L 1 U 3737/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 326/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3737/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Folgen des Arbeitsunfall vom 6. September 1999.

Der 1957 geborene Kläger war als Zaunschlosser und Monteur - seinen Angaben nach fast ausschließlich auf Montage als Vorarbeiter - im Betrieb seines Bruders beschäftigt und betrieb im Nebenerwerb einen landwirtschaftlichen Betrieb. Am 6. September 1999 stürzte auf der Fahrt mit seinem Motorroller von seinem Arbeitsplatz nach Hause. Er erlitt eine wenig dislozierte Skapulahalsfraktur (Fraktur des Schulterblatts) links. Des Weiteren fanden sich oberflächliche Schürfungen am rechten Ellenbogen und Knie (Durchgangsarztbericht des Dr. K. vom 6. September 1999). Dr. K. gab im Durchgangsarztbericht weiter an, der Kläger habe seit Monaten belastungsabhängige und nächtliche Schmerzen in beiden Schultern, rechts mehr als links. Nachdem nach Abnahme des Verbands und anschließenden krankengymnastischen Bewegungsübungen eine deutliche Armhebeschwäche aufgefallen war, veranlasste Dr. K. eine Untersuchung durch den Neurologen Dr. N. (Bericht vom 21. Oktober 1999). Bei der Untersuchung am 26. Oktober 1999 war eine Nervenläsion nicht nachweisbar. Die Diskrepanz zwischen Abduktionsfähigkeit im Stehen und fehlender Abduktionsfähigkeit des Arms im Liegen sei durch die Schmerzhemmung, aber nicht neurogen erklärt (Bericht des Dr. N. vom 27. Oktober 1999). Auch bei einer im Rahmen eines stationären Heilverfahrens erfolgten weiteren neurologischen Untersuchung fand sich kein pathologischer Befund (Bericht des Privatdozent Dr. T. vom 19. Januar 2000). Eine am 28. Januar 2000 durchgeführte Kernspintomographie der linken Schulter zeigte am Oberrand der linken Skapula ein kleines subkutanes Lipom ohne Hinweise auf Malignität. Bei Entlassung aus dem stationären Heilverfahren am 15. Februar 2001 war die Beweglichkeit im Bereich der linken Schulter frei. Lediglich bei endgradiger Flexion und Abduktion traten noch Schmerzen im Bereich des Margo medialis scapulae links und im Bereich des linken Musculi rhomboidei (Dornfortsätze des 6. und 7. Halswirbels und des 1.-4. Brustwirbels) auf (Bericht des Prof. Dr. W. vom 24. Februar 2000). Am 24. Februar 2000 erfolgte eine Belastungserprobung im Betrieb.

Am 19. Mai 2000 erlitt der Kläger bei Stallarbeiten in seinem landwirtschaftlichen Betrieb eine Ulnaschaftsfraktur (Bruch der Elle), weshalb bis 2. Juli 2000 Arbeitsunfähigkeit bestand. Vom 19. Mai 2000 bis 2. Juli 2000 und vom 28. November 2000 bis 12. Dezember 2000 zahlte die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg Verletztengeld.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Prof. Dr. K. das Gutachten vom 7. August 2000. Wie schon bei einer vorangegangenen Untersuchung ergab die Untersuchung der Beweglichkeit beider Schultergelenke eine nahezu seitengleiche freie Beweglichkeit für Spreiz- und Anführbewegung, ebenso für Streckung und Beugung. Er kam zum Ergebnis, als Unfallfolgen bestünden ein Zustand nach konsolidierter konservativ behandelter Skapulahalsfraktur links mit reflektorischer Schonhaltung und Muskelverspannung links paravertebral, Muskelverschmächtigung des linken Oberarms ca. 2 cm im Seitenvergleich und glaubhaften subjektiven Beschwerden, die durch eine Reflexschonhaltung der linken Schulter erklärbar seien. Unfallunabhängig bestehe eine seit 1995 vorbehandelte Periarthropathia humeroscapularis (Sammelbezeichnung für verschiedene degenerative Prozesse im Bereich von Rotatorenmanschette, Gelenkkapsel oder langer Bizepssehne am Schultergelenk, die zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung führen) beidseits, ein Lipom supraskapulär links sowie eine Degeneration der Halswirbelsäule, insbesondere eine beginnende vordere Spangenbildung C 6/C 7. Es werde empfohlen, umgehend EAP-Maßnahmen zur Wiederherstellung der schmerzbedingten Muskelreflexverspannungen bei mittlerweile freier Schultergelenksbeweglichkeit einzuleiten und einen Arbeitsversuch von sechs Stunden pro Tag durchzuführen. Bis zum Abschluss der EAP betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 20 vH, anschließend unter 10 vH. Die empfohlene EAP-Maßnahme wurde nicht eingeleitet, da zunächst das Ergebnis der Untersuchung in einer Schmerzklinik abgewartet werden sollte.

Der Arzt für Anästhesiologie Dr. B. kam im Gutachten vom 10. November 2000 zum Ergebnis, vorrangig liege ein myofasciales Schmerzsyndrom der Mm. rhomboidei sowie des M. serratus anterior links (Rumpffixierung der Scapula, Drehung der Scapula um den Angulus lat. (ermöglicht Heben des Arms über die Horizontale), Heben der Rippen (Atemhilfsmuskel)). Von einer deutlichen Chronifizierungstendenz sei auszugehen. Durch das Schmerzsyndrom sei die muskuläre Belastbarkeit des Klägers, der zudem Linkshänder sei, massiv eingeschränkt. Eine spezielle schmerztherapeutische Behandlung werde empfohlen. Diese erfolgte stationär vom 7. Februar 2001 bis 21 März 2001 und es konnte eine deutliche Verbesserung erreicht werden, eine Arbeitsfähigkeit im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeit in absehbarer Zeit wurde aber nicht als möglich angesehen, da Tätigkeiten, bei welchen der Kläger Kraftanstrengungen mit dem linken Arm ausführen müsse (z.B. Heben, Halten und Tragen von Lasten über drei Kilogramm), ausgeschlossen seien, ebenso belastungsfreie repetitive Beanspruchungen des linken Arms und auch eine sitzende Tätigkeit, da er sich nicht über längere Zeit anlehnen könne (Bericht des Dr. B. vom 4. April 2001).

Auch nach Ende dieser stationären Behandlung sah sich der Kläger auf Grund massiver Schmerzen nicht in der Lage, körperliche Arbeiten auszuführen. Zum 30. April 2001 stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld ein. Der Kläger meldete sich zum 1. Mai 2001 arbeitslos. Gegenüber dem zuständigen Arbeitsamt erklärte sich die Beklagte - wie schon zuvor gegenüber dem Kläger - grundsätzlich bereit, Leistungen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zu gewähren (Eingliederungshilfen einem Arbeitgeber, Leistungen im Rahmen einer Qualifikation bzw. Weiterbildung), lehnte aber qualifizierte Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne einer Umschulung ab (Schreiben vom 18. Juni 2001). Hierauf verwies sie in einem späteren Schreiben vom 6. Februar 2002 an den Kläger.

Im Ersten Rentengutachten vom 23. Oktober 2001 führte Dr. K. aus, als Folge der Skapulafraktur finde sich eine leichte Einschränkung der Beweglichkeit im linken Schultergelenk im Vergleich zu rechts und sehr starke Schmerzen, vor allem am medialen Scapularand, die glaubhaft aber durch die körperliche Untersuchung nicht erklärbar seien. Es bestehe der dringende Verdacht auf eine Fehlverarbeitung der Schmerzen mit reaktiver Depression im Sinne einer posttraumatischen Neurose, weshalb eine zusätzliche psychiatrisch-neurologische Zusatzbegutachtung empfohlen werde. Erst danach könne die MdE festgesetzt werden.

Vom 4. März 2002 bis 17. April 2002 fand eine weitere stationäre schmerztherapeutische Behandlung statt, in der aus therapeutischer Sicht das Therapieziel größtenteils als erreicht angesehen wurde (Bericht des Dr. L. vom 3. Juni 2002). Im Gutachten vom 3. Juni 2002 diagnostizierte der Arzt für Anästhesie Dr. L. ein chronifiziertes myofasciales Schmerzsyndrom der linken Schultergürtelmuskulatur, betont der am medialen Schulterblattrand einsetzenden Muskulatur durch ungünstige Arbeitshaltungen (ICD 10 M 79.8) sowie unfallassoziierte psychologische Verhaltensfaktoren (ICD 10 F 54) und führte weiter aus, die längst ausgeheilte Fraktur dürfte für die Schmerzenentstehung keine maßgebliche Rolle spielen. Weder die ausgeheilte Skapulahalsfraktur noch das nach dem Unfall entstandene Lipom lieferten eine ausreichende Erklärung für chronische Schmerzkrankheit. Eine rein somatische Ursache für die anhaltenden Schmerzen sei nicht zu sichern. Die psychologischen Auffälligkeiten des Persönlichkeitsprofils böten hingegen Anhaltspunkte für eine Erklärung der Schmerzaufrechterhaltung. Aus der Scapulafraktur sei keine anhaltende MdE verblieben. Die Schmerzen minderten die Erwerbsfähigkeit vergleichbar in Form eines Schultergelenkschadens, der eine aktive Anteversion bis 120 Grad erlaube und für den eine MdE von 10 vH zu veranschlagen sei.

Gegenüber der Beklagten erklärte der Kläger, sich maximal eine Halbtagstätigkeit vorstellen zu können. Bei verschiedenen Arbeitsversuchen bei seinem Bruder habe er nach zwei bis drei Stunden leichter Tätigkeit erschöpfungsbedingt Pausen einlegen müssen. Er könne sich nicht vorstellen, wieder vollschichtig erwerbsfähig zu sein (Aktenvermerk vom 27. Juni 2002).

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete schließlich Privatdozent Dr. S. das neurologische Gutachten vom 23. August 2002. Auf neurologischem Gebiet konnte er keinen auffälligen Befund erheben und fand auch rückblickend keine Hinweise für eine Armnerven- oder Armplexusschädigung als Ursache der Beschwerden. Der psychiatrische Befund sei hingegen auffällig gewesen. Es habe eine Fixierung auf die Beschwerden mit labiler Affektlage bestanden. Es hätten sich jedoch keine Anhaltspunkte für eine klinische relevante depressive Störung oder eine wahnhafte Erkrankung ergeben. Schließlich habe ein Widerspruch zwischen dem Ausmaß der geltend gemachten Beschwerden und der objektiv regelrecht kräftigen Muskelausprägung des linken Schultergürtels und des linken Arms bestanden. Beim Kläger handele es sich um einen einfach strukturierten Menschen mit einer Neigung zu labiler Affektregulation und histronischen Wesensmerkmalen. Diese Charaktereigenschaften hätten die Verarbeitung des an sich nicht schwerwiegenden Unfallereignisses erschwert. Da keine Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vorlägen, sei keine Erwerbsminderung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet anzunehmen.

Dr. K. bewertete nach Kenntnis des Gutachtens des Privatdozent Dr. S. die MdE mit 10 vH (Schreiben vom 14. Oktober 2002).

Die Beklagte lehnte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 ff des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) ab (Bescheid vom 19. September 2002). Den Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2003). Er schloss sich der Auffassung des Privatdozent Dr. S. an und führte zur Begründung weiter aus, der Kläger sei auf Grund der lediglich auf chirurgischem Fachgebiet vorliegenden Unfallfolgen in der Lage, die von ihm bisher ausgeübte Tätigkeit wettbewerbsmäßig weiterhin auszuüben.

Der Kläger, der seit 15. Februar 2003 als Außendienstmitarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden im Betrieb seines Bruders beschäftigt ist und seinen Angaben nach Baustellen ausmisst und Verkaufsberatung durchführt, hat am 13. Februar 2003 Klage beim Sozialgericht Ulm erhoben. Der Unfall habe erhebliche belastende Schmerzerscheinungen zur Folge, die, wenn auch seit der schmerztherapeutischen Behandlung im Jahre 2002 etwas gemindert, noch bestünden. Bei den Schmerzbelastungen und den zum Teil unerfreulichen und schmerzhaften Behandlungen sei seine Persönlichkeitsstruktur erheblich verändert worden.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) haben Dr. L. das unfallchirurgisch-orthopädische Gutachten vom 12. Januar 2004 und Dr. E. das nervenärztliche Zusatzgutachten vom 11. Dezember 2003 erstattet.

Dr. L. hat ausgeführt, die Skapulahalsfraktur sei mit einer Fehlstellung in medialisierter Stellung des Glenoides (Cavitas glenoidalis = Gelenkpfanne für den Humeruskopf am Schulterblatt) unter Einstauchung des Glenoides in den Skapulahals und in den Scapulakörper ausgeheilt. Bei diesen Verletzungen könne es durchaus zu zusätzlichen, vorübergehenden Schädigungen der die schulterblattstabilisierenden Muskulatur versorgenden Nerven kommen. Hieraus habe in der Folgezeit eine schmerzhafte Schonung des linken Schultergelenks resultiert und es sei zu einer Fehlführung des Schulterblatts auf dem Rumpf und damit zu einem so genannten sekundären Impingement des Oberarms unter dem Schulterdach gekommen. Auf Grund der starken Schmerzhaftigkeit habe sich eine chronische Schmerzsymptomatik entwickelt. Anhalt für degenerative Schädigungen des Schultergelenks lägen auf Grund der durchgeführten bildgebenden Verfahren nicht vor. Auf Grund der zur Zeit bestehenden erheblichen Schmerzsymptomatik und des deutlichen Verlusts der Belastbarkeit, Kraft und Leistungsfähigkeit der linken Schulter bestehe zur Zeit eine MdE und voraussichtlich bis auf weiteres von 30 vH. Mögliche Leistungen, um die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen oder zu verbessern, bestünden in einer gezielten Rehabilitation mittels eines speziell ausgebildeten Physiotherapeuten oder eines spezialisierten Zentrums.

Dr. E. hat ausgeführt, beim Kläger handele es sich um ein myofasciales Schmerzsyndrom nach einer traumatisch bedingten Verletzung der Schulter. Es bestehe kein Anhalt für eine posttraumatische Schädigung von Nervenwurzeln und Nerven im Bereich der Schulter- und Oberarmmuskulatur. Die geschilderten Beschwerden und das Schmerzsyndrom seien glaubhaft. Auch sei eine reaktive Depression höchstwahrscheinlich auf den chronischen Schmerzzustand und die verminderte Leistungsfähigkeit durch die Schmerzen festzustellen. Eine Fortführung der schmerztherapeutischen und psychotherapeutischen Maßnahmen könne durchaus zu einer Verbesserung der Symptomatik beigetragen.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen Dr. P. vom 19. Februar 2004 vorgelegt. Auffällig seien die völlig unterschiedlichen Angaben über die Einschränkung der aktiven Beweglichkeit des linken Schultergelenks. Die Ausführungen im Gutachten des Dr. L. bewiesen, dass die Persönlichkeitsstruktur des Versicherten zu der unfallunabhängigen reaktiven Depression geführt habe, die sich im Laufe der Jahre entwickelt habe.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Mai 2004). Der Kläger sei nicht durch einen Versicherungsfall behindert im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX. Die Folgen des Schulterblattbruchs, den er sich lediglich bei dem Wegeunfall vom 6. September 1999 zugezogen habe, machten keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich. Die Kammer folge dies aus dem Gutachten des Dr. K. vom 23. Oktober 2001, dessen Einschätzung bereits vor dem Hintergrund der Tatsache schlüssig sei, dass der Kläger am 19. Mai 2000 in der Lage gewesen sei, einen Stall auszumisten. Das Gutachten des Prof. Dr. H. (richtig Dr. L.) stütze das Klagebegehren nicht. Er sei auf seinem Fachgebiet von keinen wesentlichen Unfallfolgen mehr ausgegangen. Dr. Elze habe ihrer Beurteilung, wonach ein unfallursächliches Schmerzsyndrom vorliege, allein auf die Angaben des Klägers gestützt, wogegen Privatdozent Dr. S. in seinem Gutachten unter Berücksichtigung der Gutachten vom 10. November 2000 und 3. Juni 2002 in wünschenswerter Deutlichkeit darauf hingewiesen habe, dass der psychische Befund lediglich dahingehend auffällig gewesen sei, dass beim Kläger eine Fixierung auf die Beschwerden mit labiler Affektlage bestanden habe. Wenn wie von Privatdozent Dr. S. festgestellt, eine objektiv regelrechte kräftige Muskelausprägung des linken Schultergelenks und des linken Arms vorliege, liege beim Kläger zumindest kein unfallbedingtes Schmerzsyndrom vor, das ihn im Erwerbsleben benachteiligen könne.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 5. August 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. August 2004 Berufung eingelegt. Er hat auf das unfallchirurgische Gutachten des Privatdozent Dr. G. vom 6. September 2002 und das neurologische Gutachten des Privatdozent Dr. B. vom 8. Januar 2003 verwiesen, die für die private Unfallversicherung erstattet worden sind. Privatdozent Dr. G. hat als Unfallfolgen eine knöchern konsolidierte Skapulahalsfraktur links, eine geringgradige Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks und eine geringfügige Belastungsminderung des linken Arms bezeichnet mit einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit des linken Arms von derzeit 1/20. Privatdozent Dr. B. hat als Folge der Skapulafraktur ein chronifiziertes nozizeptives Schmerzsyndrom mit einer dauerhaften unfallbedingten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit 30% angenommen und keine bestehenden psychischen Störungen gefunden. Des Weiteren hat der Kläger den Abschlussbericht über ein vom 14. März 2005 bis 4. April 2005 durchgeführtes Heilverfahren vorgelegt, wonach die intensive Therapie zu einer Beschwerdelinderung und Funktionsverbesserung geführt habe, der Kläger leichte Arbeiten vollschichtig ausüben und die zuletzt berichtete Tätigkeit als Verkäufer mit diesem Leistungsbild korreliere.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Mai 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. H. hat auf Anforderung des Senats an seinen Praxisvorgänger gegangene Befundberichte aus den Jahren 1991 bis 1999 übersandt, in denen über Behandlungen des Klägers wegen Beschwerden im Bereich der Schulter berichtet wird (Schreiben vom 2. Juni 2005). Des Weiteren haben als sachverständige Zeugen der Arzt H. über eine Akupunkturbehandlung wegen der chronischen Schmerzen (Schreiben vom 28. Oktober 2005) sowie Dr. C. über die seit 6. September 1999 erfolgte Behandlung (Schreiben vom 1. Dezember 2005) berichtet.

Prof. Dr. L. hat das orthopädische Gutachten vom 26. Juli 2005 erstattet. Folge des Arbeitsunfalls sei ein in geringer Fehlstellung verheilter Bruch des Schulterblatthalses mit endgradiger aktiver Bewegungseinschränkung bei passiv freier Beweglichkeit der linken Schulter. Die auf orthopädischem Fachgebiet objektivierbaren strukturellen Veränderungen im Bereich der linken Schulter erklärten nicht die von dem Kläger seit 1999 permanent geklagten Schmerzen und die angegebene Gebrauchsbeeinträchtigung des linken Arms. Grundsätzlich sei bei der erheblichen Gewalteinwirkung auf die linke Schulter im Rahmen des Verletzungsereignisses auch an eine Schädigung des Armnervengeflechts zu denken. Dieses sei jedoch durch mehrere neurologische Untersuchungen zeitnah und im weiteren Heilverlauf ausgeschlossen worden. Es seien deshalb keine weiteren verletzungsbedingten Schäden im Bereich des Schultergürtels anzunehmen. Auf Grund der auf orthopädischem Fachgebiet objektivierbaren Unfallfolgen bestünden derzeit und in Zukunft keine relevanten Leistungseinschränkungen. Auf Grund der aktiv demonstrierten endgradigen Bewegungseinschränkung seien schwere körperliche Tätigkeiten nicht ausführbar, bei welchen längere Zeit über Kopfhöhe gearbeitet oder in dieser Position schwere Gegenstände gehalten werden müssten. Die MdE durch Unfallfolgen sei für sechs Wochen (bis zum 21. Oktober 1999) mit 100 vH, anschließend bis 6. Dezember 1999 mit 50 vH und anschließend bis zum 6. März 2000 mit 30 vH einzuschätzen. Der bei der Begutachtung am 7. August 2000 dokumentierte Befund bedinge eine MdE von unter 10 vH.

Prof. Dr. W. hat das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 21. März 2006 erstattet. Die inzwischen vorliegenden Unterlagen belegten eindeutig, dass bereits vor dem Unfallereignis erhebliche Beschwerden im Bereich der linken Schulter bestanden hätten, die in den Monaten vor dem Unfallereignis zu mehrfachen ärztlichen Vorstellungen führten, sodass von einer vorübergehenden Verschlechterung der vorbestehenden Schulterproblematik auszugehen sei. Die jetzt diagnostisch am ehesten als Panikattacken zu erkennenden Symptome stünden in einem ausgeprägten Missverhältnis zur Schwere des Unfallereignisses. Das Unfallereignis sei nur ein Baustein in der Entwicklung des geklagten Schmerzsyndroms, und nicht zuletzt seien auch bewusstseinsnahe Versorgungswünsche nicht von der Hand zu weisen. Entsprechend habe das Unfallereignis zwar ohne Frage zur Entwicklung der aktuellen Symptomatik beigetragen. Es sei jedoch nicht erkennbar, dass ihm gemäß den rechtlichen Vorgaben das Kriterium der "Wesentlichkeit" zukäme. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien keine in wesentlicher Weise durch den Arbeitsunfall verursachten Unfallfolgen zu erkennen. Der Diagnose eines nozizeptiven Schmerzsyndroms im Gutachten des Prof. Dr. B. könne er nicht folgen, ebenso wenig dem Gutachten der Dr. E., die von einer reaktiven mittelschweren Depression von Krankheitswert spreche. Er könne allerdings auch nicht ausschließen, dass eine solche vor zwei Jahren vorgelegen habe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des Sozialgerichts, die vom Senat beigezogene Unfallakte der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte und auch nach § 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. September 1999 hat der Kläger keinen Anspruch, dass die Beklagte ihm Leistungen auf Teilhabe am Arbeitsleben gewährt.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) - in der seit 1. Juli 2001 geltenden Fassung, die hier maßgeblich ist, da die angefochtenen Bescheide nach dem 1. Juli 2001 ergingen, haben Versicherte u.a. Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Leistungen erbringen die Unfallversicherungsträger nach § 35 Abs. 1 SGB VII nach den §§ 33 bis 38 SGB IX. Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden nach § 33 Abs. 1 SGB IX die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach § 33 Abs. 3 Nrn. 3 und 4 SGB IX umfassen diese Leistungen insbesondere berufliche Weiterbildung und Ausbildung. Die Verpflichtung der Beklagten, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, setzt voraus, dass solche Leistungen wegen der Folgen eines Versicherungsfalls - hier des Arbeitsunfalls vom 6. September 1999 - erforderlich sind. Dies ist nicht der Fall.

1. Der Kläger erlitt bei dem Arbeitsunfall eine Skapulahalsfraktur. Diese ist in leichter Fehlstellung verheilt. Die passive Beweglichkeit des linken Schultergelenks ist frei, die aktive Beweglichkeit ist endgradig eingeschränkt. Dies ergibt sich aus dem für den Senat überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L., das der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt. Dieses Gutachten steht in wesentlichen Punkten auch in Übereinstimmung mit den Ausführungen anderer Gutachten. Die Untersuchung durch Prof. Dr. K. für sein Gutachten vom 7. August 2000, das der Senat urkundenbeweislich verwertet, ergab eine nahezu seitengleiche freie Beweglichkeit der Schultergelenke für Spreiz- und Anführbewegung, ebenso für Streckung und Beugung. Dr. K. beschrieb in seinem Gutachten vom 23. Oktober 2001, das der Senat ebenfalls urkundenbeweislich verwertet, eine leichte Einschränkung der Beweglichkeit im linken Schultergelenk im Vergleich zu rechts. Auch das unfallchirurgische Gutachten des Privatdozent Dr. G. vom 6. September 2002, das dieser für die private Versicherung des Klägers erstattete und das der Senat als Parteivorbringen des Klägers berücksichtigt, bestätigt dies. Auch er beschreibt als Unfallfolgen eine knöchern konsolidierte Skapulahalsfraktur, eine posttraumatische geringgradige Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks und eine posttraumatische geringfügige Belastungsminderung des linken Arms.

Dass im Bereich des linken Schultergelenks keine erheblichen funktionellen Defizite bestehen, ergibt sich weiter daraus, dass alle Ärzte, die den Kläger gutachterlich untersucht haben, übereinstimmend beschrieben haben, dass die Umfangsmaße links von denen rechts nicht abweichen. Diese seitengleichen Umfangsmaße sprechen dafür, dass der Kläger den linken Arm einsetzt. Bei einer schmerzbedingten Schonhaltung wäre eine Umfangsminderung im Bereich der verletzten Schulter wegen des verminderten Gebraucheinsatzes des linken Arms zu erwarten. Dies findet seine Bestätigung darin, dass Dr. K. und Prof. Dr. W. bei ihren Untersuchungen eine seitengleiche, kräftig ausgebildete Handbeschwielung fanden. Diese Befunde hat Prof. Dr. W. in seinem Gutachten zu Recht als Widerspruch zum Ausmaß der geltend gemachten Beschwerden angesehen. Auch Privatdozent Dr. S., dessen Gutachten vom 23. August 2002 der Senat urkundenbeweislich verwertet, hat zu Recht auf das Ausmaß der geltend gemachten Beschwerden und der objektiv regelrecht kräftigen Muskelausprägung des linken Schultergürtels und des linken Arms verwiesen. Bei seiner körperlichen Untersuchung zeigte sich ein muskelkräftiger Proband, wobei die Umfangsmaße und die Ausprägung auch der Schultergürtelmuskulatur so waren, wie bei einem körperlich arbeitenden Linkshänder zu erwarten. Eine wesentliche Gebrauchsminderung des linken Arms kann anhand dieser Befunde nicht angenommen werden. Auch zeigte sich die Beweglichkeit des linken Schultergelenks frei, jedoch wurden endgradig Schmerzen angegeben.

Vor diesem Hintergrund ist das Gutachten des Dr. L. nicht überzeugend. Die von Dr. L. in seinem Gutachten beschriebenen Befunde erhob kein anderer Gutachten oder behandelnder Arzt. Hierauf hat Prof. Dr. L. in seinem Gutachten - und auch Dr. P. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 19. Februar 2004, die der Senat als Parteivorbringen der Beklagten berücksichtigt - hingewiesen und zu Recht dargelegt, dass die erhobenen Befunde nicht nachvollziehbar seien.

2. Weitere Unfallfolgen liegen nicht vor, insbesondere nicht Unfallfolgen auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet. Der Senat stützt sich insoweit auf das überzeugende Gutachten des Prof. Dr. W. und legt dieses seiner Entscheidung zu Grunde.

2.1. Hinsichtlich des neurologischen Gebiets besteht keine Schädigung von Nerven oder Nervenwurzeln, die die Schulter- und Oberarmmuskulatur versorgen. Prof. Dr. W. bestätigte, dass keine Nervenschädigung vorliegt, die zu einem neuropathischem Schmerzsyndrom hätte führen können. Bereits zuvor ergaben alle insoweit erfolgten neurologischen Untersuchungen einen regelrechten Befund. Auch Dr. E. und Privatdozent Dr. B., dessen neurologisches Gutachten vom 8. Januar 2003 der Senat als Parteivorbringen des Klägers berücksichtigt, konnten keinen pathologischen neurologischen Befund erheben bzw. fanden einen regelrechten neurologischen Befund.

2.2. Auch die Schmerzsymptomatik ist nicht als Folge des Arbeitsunfalls anzusehen, wie Prof. Dr. W. überzeugend darlegte. Im Gegensatz zu den vorangegangenen neurologischen und/oder psychiatrischen Gutachten standen Prof. Dr. W. Berichte über die Behandlung von Schulterbeschwerden, über die der Kläger klagte, aus der Zeit vor dem Arbeitsunfall vom 6. September 1999 zur Verfügung. Der behandelnde Unfallchirurg diagnostizierte eine Periarthritis humeroscapularis der linken Schulter (Bericht des Dr. F. vom 28. Juli 1999). Nach dem Bericht klagte der Kläger im Juli und August 1999 über Schmerzen der linken Schulter und am linken Schulterblatt, insbesondere bei Bewegungen. Die Beweglichkeit des linken Schultergelenks war frei. Dies waren im Wesentlichen die selben Beschwerden, über die der Kläger auch nach dem Arbeitsunfall am 6. September 1999 klagte. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Berichte hat Prof. Dr. W. überzeugend dargelegt, dass das Unfallereignis nur ein Baustein in der Entwicklung des Schmerzsyndroms ist. Prof. Dr. W. fand aufgrund seiner Untersuchung in psychischer Hinsicht Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers, ein einfach strukturierter, zum Katastrophisieren neigender Proband mit ausgeprägt "mechanistischem" Krankheitsverständnis und geringer Introspektionsfähigkeit in psychosomatische Zusammenhänge. Auf psychologische Auffälligkeiten des Persönlichkeitsprofils des Klägers wies auch bereits Dr. L. in seinem Gutachten vom 3. Juni 2002, das der Senat urkundenbeweislich verwertet, hin und sah darin Anhaltspunkte für die Erklärung der Schmerzaufrechterhaltung.

3. Die verbliebenen Unfallfolgen im Bereich des linken Schultergelenks führen zu keiner relevanten Leistungseinschränkung. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. L ... Seine Bestätigung findet dies im Abschlussbericht vom 15. April 2005 über das im Jahre 2005 auf Kosten des Rentenversicherungsträgers durchgeführte stationäre Rehabilitationsverfahren. Auch in diesem Bericht ist das Leistungsvermögen des Klägers für leichte Arbeiten vollschichtig angenommen worden und auch die jetzt ausgeübte Tätigkeit als Verkäufer als mit dem Leistungsvermögen übereinstimmend angesehen worden. Hiermit in Übereinstimmung steht, dass wesentliche Zeit der Arbeitsunfähigkeit in der seit 15. Februar 2003 ausgeübten Tätigkeiten nicht eingetreten sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved