Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 546/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 12/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2004 geändert und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezem-ber 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2000 in vollem Um-fang abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Berufungsverfahren steht zwischen den Beteiligten im Streit, ob dem Kläger unter Aner-kennung seines Lendenwirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Verletztengeld bzw. Übergangsgeld zu gewähren ist.
Der im Jahre 1960 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Stahlbauschlosser in diesem Beruf von 1979 bis 1998, zuletzt bei der B M GmbH, die Mitglied bei der Beklagten ist. Er klagte erstmals im Jahre 1992 über Rückenschmerzen, die ausweislich des Leistungsver-zeichnisses seiner Krankenkasse seit 1994 wiederholt zur Arbeitsunfähigkeit führten. Am 14. September 1998 traten beim Anheben eines Eisenträgers starke Schmerzen im gesamten Len-denwirbelsäulenbereich auf. Der Durchgangsarzt diagnostizierte einen Bandscheibenprolaps bei L4/5 und L5/S1. Bis Mitte Oktober 1998 befand der Kläger sich in stationärer Behandlung. Er nahm vom 2. Mai 2000 bis zum 2. Februar 2001 an einer vom Arbeitsamt Berlin Ost geför-derten Fortbildungsmaßnahme zum technischen Haus- und Gebäudewart teil. In diesem Beruf ist er seitdem tätig.
Auf der Grundlage diverser den Kläger betreffenden medizinischen Unterlagen sowie der ar-beitstechnischen Stellungnahme des Präventionsbezirks Berlin vom 5. Oktober 1999 versagte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 1999 eine Entschädigung: Die Verschleißer-scheinungen an der Lendenwirbelsäule seien keine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV, da die von dem Kläger ausgeübten Tätigkeiten als Stahlbauschlosser nicht geeignet seien, eine derartige Berufskrankheit zu verursachen. Ebenso wenig bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Vermeidung einer Berufskrankheit nach § 3 BKV. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2000 zurück.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversi-cherung. Neben Entlassungs- und Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht Berlin das Gutachten des Prof. Dr. S vom 11. Dezember 2002 eingeholt. Der Sachverständige hat u.a. ausgeführt: Der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten Erkran-kung der Lendenwirbelsäule. Aufgrund einer Bandscheibenvorwölbung bei L4/5 und eines Bandscheibenvorfalls bei L5/S1 sei die Lendenwirbelsäule vermindert belastbar. Unter Zugrundelegung der Vorgabe in der Beweisanordnung, die arbeitstechnischen Voraussetzun-gen der Nr. 2108 der Anlage zur BKV seien erfüllt, sei davon auszugehen, dass die Bandschei-benschädigungen durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjähri-ge Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung mitverursacht worden seien, weil konkurrie-rende Ursachen nicht zu finden seien. Zusätzlich spreche das Auftreten der stärksten Schädi-gung bei L5/S1 und der weniger stark ausgeprägten Schädigung bei L4/5 für eine belastungs-bezogene Bandscheibenschädigung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 15 v.H. zu bewerten.
Ferner hat die Beklagte eine Stellungnahme des Präventionsbezirks Berlin vom 26. Januar 2004 eingereicht, wonach auch bei Heranziehung des Mainz-Dortmunder Dosismodells (MDD) die für die Anerkennung der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrank-heit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV erforderliche Mindesttagesbelastungsdosis deutlich unterschritten werde.
Das Sozialgericht hat im Urteil vom 30. Januar 2004 das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bejaht. Die medizinischen (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) und arbeitstechnischen (langjähriges Heben und Tragen schwerer Las-ten bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) Voraussetzungen seien nachgewiesen. Indem der Kläger während seiner seit 1981 ausgeübten Stahlbauschlossertätigkeit auf Baustel-len mit einem Anteil von ca. 80 % Montagearbeiten arbeitstäglich zumindest vierzig Hebe- und Tragevorgänge mit Lasten über 25 kg verrichtet habe, seien die im Merkblatt zu der Berufs-krankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV (Bek. des BMA, BArbBl. 3/93, S. 50) geforder-ten Kriterien erfüllt. Der Umstand, dass eine nachvollziehbare Berechnung der Belastungsdosis nach dem MDD nicht vorliege, sei unschädlich, da das MDD keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen bilde. Der außerdem erforderliche rechtlich wesentliche Ursachenzusammenhang zwischen der belastenden Tätigkeit und der Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei jedenfalls hinreichend wahrscheinlich. Ein gewichtiges Indiz für die berufliche Verursachung stelle der zeitliche Verlauf der Lendenwirbelsäulener-krankung dar. Denn zwischen der Dauer der beruflichen Belastung und dem Entstehen sowie dem weiterem Verlauf der Lendenwirbelsäulenerkrankung bestehe eine eindeutige und auffäl-lige Kongruenz. Für eine berufliche Verursachung spreche auch das Schadensbild, da die Bandscheibenschäden im Bereich der durch die beruflichen Hebe- und Tragebelastungen am stärksten betroffenen unteren Segmente der Lendenwirbelsäule L4/5 und L5/S1 mit einem Schwerpunkt bei dem am stärksten belasteten untersten Segment vorzufinden seien, während es keine Hinweise für Bandscheibenschäden in belastungsfernen Abschnitten der Wirbelsäule gebe. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich.
Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, dem Kläger wegen seines Lendenwirbelsäulenleidens Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, insbesondere Ver-letztengeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 14. September 1998 bis zum 1. Mai 2000 gemäß §§ 45ff. Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) und Übergangsgeldzahlungen gemäß §§ 49, 50, 35 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII a.F. für die Zeit seiner beruflichen Fortbildung zum technischen Haus- und Gebäudewart vom 2. Mai 2000 bis zum 2. Februar 2001. Einen Renten-anspruch nach § 56 SGB VII habe der Kläger jedoch nicht, weil eine rentenberechtigende MdE von 20% nicht angenom-men werden könne.
Mit ihrer Berufung bringt die Beklagte insbesondere vor: Die bei dem Kläger festgestellten Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule seien nicht als Folge einer Berufskrankheit zu werten. Das Sozialgericht habe zu Unrecht die arbeitstechnischen Voraussetzungen bejaht, da es für die Berechnung der Belastungsdosis nicht das MDD herangezogen habe. Hierzu hat die Beklagte arbeitstechnische Stellungnahmen des Präventionsbezirks Berlin vom 25. März und vom 3. Mai 2004 vorgelegt. Ferner hat sie sich auf das von ihr in Auftrag gegebene fachchirur-gische Gutachten des Chirurgen M-C vom 7. Juli 2004 bezogen. Nach Auswertung der bildge-benden Befunde ist der Gutachter zur Auffassung gelangt, dass bei dem Kläger eine ausgepräg-te Scheuermannsche Erkrankung der Wirbelsäule vorliege, welche die Ursache für die Band-scheibenschädigungen bilde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2004 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schrift-sätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Prozessakte des Sozialge-richts Berlin sowie die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgele-gen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch, dass die Beklagte die bei ihm festgestellten Lendenwirbelsäu-lenleiden als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anerkennt und entsprechende Leistungen gewährt.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII be-gründenden Tätigkeit erleiden. Als Beschäftigter ist der Kläger nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes Versicherter in diesem Sinne. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Be-rufskrankheiten gehören nach Nr. 2108 der Anlage der BKV bandscheibenbedingte Erkran-kungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätig-keiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufle-ben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zu-rückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität). Danach müssen die Krankheit, die versi-cherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Vorausset-zung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreicht (Bundessozialgericht –BSG–, SozR 3 2200 § 551 Nr. 16 m.w.N.).
Bei den Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule handelt es sich nicht um eine Berufskrankheit. Selbst wenn unterstellt wird, dass die arbeitstechnischen Vor-aussetzungen nach Nr. 2108 der Anlage der BKV erfüllt sind, kann ein Ursachenzusammen-hang mit dem Bandscheibenschaden nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrschein-lichkeit festgestellt werden. Denn der Kläger leidet, wie der Chirurg M-C im Gutachten vom 7. Juli 2004 festgestellt hat, an dem Morbus Scheuermann, einer Erkrankung ungeklärter Ursache, bei der Verknöcherungsstörungen an den Wirbelkörperabschlussplatten auftreten. Unter Aus-wertung der Kernspintomographie vom 25. September 1998 begründet der Gutachter dies nachvollziehbar damit, dass Bandscheibenverschmälerungen im unteren Abschnitt der Brust-wirbelsäule und im Übergang der Brust- zur Halswirbelsäule auffallen und dass sich bis in die Bodenplatte L4 Schmorlschen Knorpelknötchen nachweisen lassen. Diese Beurteilung steht im Einklang mit der herrschenden medizinischen Lehrmeinung: Die Schmorlschen Knorpelknöt-chen, bei denen es sich um die Verlagerung von Bandscheibengewebe in den Wirbelkörper handelt, bilden eine typische Erscheinung der Scheuermannschen Erkrankung (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valtentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Nr. 8.3.3.1, S. 538).
Nach der Auffassung des Gutachters, dem der Senat folgt, bildete diese Scheuermannsche Er-krankung die Ursache der Schädigung der Bandscheiben in den beiden unteren Segmenten L4/L5 und L5/S1 – mit Verschmälerung des Bandscheibenraumes – sowie der Bandscheiben-vorwölbung bei L4/L5 und dem Bandscheibenvorfall bei L5/S1, während der Ursachenbeitrag der versicherten Tätigkeit nicht benannt werden kann. Dies begründet M-C überzeugend zum einen damit, dass es bei entsprechender Knickbildung im Bereich der Brustwirbelsäule zwangsläufig zu einer vermehrten Hohlverbiegung im Bereich der Lendenwirbelsäule kommt, die zu einer entsprechenden Fehlbelastung der Bandscheiben führt. Zum anderen ist, wie der Gutachter darlegt, der Morbus Scheuermann nicht auf die betroffenen Segmente der Wirbel-säule begrenzt. Vielmehr kommt es bei der Scheuermannschen Erkrankung der Brustwirbel-säule auffallend häufig zu einer frühzeitigen Degeneration der Bandscheiben auch der unteren Lendenwirbelsäule.
Nach der bei Vorliegen des Morbus Scheuermann anzustellenden Abwägung (vgl. Mehr-ten/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Loseblattausgabe, Stand: Oktober 2005, M 2108, S. 28) sprechen – worauf auch M-C hinweist – entscheidend gegen die Wahrscheinlich-keit, dass die beruflichen Belastungen eine wesentliche Teilursache der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule bilden, die frühe Manifestation der Erkrankung mit etwa dreißig Jahren und die Tatsache der kernspintomographisch festgestellten ausgeprägten Scheu-ermannschen Erkrankung.
Die Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 11. Dezember 2002, mit der beruflichen Belastung des Klägers konkurrierende Ursachen für die Schäden an der Lendenwirbelsäule seien nicht zu finden, überzeugt demgegenüber nicht. Obwohl Prof. Dr. S ebenfalls das Vorliegen der Schmorlschen Knorpelknötchen im Bereich der Wirbelkörper Th10 bis Th12 beschreibt, unterlässt er es, den Ursachenbeitrag des Morbus Scheuermann zu disku-tieren.
Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Un-fallversicherung, insbesondere auf Verletztengeld nach §§ 45ff. SGB VII und Übergangsgeld-zahlungen nach §§ 49, 50 SGB VII (in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung). Da die Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule keine Berufskrankheit dar-stellen, entfallen auch Leistungen nach § 3 BKV.
Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Klage keinen Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Im Berufungsverfahren steht zwischen den Beteiligten im Streit, ob dem Kläger unter Aner-kennung seines Lendenwirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Verletztengeld bzw. Übergangsgeld zu gewähren ist.
Der im Jahre 1960 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Stahlbauschlosser in diesem Beruf von 1979 bis 1998, zuletzt bei der B M GmbH, die Mitglied bei der Beklagten ist. Er klagte erstmals im Jahre 1992 über Rückenschmerzen, die ausweislich des Leistungsver-zeichnisses seiner Krankenkasse seit 1994 wiederholt zur Arbeitsunfähigkeit führten. Am 14. September 1998 traten beim Anheben eines Eisenträgers starke Schmerzen im gesamten Len-denwirbelsäulenbereich auf. Der Durchgangsarzt diagnostizierte einen Bandscheibenprolaps bei L4/5 und L5/S1. Bis Mitte Oktober 1998 befand der Kläger sich in stationärer Behandlung. Er nahm vom 2. Mai 2000 bis zum 2. Februar 2001 an einer vom Arbeitsamt Berlin Ost geför-derten Fortbildungsmaßnahme zum technischen Haus- und Gebäudewart teil. In diesem Beruf ist er seitdem tätig.
Auf der Grundlage diverser den Kläger betreffenden medizinischen Unterlagen sowie der ar-beitstechnischen Stellungnahme des Präventionsbezirks Berlin vom 5. Oktober 1999 versagte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 1999 eine Entschädigung: Die Verschleißer-scheinungen an der Lendenwirbelsäule seien keine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV, da die von dem Kläger ausgeübten Tätigkeiten als Stahlbauschlosser nicht geeignet seien, eine derartige Berufskrankheit zu verursachen. Ebenso wenig bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Vermeidung einer Berufskrankheit nach § 3 BKV. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2000 zurück.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversi-cherung. Neben Entlassungs- und Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht Berlin das Gutachten des Prof. Dr. S vom 11. Dezember 2002 eingeholt. Der Sachverständige hat u.a. ausgeführt: Der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten Erkran-kung der Lendenwirbelsäule. Aufgrund einer Bandscheibenvorwölbung bei L4/5 und eines Bandscheibenvorfalls bei L5/S1 sei die Lendenwirbelsäule vermindert belastbar. Unter Zugrundelegung der Vorgabe in der Beweisanordnung, die arbeitstechnischen Voraussetzun-gen der Nr. 2108 der Anlage zur BKV seien erfüllt, sei davon auszugehen, dass die Bandschei-benschädigungen durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjähri-ge Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung mitverursacht worden seien, weil konkurrie-rende Ursachen nicht zu finden seien. Zusätzlich spreche das Auftreten der stärksten Schädi-gung bei L5/S1 und der weniger stark ausgeprägten Schädigung bei L4/5 für eine belastungs-bezogene Bandscheibenschädigung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 15 v.H. zu bewerten.
Ferner hat die Beklagte eine Stellungnahme des Präventionsbezirks Berlin vom 26. Januar 2004 eingereicht, wonach auch bei Heranziehung des Mainz-Dortmunder Dosismodells (MDD) die für die Anerkennung der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrank-heit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV erforderliche Mindesttagesbelastungsdosis deutlich unterschritten werde.
Das Sozialgericht hat im Urteil vom 30. Januar 2004 das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bejaht. Die medizinischen (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) und arbeitstechnischen (langjähriges Heben und Tragen schwerer Las-ten bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) Voraussetzungen seien nachgewiesen. Indem der Kläger während seiner seit 1981 ausgeübten Stahlbauschlossertätigkeit auf Baustel-len mit einem Anteil von ca. 80 % Montagearbeiten arbeitstäglich zumindest vierzig Hebe- und Tragevorgänge mit Lasten über 25 kg verrichtet habe, seien die im Merkblatt zu der Berufs-krankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV (Bek. des BMA, BArbBl. 3/93, S. 50) geforder-ten Kriterien erfüllt. Der Umstand, dass eine nachvollziehbare Berechnung der Belastungsdosis nach dem MDD nicht vorliege, sei unschädlich, da das MDD keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen bilde. Der außerdem erforderliche rechtlich wesentliche Ursachenzusammenhang zwischen der belastenden Tätigkeit und der Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei jedenfalls hinreichend wahrscheinlich. Ein gewichtiges Indiz für die berufliche Verursachung stelle der zeitliche Verlauf der Lendenwirbelsäulener-krankung dar. Denn zwischen der Dauer der beruflichen Belastung und dem Entstehen sowie dem weiterem Verlauf der Lendenwirbelsäulenerkrankung bestehe eine eindeutige und auffäl-lige Kongruenz. Für eine berufliche Verursachung spreche auch das Schadensbild, da die Bandscheibenschäden im Bereich der durch die beruflichen Hebe- und Tragebelastungen am stärksten betroffenen unteren Segmente der Lendenwirbelsäule L4/5 und L5/S1 mit einem Schwerpunkt bei dem am stärksten belasteten untersten Segment vorzufinden seien, während es keine Hinweise für Bandscheibenschäden in belastungsfernen Abschnitten der Wirbelsäule gebe. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich.
Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, dem Kläger wegen seines Lendenwirbelsäulenleidens Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, insbesondere Ver-letztengeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 14. September 1998 bis zum 1. Mai 2000 gemäß §§ 45ff. Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) und Übergangsgeldzahlungen gemäß §§ 49, 50, 35 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII a.F. für die Zeit seiner beruflichen Fortbildung zum technischen Haus- und Gebäudewart vom 2. Mai 2000 bis zum 2. Februar 2001. Einen Renten-anspruch nach § 56 SGB VII habe der Kläger jedoch nicht, weil eine rentenberechtigende MdE von 20% nicht angenom-men werden könne.
Mit ihrer Berufung bringt die Beklagte insbesondere vor: Die bei dem Kläger festgestellten Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule seien nicht als Folge einer Berufskrankheit zu werten. Das Sozialgericht habe zu Unrecht die arbeitstechnischen Voraussetzungen bejaht, da es für die Berechnung der Belastungsdosis nicht das MDD herangezogen habe. Hierzu hat die Beklagte arbeitstechnische Stellungnahmen des Präventionsbezirks Berlin vom 25. März und vom 3. Mai 2004 vorgelegt. Ferner hat sie sich auf das von ihr in Auftrag gegebene fachchirur-gische Gutachten des Chirurgen M-C vom 7. Juli 2004 bezogen. Nach Auswertung der bildge-benden Befunde ist der Gutachter zur Auffassung gelangt, dass bei dem Kläger eine ausgepräg-te Scheuermannsche Erkrankung der Wirbelsäule vorliege, welche die Ursache für die Band-scheibenschädigungen bilde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2004 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schrift-sätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Prozessakte des Sozialge-richts Berlin sowie die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgele-gen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch, dass die Beklagte die bei ihm festgestellten Lendenwirbelsäu-lenleiden als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anerkennt und entsprechende Leistungen gewährt.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII be-gründenden Tätigkeit erleiden. Als Beschäftigter ist der Kläger nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes Versicherter in diesem Sinne. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Be-rufskrankheiten gehören nach Nr. 2108 der Anlage der BKV bandscheibenbedingte Erkran-kungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätig-keiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufle-ben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zu-rückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität). Danach müssen die Krankheit, die versi-cherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Vorausset-zung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreicht (Bundessozialgericht –BSG–, SozR 3 2200 § 551 Nr. 16 m.w.N.).
Bei den Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule handelt es sich nicht um eine Berufskrankheit. Selbst wenn unterstellt wird, dass die arbeitstechnischen Vor-aussetzungen nach Nr. 2108 der Anlage der BKV erfüllt sind, kann ein Ursachenzusammen-hang mit dem Bandscheibenschaden nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrschein-lichkeit festgestellt werden. Denn der Kläger leidet, wie der Chirurg M-C im Gutachten vom 7. Juli 2004 festgestellt hat, an dem Morbus Scheuermann, einer Erkrankung ungeklärter Ursache, bei der Verknöcherungsstörungen an den Wirbelkörperabschlussplatten auftreten. Unter Aus-wertung der Kernspintomographie vom 25. September 1998 begründet der Gutachter dies nachvollziehbar damit, dass Bandscheibenverschmälerungen im unteren Abschnitt der Brust-wirbelsäule und im Übergang der Brust- zur Halswirbelsäule auffallen und dass sich bis in die Bodenplatte L4 Schmorlschen Knorpelknötchen nachweisen lassen. Diese Beurteilung steht im Einklang mit der herrschenden medizinischen Lehrmeinung: Die Schmorlschen Knorpelknöt-chen, bei denen es sich um die Verlagerung von Bandscheibengewebe in den Wirbelkörper handelt, bilden eine typische Erscheinung der Scheuermannschen Erkrankung (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valtentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Nr. 8.3.3.1, S. 538).
Nach der Auffassung des Gutachters, dem der Senat folgt, bildete diese Scheuermannsche Er-krankung die Ursache der Schädigung der Bandscheiben in den beiden unteren Segmenten L4/L5 und L5/S1 – mit Verschmälerung des Bandscheibenraumes – sowie der Bandscheiben-vorwölbung bei L4/L5 und dem Bandscheibenvorfall bei L5/S1, während der Ursachenbeitrag der versicherten Tätigkeit nicht benannt werden kann. Dies begründet M-C überzeugend zum einen damit, dass es bei entsprechender Knickbildung im Bereich der Brustwirbelsäule zwangsläufig zu einer vermehrten Hohlverbiegung im Bereich der Lendenwirbelsäule kommt, die zu einer entsprechenden Fehlbelastung der Bandscheiben führt. Zum anderen ist, wie der Gutachter darlegt, der Morbus Scheuermann nicht auf die betroffenen Segmente der Wirbel-säule begrenzt. Vielmehr kommt es bei der Scheuermannschen Erkrankung der Brustwirbel-säule auffallend häufig zu einer frühzeitigen Degeneration der Bandscheiben auch der unteren Lendenwirbelsäule.
Nach der bei Vorliegen des Morbus Scheuermann anzustellenden Abwägung (vgl. Mehr-ten/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Loseblattausgabe, Stand: Oktober 2005, M 2108, S. 28) sprechen – worauf auch M-C hinweist – entscheidend gegen die Wahrscheinlich-keit, dass die beruflichen Belastungen eine wesentliche Teilursache der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule bilden, die frühe Manifestation der Erkrankung mit etwa dreißig Jahren und die Tatsache der kernspintomographisch festgestellten ausgeprägten Scheu-ermannschen Erkrankung.
Die Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 11. Dezember 2002, mit der beruflichen Belastung des Klägers konkurrierende Ursachen für die Schäden an der Lendenwirbelsäule seien nicht zu finden, überzeugt demgegenüber nicht. Obwohl Prof. Dr. S ebenfalls das Vorliegen der Schmorlschen Knorpelknötchen im Bereich der Wirbelkörper Th10 bis Th12 beschreibt, unterlässt er es, den Ursachenbeitrag des Morbus Scheuermann zu disku-tieren.
Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Un-fallversicherung, insbesondere auf Verletztengeld nach §§ 45ff. SGB VII und Übergangsgeld-zahlungen nach §§ 49, 50 SGB VII (in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung). Da die Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule keine Berufskrankheit dar-stellen, entfallen auch Leistungen nach § 3 BKV.
Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Klage keinen Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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