Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 7 KR 56/04
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 56/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erwachsene haben keinen Anspruch auf Versorgung mit Ritalin oder anderen Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Methylphenidat zur Behandlung einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel Ritalin zur Behandlung einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter; das Medikament ist ebenso wie weitere Arzneimittel desselben Wirkstoffes (Methylphenidat) lediglich zur Therapie der ADHS bei Kindern zugelassen.
Die geborene Klägerin steht seit Jahren wegen ihrer ADHS in nervenärztlicher Behandlung des Dr S. Nach seinen Angaben im Klageverfahren – Befundbericht vom 20.09.2004 – leidet sie infolge der ADHS an depressiver Stimmungslage, Langeweile mit Antriebsstörung, Stimmungswechsel mit Lustlosigkeit, Konzentrationsminderung und Müdigkeit, Aufmerksamkeitsschwäche, Vergesslichkeit und vermehrter Ablenkbarkeit. Im motorischen Bereich ist sie nervös und zappelig, verträumt und unaufmerksam mit geringem Durchhaltevermögen und vorzeitigem Beenden von Tätigkeiten. Unter Hinweis auf erfolglose Therapieversuche mit verschiedenen Antidepressiva und die fehlende Verfügbarkeit der früher eingesetzten Medikamente Katavit und Captagon beantragte Dr S im September 2003 für die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem nur für die Behandlung der ADHS von Kindern und Jugendlichen zugelassenen Medikament Ritalin, welches bei der Klägerin im Rahmen einer Probebehandlung bereits zur Besserung der Aufmerksamkeit, Reduktion der Vergesslichkeit und Antriebsbelebung geführt habe (Bericht des Dr S an die Beklagte vom 27.10.2003). Nach Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) – Stellungnahme des Dr S vom 07.11.2003 – lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 18.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2004 ab, weil die Voraussetzungen des so genannten Off-Label-Use nicht erfüllt seien. Nach der sozialmedizinischen Beurteilung des MDK lägen keine ausreichend gesicherten Daten für die Behandlung Erwachsener mit dem Medikament Ritalin vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 05.03.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Speyer erhoben. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung des SG beschafft sie sich derzeit den Wirkstoff Methylphenidat (offensichtlich auf Grund privatärztlicher Verordnung) selbst, wobei für verschiedene Präparate monatliche Kosten zwischen 40 und 80 EUR entstehen. Sie hat geltend gemacht, die ADHS beeinträchtige sie in ihrer Lebensqualität dauerhaft und erheblich, eine Behandlungsalternative fehle und es bestehe entgegen der Einschätzung des MDK die begründete Aussicht, dass mit "Ritalin" ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Das SG hat verschiedene Auskünfte hierzu eingeholt, nämlich des Berufsverbandes Deutscher Psychiater vom 15.07.2004 und 22.12.2004, des Herstellers von Ritalin Novartis Pharma GmbH vom 30.07. bzw. 04.08.2004, des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 16.08.2004 und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit vom 06.10.2004 und 17.12.2004. Die Beklagte hat ein MDK-Gutachten von Dr vom 17.08.2004 aus einem anderen Verfahren vorgelegt.
Durch Urteil vom 21.02.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit Ritalin oder einem anderen Methylphenidat-haltigem Arzneimittel. Deren arzneimittelrechtliche Zulassung zur Behandlung der ADHS von Kindern und Jugendlichen umfasse nicht die Behandlung von Erwachsenen. Auch die Voraussetzungen, nach denen auf Grund der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf BSG 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R) ausnahmsweise die Anwendung eines Medikamentes außerhalb der zugelassenen Indikation möglich sei, lägen nicht vor. Es bestehe nicht auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit Methylphenidat-haltigen Arzneimitteln ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen sei. Zum einen sei unstreitig die Erweiterung der Zulassung nicht beantragt worden. Zum anderen seien nicht außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. So gebe es für das Kinder- und Jugendalter etwa 250 Studien, die die Wirksamkeit von Methylphenidat nachweisen würden und die konsistent eine Responderrate von rund 75 % zeigten. In den bisher vorliegenden Studien für erwachsene Patienten liege die Responderrate zwischen 25 % und 78 % und variiere damit weit (Hinweis auf Sobanski/Alm, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen, Der Nervenarzt 2004, S 697 ff). Für diese Wirksamkeitsunterschiede gebe es offenbar mehrere Erklärungsversuche, ua dass Patienten mit ADHS und klinisch relevanter depressiver Symptomatik signifikant schlechter auf eine Stimulanzienbehandlung ansprächen. Bei der Klägerin habe der behandelnde Arzt Dr S ausgeführt, sie leide infolge der ADHS an depressiver Stimmungslage, so dass nicht auszuschließen sei, dass bei ihr eine depressive Symptomatik vorliege, die gegen einen Behandlungserfolg sprechen könnte. Unabhängig hiervon zeige der zitierte Aufsatz im Übrigen, dass es verlässliche Studien über die Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter mit Methylphenidat offenbar nicht gebe. Dies zeige die Auflistung der kontrollierten Doppelblindstudien zur medikamentösen Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter (Hinweis auf Ebert/Krause/Roth-Sackenheim, ADHS im Erwachsenenalter-Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN, Der Nervenarzt 2003, S 939) ohne weiteres. Zum einen sei die Patientenzahl zahlreicher Studien offenkundig viel zu gering und schwanke zwischen 11 und 37. Zum anderen führten Ebert/Krause/Roth-Sackenheim aus, dass keine publizierten Daten zu Effekten und Nebenwirkungen einer medikamentösen Langzeittherapie bestünden. Keine Studien seien zur Frage publiziert worden, ob Methylphenidat das Risiko einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen erhöhe oder erniedrige. Kontrollierte Studien würden von den Autoren für erforderlich gehalten. Somit scheine sich zwar ein gewisser Konsens in den einschlägigen Fachkreisen herauszubilden, dieser gründe sich jedoch nicht auf gewonnene und veröffentlichte Erkenntnisse, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 10.03.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.04.2005 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des SG könne aus der Zulassung des Medikamentes Ritalin zur Behandlung der ADHS bei Kindern und Jugendlichen nicht gefolgert werden, dass die Anwendung bei Erwachsenen bewusst ausgeklammert worden sei. Dies liege vielmehr daran, dass man früher davon ausgegangen sei, dass sich die Symptome der ADHS im Erwachsenenalter verlieren würden oder die Betroffenen bis dahin den Umgang mit den Symptomen gelernt haben würden. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen eines Off-Label-Use nach der Rechtsprechung des BSG vor, insbesondere bestehe entgegen der Auffassung des Erstgerichts die begründete Aussicht, dass ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Der Hinweis des SG, dass womöglich bei Patienten mit ADHS und zusätzlicher depressiver Symptomatik die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Behandlung sich vermindere, sei nicht nachzuvollziehen. Insoweit werde von theoretischen Erwägungen einer Studie auf die Unwirksamkeit des Präparates bei der Klägerin geschlossen, obwohl der behandelnde Arzt Dr S und die Klägerin selbst den durch die Anwendung von Ritalin bei ihr erzielten großen Behandlungserfolg dargelegt hätten. Im Übrigen könne aus den vom SG betonten geringen Patientenzahlen der bereits durchgeführten Studien nicht abgeleitet werden, dass diese Studien keine Bedeutung hätten. Die mit Methylphenidat durchgeführten Studien hätten regelmäßig eine Besserung von über 50 % ergeben, lediglich bei Patienten mit psychiatrischer Komorbidität sei nur in 25 % der Fälle eine Besserung erzielt worden. Wie viele Patienten an einer Studie jeweils teilnehmen müssten, habe das BSG bei der Aufstellung der Voraussetzungen für den Off-Label-Use nicht vorgeschrieben. Schließlich habe das SG unberücksichtigt gelassen, dass die Firma Novartis Pharma GmbH auf die steigende medizinische Nachfrage des Präparates Ritalin auch für Erwachsene hingewiesen und betont habe, dass auf Grund der wissenschaftlichen Datenlage und der Behandlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) man sich derzeit in der Evaluationsphase für eine Zulassung bei Erwachsenen in Deutschland befinde. In den USA sei die Zulassung unter Vorlage entsprechender Studiendaten bereits beantragt, folglich müssten solche Studiendaten auch existieren. Schließlich bestehe auch in deutschen Fachkreisen Einigkeit darüber, dass in der Angelegenheit Handlungsbedarf bestehe, wofür auf Äußerungen des Gesundheitspolitischen Sprechers der DGPPN Prof Dr Fritze verwiesen werden könne. Der Prüfungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin habe schließlich im Dezember 2003 die Festsetzung eines sonstigen Schadens gegenüber einem Arzt abgelehnt, weil die Verordnung von Ritalin im Erwachsenenalter medizinisch notwendig und indiziert gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die ihr bisher auf Grund privatärztlicher Verordnungen des Arzneimittels Ritalin oder anderer Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat entstandenen Kosten zu erstatten und sie künftig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hiermit zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Auskunft vom 16.06.2005 eingeholt und das in einem anderen Rechtsstreit vergleichbarer Problematik vorliegende MDK-Gutachten von Dr L -L vom 03.03.2004 beigezogen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Methylphenidat-haltigen Arzneimittel zu Lasten der Beklagten, so dass die Beklagte weder verpflichtet ist, die dafür bisher aufgewendeten Kosten nach § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erstatten, noch die Klägerin in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift von zukünftig durch diese Arzneimitteltherapie entstehenden Kosten freizustellen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und die bereits dort zitierte gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, die Zulassung von Methylphenidat-haltigen Arzneimitteln zur Behandlung der ADHS bei Kindern und Jugendlichen umfasse auch die Behandlung von Erwachsenen. Nach dem Arzneimittelgesetz wäre hierfür nämlich eine Zulassungserweiterung erforderlich. Für den Off-Label-Use fehlt es jedenfalls derzeit an hinreichenden Forschungsergebnissen für eine relevante Wirksamkeit des Wirkstoffes Methylphenidat bei vertretbaren Risiken zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen. Dies hat das SG bezugnehmend auf wissenschaftliche Literatur dargelegt und wird insbesondere durch das vom Senat im Berufungsverfahren ergänzend beigezogene MDK-Gutachten von Dr L -L vom 03.03.2004 belegt. Die Gutachterin hat den Forschungsstand im Einzelnen dargelegt und ist in nicht zu beanstandender Weise zur Beurteilung gelangt, dass der derzeitige Forschungsstand noch nicht hinreichend eine Zulassungserweiterung der Methylphenidat-haltigen Arzneimittel für die Behandlung der ADHS von Erwachsenen erwarten lässt. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Selbst wenn entgegen den Erkenntnissen des von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten MDK-Gutachtens von Dr H vom 17.08.2004 die Firma Novartis weiterhin einen Zulassungserweiterungsantrag für das Medikament Ritalin beabsichtigen bzw in den USA sogar bereits gestellt haben sollte, so rechtfertigte dies keine andere Beurteilung, weil allein dies den von Dr L -L dargelegten Forschungsstand nicht ändert. Insbesondere hat die MDK-Gutachterin diesbezüglich auch die verfügbaren internationalen Studien berücksichtigt, so dass für die Annahme der Klägerin, es müssten wegen einer in den USA bereits erfolgten Zulassungsbeantragung entsprechende (weitergehende) Studien vorliegen, nichts ersichtlich ist; jedenfalls sind sie nicht veröffentlicht.
Die Berufung konnte danach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 SGG liegen nicht vor.
2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel Ritalin zur Behandlung einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter; das Medikament ist ebenso wie weitere Arzneimittel desselben Wirkstoffes (Methylphenidat) lediglich zur Therapie der ADHS bei Kindern zugelassen.
Die geborene Klägerin steht seit Jahren wegen ihrer ADHS in nervenärztlicher Behandlung des Dr S. Nach seinen Angaben im Klageverfahren – Befundbericht vom 20.09.2004 – leidet sie infolge der ADHS an depressiver Stimmungslage, Langeweile mit Antriebsstörung, Stimmungswechsel mit Lustlosigkeit, Konzentrationsminderung und Müdigkeit, Aufmerksamkeitsschwäche, Vergesslichkeit und vermehrter Ablenkbarkeit. Im motorischen Bereich ist sie nervös und zappelig, verträumt und unaufmerksam mit geringem Durchhaltevermögen und vorzeitigem Beenden von Tätigkeiten. Unter Hinweis auf erfolglose Therapieversuche mit verschiedenen Antidepressiva und die fehlende Verfügbarkeit der früher eingesetzten Medikamente Katavit und Captagon beantragte Dr S im September 2003 für die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem nur für die Behandlung der ADHS von Kindern und Jugendlichen zugelassenen Medikament Ritalin, welches bei der Klägerin im Rahmen einer Probebehandlung bereits zur Besserung der Aufmerksamkeit, Reduktion der Vergesslichkeit und Antriebsbelebung geführt habe (Bericht des Dr S an die Beklagte vom 27.10.2003). Nach Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) – Stellungnahme des Dr S vom 07.11.2003 – lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 18.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2004 ab, weil die Voraussetzungen des so genannten Off-Label-Use nicht erfüllt seien. Nach der sozialmedizinischen Beurteilung des MDK lägen keine ausreichend gesicherten Daten für die Behandlung Erwachsener mit dem Medikament Ritalin vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 05.03.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Speyer erhoben. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung des SG beschafft sie sich derzeit den Wirkstoff Methylphenidat (offensichtlich auf Grund privatärztlicher Verordnung) selbst, wobei für verschiedene Präparate monatliche Kosten zwischen 40 und 80 EUR entstehen. Sie hat geltend gemacht, die ADHS beeinträchtige sie in ihrer Lebensqualität dauerhaft und erheblich, eine Behandlungsalternative fehle und es bestehe entgegen der Einschätzung des MDK die begründete Aussicht, dass mit "Ritalin" ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Das SG hat verschiedene Auskünfte hierzu eingeholt, nämlich des Berufsverbandes Deutscher Psychiater vom 15.07.2004 und 22.12.2004, des Herstellers von Ritalin Novartis Pharma GmbH vom 30.07. bzw. 04.08.2004, des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 16.08.2004 und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit vom 06.10.2004 und 17.12.2004. Die Beklagte hat ein MDK-Gutachten von Dr vom 17.08.2004 aus einem anderen Verfahren vorgelegt.
Durch Urteil vom 21.02.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit Ritalin oder einem anderen Methylphenidat-haltigem Arzneimittel. Deren arzneimittelrechtliche Zulassung zur Behandlung der ADHS von Kindern und Jugendlichen umfasse nicht die Behandlung von Erwachsenen. Auch die Voraussetzungen, nach denen auf Grund der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf BSG 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R) ausnahmsweise die Anwendung eines Medikamentes außerhalb der zugelassenen Indikation möglich sei, lägen nicht vor. Es bestehe nicht auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit Methylphenidat-haltigen Arzneimitteln ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen sei. Zum einen sei unstreitig die Erweiterung der Zulassung nicht beantragt worden. Zum anderen seien nicht außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. So gebe es für das Kinder- und Jugendalter etwa 250 Studien, die die Wirksamkeit von Methylphenidat nachweisen würden und die konsistent eine Responderrate von rund 75 % zeigten. In den bisher vorliegenden Studien für erwachsene Patienten liege die Responderrate zwischen 25 % und 78 % und variiere damit weit (Hinweis auf Sobanski/Alm, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen, Der Nervenarzt 2004, S 697 ff). Für diese Wirksamkeitsunterschiede gebe es offenbar mehrere Erklärungsversuche, ua dass Patienten mit ADHS und klinisch relevanter depressiver Symptomatik signifikant schlechter auf eine Stimulanzienbehandlung ansprächen. Bei der Klägerin habe der behandelnde Arzt Dr S ausgeführt, sie leide infolge der ADHS an depressiver Stimmungslage, so dass nicht auszuschließen sei, dass bei ihr eine depressive Symptomatik vorliege, die gegen einen Behandlungserfolg sprechen könnte. Unabhängig hiervon zeige der zitierte Aufsatz im Übrigen, dass es verlässliche Studien über die Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter mit Methylphenidat offenbar nicht gebe. Dies zeige die Auflistung der kontrollierten Doppelblindstudien zur medikamentösen Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter (Hinweis auf Ebert/Krause/Roth-Sackenheim, ADHS im Erwachsenenalter-Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN, Der Nervenarzt 2003, S 939) ohne weiteres. Zum einen sei die Patientenzahl zahlreicher Studien offenkundig viel zu gering und schwanke zwischen 11 und 37. Zum anderen führten Ebert/Krause/Roth-Sackenheim aus, dass keine publizierten Daten zu Effekten und Nebenwirkungen einer medikamentösen Langzeittherapie bestünden. Keine Studien seien zur Frage publiziert worden, ob Methylphenidat das Risiko einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen erhöhe oder erniedrige. Kontrollierte Studien würden von den Autoren für erforderlich gehalten. Somit scheine sich zwar ein gewisser Konsens in den einschlägigen Fachkreisen herauszubilden, dieser gründe sich jedoch nicht auf gewonnene und veröffentlichte Erkenntnisse, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 10.03.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.04.2005 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des SG könne aus der Zulassung des Medikamentes Ritalin zur Behandlung der ADHS bei Kindern und Jugendlichen nicht gefolgert werden, dass die Anwendung bei Erwachsenen bewusst ausgeklammert worden sei. Dies liege vielmehr daran, dass man früher davon ausgegangen sei, dass sich die Symptome der ADHS im Erwachsenenalter verlieren würden oder die Betroffenen bis dahin den Umgang mit den Symptomen gelernt haben würden. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen eines Off-Label-Use nach der Rechtsprechung des BSG vor, insbesondere bestehe entgegen der Auffassung des Erstgerichts die begründete Aussicht, dass ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Der Hinweis des SG, dass womöglich bei Patienten mit ADHS und zusätzlicher depressiver Symptomatik die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Behandlung sich vermindere, sei nicht nachzuvollziehen. Insoweit werde von theoretischen Erwägungen einer Studie auf die Unwirksamkeit des Präparates bei der Klägerin geschlossen, obwohl der behandelnde Arzt Dr S und die Klägerin selbst den durch die Anwendung von Ritalin bei ihr erzielten großen Behandlungserfolg dargelegt hätten. Im Übrigen könne aus den vom SG betonten geringen Patientenzahlen der bereits durchgeführten Studien nicht abgeleitet werden, dass diese Studien keine Bedeutung hätten. Die mit Methylphenidat durchgeführten Studien hätten regelmäßig eine Besserung von über 50 % ergeben, lediglich bei Patienten mit psychiatrischer Komorbidität sei nur in 25 % der Fälle eine Besserung erzielt worden. Wie viele Patienten an einer Studie jeweils teilnehmen müssten, habe das BSG bei der Aufstellung der Voraussetzungen für den Off-Label-Use nicht vorgeschrieben. Schließlich habe das SG unberücksichtigt gelassen, dass die Firma Novartis Pharma GmbH auf die steigende medizinische Nachfrage des Präparates Ritalin auch für Erwachsene hingewiesen und betont habe, dass auf Grund der wissenschaftlichen Datenlage und der Behandlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) man sich derzeit in der Evaluationsphase für eine Zulassung bei Erwachsenen in Deutschland befinde. In den USA sei die Zulassung unter Vorlage entsprechender Studiendaten bereits beantragt, folglich müssten solche Studiendaten auch existieren. Schließlich bestehe auch in deutschen Fachkreisen Einigkeit darüber, dass in der Angelegenheit Handlungsbedarf bestehe, wofür auf Äußerungen des Gesundheitspolitischen Sprechers der DGPPN Prof Dr Fritze verwiesen werden könne. Der Prüfungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin habe schließlich im Dezember 2003 die Festsetzung eines sonstigen Schadens gegenüber einem Arzt abgelehnt, weil die Verordnung von Ritalin im Erwachsenenalter medizinisch notwendig und indiziert gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die ihr bisher auf Grund privatärztlicher Verordnungen des Arzneimittels Ritalin oder anderer Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat entstandenen Kosten zu erstatten und sie künftig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hiermit zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Auskunft vom 16.06.2005 eingeholt und das in einem anderen Rechtsstreit vergleichbarer Problematik vorliegende MDK-Gutachten von Dr L -L vom 03.03.2004 beigezogen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Methylphenidat-haltigen Arzneimittel zu Lasten der Beklagten, so dass die Beklagte weder verpflichtet ist, die dafür bisher aufgewendeten Kosten nach § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erstatten, noch die Klägerin in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift von zukünftig durch diese Arzneimitteltherapie entstehenden Kosten freizustellen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und die bereits dort zitierte gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, die Zulassung von Methylphenidat-haltigen Arzneimitteln zur Behandlung der ADHS bei Kindern und Jugendlichen umfasse auch die Behandlung von Erwachsenen. Nach dem Arzneimittelgesetz wäre hierfür nämlich eine Zulassungserweiterung erforderlich. Für den Off-Label-Use fehlt es jedenfalls derzeit an hinreichenden Forschungsergebnissen für eine relevante Wirksamkeit des Wirkstoffes Methylphenidat bei vertretbaren Risiken zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen. Dies hat das SG bezugnehmend auf wissenschaftliche Literatur dargelegt und wird insbesondere durch das vom Senat im Berufungsverfahren ergänzend beigezogene MDK-Gutachten von Dr L -L vom 03.03.2004 belegt. Die Gutachterin hat den Forschungsstand im Einzelnen dargelegt und ist in nicht zu beanstandender Weise zur Beurteilung gelangt, dass der derzeitige Forschungsstand noch nicht hinreichend eine Zulassungserweiterung der Methylphenidat-haltigen Arzneimittel für die Behandlung der ADHS von Erwachsenen erwarten lässt. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Selbst wenn entgegen den Erkenntnissen des von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten MDK-Gutachtens von Dr H vom 17.08.2004 die Firma Novartis weiterhin einen Zulassungserweiterungsantrag für das Medikament Ritalin beabsichtigen bzw in den USA sogar bereits gestellt haben sollte, so rechtfertigte dies keine andere Beurteilung, weil allein dies den von Dr L -L dargelegten Forschungsstand nicht ändert. Insbesondere hat die MDK-Gutachterin diesbezüglich auch die verfügbaren internationalen Studien berücksichtigt, so dass für die Annahme der Klägerin, es müssten wegen einer in den USA bereits erfolgten Zulassungsbeantragung entsprechende (weitergehende) Studien vorliegen, nichts ersichtlich ist; jedenfalls sind sie nicht veröffentlicht.
Die Berufung konnte danach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 SGG liegen nicht vor.
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