nachweis eines qualifizierenden HER 2 – Sta-tus durch Immunhistochemie, adjuvante Behandlungssituation, adjuvante Chemotherapie mit AC, gefolgt von Paclitaxel, Ausschluss kardialer Vorerkrankungen und Herceptin – Gabe initial 4 mg / kg Körpergewicht, gefolgt von 2 mg / kg Körpergewicht, wöchentlich über 52 Wochen, Beginn zeitlich mit Paclitaxel. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen könne eine Verordnung auf Kassenrezept Muster 16 erfolgen. Vorliegend fehlten aber die drei letztgenannten Voraussetzungen. Auch die vom BSG geschaffenen Voraussetzungen des "off – label – use" lägen nicht vor. Zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms stünden mehrere Therapiestrategien zur Verfügung (Strahlentherapie, antihormonelle The-rapie, Chemotherapie, verschiedene zugelassene Arzneimittel). Auch lägen bisher nur Zwi-schenergebnisse der verschiedenen Studien vor.
Unter dem 16.02.2006 lehnte die Antragsgegnerin gestützt auf die Stellungnahme ihres MDK die Kostenübernahme für die Herceptin – Therapie ab, da gemäß § 29 Bundesman-telvertrag – Ärzte (BMV – Ä) die Verordnung auf Kassenrezept (Muster 16) hätte erfolgen müssen.
Gegen den ablehnenden Bescheid legte die Antragstellerin am 23.02.2006 Widerspruch ein. Über den Widerspruch wurde noch nicht entschieden.
Am 27.02.2006 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung bean-tragt. Sie trägt vor, die Indikation für eine einjährige zulassungsüberschreitende Herceptin – Therapie sei nach Aussage ihrer behandelnden Ärzte zur Verringerung des Rezidivrisi-kos bzw. einer Fernmetastasierung um 50 % gegeben. Der Beginn der Therapie mit der ersten Herceptingabe am 10.02.2006 sei medizinisch notwendig gewesen. Die Kosten für diese einjährige Therapie würden zwischen 40.000 und 50.000 EUR liegen. Sie sei nicht in der Lage, diese Gesamtkosten aufzubringen. Die Entscheidung im Widerspruchsverfahren oder im Hauptsacheverfahren könne daher nicht abgewartet werden, auch nicht im Hin-blick auf die mögliche Verwirklichung des Rezidivrisikos bzw. des Risikos der Metastasie-rung. Weiter lägen die Voraussetzungen des "off – label – use" vor. Es handle sich um eine schwerwiegende, lebensbedrohliche und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beein-trächtigende Erkrankung. Die Antragstellerin sei Hochrisikopatientin aufgrund von Brust-krebserkrankungen der Mutter. Eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Die Antragstelle-rin habe alle zur Verfügung stehenden und indizierten Behandlungsmethoden erhalten. Zudem sei eine Risikoverringerung um 50 % mit anderen Therapien nicht zu erzielen. Fer-ner bestehe aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Aufgrund ver-schiedener Studien lägen Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen, dass das Arznei-mittel für die betreffende Indikation zugelassen werde. Der Zulassungsantrag sei gestellt und die Ergebnisse unter anderem der HERA – Studie (Phase III) lägen vor. Schließlich müsse auch im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 06.12.2005 die Behandlung gewährt werden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin eine Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin nach ärztlicher Verordnung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen bzw. die diesbezüglich ent-stehenden und entstandenen Kosten zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin trägt unter Vorlage eines weiteren Gutachtens ihres Medizinischen Dienstes vom 13.03.2006 vor, die Antragstellerin könne nach entsprechender vertragsärzt-licher Verordnung auf Kassenrezept Muster 16 (entsprechend Nr. 9 Arzneimittelrichtlinie (AMR) und § 29 BMV – Ä) mit Herceptin behandelt werden, da es sich grundsätzlich um ein zugelassenes Arzneimittel handle. Dies sei nicht erfolgt. Die Einholung einer vorheri-gen Genehmigung der Krankenkasse sei nicht möglich. Der MDK kommt im Gutachten darüber hinaus erneut zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des "off – label – use" nicht vorlägen. Insbesondere könne aus den Studien kein Nutzen oder Wirksamkeitsnach-weis für die Antragstellerin abgeleitet werden, da die Fallkonstellationen nicht miteinander vergleichbar seien. Langzeitnebenwirkungen seien nicht bekannt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung des Reha - Entlassungsberichtes der Kli-nik St. I. in P. vom 02.02.2006 sowie durch Einholung eines freien Gutachtens des Herrn Dr. med. habil. T., Chefarzt der Frauenklinik am Klinikum O. in R., vom 24.04.2006. Auf Blatt 157 – 161 der Gerichtsakte wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird auf die Beklagtenakte, die Gerichtsakte sowie das übrige Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere konnte der Antrag auf einstweilige Anordnung ge-mäß § 86 Abs. 3 SGG schon vor Klageerhebung gestellt werden.
Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf einstweilige (Weiter-)Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin. Das Abwarten der Hauptsacheent-scheidung ist ihr nicht zumutbar.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstwei-lige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwen-dung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung müssen ein Anordnungsanspruch, mithin der auch im Hauptsacheverfahren geltend gemachte materielle Anspruch, sowie ein Anordnungsgrund, mithin die besondere Eilbedürftigkeit, vorliegen. Dies richtet sich zunächst nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Die hierfür erforderlichen Tatsachen sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 2 ZPO). Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, so kommt es vor allem auf die Abwägung der betroffenen Interessen unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung und ihrer Dringlichkeit sowie der Folgen, die bei Erlass bzw. Nichterlass einer einstweiligen Anordnung eintreten würden - einschließlich der Möglichkeit bzw. Schwierigkeit, bei später abweichender Hauptsacheentscheidung die Folgen wieder rück-gängig zu machen -, an. Dabei darf eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung vorwegnehmen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn Rechts-schutz sonst nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre. Eine Vor-wegnahme der Hauptsache liegt allerdings erst dann vor, wenn die Maßnahme nachträglich nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ist (vgl. Meyer / Ladewig – Keller, SGG, 8. Aufl., § 86 a Rn. 29 f., 31).
Da die Antragstellerin die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Arzneimittel Her-ceptin begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz in Form einer Regelungsanordnung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn anders als bei einer Sicherungsanordnung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGG, bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer Regelungsanordnung, wie im vorliegenden Fall, um die Begründung einer neuen Rechtsposition. Diesbezüglich hat die Antragstellerin vorliegend einen Anordnungsan-spruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt es sich nicht, da die Entscheidung für die Vergangenheit in Form der Rückforderung der Behandlungskosten korrigierbar ist (§ 50 SGB X).
Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus den Grundsätzen des sog. "off – label – use".
Versicherte haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirt-schaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Gemäß § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich nur Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit sie in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Voraussetzungen sind dann nicht erfüllt, wenn das Arzneimittel nicht über die nach dem Arzneimittelrecht erforderliche Zu-lassung verfügt oder wenn es in einem Anwendungsgebiet eingesetzt wird, für das es grundsätzlich nicht zugelassen ist. Um einen solchen "off – label – use" geht es im vorlie-genden Fall, da Herceptin für die Anwendung bei Brustkrebspatientinnen in der adjuvanten Therapie unstreitig nicht die deutsche bzw. europaweite Zulassung besitzt, sondern ledig-lich bei metastasierenden Mammakarzinomen. Die Erweiterung der Zulassung ist im Feb-ruar 2006 beantragt worden.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG, Urteil vom 19.03.2002, Az. B 1 KR 37/00 R) kommt die Verordnung eines Medikaments und damit die Leistungspflicht der Krankenkasse in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen For-schungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder 1. die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder 2. außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zu-lassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraus-sichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. 1. Die Brustkrebserkrankung der Antragstellerin ist unstreitig eine schwerwiegende Erkrankung, die lebensbedrohlich sein oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen kann. 2. Wirksame Therapiealternativen, die das Auftreten von Rezidiven im gleichen Maße vermeiden und damit die Überlebenschancen der Antragstellerin verbessern würden, sind von der Antragsgegnerin bzw. ihrem MDK lediglich pauschal benannt worden (Strahlentherapie, antihormonelle Therapie, Chemotherapie, verschiedene zugelassene Arzneimittel). Nach überzeugender Darstellung durch Herrn Dr. T. im Kurzgutachten vom 24.04.2006 gibt es bei der Antragstellerin aber keine Therapiealternativen. Herr Dr. T. gab an, dass eine Chemotherapie erfolgt sei. Eine weitere adjuvante Therapiemaßnahme mit Verabfolgung von Antihormonen scheide aus, da die Tumorzellen keine entsprechenden Hormonrezeptoren tragen. Dies indiziere sogar schon, dass die Antragstellerin erhöht rezidivgefährdet sei. 3. Zudem besteht aufgrund verschiedener Studien die begründete Aussicht auf Behandlungserfolg, selbst wenn deren wissenschaftliche Qualität vom MDK und der Antragsgegnerin in Zweifel gezogen wurde. Es würde indes die - im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes und ohne sachverständige Mithilfe dem Gericht eingeräumten - Möglichkeiten sprengen, in dieser medizinwissenschaftlichen Auseinandersetzung Position zu beziehen. Es sei nur erwähnt, dass selbst der MDK im Gutachten vom 10.02.2006 zu dem Ergebnis kommt, dass aufgrund der momentan publizierten Erkenntnisse eine begründete Aussicht bestehe, dass mit Trastuzumab (Herceptin) bei adjuvanter Anwendung voraussichtlich ein kurativer Behandlungserfolg erzielt werden könne, ohne dass dies endgültig belegt sei. Insbesondere bei Patientinnen mit einer Hochrisiko - Fallkonstellation bestehe unabweisbar ein Bedarf für eine über die Wirksamkeit der derzeit verfügbaren Standardtherapie hinausgehende adjuvante Behandlung. Daraus resultierend stellt der MDK – orientiert an den Vorgaben der Studien - Voraussetzungen auf, unter denen der behandelnde Arzt Herceptin auf Kassenrezept verordnen könnte, die aber hier nicht vorlägen. Im Gutachten vom 13.03.2006 kommt er dann zu dem Ergebnis, dass die Studien mit der hier vorliegenden Situation nicht vergleichbar und Langzeitnebenwir-kungen nicht bekannt seien. Festzuhalten bleibt, dass die Erweiterung der Zulassung von Herceptin für die adjuvante Therapie jedenfalls beantragt wurde und die Ergebnisse (zu-mindest Zwischenergebnisse) von Phase III – Studien vorliegen, genannt sei nur die HERA - Studie. Danach liegt die Verringerung des Rezidivrisikos bei ca. 50 %. Eine Ablehnung der Herceptin – Therapie durch die Antragsgegnerin lediglich mit der Begründung einer fehlenden Verordnung auf Kassenrezept kann schon im Hinblick auf § 29 BMV – Ä, Ziff. 9 AMR und die Regressgefahr des behandelnden Arztes nicht überzeugen. Vielmehr ist Hauptgrund für die vorliegende Streitigkeit doch der Zeitpunkt, wann bei der Antragstellerin die Chemotherapie durchgeführt wurde. Schlüssig und nachvollziehbar legt Herr Dr. T. zunächst die Voraussetzungen dar, unter denen in Übereinstimmung mit den "großen" Krankenkassen entsprechend den Studien Herceptin "off – label – use" eingesetzt wird. Demnach müssen vorliegen: der Nachweis von Herceptin – Rezeptoren im Tumor – Gewebe (hier Her – 2 – Score: 3+), ein fortgeschrittener Fall bzw. ein erhöhtes Risiko für eine Entwicklung von Metastasen (Lymphknotenbefall, erhöhtes Kerngrading), Zustand nach zuvor erfolgter adjuvanter Chemotherapie, Alter unter 60 Jahre und Beginn der Her-ceptintherapie spätestens drei Monate nach Ende der Chemotherapie bzw. nach Ende der Bestrahlung. Diese Voraussetzungen sind den MDK – Gutachten auch teilweise so zu ent-nehmen. Im Ergebnis war bei der Antragstellerin lediglich die Chemotherapie nicht stu-dienkonform adjuvant (postoperativ), sondern neoadjuvant (präoperativ, primär) verabfolgt worden, worin Herr Dr. T. und der MDK im Ergebnis übereinstimmen. Dies allein kann aber letztlich nicht dazu führen, dass der Antragstellerin die Herceptin – Therapie nicht gewährt wird. Eine adjuvante Behandlungssituation nach Operation (und Bestrahlung) lag auch hier vor.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einbe-zieht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist. In den Beschlüssen vom 12.05.2005 (Az. 1 BVR 469/05) und vom 06.12.2005 (Az. 1 BVR 347/98) steht nach Auffassung des BVerfG die Wahrung der Würde des Men-schen im Vordergrund. Vor allem unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 hat die Antragstellerin einen Anspruch auf die Herceptin - Thera-pie.
Das BVerfG hat am 06.12.2005 entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, dem für seine Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zugesagt wurde, aber für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard ent-sprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm ge-wählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen und ihn auf eine Fi-nanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen, wenn eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Denn der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundge-setzes eine Grundaufgabe des Staates. Dieser ist der Gesetzgeber dadurch nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich - rechtli-cher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat. Mit dieser Versicherungsform wird auch einkommensschwachen Bevölkerungsteilen ein voller Kran-kenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen ermöglicht.
Zwar erging diese Entscheidung zur Leistungspflicht der Krankenkasse im Bereich neuer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden. Für den Einsatz von Arzneimitteln über die Zulassung hinaus kann jedoch nichts anderes gelten, da auch dies keine schulmedizinische Behandlungsmethode darstellt. So hat auch das BSG im Rahmen einer Revision am 04.04.2006 entschieden, dass die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden sinngemäß auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung zu übertragen seien, soweit ausfüllungsbedürftige Versorgungslücken bestünden (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, Az. B 1 KR 7/05 R im Terminbericht Nr. 19/06 vom 05.04.2006). Die vom BVerfG aufge-stellten Kriterien liegen bei der Antragstellerin vor. Es liegt durch die Brustkrebserkran-kung eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Allge-mein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmethoden sind aus-geschöpft. Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder wenigs-tens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch Verringerung des Rezidivrisikos um bis zu 50 % gemessen an den vorliegenden Studien. Um die Notwendigkeit der Krankenbehandlung mit einem nicht in Deutschland zugelasse-nen, aus dem Ausland importierten Arzneimittel über die bisherige BSG – Rechtsprechung hinaus bejahen zu können, hat das BSG am 04.04.2006 weitere Voraussetzungen aufge-stellt, die erfüllt sein müssen: Vor der Behandlung muss eine Nutzen- / Risiko- Analyse, allgemein und speziell bezogen auf den konkreten Versicherten, stattfinden. Die fachärztli-che Behandlung muss den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden. Angesichts zu befürchtender Gefahren und Nebenwir-kungen ist eine ausdrückliche Zustimmung des Versicherten zur beabsichtigten Behand-lung / Arzneimittelverabreichung nach entsprechender vorheriger ärztlicher Aufklärung erforderlich (vgl. BSG vom 04.04.2006 a. a. O.). Vorliegend scheinen auch diese Voraus-setzungen erfüllt zu sein. Da die Entscheidung jedoch relativ neu und noch nicht veröffent-licht ist, konnte diesbezüglich kein Vortrag durch die Antragstellerin erfolgen. Die Prüfung dieser Voraussetzungen sollte daher der abschließenden Entscheidung im Hauptsachever-fahren vorbehalten bleiben. Auch dies im vorliegenden Verfahren noch abzuklären, war aufgrund der gebotenen Eile nicht möglich, obwohl das Kurzgutachten des Herrn Dr. T. schon sehr ausführlich war.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass, wenngleich die Beachtung des Wirtschaftlich-keitsgebots nach § 12 Abs. 1 SGB V nicht zu beanstanden ist und ein verfassungsrechtli-cher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung nicht besteht, das Inte-resse des Einzelnen im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung den Vorrang verdient, wenn im Rahmen der Folgenabwägung das Risiko einer generell lebensbedrohli-chen Krankheit und die Möglichkeit zur deutlichen Erhöhung der Heilungschancen gegen die rein finanziellen Interessen der Versichertengemeinschaft abzuwägen sind. Anderen-falls wäre zu befürchten, dass bei nicht zeitgerechter Aufnahme der Therapie die Heilungs-chancen der Antragstellerin ganz erheblich beeinträchtigt werden. Dagegen kann die An-tragsgegnerin nicht mit Aussicht auf Erfolg einwenden, die mit der Verabreichung von Herceptin verbundenen Risiken sprechen entscheidend gegen den Einsatz dieses Mittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar ist einzuräumen, dass die Langzeit-wirkungen des Medikaments noch nicht ausreichend bewertet werden können, andererseits lässt das im Verhältnis zu anderen Brustkrebspatientinnen besonders hohe Risiko der An-tragstellerin nicht die Möglichkeit offen, auf weitere Erkenntnisse zu warten. Die während der Behandlung mit Herceptin nicht regelmäßig, aber in verschiedenen Fällen auftretenden Folgen für die Herzleistungsfähigkeit lassen sich grundsätzlich durch engmaschige inter-nistisch - kardiologische Mitbetreuung minimieren, im schlimmsten Fall ist es möglich, das Medikament ärztlicherseits abzusetzen.
Einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht. Eilbedürftigkeit ist angesichts des Krankheitsbildes gegeben, da längeres oder gar mehrjähriges Abwarten bis zu einer Hauptsacheentscheidung das Risiko der bestehenden Krebserkrankung oder die Möglichkeit einer Neuerkrankung an anderen Organen bis hin zur Lebensgefährdung stei-gern, mithin wesentliche Nachteile für die Gesundheit mit sich bringen könnte. Zudem musste – entsprechend den vorliegenden Studien - spätestens drei Monate nach Ende der Bestrahlungstherapie mit der ersten Herceptingabe begonnen werden, wie sich aus dem Gutachten des Herrn Dr. T. nachvollziehbar ergibt. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin kommt es im Rahmen des Anordnungsgrundes nicht an, wenn man die Rechtsprechung des BSG und BVerfG zugrunde legt.
Hinsichtlich der begehrten Kostenerstattung für die vergangenen Behandlungen fehlt es allerdings an einem Anordnungsgrund. Hier liegt keine Eilbedürftigkeit vor. Die Hauptsa-cheentscheidung kann abgewartet werden. Wesentliche Nachteile sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG entsprechend. Die völlige Kostentragungs-pflicht der Antragsgegnerin beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG. Die Antragstellerin begehrte mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zwar auch die Erstattung der schon entstandenen Kos-ten für die Herceptingabe am 10.02.2006, wofür ein Anordnungsgrund fehlt. Diese Zuviel-forderung war aber in Anbetracht dessen, dass es sich um eine einjährige Therapie mit dreiwöchentlicher Herceptingabe handelt, verhältnismäßig geringfügig und hat keine bzw. nur geringfügig höhere Kosten veranlasst. Der Regelungsinhalt des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist dem Sozialrecht auch nicht fremd, da gemäß § 197 a Abs. 1 Satz 1 2. Hs. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO entsprechende Anwendung findet, der dem § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ähnelt.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Versorgung mit dem Arzneimittel Herceptin (Wirkstoff Trastuzumab).
Die Antragstellerin ist am ...1964 geboren und bei der Antragsgegnerin gesetzlich kran-kenversichert. Am 17.01.2005 wurde bei ihr ein Mammakarzinom links diagnostiziert. Sie befand sich sodann vom 19.01. – 21.01.2005 in stationärer Behandlung im Klinikum O. in R., wo am 20.01.2005 die Stanzbiopsie durchgeführt wurde. Zwischen dem 26.01.2005 und dem 22.06.2005 wurde eine neoadjuvante / primäre Chemotherapie durchgeführt. Vom 18.07. – 28.07.2005 befand sich die Antragstellerin erneut in stationärer Behandlung im Klinikum O. in R., wo am 19.07.2005 der Tumor operativ entfernt wurde. Vom 28.09.2005 bis 14.11.2005 erfolgte dann eine adjuvante Bestrahlung der linken Mamma in der Klinikum C. gGmbH. Vom 04.01.2006 bis 01.02.2006 führte die Antragstellerin eine Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik St. I. in P. durch.
Mit Schreiben vom 31.01.2006 beantragte die anwaltlich vertretene Antragstellerin bei der Antragsgegnerin mit Fristsetzung für die Erteilung eines Bescheides bis 06.02.2006 die Kostenübernahme für eine einjährige – zulassungsüberschreitende - Therapie mit dem Arzneimittel Herceptin. Das Arzneimittel Herceptin ist bisher nur bei metastasierenden Mammakarzinomen zugelassen. Die Zulassungserweiterung wurde Mitte Februar 2006 beantragt.
Am 10.02.2006 begann die Klägerin mit der Herceptin – Therapie, wobei aller drei Wo-chen die Gabe von Herceptin per Infusion im Klinikum O. in R. erfolgt. Unter dem 10.02.2006 holte die Antragsgegnerin eine Stellungnahme ihres Medizinischen Dienstes (MDK) ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass Herceptin in Deutschland zwar nur bei Patienten mit metastasierendem Mammakarzinom zugelassen sei. In der adjuvanten Therapie sei aber unter folgenden Voraussetzungen eine Behandlung mit Herceptin aus medizinischer Sicht im Hinblick auf die laufenden Studien vertretbar: gesicherte Diagnose eines nodal - positiven Mammakarzinoms, Nachweis eines qualifizierenden HER 2 – Sta-tus durch Immunhistochemie, adjuvante Behandlungssituation, adjuvante Chemotherapie mit AC, gefolgt von Paclitaxel, Ausschluss kardialer Vorerkrankungen und Herceptin – Gabe initial 4 mg / kg Körpergewicht, gefolgt von 2 mg / kg Körpergewicht, wöchentlich über 52 Wochen, Beginn zeitlich mit Paclitaxel. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen könne eine Verordnung auf Kassenrezept Muster 16 erfolgen. Vorliegend fehlten aber die drei letztgenannten Voraussetzungen. Auch die vom BSG geschaffenen Voraussetzungen des "off – label – use" lägen nicht vor. Zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms stünden mehrere Therapiestrategien zur Verfügung (Strahlentherapie, antihormonelle The-rapie, Chemotherapie, verschiedene zugelassene Arzneimittel). Auch lägen bisher nur Zwi-schenergebnisse der verschiedenen Studien vor.
Unter dem 16.02.2006 lehnte die Antragsgegnerin gestützt auf die Stellungnahme ihres MDK die Kostenübernahme für die Herceptin – Therapie ab, da gemäß § 29 Bundesman-telvertrag – Ärzte (BMV – Ä) die Verordnung auf Kassenrezept (Muster 16) hätte erfolgen müssen.
Gegen den ablehnenden Bescheid legte die Antragstellerin am 23.02.2006 Widerspruch ein. Über den Widerspruch wurde noch nicht entschieden.
Am 27.02.2006 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung bean-tragt. Sie trägt vor, die Indikation für eine einjährige zulassungsüberschreitende Herceptin – Therapie sei nach Aussage ihrer behandelnden Ärzte zur Verringerung des Rezidivrisi-kos bzw. einer Fernmetastasierung um 50 % gegeben. Der Beginn der Therapie mit der ersten Herceptingabe am 10.02.2006 sei medizinisch notwendig gewesen. Die Kosten für diese einjährige Therapie würden zwischen 40.000 und 50.000 EUR liegen. Sie sei nicht in der Lage, diese Gesamtkosten aufzubringen. Die Entscheidung im Widerspruchsverfahren oder im Hauptsacheverfahren könne daher nicht abgewartet werden, auch nicht im Hin-blick auf die mögliche Verwirklichung des Rezidivrisikos bzw. des Risikos der Metastasie-rung. Weiter lägen die Voraussetzungen des "off – label – use" vor. Es handle sich um eine schwerwiegende, lebensbedrohliche und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beein-trächtigende Erkrankung. Die Antragstellerin sei Hochrisikopatientin aufgrund von Brust-krebserkrankungen der Mutter. Eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Die Antragstelle-rin habe alle zur Verfügung stehenden und indizierten Behandlungsmethoden erhalten. Zudem sei eine Risikoverringerung um 50 % mit anderen Therapien nicht zu erzielen. Fer-ner bestehe aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Aufgrund ver-schiedener Studien lägen Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen, dass das Arznei-mittel für die betreffende Indikation zugelassen werde. Der Zulassungsantrag sei gestellt und die Ergebnisse unter anderem der HERA – Studie (Phase III) lägen vor. Schließlich müsse auch im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 06.12.2005 die Behandlung gewährt werden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin eine Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin nach ärztlicher Verordnung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen bzw. die diesbezüglich ent-stehenden und entstandenen Kosten zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin trägt unter Vorlage eines weiteren Gutachtens ihres Medizinischen Dienstes vom 13.03.2006 vor, die Antragstellerin könne nach entsprechender vertragsärzt-licher Verordnung auf Kassenrezept Muster 16 (entsprechend Nr. 9 Arzneimittelrichtlinie (AMR) und § 29 BMV – Ä) mit Herceptin behandelt werden, da es sich grundsätzlich um ein zugelassenes Arzneimittel handle. Dies sei nicht erfolgt. Die Einholung einer vorheri-gen Genehmigung der Krankenkasse sei nicht möglich. Der MDK kommt im Gutachten darüber hinaus erneut zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des "off – label – use" nicht vorlägen. Insbesondere könne aus den Studien kein Nutzen oder Wirksamkeitsnach-weis für die Antragstellerin abgeleitet werden, da die Fallkonstellationen nicht miteinander vergleichbar seien. Langzeitnebenwirkungen seien nicht bekannt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung des Reha - Entlassungsberichtes der Kli-nik St. I. in P. vom 02.02.2006 sowie durch Einholung eines freien Gutachtens des Herrn Dr. med. habil. T., Chefarzt der Frauenklinik am Klinikum O. in R., vom 24.04.2006. Auf Blatt 157 – 161 der Gerichtsakte wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird auf die Beklagtenakte, die Gerichtsakte sowie das übrige Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere konnte der Antrag auf einstweilige Anordnung ge-mäß § 86 Abs. 3 SGG schon vor Klageerhebung gestellt werden.
Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf einstweilige (Weiter-)Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin. Das Abwarten der Hauptsacheent-scheidung ist ihr nicht zumutbar.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstwei-lige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwen-dung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung müssen ein Anordnungsanspruch, mithin der auch im Hauptsacheverfahren geltend gemachte materielle Anspruch, sowie ein Anordnungsgrund, mithin die besondere Eilbedürftigkeit, vorliegen. Dies richtet sich zunächst nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Die hierfür erforderlichen Tatsachen sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 2 ZPO). Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, so kommt es vor allem auf die Abwägung der betroffenen Interessen unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung und ihrer Dringlichkeit sowie der Folgen, die bei Erlass bzw. Nichterlass einer einstweiligen Anordnung eintreten würden - einschließlich der Möglichkeit bzw. Schwierigkeit, bei später abweichender Hauptsacheentscheidung die Folgen wieder rück-gängig zu machen -, an. Dabei darf eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung vorwegnehmen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn Rechts-schutz sonst nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre. Eine Vor-wegnahme der Hauptsache liegt allerdings erst dann vor, wenn die Maßnahme nachträglich nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ist (vgl. Meyer / Ladewig – Keller, SGG, 8. Aufl., § 86 a Rn. 29 f., 31).
Da die Antragstellerin die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Arzneimittel Her-ceptin begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz in Form einer Regelungsanordnung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn anders als bei einer Sicherungsanordnung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGG, bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer Regelungsanordnung, wie im vorliegenden Fall, um die Begründung einer neuen Rechtsposition. Diesbezüglich hat die Antragstellerin vorliegend einen Anordnungsan-spruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt es sich nicht, da die Entscheidung für die Vergangenheit in Form der Rückforderung der Behandlungskosten korrigierbar ist (§ 50 SGB X).
Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus den Grundsätzen des sog. "off – label – use".
Versicherte haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirt-schaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Gemäß § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich nur Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit sie in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Voraussetzungen sind dann nicht erfüllt, wenn das Arzneimittel nicht über die nach dem Arzneimittelrecht erforderliche Zu-lassung verfügt oder wenn es in einem Anwendungsgebiet eingesetzt wird, für das es grundsätzlich nicht zugelassen ist. Um einen solchen "off – label – use" geht es im vorlie-genden Fall, da Herceptin für die Anwendung bei Brustkrebspatientinnen in der adjuvanten Therapie unstreitig nicht die deutsche bzw. europaweite Zulassung besitzt, sondern ledig-lich bei metastasierenden Mammakarzinomen. Die Erweiterung der Zulassung ist im Feb-ruar 2006 beantragt worden.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG, Urteil vom 19.03.2002, Az. B 1 KR 37/00 R) kommt die Verordnung eines Medikaments und damit die Leistungspflicht der Krankenkasse in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen For-schungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder 1. die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder 2. außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zu-lassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraus-sichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. 1. Die Brustkrebserkrankung der Antragstellerin ist unstreitig eine schwerwiegende Erkrankung, die lebensbedrohlich sein oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen kann. 2. Wirksame Therapiealternativen, die das Auftreten von Rezidiven im gleichen Maße vermeiden und damit die Überlebenschancen der Antragstellerin verbessern würden, sind von der Antragsgegnerin bzw. ihrem MDK lediglich pauschal benannt worden (Strahlentherapie, antihormonelle Therapie, Chemotherapie, verschiedene zugelassene Arzneimittel). Nach überzeugender Darstellung durch Herrn Dr. T. im Kurzgutachten vom 24.04.2006 gibt es bei der Antragstellerin aber keine Therapiealternativen. Herr Dr. T. gab an, dass eine Chemotherapie erfolgt sei. Eine weitere adjuvante Therapiemaßnahme mit Verabfolgung von Antihormonen scheide aus, da die Tumorzellen keine entsprechenden Hormonrezeptoren tragen. Dies indiziere sogar schon, dass die Antragstellerin erhöht rezidivgefährdet sei. 3. Zudem besteht aufgrund verschiedener Studien die begründete Aussicht auf Behandlungserfolg, selbst wenn deren wissenschaftliche Qualität vom MDK und der Antragsgegnerin in Zweifel gezogen wurde. Es würde indes die - im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes und ohne sachverständige Mithilfe dem Gericht eingeräumten - Möglichkeiten sprengen, in dieser medizinwissenschaftlichen Auseinandersetzung Position zu beziehen. Es sei nur erwähnt, dass selbst der MDK im Gutachten vom 10.02.2006 zu dem Ergebnis kommt, dass aufgrund der momentan publizierten Erkenntnisse eine begründete Aussicht bestehe, dass mit Trastuzumab (Herceptin) bei adjuvanter Anwendung voraussichtlich ein kurativer Behandlungserfolg erzielt werden könne, ohne dass dies endgültig belegt sei. Insbesondere bei Patientinnen mit einer Hochrisiko - Fallkonstellation bestehe unabweisbar ein Bedarf für eine über die Wirksamkeit der derzeit verfügbaren Standardtherapie hinausgehende adjuvante Behandlung. Daraus resultierend stellt der MDK – orientiert an den Vorgaben der Studien - Voraussetzungen auf, unter denen der behandelnde Arzt Herceptin auf Kassenrezept verordnen könnte, die aber hier nicht vorlägen. Im Gutachten vom 13.03.2006 kommt er dann zu dem Ergebnis, dass die Studien mit der hier vorliegenden Situation nicht vergleichbar und Langzeitnebenwir-kungen nicht bekannt seien. Festzuhalten bleibt, dass die Erweiterung der Zulassung von Herceptin für die adjuvante Therapie jedenfalls beantragt wurde und die Ergebnisse (zu-mindest Zwischenergebnisse) von Phase III – Studien vorliegen, genannt sei nur die HERA - Studie. Danach liegt die Verringerung des Rezidivrisikos bei ca. 50 %. Eine Ablehnung der Herceptin – Therapie durch die Antragsgegnerin lediglich mit der Begründung einer fehlenden Verordnung auf Kassenrezept kann schon im Hinblick auf § 29 BMV – Ä, Ziff. 9 AMR und die Regressgefahr des behandelnden Arztes nicht überzeugen. Vielmehr ist Hauptgrund für die vorliegende Streitigkeit doch der Zeitpunkt, wann bei der Antragstellerin die Chemotherapie durchgeführt wurde. Schlüssig und nachvollziehbar legt Herr Dr. T. zunächst die Voraussetzungen dar, unter denen in Übereinstimmung mit den "großen" Krankenkassen entsprechend den Studien Herceptin "off – label – use" eingesetzt wird. Demnach müssen vorliegen: der Nachweis von Herceptin – Rezeptoren im Tumor – Gewebe (hier Her – 2 – Score: 3+), ein fortgeschrittener Fall bzw. ein erhöhtes Risiko für eine Entwicklung von Metastasen (Lymphknotenbefall, erhöhtes Kerngrading), Zustand nach zuvor erfolgter adjuvanter Chemotherapie, Alter unter 60 Jahre und Beginn der Her-ceptintherapie spätestens drei Monate nach Ende der Chemotherapie bzw. nach Ende der Bestrahlung. Diese Voraussetzungen sind den MDK – Gutachten auch teilweise so zu ent-nehmen. Im Ergebnis war bei der Antragstellerin lediglich die Chemotherapie nicht stu-dienkonform adjuvant (postoperativ), sondern neoadjuvant (präoperativ, primär) verabfolgt worden, worin Herr Dr. T. und der MDK im Ergebnis übereinstimmen. Dies allein kann aber letztlich nicht dazu führen, dass der Antragstellerin die Herceptin – Therapie nicht gewährt wird. Eine adjuvante Behandlungssituation nach Operation (und Bestrahlung) lag auch hier vor.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einbe-zieht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist. In den Beschlüssen vom 12.05.2005 (Az. 1 BVR 469/05) und vom 06.12.2005 (Az. 1 BVR 347/98) steht nach Auffassung des BVerfG die Wahrung der Würde des Men-schen im Vordergrund. Vor allem unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 hat die Antragstellerin einen Anspruch auf die Herceptin - Thera-pie.
Das BVerfG hat am 06.12.2005 entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, dem für seine Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zugesagt wurde, aber für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard ent-sprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm ge-wählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen und ihn auf eine Fi-nanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen, wenn eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Denn der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundge-setzes eine Grundaufgabe des Staates. Dieser ist der Gesetzgeber dadurch nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich - rechtli-cher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat. Mit dieser Versicherungsform wird auch einkommensschwachen Bevölkerungsteilen ein voller Kran-kenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen ermöglicht.
Zwar erging diese Entscheidung zur Leistungspflicht der Krankenkasse im Bereich neuer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden. Für den Einsatz von Arzneimitteln über die Zulassung hinaus kann jedoch nichts anderes gelten, da auch dies keine schulmedizinische Behandlungsmethode darstellt. So hat auch das BSG im Rahmen einer Revision am 04.04.2006 entschieden, dass die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden sinngemäß auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung zu übertragen seien, soweit ausfüllungsbedürftige Versorgungslücken bestünden (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, Az. B 1 KR 7/05 R im Terminbericht Nr. 19/06 vom 05.04.2006). Die vom BVerfG aufge-stellten Kriterien liegen bei der Antragstellerin vor. Es liegt durch die Brustkrebserkran-kung eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Allge-mein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmethoden sind aus-geschöpft. Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder wenigs-tens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch Verringerung des Rezidivrisikos um bis zu 50 % gemessen an den vorliegenden Studien. Um die Notwendigkeit der Krankenbehandlung mit einem nicht in Deutschland zugelasse-nen, aus dem Ausland importierten Arzneimittel über die bisherige BSG – Rechtsprechung hinaus bejahen zu können, hat das BSG am 04.04.2006 weitere Voraussetzungen aufge-stellt, die erfüllt sein müssen: Vor der Behandlung muss eine Nutzen- / Risiko- Analyse, allgemein und speziell bezogen auf den konkreten Versicherten, stattfinden. Die fachärztli-che Behandlung muss den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden. Angesichts zu befürchtender Gefahren und Nebenwir-kungen ist eine ausdrückliche Zustimmung des Versicherten zur beabsichtigten Behand-lung / Arzneimittelverabreichung nach entsprechender vorheriger ärztlicher Aufklärung erforderlich (vgl. BSG vom 04.04.2006 a. a. O.). Vorliegend scheinen auch diese Voraus-setzungen erfüllt zu sein. Da die Entscheidung jedoch relativ neu und noch nicht veröffent-licht ist, konnte diesbezüglich kein Vortrag durch die Antragstellerin erfolgen. Die Prüfung dieser Voraussetzungen sollte daher der abschließenden Entscheidung im Hauptsachever-fahren vorbehalten bleiben. Auch dies im vorliegenden Verfahren noch abzuklären, war aufgrund der gebotenen Eile nicht möglich, obwohl das Kurzgutachten des Herrn Dr. T. schon sehr ausführlich war.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass, wenngleich die Beachtung des Wirtschaftlich-keitsgebots nach § 12 Abs. 1 SGB V nicht zu beanstanden ist und ein verfassungsrechtli-cher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung nicht besteht, das Inte-resse des Einzelnen im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung den Vorrang verdient, wenn im Rahmen der Folgenabwägung das Risiko einer generell lebensbedrohli-chen Krankheit und die Möglichkeit zur deutlichen Erhöhung der Heilungschancen gegen die rein finanziellen Interessen der Versichertengemeinschaft abzuwägen sind. Anderen-falls wäre zu befürchten, dass bei nicht zeitgerechter Aufnahme der Therapie die Heilungs-chancen der Antragstellerin ganz erheblich beeinträchtigt werden. Dagegen kann die An-tragsgegnerin nicht mit Aussicht auf Erfolg einwenden, die mit der Verabreichung von Herceptin verbundenen Risiken sprechen entscheidend gegen den Einsatz dieses Mittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar ist einzuräumen, dass die Langzeit-wirkungen des Medikaments noch nicht ausreichend bewertet werden können, andererseits lässt das im Verhältnis zu anderen Brustkrebspatientinnen besonders hohe Risiko der An-tragstellerin nicht die Möglichkeit offen, auf weitere Erkenntnisse zu warten. Die während der Behandlung mit Herceptin nicht regelmäßig, aber in verschiedenen Fällen auftretenden Folgen für die Herzleistungsfähigkeit lassen sich grundsätzlich durch engmaschige inter-nistisch - kardiologische Mitbetreuung minimieren, im schlimmsten Fall ist es möglich, das Medikament ärztlicherseits abzusetzen.
Einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht. Eilbedürftigkeit ist angesichts des Krankheitsbildes gegeben, da längeres oder gar mehrjähriges Abwarten bis zu einer Hauptsacheentscheidung das Risiko der bestehenden Krebserkrankung oder die Möglichkeit einer Neuerkrankung an anderen Organen bis hin zur Lebensgefährdung stei-gern, mithin wesentliche Nachteile für die Gesundheit mit sich bringen könnte. Zudem musste – entsprechend den vorliegenden Studien - spätestens drei Monate nach Ende der Bestrahlungstherapie mit der ersten Herceptingabe begonnen werden, wie sich aus dem Gutachten des Herrn Dr. T. nachvollziehbar ergibt. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin kommt es im Rahmen des Anordnungsgrundes nicht an, wenn man die Rechtsprechung des BSG und BVerfG zugrunde legt.
Hinsichtlich der begehrten Kostenerstattung für die vergangenen Behandlungen fehlt es allerdings an einem Anordnungsgrund. Hier liegt keine Eilbedürftigkeit vor. Die Hauptsa-cheentscheidung kann abgewartet werden. Wesentliche Nachteile sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG entsprechend. Die völlige Kostentragungs-pflicht der Antragsgegnerin beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG. Die Antragstellerin begehrte mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zwar auch die Erstattung der schon entstandenen Kos-ten für die Herceptingabe am 10.02.2006, wofür ein Anordnungsgrund fehlt. Diese Zuviel-forderung war aber in Anbetracht dessen, dass es sich um eine einjährige Therapie mit dreiwöchentlicher Herceptingabe handelt, verhältnismäßig geringfügig und hat keine bzw. nur geringfügig höhere Kosten veranlasst. Der Regelungsinhalt des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist dem Sozialrecht auch nicht fremd, da gemäß § 197 a Abs. 1 Satz 1 2. Hs. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO entsprechende Anwendung findet, der dem § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ähnelt.
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