L 8 RA 17/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 RA 5319/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 17/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt ergänzend die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Zusatzversorgungssystem nach Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG) in der Zeit vom 1. Mai 1976 bis 30. Juni 1990 sowie der in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte.

Der 1944 geborene Kläger legte am 7. Juli 1972 an der H-Universität B erfolgreich seine Abschlussprüfung des Studiums zum Diplom-Wirtschaftler, Fachrichtung Finanzen, ab. Vom 1. September 1972 bis 30. April 1976 war er als Referent beim Magistrat von B, Abteilung Finanzen, beschäftigt. Vom 1. Mai 1976 bis 30. Juni 1990 und darüber hinaus war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter, zuletzt als "Abteilungsleiter Preisökonom" im VEB Werkzeugmaschinenbetrieb "" B und bei dem Nachfolgebetrieb als Verantwortlicher für die zentrale Preiskoordinierung beschäftigt. Auf Grund der Beschäftigung ab 1. Mai 1976 war dem Kläger keine Versorgungszusage erteilt worden und es bestand auch kein einzelvertraglicher Anspruch auf eine derartige Zusage. Ab dem 1. September 1984 entrichtete der Kläger Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bis zum Doppelten des in der Pflichtversicherung versicherten Entgeltes.

Mit Bescheid vom 8. März 2000 stellte die Beklagte zur Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften die Zeit vom 1. September 1972 bis 30. April 1976 als Zeit der Zugehörigkeit zur freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (Zusatzversorgungssystem nach Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG) und die in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte fest; eine Begrenzung der Entgelte erfolgte nicht.

Im Februar 2003 beantragte der Kläger unter Hinweis auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts und nähere Erläuterung seiner Tätigkeit die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) für die Zeit vom 1. Mai 1976 bis 30. Juni 1990. Dieses Begehren wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zum Bescheid vom 8. März 2000. Sie lehnte diesen Antrag ab, weil die Qualifikation als Diplom-Wirtschaftler nicht dem Titel eines Ingenieurs oder Technikers im Sinne der Versorgungsordnung entspreche. Die tatsächliche Ausübung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit sei insoweit unbeachtlich (Bescheid vom 1. April 2003, Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2003.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und auf seine umfassende und hohe Anforderungen stellende Ausbildung verwiesen. Die Bezeichnung "Diplom-Wirtschaftler" sei in seinem konkreten Fall irreführend. Sie unterschlage in der öffentlichen Wahrnehmung, dass seine Ausbildung auch unter technischen und naturwissenschaftlichen Belangen sehr komplex und ingenieurökonomischen Ausbildungen mindestens ebenbürtig gewesen sei, wie seine nachfolgende berufliche Entwicklung im Werkzeugmaschinenbau belege. Er sei von Verwaltungsaufgaben, wie sie Ingenieurökonomen übertragen worden seien, freigestellt gewesen und habe sich ausschließlich mit technischen Fragen befasst.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 12. Januar 2004 abwiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 8. März 2000 und Feststellung der Beschäftigungszeit vom 1. Mai 1976 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech.

Der Kläger sei zwar Berechtigter im Sinne des § 8 AAÜG, weil er auf Grund seiner in der Zeit von 1972 bis 1976 bestehenden Mitgliedschaft in der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates am 30. Juni 1990 eine Versorgungsanwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG inne gehabt habe und damit grundsätzlich einen Anspruch auf Feststellung von versorgungsspezifischen Daten habe.

Er habe aber keinen Anspruch auf Feststellung der begehrten Zeiten als Zusatzversorgungszeit, da diese keine Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 Abs. 1 AAÜG seien. Nach § 5 AAÜG seien Pflichtbeitragszeiten Zeiten der "Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen". Ob Zeiten einer ausgeübten Beschäftigung in der DDR einem Versorgungssystem zugehörten und damit Pflichtbeitragszeiten nach § 5 AAÜG darstellten, bestimme sich nach dem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1. August 1991 geltenden Bundesrecht. Für den Kläger liege hinsichtlich der streitigen Zeit weder eine bindend gebliebene Einbeziehungsentscheidung noch eine ihn einbeziehende Rehabilitierungsentscheidung vor. Er sei auch nicht auf Grund einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 AAÜG den Einbezogenen gleichzustellen, denn er habe – bundesrechtlich betrachtet – keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage für die AVItech gehabt, noch habe eine ständige Verwaltungspraxis zur Einbeziehung von Diplom-Wirtschaftlern bestanden. Nach den maßgeblichen Regelungen für die Einbeziehung in die AVItech sei es unter anderem erforderlich gewesen, dass eine Berechtigung zur Führung einer bestimmten Berufsbezeichnung bestanden habe. Für einen obligatorischen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage für die AVItech erfülle er mit dem erworbenen Abschluss als Diplom-Wirtschaftler nicht die erforderlichen Voraussetzungen (Hinweis auf Urteil des BSG vom 9. April 2002, B 4 RA 39/01 R). Auch wenn der Kläger in seiner Berufspraxis im VEB Werkzeugmaschinenbetrieb Tätigkeiten wie ein Ingenieur ausgeübt haben mag, so sei er kein Ingenieur im Sinne der versorgungsrechtlichen Regelungen, da nicht das Recht zur Führung des Titels Ingenieur bestanden habe (Hinweis auf Urteil des BSG vom 10. April 2002, B 4 RA 18/01 R).

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein Begehren weiterverfolgt und erneut auf seine ausschließlich ingenieurtechnisch bestimmte Arbeit verweist, für die er auf Grund sehr individuell geprägter Entwicklungsumstände die erforderlichen fachlichen Qualifikationen mitgebracht habe. Daher sei in seinem Fall nicht auf den formalen Aspekt in Form eines Studienabschlusses und Fehlens der Berechtigung zum Führen des Titels Ingenieur abzustellen. Ergänzend hat er mit Schriftsatz vom 28. Februar 2006 die Anerkennung der Gleichwertigkeit seines Studiums (01. September 1968 bis 31. Juli 1972) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der H-Universität zu B gegenüber einem damaligen ingenieurökonomischen Studium in der ehemaligen DDR beantragt.

Der Kläger beantragt in der Sache,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 8. März 2000 teilweise zurückzunehmen und die Zeit vom 1. Mai 1976 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, das der Sach- und Rechtslage entspreche.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte (Versicherungsnummer ), die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entschieden, da sich die Beteiligten mit diesem Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat für die streitigen Zeiten keinen Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech und der während dieser Zeiten erzielten Entgelte, sodass die Beklagte auch nicht zur Korrektur ihres Feststellungsbescheides vom 8. März 2000 im Rahmen des § 44 SGB X verpflichtet ist.

Der Senat, der an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist (§ 123 SGG), hat den "Antrag auf Anerkennung der Gleichwertigkeit seines Studiums" als weiteres Vorbringen zur Stützung des klägerischen Begehrens und nicht als weiteren, während des Berufungsverfahrens erstmalig erhobenen Klageanspruch gewürdigt. Denn eine solche Klage, zu der es zunächst an einer Verwaltungsentscheidung fehlt, wäre schon aus diesem Grunde unzulässig. Auch ist nicht erkennbar, dass die in einem solchen Antrag liegende Klageerweiterung gemäß § 99 SGG zulässig wäre. Weder hat die Beklagte darin eingewilligt noch ist dazu eine Einlassung erfolgt, und angesichts der fehlenden Zuständigkeit der Beklagten für eine solche Entscheidung ist ein solcher Antrag auch nicht sachdienlich. Schließlich fehlte es insoweit an der funktionellen Zuständigkeit des Landessozialgerichts (vgl. § 29 SGG) im Hinblick auf die erstmalige Entscheidung kraft Klage (BSG SozR 3 – 1500 § 29 Nr. 1; siehe aber Meyer-Ladewig, SGG 8. Auflage, Anmerkung zu § 29).

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall u. a. ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Daran fehlt es jedoch, soweit der Kläger die zusätzliche Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech für die Zeit vom 1. Mai 1976 bis 30. Juni 1990 beansprucht. Ein solcher Anspruch besteht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, nicht. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte mit dem Feststellungsbescheid vom 8. März 2000 bereits eine Statusfeststellung zur Anwendung des AAÜG im Sinne des § 1 AAÜG getroffen oder mit dem früheren Bescheid "nur" Zeiten und die während dieser Zeiten erzielten Entgelte festgestellt hat; dem Bescheid vom 8. März 2000 ist jedenfalls eine ausdrückliche Statusfeststellung nicht zu entnehmen. Denn der Kläger war während der hier streitigen Zeit nicht in die AVItech einbezogen, hatte auch keine entsprechende Versorgungszusage und gehörte auch nicht aus bundesrechtlicher Sicht zu den obligatorisch in dieses Versorgungssystem einzubeziehenden Personen.

Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat der zuständige Versorgungsträger gleich einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Daten festzustellen, die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung der Leistung aus der Rentenversicherung erforderlich sind, und diese dem für die Feststellung der Leistung zuständigen Rentenversicherungsträger mitzuteilen. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG hat der Versorgungsträger dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung durch Bescheid bekannt zu geben. Eine solche Verpflichtung der Beklagten besteht gegenüber dem Kläger bezüglich der streitigen Zeit nicht.

Das Sozialgericht hat zutreffend dargelegt, dass für solche nach § 5 Abs. 1 AAÜG Pflichtbeitragszeiten gleichstehende Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem hier nur eine aus bundesrechtlicher Sicht obligatorische Einbeziehung in die AVItech auf Grund der maßgeblichen Regelungen der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I, Seite 844) i. V. m. der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl. I, Seite 487) in Betracht kommt. Auch wenn der Kläger, wie er vorträgt, fast ausschließlich ingenieurtechnische Arbeiten im streitigen Zeitraum verrichtet und in einem volkseigenen Betrieb der Produktion gearbeitet haben sollte, so erfüllte er jedenfalls nicht die persönliche Voraussetzung für eine "obligatorische" Einbeziehung im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" - ohne Ermessensspielraum des Versorgungsträgers – in den Kreis der Versorgungsberechtigten, weil er nicht zu dem in § 1 Abs. 1 der 2. DB näher umschriebenen Personenkreis gehörte. Die vom Kläger erworbene Qualifikation als Diplom-Wirtschaftler wird darin nicht genannt (so ausdrücklich für den Diplom-Wirtschaftler BSG Urteil vom 09. April 2002 – B 4 RA 39/01 R, Kurzwiedergabe im SGb 2002, 379). Dass der Kläger nach seinem Vorbringen fast ausschließlich ingenieurmäßige Arbeiten geleistet hat, ändert daran nichts. Denn als Angehörige der technischen Intelligenz im Sinne der AVItech galten Ingenieure nur dann, wenn sie auf Grund eines staatlichen Zuerkennungsaktes in der DDR berechtigt waren, diese Berufsbezeichnung zu führen; allein durch Ausübung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit wurde die persönliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in dieses Zusatzversorgungssystem nicht erfüllt (BSG Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 R – in SozR 3-8570 § 1 Nr. 8; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen: Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 1557/01). Dass dem Kläger ein entsprechender Titel verliehen worden ist, ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch macht der Kläger einen solchen Sachverhalt geltend. Daher ist es auch unerheblich, ob der Kläger die von ihm gewünschte Anerkennung der Gleichwertigkeit seines Studiums mit dem eines Ingenieurökonoms erreichen kann. Denn eine solche – wohl von der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Forschung vorzunehmende (vgl. die Bescheinigung vom 28. Oktober 2002 – Bl. 21 Verwaltungsakte) – Anerkennung beinhaltet nicht den erforderlichen staatlichen Zuerkennungsakt der DDR zur Berechtigung der Führung des Titels "Ingenieur".

Ob der Kläger möglicherweise insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung seiner Arbeit für einen großen Betrieb auf Grund einer Ermessensentscheidung in das Versorgungssystem hätte einbezogen werden können, bedarf keiner Entscheidung, weil eine derartige Ermessensentscheidung bundesrechtlich nicht – rückschauend – ersetzt werden kann (BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 21/02 R – in SozR 3-8570 § 1 Nr. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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