L 2 U 77/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 870/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 77/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Oktober 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Veranlagung der früheren S BWB GmbH auf der Grundlage des Gefahrtarifs 1998 der Beklagten.

Die SBWB GmbH (S) ist durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die Klägerin im Wege der Aufnahme verschmolzen. Die Verschmelzung wurde mit der Eintragung im Register der Klägerin am 22. November 2002 wirksam.

Mit Bescheid vom 31. März 1998 veranlagte die Beklagte die S ab Januar 1998 zu der Gefahrtarifstelle 14 als Unternehmen der Unternehmensart "Bewachungsunternehmen" mit der Gefahrklasse 3,61. Mit dem Widerspruch hiergegen wandte die S ein, es sei nicht nachvollziehbar, wie die Gefahrklasse ermittelt worden sei, insbesondere in welcher Höhe Leistungen für Unfälle gezahlt, in welchem Umfang Versicherungsfälle eingetreten seien und welche beitragspflichtigen Arbeitsentgelte angefallen seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Aufstellung des neuen Gefahrtarifs sei zugunsten individueller Belastungsziffern nicht mehr am Technologie-Prinzip festgehalten worden. Die Orientierung an individuellen Belastungsziffern sei nur dann möglich, wenn eine Unternehmensart als eigenständige Risikogemeinschaft tragfähig sei, d.h. ein versicherungsmathematischer Risikoausgleich stattfinden könne. In diesen Fällen würden die Unternehmensarten ausschließlich nach ihrer individuell für einen Beobachtungszeitraum rechnerisch ermittelten Gefahrklasse veranlagt, wobei die Gefahrklasse die auf zwei Stellen gerundete Belastungsziffer darstelle. Die Belastungsziffer errechne sich aus dem Verhältnis der Arbeitsentgelte zu den gezahlten Leistungen, indem die Neulast mit 1000 multipliziert durch das Arbeitsentgelt geteilt werde. Der Beobachtungszeitraum umfasse die Jahre 1994 bis 1996. Für die Gefahrtarifstelle 14 hätten sich eine Lohnsumme von 8.914.300.346 DM und Entschädigungsleistungen in Höhe von 32.174.767,51 DM ergeben.

Mit der hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die S geltend gemacht, dass bei ihr überwiegend Pförtner-, Empfangs- und Aufsichtsdienste in öffentlichen Gebäuden anfallen würden, die Mitarbeiter also einer geringen Gefährdung unterlägen. Auch habe die Beklagte verabsäumt, den Bewachungsunternehmen die Möglichkeit einzuräumen, dass abgrenzbare Unternehmensteile in gesonderten Gefahrtarifstellen veranlagt werden könnten. Die Entwicklung der Gefahrtarife seit 1984 belege, dass die Entwicklung der Gefahrklasse so sprunghaft und gegenläufig sei, dass erhebliche Fehler gemacht worden sein müssten. Die Beklagte müsse ihre Berechnungsgrundlagen offen legen, damit die Höhe der Gefahrklassenberechnung nachgeprüft werden könne. Dem sei die Beklagte in einem Parallelverfahren nur unzureichend nachgekommen, indem nur die Gesamtsummen für die Jahre 1994 bis 1996 genannt würden. Aus den vorgelegten Zahlen ergebe sich, dass die erhobenen Beiträge siebenmal höher seien als die Entschädigungsleistungen. Auch könne eine Aufstellung, aus der sich die Zahl der Bewachungsunternehmen ergebe, die von der durchschnittlichen Gefahrklasse abwichen, nach Aussage der Beklagten nicht erstellt werden. Die Beitragsveranlagung sei auch rechtswidrig, weil die Beklagte für die Jahre 1995 bis 1997 auf ca. zwei Drittel der Beiträge der Gefahrtarifstelle 06.1 "Besonderer Sportverein" verzichtet habe. Schließlich widerspreche die Abrechnung der Altlasten aus der ehemaligen DDR über den Beitragsfuß den Grundprinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung.

Durch Urteil vom 10. Oktober 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Gefahrtarif der Beklagten verstoße nicht gegen gesetzliche Bestimmungen. Insbesondere sei der Unfallversicherungsträger nicht verpflichtet, abgrenzbare Unternehmensteile in gesonderten Gefahrtarifstellen zu veranlagen, solange die Zusammenfassung verschiedener Risikogruppen sachgerecht sei. Dies sei der Fall, da sämtliche Bewachungsunternehmen in einer Gefahrtarifstelle zusammengefasst würden. Auch die Veranlagung zur Gefahrklasse 3,61 unterliege keinen Bedenken. Die von der Klägerin errechnete Differenz zwischen erhobenen Beiträgen und Entschädigungsleistungen lasse unberücksichtigt, dass auch sonstige Entschädigungsleistungen über den Beitragsfuß in die konkrete Beitragsermittlung einflössen. Im Veranlagungsbescheid werde keine Regelung hinsichtlich des Beitragsfußes getroffen, dessen Überprüfung sei mithin nicht Gegenstand des Verfahrens.

Gegen das ihr am 2.Dezember 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der S vom 11. Dezember 2003. Im Lauf des Berufungsverfahrens ist die Klägerin im Wege des Parteiwechsels in den Rechtsstreit eingetreten. Sie verweist auf das erstinstanzliche Vorbringen und macht ergänzend geltend, dass der Verwaltungskostenanteil der Beklagten fast 20 % betrage. Die Betriebmittel seien auf bis zu 1,2 Milliarden EUR in 1997 aufgestockt worden. Dies habe zur Folge, dass die dadurch erzielten Mehreinnahmen nicht zur Senkung des Beitragsfußes verwendet worden seien, so dass die Beitragsveranlagung rechtswidrig sei. Die Änderung der Berechnungsparameter zur Errechnung der Gefahrklassen ohne eine Umsetzung in normierte Gefahrklassen sei "bedenklich". Die Beklagte erhebe von den Bewachungsunternehmen wesentlich mehr an Beiträgen als sie für diese Bereiche an Unfalllasten aufwenden müsse.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Oktober 2003 und den Bescheid der Be- klagten vom 31. März 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Sep- tember 1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, da für den ab 1998 geltenden Gefahrtarif die Daten aus allen gezahlten Leistungen sämtlicher Versicherungsfälle zugrunde gelegt worden seien, führe dies zu einer höheren versicherungsmathematischen Genauigkeit. Eine Berechnung dergestalt, wie viele Unternehmen in den Jahren 1994 bis 1996 um mehr als 10 bis 50% von der Gefahrklasse abweichen würden, ergäbe kein klareres Bild der Unternehmensart, da die Unfallgefahr nicht statisch sei.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Veranlagung der S zur Gefahrklasse 14 des Gefahrtarifs 1998 durch die angefochtenen Bescheide ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid ist § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, nach dem der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu Gefahrklassen veranlagt. Der von der Beklagten der Veranlagung der Klägerin zugrunde gelegte, ab 1. Januar 1998 geltende Gefahrtarif 1998 ist hinsichtlich der zwischen den Beteiligten umstrittenen Gefahrtarifstelle 14 rechtlich nicht zu beanstanden. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gefahrtarifs 1998 und die Rechtsgrundlagen, auf denen er beruht, hat der Senat nicht. Er folgt vielmehr der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts(BSG), das sich in seinem Urteil vom 24. Juni 2003 (B 2 U 21/02 R = SozR 4-2700§ 157 Nr. 1) umfassend mit den Einwänden, die die Klägerin auch in diesem Verfahren vorgebracht hat, auseinander gesetzt hat. Die von der Klägerin gegen die Berechnung der Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 14 erhobenen Einwände führen zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt zum einen für den Vortrag, völlig unterschiedliche Unternehmen würden zusammengefasst. Innerhalb eines jeden Gewerbezweiges gibt es unterschiedliche Tätigkeiten und die Gefährdungsrisiken zwischen den unterschiedlichen Tätigkeiten eines Gewerbezweigs sind dementsprechend auch unterschiedlich (vgl. z.B. im Gewerbezweig Kreditinstitut einen kaufmännischen Angestellten der Revisionsabteilung mit einem Fahrer oder einem hauseigenen Wachmann). Diese Risikomischung auf der Ebene des jeweiligen Gewerbezweiges ist eine Konsequenz eines Gewerbezweigstarifs - also einer Entscheidung, die der Selbstverwaltung der Beklagten vorbehalten ist. Die Unfallversicherungsträger können abgrenzbare Teile aus Unternehmen desselben Gewerbezweiges zu einer besonderen Bewertung im Gefahrtarif zusammenfassen, müssen dies aber nicht (BSGE 55, 26, 28 f = SozR 2200 § 734 Nr 3). Der Gesichtspunkt, dass in einer Gefahrengemeinschaft nur annähernd gleiche Gefährdungsrisiken nach § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zusammengefasst werden dürfen, kommt nur dann zum Tragen, wenn mehrere Gewerbezweige in einer Gefahrtarifstelle zusammengefasst werden (vgl BSG SozR 4-2700§ 157 Nr. 1). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, weil in der Gefahrtarifstelle 14 nur Bewachungsunternehmen erfasst werden. Abgesehen davon sind die den jeweiligen Gefahrtarifstellen zuzuordnenden Gefahrklassen "aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten zu berechnen" (§ 157 Abs. 3 SGB VII). Dass dies aber kein reiner Rechenakt ist, entspricht der bisherigen, vom Gesetzgeber (vgl BT-Drucks 13/2204 S 73, 110 ff) kodifizierten Praxis der Unfallversicherungsträger, die auch vom BSG (Urteil vom 18. Oktober 1994 - 2 RU 6/94 -, SGb 1995, 253 ff) gebilligt wurde ("kein bloßes Rechenwerk, sondern ein Zusammenfluss rechnerischer und wertender bzw gewichtender Faktoren" - "nicht nachrechenbar, wohl aber nachvollziehbar"). Aufgrund der eingeschränkten Überprüfungsbefugnis der Gerichte bei Gefahrtarifen (SozR 4-2700 § 157 Nr. 1) kann nicht jeder Fehler bei der Aufteilung der Lohnsummen oder Unfalllasten Beachtung finden, solange das Zahlenmaterial als solches gesichert ist. Die Einwände der Klägerin gegen das Zahlenmaterial als solches geben keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen. Dies gilt zunächst für den Einwand, die Entwicklung der Gefahrklassen sei sprunghaft, so dass bei der Berechnung Fehler vorliegen müssten. Da die Gefahrklasse sich durch die Gegenüberstellung der während eines Beobachtungszeitraumes gemeldeten Arbeitsentgelte mit den Entschädigungsleistungen desselben Zeitraums errechnet, sind Sprünge schon durch Entwicklungen bei den Entschädigungsleistungen bedingt. Die Unterschiede können also unabhängig von der Zusammensetzung der Gefahrtarifstellen entstehen und stellen kein Indiz für einen Fehler des Zahlenmaterials dar. Auch der Hinweis auf den Aufsatz von Becker in der Sozialgerichtsbarkeit 2004, S. 528 ff macht nicht deutlich, inwieweit eine fehlerhafte Berechnung vorliegen sollte, da in dem Aufsatz die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zusammengestellt und anhand eines Beispiels dargestellt wird, in welcher Weise sich ein so genannter Neulasttarif, bei dem die Versicherungsfälle aus den letzten drei Jahren vor Aufstellung des Gefahrtarifs der Berechnung zugrunde gelegt wird, von einem Gesamtlasttarif, der auch ältere Versicherungsfälle einbezieht, unterscheidet. Beide Verfahren sind jedoch zulässig, wie das BSG in dem bereits zitierten Urteil dargelegt hat. Die nach Gliederung des Gefahrtarifs in Gefahrtarifstellen den jeweiligen Gefahrtarifstellen zuzuordnenden Gefahrklassen werden "aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet" (§ 157 Abs. 3 SGB VII). "Gezahlte Leistungen" sind die Entschädigungsleistungen des jeweiligen Unfallversicherungsträgers für alle Versicherungsfälle - also Arbeitsunfälle und Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten (vgl. §§ 7 bis 9 SGB VII) - der Versicherten, deren Unternehmen von der jeweiligen Gefahrtarifstelle umfasst sind. Nicht dazu gehören Verwaltungsausgaben und Leistungen zur Prävention. Auch spätere Regresseinnahmen ändern nichts an den zunächst gezahlten Leistungen. Hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Differenz zwischen dem jährlichen Beitragsaufkommen der Unternehmen der Gefahrtarifstelle 14 und den Entschädigungsleistungen hat das BSG bereits auf Folgendes hingewiesen(BSG a.a.O.): "Im Übrigen verkennt die Argumentation der Klägerin und die Vorstellung, die Versicherung müsste dem jeweiligen Versicherten oder Gewerbezweig das wieder auszahlen, was er als Versicherungsbeitrag eingezahlt hat, das Prinzip einer Versicherung: Die "Leistung" der Versicherung gegenüber dem Versicherungsnehmer besteht in der Übernahme des Wagnisses, mit anderen Worten in der Bereitschaft, bestimmte Versicherungsleistungen zu erbringen, wenn (!) es zu dem Versicherungsfall kommt. Aus § 152 SGB VII ergibt sich zudem, dass das gesamte Beitragsaufkommen einer BG mit deren Bedarf, der wesentlich von den Entschädigungsleistungen bestimmt wird, zu vergleichen ist; es gilt das Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung. Im Rahmen des Umlageverfahrens kann nicht verlangt werden, dass das Beitragsaufkommen die konkreten Kosten nicht übersteigt. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kostenaufwand eines Unfallversicherungsträgers für Unfälle in einem einzelnen Unternehmen oder Gewerbezweig und dem Anteil des betreffenden Unternehmens bzw. Gewerbezweigs an der Gesamtlast besteht nicht (vgl. BSG SozR 3-2200 § 725 Nr. 2)". Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.

Auf die weiteren Ausführungen der Klägerin zur Frage der Höhe der Verwaltungsausgaben und den Umfang des Betriebsmittelstocks kommt es nicht an, weil zu den in die Berechnung der Gefahrklassen einfließenden Entschädigungsleistungen Verwaltungsausgaben gerade nicht gehören. Derartige Einwände wären im Verfahren gegen die Beitragsbescheide zu erheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Zwar gehören weder die Klägerin noch die Beklagte zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis, jedoch sind vorliegend nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) keine Kosten nach dem Gerichtskostengesetz zu erheben, da das Verfahren am 21. Oktober 1999, und damit vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 2. Januar 2002, rechtshängig geworden ist. Dies gilt für alle Instanzen, selbst wenn das Rechtsmittel – wie hier – erst nach dem 1. Januar 2002 eingelegt worden ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, Rn. 12 vor § 183 SGG, mit weiteren Nachweisen).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved