L 10 B 81/06 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 65 AS 2924/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 81/06 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2006 aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin B H, B , 12159 B, beigeordnet.

Gründe:

I.

Streitig ist ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 01. Januar 2005. Der 1955 geborene alleinstehende Kläger, der bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi) bzw Sozialhilfe bezogen hatte, beantragte am 04. November 2004 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und gab hierbei an, über keinerlei Einkünfte zu verfügen. Für seine 49,6 qm große Mietwohnung habe er einschließlich Heizkosten- und Warmwasserkostenvorschuss 300,00 Euro monatlich zu zahlen. An Versicherungsbeiträgen würden für ihn jährlich 92,46 Euro für die Hausratversicherung, 278,91 Euro für die KfZ-Versicherung und 69,02 Euro für die Haftpflichtversicherung anfallen. Er besitze einen PKW VW Polo Baujahr 1991. Des Weiteren verfüge er über ein Guthaben von ca. 1.500,00 Euro auf seinem Girokonto bei der P und eine Kapitallebensversicherung, abgeschlossen im März 1981 und fällig mit Erreichen des 60. Lebensjahres im März 2015, mit einem Rückkaufswert von 71.618,14 Euro zum 31. Oktober 2004. Die Kapitallebensversicherung diene seiner Alterssicherung. Zum Nachweis legte er ua das in seinem gegen die Bundesagentur für Arbeit geführten Rechtsstreit ergangene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Juli 2004 – B 11 AL 79/03 R - vor, wonach die Verwertung der besagten Kapitallebensversicherung als unzumutbar im Sinne von § 6 Abs 3 Satz 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 7. August 1974 in der bis Ende 2001 geltenden Fassung (AlhiV 1974) angesehen wurde. Die Beklagte hat die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II wegen fehlender Hilfebedürftigkeit (Bescheid vom 08. Dezember 2004, Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2005) im Hinblick auf das den Freibetrag überschreitende Vermögen des Klägers (Lebensversicherung mit Rückkaufswert von 71.618,14 Euro und Giroguthaben von 1.500,00 Euro abzüglich eines Freibetrags von 10.550,00 Euro) abgelehnt.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin zum Aktenzeichen S 65 AS 2924/05. Er hält die Verwertung der Lebensversicherung im Hinblick auf seine geringen Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung und sein Alter für unzumutbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls nach § 12 Abs 3 Satz 1 Zif 6 SGB II lägen vor, wie sich bereits aus dem in seinem Alhi-Rechtsstreit ergangenen Urteil des BSG ergebe.

Den Antrag des Klägers, ihm für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, hat das SG durch Beschluss vom 16. Januar 2006 mit der Begründung abgelehnt, die Beiordnung eines Rechtsanwaltes sei im Hinblick auf den überschaubaren Sachverhalt nicht erforderlich. Auch habe die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht, da der Hinweis auf die Verwertung der Kapitallebensversicherung rechtlich nicht zu beanstanden sei.

Der Beschwerde des Klägers hat das SG nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das Passivrubrum war von Amts wegen zu berichtigen, da die Arbeitsgemeinschaft des Landes Berlin und der Bundesagentur für Arbeit für den örtlichen Bereich des Verwaltungsbezirks Berlin-Mitte, bezeichnet als JobCenter Berlin-Mitte, vertreten durch den Geschäftsführer, nach Auffassung des Senats im Sinne des § 70 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähig ist (für die Arbeitsgemeinschaft für den örtlichen Bereich des Verwaltungsbezirks Lichtenberg-Hohenschönhausen, Beschluss des Senats vom 14. Juni 2005, als vormals 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin, L 10 B 44/05 AS ER).

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozeßbevollmächtigten zu gewähren, da er nach seinen – hier mit Blick auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozial-gerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 127 Abs. 1 Satz 3 Zivilprozeßordnung nicht näher darzulegenden – persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114,115 ZPO).

Der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann auch eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO) nicht abgesprochen werden. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist gegeben, wenn bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes eine "reale Chance zum Obsiegen" besteht, während sie bei einer "nur entfernten Erfolgschance" abzulehnen ist.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach §§ 7, 9, 12, 20 SGB II ist nur gegeben, wenn er sein Vermögen in Form der Kapitallebensversicherung nicht vorrangig zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes einzusetzen hat. Da hier offensichtlich die – zumindest teilweise- einer Verwertung entgegenstehenden Tatbestände des § 12 Abs 1 Zif 2 und 3, Abs 3 Satz 1 Zif 3 SGB II nicht erfüllt sind, kommt es entscheidend auf die Frage an, ob die Verwertung der Kapitallebensversicherung im Sinne von § 12 Abs 3 Satz 1 Zif 6 SGB II offensichtlich unwirtschaftlich ist (1. Alternative) oder für den Kläger eine besondere Härte bedeuten würde (2. Alternative). Im Hinblick auf die bereits im Februar 2001 vorliegende Relation zwischen Rückkaufswert und Summe der eingezahlten Beträge (vgl Urteil des LSG Berlin vom 2. September 2003 – L 6 AL 16/03 - und die hierzu ergangene Entscheidung des BSG vom 14. Juli 2004 – B 11 AL 79/03 R -) dürfte eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung nicht gegeben sein, hierzu müssten jedoch noch entsprechende Auskünfte der Versicherungsgesellschaft vom SG eingeholt werden. Entscheidend ist letztlich die Frage, ob für den Kläger die Verwertung eine besondere Härte bedeutet. Derzeit ist jedoch noch nicht (höchstrichterlich) geklärt, was unter einer besonderen Härte im Sinne von § 12 Abs 3 Satz 1 Zif 6 SGB II zu verstehen ist und welche Kriterien im Einzelnen zur Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes, insbesondere im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Zweck der Altersvorsorge, zu Grunde zu legen sind. So kommen die in der Rechtsprechung des BSG (zB BSG in SozR 3-4220 § 6 Nr 6) zur "Härteklausel" des § 6 Abs 3 Satz 2 Zif 3 AlhiV 1974 (in der Fassung bis zum 28. Juni 1999) entwickelten Kriterien ebenso in Betracht wie die vom Bundesverwaltungsgericht zu § 88 Abs 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entwickelten – zum Teil strengeren - Maßstäbe (zB BVerwG in NJW 2004 Seite 3647). Zudem ist die neuere Rechtsprechung des BSG betreffend die in der AlhiV 2002 für die Jahre 2002 bis 2004 fehlende Härteklausel zu beachten. Das BSG hat in einer Vielzahl von Entscheidungen (zB Urteile vom 09. Dezember 2004 – B 7 AL 30/04 R und – B7 AL 44/04 R-, 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 51/04 R und B 11a/11 AL 73/04 R - und 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 76/04 R-) die Ergänzung der insoweit nicht ermächtigungskonformen AlhiV 2002 durch eine Härtefallprüfung unter Heranziehung der in § 12 SGB II vorgesehenen Regelungen betreffend das der Altervorsorge dienende Vermögen bzw der dort enthaltenen Härteklausel für notwendig erachtet. Einen Härtegesichtspunkt, der der Verwertung des - nach subjektiver Zweckbestimmung - der Altersvorsorge dienenden Vermögens entgegensteht, hat das BSG im Vorliegen einer atypischen Vorsorgesituation (nicht ausreichende Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bei langjährig selbständiger Tätigkeit) gesehen (siehe BSG Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 76/04 R). Der Härtegesichtspunkt der atypischen Vorsorgesituation kommt im Falle des Klägers, der ca. 17 ½ Jahre selbständig tätig war und nur geringe Rentenanwartschaften erworben hat, ernsthaft in Betracht. Diesbezüglich bedarf es noch umfangreicher Ermittlungen (vgl hierzu die Hinweise des BSG in der zuletzt genannten Entscheidung). Des Weiteren wird das SG herauszuarbeiten haben, welche Bedeutung § 12 Abs 3 Satz 2 SGB II, wonach für die Angemessenheit die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend sind, für die Ausformung der Härtegesichtspunkte hat.

Im Hinblick auf die sich hier stellenden Rechtsfragen, der Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der zum Teil divergierenden höchstrichterlichen Rechtsprechung und dem konkreten Ermittlungsbedarf ist keine Sachlage gegeben, die auch nur Zweifel an der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwaltes im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO wecken könnte.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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