L 1 AL 3428/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 1884/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AL 3428/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2005 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte über den Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden hat.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Förderung einer von ihm im Laufe des Rechtsstreits abgeschlossenen Weiterbildungsmaßnahme hat.

Der 1979 geborene Kläger absolvierte nach Abschluss der Hauptschule im Juli 1996 eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur, die er mit der Gesellenprüfung im Mai 2000 abschloss. Er war vom 1. September 1996 bis 30. April 2001 als Installateur in dem Betrieb für Sanitärtechnik und Kunst- und Bauschlosserei seines Großvaters beschäftigt. Dieser gab den Betrieb aus Altersgründen zum 1. Juni 2001 ab. Der Kläger leistete vom 1. Mai 2001 bis 31. Januar 2002 Grundwehrdienst. Vom 1. Februar 2002 bis 1. April 2002 bezog er Arbeitslosengeld. Ab 2. April 2002 nahm er eine Ausbildung als Physiotherapeut auf. Mit Urkunde des Regierungspräsidiums Tübingen vom 30. August 2005 erhielt er die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung "Physiotherapeut" zu führen.

Bei einem Erstgespräch am 4. Februar 2002 bei der zuständigen Agentur für Arbeit gab der Kläger an, eine Ausbildung zum Physiotherapeuten machen zu wollen, da er seinen erlernten Beruf wegen Knieproblemen nicht mehr ausüben könne. Am 12. März 2002 unterrichtete er die Agentur für Arbeit, eine Aufnahmebestätigung für einen Ausbildungsplatz ab 2. April 2002 bis 31. März 2005 zu haben. Nach dem Beratungsvermerk über Vorsprachen an diesem Tag wurde dem Kläger erläutert, dass ein Reha-Verfahren noch zu klären sei und er Befunde für ein Gutachten beibringen müsse. Die Beklagte teilte dem Kläger schriftlich mit, zur Frage der Notwendigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei zunächst eine arbeitsmedizinische Beurteilung erforderlich. Die Ausbildung zum Physiotherapeuten ab 2. April 2002 beginne er auf eigenes Risiko (Schreiben vom 12. März 2002). Am 14. März 2002 gab er die Antragsunterlagen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Er legte ein ärztliches Attest des Orthopäden Dr. M. vom 14. März 2002 vor, wonach eine Kreuzbandersatzplastik am linken Knie mit einem guten Ergebnis bestehe, das Kniegelenk stabil sei, eine gering verminderte Belastbarkeit für langes Gehen, Stehen und schweres Heben und Tragen bestehe sowie kniende Tätigkeiten auf Grund der Narbenbildungen am Schienbeinkopf nur eingeschränkt möglich seien. Der Kläger beantragte am 15. März 2002 auch die Förderung der Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme zum Physiotherapeuten. Die ausgefüllten Antragsunterlagen gingen am 20. August 2002 bei der Agentur für Arbeit ein.

Dr. R. vom ärztlichen Dienst der zuständigen Agentur für Arbeit kam in Auswertung des vorgelegten ärztlichen Attestes zur Auffassung, wegen einer Kreuzbandersatzplastik am linken Knie mit gutem Ergebnis bestehe eine geringe verminderte Belastbarkeit des linken Kniegelenks für langes Gehen, Stehen und schweres Heben. Kniende Tätigkeiten seien aufgrund der Narbenbildung nur eingeschränkt möglich. Dadurch sei der erlernte Beruf nicht mehr leidensgerecht (Stellungnahme vom 29. April 2002).

Auf Vorschlag der Beklagten nahm der Kläger im März 2003 an einer Arbeitserprobung Fachrichtung Physiotherapie in einem Berufsförderungswerk teil. Dieses vertrat im Ergebnisbericht vom 17. April 2003 die Auffassung, es könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Anforderungen einer Ausbildung zum Physiotherapeuten noch genügen müsste. Inwieweit er jedoch auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur eine Eignung aufweise, sei in der Tendenz in Zweifel zu ziehen. Eine Förderung der Ausbildung zum Physiotherapeuten sollte u.a. auch von den bisher erzielten schulischen Leistungen sowie von dem Eindruck, den der Kläger bis dato bei seinem Lehrpersonal hinterlassen habe, abhängig gemacht werden. Der Medizinische Dienst des Berufsförderungswerks ging von einer vollen bis bedingten Eignung für das Berufsbild des Physiotherapeuten unter Einhaltung des negativen Leistungsbildes (schwere körperliche Arbeit, schweres Heben und Tragen (über 15 kg), überwiegendes Stehen, längere Zwangshaltung, häufiges Treppensteigen bzw. Gehen auf unebenem Boden, Einflüsse von Kälte, Nässe, Zugluft und Erschütterungen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten) aus. Der spätere Einsatz solle überwiegend in anleitenden Tätigkeiten erfolgen bzw. sollten körperlich schwer belastende Bereiche wie Neurologie ausgeschlossen werden (Stellungnahme vom 11. März 2003).

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben ab. Eine Eignung für das Berufsziel sei nicht gegeben, sodass keine Einigkeit über die Ziele des Verfahrens zur Teilhabe am Arbeitsleben bestünden (Bescheid vom 29. April 2003). Auch den Antrag auf Förderung der Weiterbildungsmaßnahme zum Physiotherapeuten lehnte die Beklagte ab. Die gewählte Weiterbildungsmaßnahme sei nicht geeignet, Arbeitslosigkeit dauerhaft zu beenden, weshalb die Zustimmung nicht erteilt werden könne. Da das Anliegen des Klägers von Beginn an auf die Förderung der selbst gewählten Umschulung gerichtet gewesen sei, hätten ein Vermittlungsvorrang und andere Förderungsmöglichkeiten nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) nicht realisiert werden können. Es könne davon ausgegangen werden, dass in angemessener Zeit ein Arbeitsplatz hätte gefunden werden können, an dem der Kläger seine bisherigen Kenntnisse und Fertigkeiten hätte verwerten können (Bescheid vom 30. April 2003). Die vom Kläger erhobenen Widersprüche wies die Widerspruchsstelle der Agentur für Arbeit zurück (Widerspruchsbescheide vom 30. Juni 2003 und 10. Juli 2003). Der Kläger habe sich vor Beginn der Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme zwar vom Arbeitsamt beraten lassen, dieses habe jedoch der Teilnahme an der Maßnahme nicht zugestimmt, sodass die Förderungsvoraussetzungen des § 77 Abs. 1 SGB III nicht vorlägen. Bei der Massage handele es sich um eine ausschließlich stehende Tätigkeit, die eine große Kraftanstrengung des Masseurs erfordere und deshalb als Schwerarbeit einzustufen sei. Auch bringe diese Tätigkeit Zwangshaltungen mit sich. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten seien solche Tätigkeiten jedoch auszuschließen, weshalb der Kläger für den Beruf des Physiotherapeuten auf Dauer nicht geeignet sei. Das durch die Förderung der Umschulung angestrebte Ziel, eine möglichst große Konkurrenzfähigkeit im Beruf und langfristig eine dauerhafte berufliche Eingliederung anzustreben, könne nicht erreicht werden. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, die Förderung abzulehnen. Denn das Interesse der Versichertengemeinschaft und der Steuerzahler, die finanziellen Mittel so Erfolg versprechend wie möglich einzusetzen, würde durch die Förderung nicht respektiert.

Der Kläger hat gegen die beiden Widerspruchsbescheide am 4. Juli 2003 und 17. Juli 2003 jeweils Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhoben. Das Sozialgericht hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Beschluss vom 10. Dezember 2003). Der Kläger hat geltend gemacht, vor der abschließenden Klärung sei keineswegs unmissverständlich mitgeteilt worden, er könne seine Ausbildung zum Physiotherapeuten, in der er zwischenzeitlich die Zwischenprüfung mit der Gesamtnote 2,9 bestanden habe, nicht beginnen. Das Ergebnis der Arbeitserprobung zeige, dass er für den von ihm gewählten Beruf durchaus geeignet sei. Die wegen der Knieproblematik vorliegenden Einschränkungen seien bei ihm nicht so gravierend.

Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29. April 2003 und 30. April 2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30. Juni 2003 und 10. Juli 2003 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren (Urteil vom 21. April 2005). Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags und pflichtgemäße Ausübung des der Beklagten zustehenden Ermessens. Seiner (des Sozialgerichts) Auffassung nach lägen die Voraussetzungen des § 77 SGB III vor. Insbesondere sei der Kläger für die künftige Tätigkeit als Physiotherapeut uneingeschränkt und dauerhaft geeignet. Irgendwelche Einschränkungen ließen sich aus der Stellungnahme des Berufsförderungswerks nicht herleiten. Die endgültige Beurteilung sei offen gelassen worden. Zurückschauend betrachtet unter Würdigung der im Klageverfahren vorgelegten Zeugnisse und der Tatsache, dass der Kläger im Herbst dieses Jahres (2005) seinen Abschluss machen werde, erscheine darüber hinaus diese Einschätzung in einem anderen Licht. Einer Förderung stehe auch nicht entgegen, dass die Beklagte vor Beginn der Teilnahme an der Maßnahme derselben nicht zugestimmt und sie die Maßnahme auch nicht anerkannt habe. Die Zustimmung könne im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden. Die Beklagte habe gegen ihre Pflicht, den Kläger über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu beraten, verstoßen. Sie habe dem Kläger gegenüber nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, wegen fehlender Zustimmung komme eine Förderung der Maßnahme komme von vornherein aus Rechtsgründen nicht mehr in Betracht kommen könne, sondern vielmehr den Eindruck vermittelt, im Rahmen einer weiteren Aufklärung komme zu einem späteren Zeitpunkt eine Förderung in Betracht.

Gegen das ihr am 8. August 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. August 2005 Berufung eingelegt. Da der Kläger auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen seinen Ausbildungsberuf als Gas- und Wasserinstallateur nicht mehr ausüben könne, zähle er zum Personenkreis nach § 19 SGB III und es stünden ihm damit grundsätzlich Leistungen nach § 97 SGB III zu. Die von ihr zu treffende Ermessensentscheidung, welche Leistungen geeignet seien, könne nur getroffen werden, wenn ihr ausreichend Gelegenheit gegeben werde, Eignung (Hervorhebung im Original), Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Sie habe alles unternommen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Sie habe ihre Beratungspflicht nicht verletzt und auch zu keinem Zeitpunkt einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Die medizinische Prognose für eine erfolgreiche Eingliederung in das Berufsleben im gewünschten Beruf sei negativ gewesen. Trotz der jetzt befristeten Tätigkeit auf einem Kreuzfahrtschiff bezweifle sie weiterhin, dass der Kläger in der Lage sein solle, dem üblichen Berufsbild des Physiotherapeuten zu entsprechen. Ein Berufswunsch sei weder im Bereich der Umschulung noch im Bereich der Rehabilitation ein allein entscheidendes Kriterium für die Leistungspflicht. Konkrete Vermittlungsmöglichkeiten hätten im Jahre 2002 sicher bestanden, z.B. im Einzelhandel, Baumarkt, Heimwerkermarkt, Vertrieb, Außendienst als Verkaufsberater für Produkte seines Fachgebiets.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte über den Anspruch auf Kostenerstattung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet.

Die Beklagte habe ihre Beratungspflicht verletzt, indem sie ihm ein unzutreffendes Bild über die der Entscheidung über die Förderung der Ausbildungsmaßnahme zu Grunde liegenden Erwägungen vermittelt habe. Mittlerweile habe er die Ausbildung ohne Schwierigkeiten erfolgreich abgeschlossen und auch eine Anstellung als Physiotherapeut gefunden.

Der Kläger hat die ihm für die Teilnahme an der streitigen Maßnahme entstandenen Aufwendungen mit EUR 15.842,94 beziffert.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des Sozialgerichts sowie die von der Beklagten vorgelegte Leistungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

1. Zu entscheiden ist zum Einen über das Begehren des Klägers auf Förderung der Ausbildung zum Physiotherapeut als Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben (§§ 97 bis 111 SGB III) und zum Anderen über das Begehren des Klägers auf Förderung der Ausbildung zum Physiotherapeut als Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung (§§ 77 bis 87 SGB III). Denn mit dem Bescheid vom 29. April 2003/Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2003 und dem Bescheid vom 30. April 2003/Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2003 beschied die Beklagte die beiden vom Kläger gestellten Anträge, zum Einen auf Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zum Anderen auf Förderung der beruflichen Weiterbildung negativ. Beide Bescheide focht der Kläger an und beide Bescheide hob das Sozialgericht auf. Hiergegen legte die Beklagte in vollem Umfang Berufung ein.

Nach dem in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beim Sozialgericht protokollierten Antrag begehrte der Kläger, ihm Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Ein weiterer Antrag, auch Leistungen der Förderung der Weiterbildung zu gewähren, ist nicht gestellt worden. Daraus folgt nicht, dass der Kläger sein Begehren nur auf Leistungen auf Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben begrenzte und die Klage hinsichtlich der Leistungen der Förderung der Weiterbildung zurücknahm. Das Begehren des Klägers ist die Förderung der streitigen Maßnahme, wobei er sich auf alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen stützt. Auch musste das Sozialgericht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Förderung der streitigen Maßnahme unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten prüfen.

2. Die streitige Maßnahme ist beendet. Der Kläger ist damit in der Lage, die ihm für die Teilnahme an der Maßnahme entstandenen Aufwendungen zu beziffern. Dementsprechend kann sein Begehren nicht mehr darauf gerichtet sein, die Beklagte zu verurteilen, Leistungen für die Teilnahme zu gewähren, sondern darauf, die Beklagte zu verurteilen, die ihm durch die Teilnahme entstandenen Aufwendungen zu erstatten. Der Sachleistungsanspruch wandelt sich in einen Kostenerstattungsanspruch um, wenn ein Versicherungsträger die erforderliche Sachleistung nicht erbringt und der Berechtigte sie selbst beschafft (BSG SozR 3-4100 § 56 Nr. 1). Die Änderung des Begehrens ist nach § 99 Abs. 3 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) keine Klageänderung. Obgleich die Maßnahme im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats beendet ist, ist keine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten, weil die Erstattung der geltend gemachten Maßnahmekosten von einer Entscheidung der Beklagten abhängt.

II.

Die form- und fristgerechte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Der Beschwerdewert von EUR 500,00 ist überschritten. Für die streitige Maßnahme sind Aufwendungen in Höhe von EUR 15.842,94 entstandenen. Da die Maßnahme zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung im Juli 2005 fast beendet war, waren zu diesem Zeitpunkt jedenfalls Aufwendungen von mehr als EUR 500,00 entstanden.

III.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht zu einer Neubescheidung verpflichtet.

1. Nach § 97 Abs. 1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Bei der Auswahl der Leistungen sind nach § 97 Abs. 2 SGB III Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen (Satz 1). Soweit es erforderlich ist, schließt das Verfahren zur Auswahl der Leistungen eine Abklärung der beruflichen Eignung oder eine Arbeitserprobung ein (Satz 2).

1.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 97 SGB III liegen vor. Der Kläger ist Behinderter und benötigt Leistungen zum Erhalt seiner Erwerbsfähigkeit. Nach § 19 Abs. 1 SGB III sind behindert im Sinne dieses Buches Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 des Neunten Buches nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen, einschließlich lernbehinderter Menschen. Diese Voraussetzungen sind gegeben. In seinem erlernten Beruf als Gas- und Wasserinstallateur kann der Kläger nicht mehr uneingeschränkt tätig sein, weil er wegen einer Kreuzbandersatzplastik keine knienden Tätigkeiten mehr verrichten soll. Dies ergibt sich aus der gutachterlichen Äußerung der Dr. R. vom 29. April 2002.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Förderung der streitigen Maßnahme nicht entgegen, dass diese nicht erforderlich ist, weil dem Kläger die Eignung für den Beruf des Physiotherapeuten fehlt. Insoweit handelt es sich um Anspruchsvoraussetzungen, die der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegen.

Zur Prüfung der Eignung ist die Zielsetzung der beruflichen Rehabilitation zu berücksichtigen. Diese besteht darin, die berufliche Eingliederung des Behinderten im größtmöglichen Umfang und auf Dauer zu sichern. Dies hat zur Folge, dass nur solche Berufe zu fördern sind, in denen sich die Behinderung voraussichtlich nicht mehr auswirken wird. Der Behinderte soll durch die geförderte Bildungsmaßnahme in die Lage versetzt werden, die erlangten Kenntnisse und Fertigkeiten auf dem gesamten Berufsfeld uneingeschränkt zu verwerten, das durch die Bildungsmaßnahme eröffnet wird. Denn nur dann ist er auf dem Arbeitsmarkt in ausreichendem Maße wettbewerbsfähig. Dies stellt sicher, dass das Rehabilitationsziel möglichst dauerhaft erreicht wird. Es sind deshalb nur solche Berufe zu fördern, in denen sich die Behinderung voraussichtlich nicht mehr auswirken wird (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 18. Mai 2000 - B 11 AL 107/99 R - m.w.N.).

Eine fehlende Eignung lässt sich nicht aus der Knieerkrankung ableiten. Nach der Leistungsbeurteilung des Berufsförderungswerks sind längere Zwangshaltungen zu vermeiden. Allein der Umstand, dass bei der Ausübung des Berufs des Physiotherapeuten Zwangshaltungen auftreten können, reicht nicht aus, die Eignung zu verneinen. Die Tätigkeit als Physiotherapeuten ist nicht in ständiger Zwangshaltung auszuüben. Auch nach dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus dem Berufenet ist die Tätigkeit nur teilweise in Zwangshaltungen zu verrichten (Blatt 59 der LSG-Akte). Solange Zwangshaltungen nur hin und wieder auftreten und nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit bilden, kann eine Eignung vorliegen. Dasselbe gilt hinsichtlich möglicherweise anfallender kniender Tätigkeiten. Nach der gutachterlichen Äußerung der Dr. R. vom 29. April 2002, die auf dem Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. M. vom 14. März 2002 beruht, ist das Kniegelenk stabil und es besteht nur eine geringe verminderte Belastbarkeit für langes Gehen, Stehen und schweres Heben und Tragen. Einschränkungen bestehen auf Grund der Knieerkrankung für kniende Tätigkeiten, weshalb der erlernte Beruf nicht mehr ausgeübt werden konnte. Dass die Tätigkeit des Physiotherapeuten eine überwiegende kniende Tätigkeiten ist, ist insbesondere nach dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus dem Berufenet nicht ersichtlich. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Bericht über die Arbeitserprobung, die nach § 97 Abs. 2 Satz 2 SGB III gerade Grundlage für Auswahl der richtigen Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben darstellt.

Für eine Eignung des Klägers spricht, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der Widerspruchsbescheide vom 30. Juni 2003 und 10. Juli 2003, der maßgebend ist (vgl. BSG SozR 3-4100 § 36 Nr. 5), schon über ein Jahr an der Maßnahme teilnahm und die Zwischenprüfung bestanden hatte (Zwischenzeugnis der Ausbildungsstelle vom 13. Februar 2003). Mit zunehmendem Erwerb neuer Kenntnisse in einer selbst begonnenen Maßnahme nimmt das Gewicht von Neigung und Eignung zu und vermehren sich die berücksichtigungsfähigen Kenntnisse im Hinblick auf die begonnene Ausbildung. (BSG SozR 3-4100 § 56 Nr. 1). Diesen Umstand berücksichtigte die Beklagte bei ihren Entscheidungen nicht, obgleich in dem Bericht des Berufsförderungswerks vom 17. April 2003 bezüglich der Frage der Förderung ausgeführt wurde, dass diese von dem bisherigen Verlauf der schulischen Leistungen und dem Eindruck des Lehrpersonals abhängig gemacht werden sollte. Der Bericht über die Arbeitserprobung zeigte zwar gewisse Bedenken auf, schloss aber einen Erfolg der Umschulung zum Physiotherapeuten nicht aus.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes der streitigen Maßnahme entgegenstanden. Die Beklagte behauptet zwar, es hätten konkrete Vermittlungsmöglichkeiten zu Beginn des Jahres 2002 bestanden. Diese Behauptung belegte sie allerdings nicht mit konkreten Vermittlungsangeboten, wie sie im Übrigen auch, nachdem der Kläger sich am 18. Januar 2002 arbeitslos gemeldet hatte, dem Kläger keine Vermittlungsangebote unterbreitete. Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Kläger sei von vornherein auf die Umschulung zum Physiotherapeuten fixiert gewesen. Wenn dies der Fall war, bestünden erhebliche Zweifel an der Verfügbarkeit des Klägers mit der Folge, dass ihm kein Arbeitslosengeld hätte gewährt werden dürfen. Außerdem kann dem Kläger eine einseitige und vorzeitige Festlegung auf den Beruf des Physiotherapeuten nicht vorgehalten werden, weil die Beklagte sich nicht bemühte, ihm durch Vermittlungsangebote oder durch andere Umschulungsangebote Alternativen für die weitere berufliche Tätigkeit darzustellen.

1.2. Sind - wie vorliegend - die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegeben, steht die Erbringung der allgemeinen Leistungen im Ermessen der Beklagten (§ 3 Abs. 5 SGB III). Nach § 98 Abs. 1 SGB III können für behinderte Menschen allgemeine Leistungen (nach §§ 100 und 101 SGB III), u.a. nach § 100 Nr. 6 SGB III die Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung, sowie besondere Leistungen (nach §§ 102 bis 111 SGB III) zur Teilhabe am Arbeitsleben und diese ergänzende Leistungen erbracht werden. Die allgemeinen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben Vorrang vor den besonderen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 98 Abs. 2 SGB III).

Die von der Beklagten in den Widerspruchsbescheiden angeführten Gründe für ihre ablehnende Ermessensentscheidung, das Ziel der Förderung, eine möglichst große Konkurrenzfähigkeit im Beruf und langfristig eine dauerhafte berufliche Eingliederung anzustreben, könne durch die angestrebte Umschulung nicht erreicht werden, sind nach dem zuvor dargelegten fehlerhaft. Weiter berücksichtigte die Beklagte nicht, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der Widerspruchsbescheide einen Teil der Maßnahme erfolgreich absolviert hatte. Schließlich zeigte die Beklagte dem Kläger keine Alternativen für seine künftige berufliche Tätigkeit auf. Sie machte dem Kläger nicht nur keine Vermittlungsangebote, sondern legte ihm auch nicht dar, welche Berufe ihrer Auffassung nach aufgrund der bestehenden Knieerkrankung in Betracht kommen, die durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - auch mit einer Maßnahmedauer von weniger als 3 Jahren wie die vom Kläger absolvierte Maßnahme - gefördert werden können.

Bei der erneuten Entscheidung über den (Kostenerstattungs-)Anspruch des Klägers wird die Beklagte die zum Zeitpunkt ihrer erneuten Entscheidung bestehenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen haben, und damit auch, ob der Kläger in einem möglicherweise dauerhaften Arbeitsverhältnis steht, in dem keine Ausfallzeiten wegen der Knieerkrankung aufgetreten sind. Ist dies der Fall, sind nach Auffassung des Senats keine Gesichtspunkte mehr gegeben, die die Ablehnung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben rechtfertigen.

2. Da es sich auch bei Leistungen der beruflichen Weiterbildung nach §§ 77 ff SGB III nach § 3 Abs. 5 SGB III um Ermessensleistungen handelt, wird die Beklagte gegebenenfalls auch hierüber zu entscheiden haben, insbesondere wenn sie einen Anspruch auf Förderung nach den §§ 97 ff SGB III verneinen sollte. Zweckmäßig wäre es, dies in einem Bescheid zu tun. Denn das Begehren des Klägers richtet sich darauf, Erstattung der Aufwendungen unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu erhalten.

3. Eine teilweise Abänderung des angefochtenen Urteils ist nicht erforderlich. Das Sozialgericht hat ein Bescheidungsurteil getroffen. Nach dem Tenor des angefochtenen Urteils verurteilte das Sozialgericht die Beklagte, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsplatz zu gewähren, was den Schluss zulassen könnte, das Sozialgericht habe dem Kläger den geltend gemachten Anspruch dem Grunde nach zugesprochen. Allerdings ergibt sich aus den Entscheidungsgründen, dass das Sozialgericht von einem Anspruch auf erneute Bescheidung ausging, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht zutreffend ausgeübt habe. Da der Kläger keine (Anschluss-)Berufung sondern allein die Beklagte Berufung eingelegt hat, ist dem Senat eine weitergehende Prüfung versagt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved