Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 17 SB 129/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 1082/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 06. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Durch Bescheid vom 13. März 2000 hatte der Beklagte bei dem 1960 geborenen Kläger "Hirnleistungsschwäche" mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 als Behinderung anerkannt und entschieden, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erfüllt seien.
Zur Begründung seines im Februar 2003 gestellten Änderungsantrages, mit dem er u. a. die Zuerkennung des Merkzeichens "G" beantragte, machte der Kläger geltend, er könne nicht mehr lange laufen und nicht mehr allein mit der Bahn und der Straßenbahn fahren, weil er vergesslich sei. Der Beklagte holte u. a. eine ärztliche Auskunft des Arztes für Allgemein- und Sportmedizin/Chirotherapie Dr. K vom 22. Februar 2003 ein, der altersgerechte Wirbelsäulenbeweglichkeit und altersabhängigen Schmerz in der linken Thoraxhälfte bei Rippenpseudarthrose angab, ein flüssiges Gangbild beschrieb und erklärte, Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen nicht festgestellt zu haben. Desweiteren zog der Beklagte eine ärztliche Auskunft des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P vom 22. April 2003 bei und nahm Kopien von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte aus dem Rechtsstreit gegen die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Berlin bei dem Sozialgericht Cottbus (S 15 U 84/02) zu den Akten. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr. B lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 02. September 2003 den Antrag des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB und gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen ab. Den Widerspruch des Klägers, zu dessen Begründung er ausführte, seine Vergesslichkeit werde immer schlimmer, sein Blutdruck sei niedrig, er habe immer kalte Füße und könne keine langen Strecken laufen, wies der Beklagte nach Einholung ärztlicher Auskünfte der Allgemeinmedizinerin/Naturheilverfahren Dipl. med. G vom 04. November 2003 sowie von Dr. P vom 26. April 2004 durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2004 zurück.
Mit der Klage hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung des Merkzeichens "G" beantragt.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. P vom 08. Februar 2005 eingeholt, zu dem der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztin/Sozialmedizin Dr. W vom 16. März 2005 vorgelegt hat. Desweiteren sind aus dem Verfahren des Sozialgerichts Cottbus (S 14 RJ 1028/02) gegen den Rentenversicherungsträger Kopien des orthopädischen Gutachtens von Dr. B vom 14. Oktober 2003 und des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 01. April 2005 zu den Akten genommen worden.
Durch Urteil vom 06. Oktober 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichen "G" zu. Er sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt. Nach den getroffenen Feststellungen liege weder einer der in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP 2004) aufgeführten Regelfälle noch ein diesen vergleichbarer Fall vor. Insbesondere sei bei dem Kläger keine Störung der Orientierungsfähigkeit gegeben. Die beim ihm vorhandenen psychischen Störungen führten nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Gegen das am 23. November 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Dezember 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, er könne nicht länger als 5 Minuten laufen und sich nur 3 bis 5 Minuten draußen aufhalten. Dies liege an den Mobilfunkarten, die Strahlungen abgäben. Folgen könnten Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Ohrgeräusche (Tinnitus), Unruhezustände, Herzrasen, Nachtschweiß, schwankender Blutdruck und ein erhöhtes Krebsrisiko sein.
Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 06. Oktober 2005 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 02. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 zu verurteilen, ihm das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Mit gerichtlichen Schreiben vom 27. Januar 2006 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich.
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihm steht ein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht zu, denn er ist nicht erheblich gehbehindert.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), dessen Regelungen am 1. Juli 2001 in Kraft getreten sind, sind schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern.
Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP 2004 sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- und Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Derartige Beeinträchtigungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Der ihn behandelnde Arzt für Allgemein- und Sportmedizin/Chirotherapie Dr. K hat in der dem Beklagten erteilten ärztlichen Auskunft vom 22. Februar 2003 keine Funktionsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der unteren Gliedmaßen angegeben. Es bestehe ein flüssiges Gangbild bei altersgerechter Wirbelsäulenbeweglichkeit. Aus dem vom Sozialgericht beigezogenen im Rentenrechtsstreit S 14 RJ 1028/02 erstatteten Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. B vom 14. Oktober 2003 geht hervor, dass seitens des Bewegungsapparats keine Funktionsminderungen in den einzelnen Wirbelsäulen- und Gelenkabschnitten bestehen. Auch aus den übrigen medizinischen Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Fähigkeit des Klägers, eine Wegstrecke von 2 Kilometern in etwa 30 Minuten zurückzulegen. Die Behauptung des Klägers, er könne nicht länger als 5 Minuten laufen und sich nur 3 bis 5 Minuten draußen aufhalten, ist nicht nachvollziehbar und durch die in dem Verfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen eindeutig widerlegt. Die von dem Kläger in der Berufungsschrift vom 17. November 2005 angegebenen Beschwerden, die durch die vorliegenden medizinischen Unterlagen ebenfalls nicht ausreichend belegt sind, wirken sich auf die Gehfähigkeit nicht maßgeblich aus und können einen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G" nicht begründen. Deswegen bedurfte es keiner Klärung, ob und in welchem Ausmaß die von dem Kläger zur Begründung seiner Berufung behaupteten Leiden vorliegen und auf welchen Ursachen sie gegebenenfalls beruhen.
Auch die weiteren Voraussetzungen, bei deren Vorliegen nach Nr. 30 AHP 2004 eine erhebliche Gehbehinderung anzuerkennen ist, sind nicht erfüllt. Nach dem in Bezug auf die Feststellung der Behinderungen und des GdB von dem Kläger nicht angegriffenen und daher insoweit bestandskräftig gewordenen Bescheid des Beklagten vom 02. September 2003 liegt bei dem Kläger eine "Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, hirnorganische Wesensänderung", die einen GdB von 50 bedingt, vor. Diese Gesundheitsstörung wirkt sich auf die Fähigkeit des Klägers, sich fortzubewegen, nicht in einer Weise aus, dass die Anforderungen, die in Abs. 3 bis 5 der Nr. 30 AHP 2004 aufgestellt sind, als erfüllt anzusehen sind.
Eine Störung der Orientierungsfähigkeit, die nach Nr. 30 Abs. 5 AHP 2004 zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen kann, liegt bei dem Kläger nicht vor. Die Voraussetzungen des Absatzes 1 dieser Bestimmung sind ersichtlich nicht erfüllt, weil bei dem Kläger weder eine Sehbehinderung, die einen GdB von mindestens 50 bedingt, besteht noch Hörbehinderungen im Sinne von Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit gegeben sind.
Nach Abs. 2 der Nr. 30 Abs. 5 AHP 2004 sind bei geistig behinderten Menschen entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die bei dem Kläger festgestellten Behinderungen nur einen GdB von 50 bedingen. Ein besonders gelagerter Einzelfall, bei dem auch bei einem GdB unter 80 Störungen der Orientierungsfähigkeit wegen geistiger Behinderungen angenommen werden können, liegt nach den medizinischen Befunden nicht vor. Dr. P hat in dem Befundbericht vom 08. Februar 2005 ein mittelgradiges hirnorganisches Psychosyndrom verbunden mit symptomatischem Alkoholabusus bei vorbestehenden Anpassungsstörungen mit Störungen im emotionalen Bereich sowie leichte Intelligenzminderung mit deutlichen Verhaltenssstörungen und Hyperhidrose als Diagnose angegeben, aber keine Befunde mitgeteilt, die den Schluss auf eine Störung der Orientierungsfähigkeit zulassen könnten. Der Sachverständige Dr. S hat den Kläger auf Seite 13 seines Gutachtens vom 01. April 2005 als örtlich, zeitlich, situativ und autopersonell voll orientiert beschrieben. Die festgestellten Konzentrationsstörungen und die vom Kläger behauptete Vergesslichkeit sind keine Auswirkungen von Funktionsstörungen, die als Störungen der Orientierungsfähigkeit gewertet werden und einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" begründen könnten.
Die Berufung des Klägers konnte daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Durch Bescheid vom 13. März 2000 hatte der Beklagte bei dem 1960 geborenen Kläger "Hirnleistungsschwäche" mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 als Behinderung anerkannt und entschieden, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erfüllt seien.
Zur Begründung seines im Februar 2003 gestellten Änderungsantrages, mit dem er u. a. die Zuerkennung des Merkzeichens "G" beantragte, machte der Kläger geltend, er könne nicht mehr lange laufen und nicht mehr allein mit der Bahn und der Straßenbahn fahren, weil er vergesslich sei. Der Beklagte holte u. a. eine ärztliche Auskunft des Arztes für Allgemein- und Sportmedizin/Chirotherapie Dr. K vom 22. Februar 2003 ein, der altersgerechte Wirbelsäulenbeweglichkeit und altersabhängigen Schmerz in der linken Thoraxhälfte bei Rippenpseudarthrose angab, ein flüssiges Gangbild beschrieb und erklärte, Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen nicht festgestellt zu haben. Desweiteren zog der Beklagte eine ärztliche Auskunft des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P vom 22. April 2003 bei und nahm Kopien von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte aus dem Rechtsstreit gegen die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Berlin bei dem Sozialgericht Cottbus (S 15 U 84/02) zu den Akten. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr. B lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 02. September 2003 den Antrag des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB und gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen ab. Den Widerspruch des Klägers, zu dessen Begründung er ausführte, seine Vergesslichkeit werde immer schlimmer, sein Blutdruck sei niedrig, er habe immer kalte Füße und könne keine langen Strecken laufen, wies der Beklagte nach Einholung ärztlicher Auskünfte der Allgemeinmedizinerin/Naturheilverfahren Dipl. med. G vom 04. November 2003 sowie von Dr. P vom 26. April 2004 durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2004 zurück.
Mit der Klage hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung des Merkzeichens "G" beantragt.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. P vom 08. Februar 2005 eingeholt, zu dem der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztin/Sozialmedizin Dr. W vom 16. März 2005 vorgelegt hat. Desweiteren sind aus dem Verfahren des Sozialgerichts Cottbus (S 14 RJ 1028/02) gegen den Rentenversicherungsträger Kopien des orthopädischen Gutachtens von Dr. B vom 14. Oktober 2003 und des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 01. April 2005 zu den Akten genommen worden.
Durch Urteil vom 06. Oktober 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichen "G" zu. Er sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt. Nach den getroffenen Feststellungen liege weder einer der in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP 2004) aufgeführten Regelfälle noch ein diesen vergleichbarer Fall vor. Insbesondere sei bei dem Kläger keine Störung der Orientierungsfähigkeit gegeben. Die beim ihm vorhandenen psychischen Störungen führten nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Gegen das am 23. November 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Dezember 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, er könne nicht länger als 5 Minuten laufen und sich nur 3 bis 5 Minuten draußen aufhalten. Dies liege an den Mobilfunkarten, die Strahlungen abgäben. Folgen könnten Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Ohrgeräusche (Tinnitus), Unruhezustände, Herzrasen, Nachtschweiß, schwankender Blutdruck und ein erhöhtes Krebsrisiko sein.
Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 06. Oktober 2005 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 02. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 zu verurteilen, ihm das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Mit gerichtlichen Schreiben vom 27. Januar 2006 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich.
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihm steht ein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht zu, denn er ist nicht erheblich gehbehindert.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), dessen Regelungen am 1. Juli 2001 in Kraft getreten sind, sind schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern.
Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP 2004 sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- und Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Derartige Beeinträchtigungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Der ihn behandelnde Arzt für Allgemein- und Sportmedizin/Chirotherapie Dr. K hat in der dem Beklagten erteilten ärztlichen Auskunft vom 22. Februar 2003 keine Funktionsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der unteren Gliedmaßen angegeben. Es bestehe ein flüssiges Gangbild bei altersgerechter Wirbelsäulenbeweglichkeit. Aus dem vom Sozialgericht beigezogenen im Rentenrechtsstreit S 14 RJ 1028/02 erstatteten Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. B vom 14. Oktober 2003 geht hervor, dass seitens des Bewegungsapparats keine Funktionsminderungen in den einzelnen Wirbelsäulen- und Gelenkabschnitten bestehen. Auch aus den übrigen medizinischen Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Fähigkeit des Klägers, eine Wegstrecke von 2 Kilometern in etwa 30 Minuten zurückzulegen. Die Behauptung des Klägers, er könne nicht länger als 5 Minuten laufen und sich nur 3 bis 5 Minuten draußen aufhalten, ist nicht nachvollziehbar und durch die in dem Verfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen eindeutig widerlegt. Die von dem Kläger in der Berufungsschrift vom 17. November 2005 angegebenen Beschwerden, die durch die vorliegenden medizinischen Unterlagen ebenfalls nicht ausreichend belegt sind, wirken sich auf die Gehfähigkeit nicht maßgeblich aus und können einen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G" nicht begründen. Deswegen bedurfte es keiner Klärung, ob und in welchem Ausmaß die von dem Kläger zur Begründung seiner Berufung behaupteten Leiden vorliegen und auf welchen Ursachen sie gegebenenfalls beruhen.
Auch die weiteren Voraussetzungen, bei deren Vorliegen nach Nr. 30 AHP 2004 eine erhebliche Gehbehinderung anzuerkennen ist, sind nicht erfüllt. Nach dem in Bezug auf die Feststellung der Behinderungen und des GdB von dem Kläger nicht angegriffenen und daher insoweit bestandskräftig gewordenen Bescheid des Beklagten vom 02. September 2003 liegt bei dem Kläger eine "Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, hirnorganische Wesensänderung", die einen GdB von 50 bedingt, vor. Diese Gesundheitsstörung wirkt sich auf die Fähigkeit des Klägers, sich fortzubewegen, nicht in einer Weise aus, dass die Anforderungen, die in Abs. 3 bis 5 der Nr. 30 AHP 2004 aufgestellt sind, als erfüllt anzusehen sind.
Eine Störung der Orientierungsfähigkeit, die nach Nr. 30 Abs. 5 AHP 2004 zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen kann, liegt bei dem Kläger nicht vor. Die Voraussetzungen des Absatzes 1 dieser Bestimmung sind ersichtlich nicht erfüllt, weil bei dem Kläger weder eine Sehbehinderung, die einen GdB von mindestens 50 bedingt, besteht noch Hörbehinderungen im Sinne von Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit gegeben sind.
Nach Abs. 2 der Nr. 30 Abs. 5 AHP 2004 sind bei geistig behinderten Menschen entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die bei dem Kläger festgestellten Behinderungen nur einen GdB von 50 bedingen. Ein besonders gelagerter Einzelfall, bei dem auch bei einem GdB unter 80 Störungen der Orientierungsfähigkeit wegen geistiger Behinderungen angenommen werden können, liegt nach den medizinischen Befunden nicht vor. Dr. P hat in dem Befundbericht vom 08. Februar 2005 ein mittelgradiges hirnorganisches Psychosyndrom verbunden mit symptomatischem Alkoholabusus bei vorbestehenden Anpassungsstörungen mit Störungen im emotionalen Bereich sowie leichte Intelligenzminderung mit deutlichen Verhaltenssstörungen und Hyperhidrose als Diagnose angegeben, aber keine Befunde mitgeteilt, die den Schluss auf eine Störung der Orientierungsfähigkeit zulassen könnten. Der Sachverständige Dr. S hat den Kläger auf Seite 13 seines Gutachtens vom 01. April 2005 als örtlich, zeitlich, situativ und autopersonell voll orientiert beschrieben. Die festgestellten Konzentrationsstörungen und die vom Kläger behauptete Vergesslichkeit sind keine Auswirkungen von Funktionsstörungen, die als Störungen der Orientierungsfähigkeit gewertet werden und einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" begründen könnten.
Die Berufung des Klägers konnte daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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