L 21 B 1689/05 R ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 R 3912/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 B 1689/05 R ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
:
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Oktober 2005 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vor dem Sozialgericht Berlin zum Az.: S 19 R 3912/05 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 22. August 2005 angeordnet. 2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten, im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes gegen den monatlichen Einbehalt eines Teils seiner Altersrente.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 20. Juni 2003 eine Altersrente, die seit Rentenbeginn ab 1. August 2003 723,28 EUR beträgt.

Die Beigeladene hat gegen den Antragsteller aus dessen selbstständiger Tätigkeit eine Forderung aus geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zzgl. Säumniszuschlägen in Höhe von 24.699,01 EUR, hinsichtlich derer fruchtlose Vollstreckungsversuche unternommen worden sind.

Mit Schreiben vom 1. Juli 2005 wandte sich die Beigeladene mit einem Verrechungsersuchen/Ermächtigung zur Verrechnung nach § 52 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - an die Beklagte. Der Antragsteller schulde ihr Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 20.335,08 EUR zzgl. Säumniszuschlägen und Mahngebühren, Kosten, insgesamt 24.699,01 EUR. Telefonisch wurde mitgeteilt, dass es sich um rückständige Beträge aus einer selbstständigen Tätigkeit von März 1999 bis September 2001 handele.

Mit Schreiben vom 14. Juni 2005 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Verrechnung an und teilte mit, nach Mitteilung der Beigeladenen habe diese wegen geschuldeter Beitragsansprüche eine Forderung in Höhe von 24.699,01 EUR gegen ihn. Es sei beabsichtigt, gem. § 52 SGB I einen Betrag in Höhe von monatlich 361,64 EUR von der Rente einzubehalten und an die Beigeladene zur Tilgung der Forderung zu überweisen.

Mit Bescheid vom 5. August 2005 verfügte die Antragsgegnerin die Verrechnung der von der Beigeladenen geltend gemachten Forderungen gegen die bewilligte Altersrente und kündigte an, die Rentenleistung ab 1. November 2005 um monatlich 361,64 EUR zu mindern.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem der Antragsteller die Einhaltung der Freigrenzen nach der Zivilprozessordnung – ZPO – begehrt hatte, wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. August 2005 zurück.

Bereits am 11. August 2005 hat sich der Antragsteller mit dem Antrag an das Sozialgericht Berlin gewandt, der Antragsgegnerin mitzuteilen, dass bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts seine Rente in der bisherigen Höhe weitergezahlt werde. Ihm sei bekannt, dass es einen "pfändungsfreien Anspruch" gäbe. Da er "Schwerbehindertenrente" beziehe, sei eine Halbierung seiner Rente unterhalb der pfändungsfreien Grenze beantragt worden. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert.

Der Antragsteller hat vorgetragen, dass er Aufwendungen für Miete in Höhe einer Kaltmiete von 301,60 EUR brutto, für Strom 46,00 EUR, Wasser 26,00 EUR, Telefon 48,00 EUR, Medikamente 80,00 EUR und für Kohlen/Holz in Höhe von 60,00 EUR, insgesamt in Höhe von 561,60 EUR habe.

Mit Beschluss vom 5. Oktober 2005 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen. Es hat den Antrag des Antragstellers dahin ausgelegt, dass beantragt worden sei, eine einstweilige Anordnung zu erlassen. Hierfür sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Zwar sei dem Antragsteller ein Anspruch auf Auszahlung eines monatlichen Einzelleistungsanspruchs in Höhe von 723,28 EUR entstanden, dieser sei jedoch in Höhe von 361,64 EUR durch Verrechnung erloschen. Zu Recht berufe sich die Antragsgegnerin dabei auf § 52 SGB I. Der Antragsteller habe weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, dass durch die Verrechnung Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – SGB XII – eintrete.

Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller u. a. die Rechtswidrigkeit der Kürzung der Rente geltend. Er hat u. a. eine Mitteilung der Antragsgegnerin vom 10. Oktober 2005 zur monatlichen Auszahlung der Rente in Höhe von 361,64 EUR ab 1. November 2005 und eine Kopie eines Mietvertrages vom 1. März 2005 zur Gerichtsakte gereicht.

Der Antragsteller beantragt im Beschwerdeverfahren sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Oktober 2005 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage (SG Berlin, Az.: S 19 R 3912/05) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2005 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Antragsteller habe einen sozialhilferechtlichen Bedarf nicht glaubhaft gemacht.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 5. Oktober 2005 ist zulässig. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren eine Normenkontrollklage erhoben und Feststellungsanträge gestellt hat, ist der Senat davon ausgegangen, dass diese Anträge im Hauptsacheverfahren beim Sozialgericht unter dem Az.: S 19 R 3912/05 bereits gestellt worden sind und sich der Vortrag mit weiteren Anträgen darauf bezogen hat.

Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgewiesen. Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 05. August 2005.

Statthafte Antragsart im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist vorliegend der Antrag auf An-ordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -, weil der Antragsteller im Hauptsacheverfahren sein Begehren zulässig mit der Anfechtungsklage verfolgt. Mit dem Bescheid vom 05. August 2005 hat die Antragsgegnerin die dem Antragsteller gewährte Altersrente ab 1. November 2005 herabgesetzt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Stammrecht auf Gewährung einer Altersrente von der Entscheidung der Antragsgegnerin nicht berührt wird. Der monatliche (Aus-)Zahlungsanspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin ist durch den Bescheid der Antragsgegnerin (neu)geregelt worden. Die Antragsgegnerin wollte einen Verwaltungsakt zur Regelung des Zahlungsanspruchs nach der Verrechnung mit der Forderung der Beigeladenen erlassen und hat dies auch mit der Entscheidung vom 5. August 2005 getan. Gegen diese Kürzung seiner monatlichen Rentenbezüge hat der Antragsteller in der Hauptsache in zulässiger Weise eine Anfechtungsklage erhoben.

Die erhobene Anfechtungsklage hat auch keine aufschiebende Wirkung, weil durch den angefochtenen Bescheid eine laufende Leistung herabgesetzt wird (§ 86 a Abs. 3 Nr. 3 SGG). Die Herabsetzung im Sinne dieser Vorschrift erfasst nicht nur einen Eingriff in das Stammrecht auf wiederkehrende Leistungen, sondern auch die Regelung nur einzelner Ansprüche aus dem Stammrecht.

Der Antrag ist auch begründet.

Die aufschiebende Wirkung ist dann anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen und die Anfechtungsklage in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, hier des Beschwerdegerichts.

Danach dürfte der in der Hauptsache angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen, so dass seine Anfechtungsklage in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird.

Rechtsgrundlage für die von dem Antragsgegner vorgenommen Verrechnung ist § 52 SGB I. Danach kann der für die Geldleistung zuständige Leistungsträger (hier die Antragsgegnerin für die Altersrente) mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen; die Höhe der zulässigen Verrechnung regelt sich nach § 51 SGB I.

Zu Recht hat die Antragsgegnerin über die Durchführung der Verrechnung mit Verwaltungsakt entschieden. Die Verrechnung nach § 52 SGB I erfolgt durch Verwaltungsakt nach § 31 SGB X (h.M.: BSG, Urteil vom 25. 03. 1982, Az.: 10 RKG 2/81, BSGE 53, 208, 209; Urteil v. 26. 09.1991, Aktenzeichen: 4/1 RA 33/90, BSGE 69, 238 – 247; Urteil v. 18.02.1992, Az.: 13/5 RJ 61/90, Soz R 3-1200, § 52 Nr. 1; offen gelassen: BSG, Urteil v. 10. 05. 2003, Az.: B 5 RJ 18/03 R mit weiteren Nw. zur h.M.; Seewald in: Kasseler Kommentar, Sozial-versicherungsrecht, § 52 SGB I, Anm. 13; Hauck in: Hauck/Haines Sozialgesetzbuch SGB I, K § 52 Anm. 4; Lilge in: Gemeinschaftskommentar SGB I, § 52 SGB, Nr. 5; a.A. BSG, Urteil v. 24. 07. 2003, Az.: B 4 RA 60/02 R, zitiert nach juris, zu einer Verrechnung mit einer Rentennachzahlung; Klose in: Jahn, SGB I, § 52, Anmerkung 12).

§ 52 SGB I ermächtigt als besonderes Rechtsinstitut (BSG, Urteil v. 18.02. 1992, Az.: 10/5 RJ 61/90, a. a. O.) den ersuchten Leistungsträger in eigener Verantwortung zu einem Eingriff in einen laufenden, aus einem Stammrecht geschuldeten Sozialleistungsbezug. Die Entscheidung unterliegt der richterlichen Nachprüfung (Hauck, a. a. O.). Während die Aufrechnung nach § 51 SGB I eine Entsprechung im Zivilrecht (§ 387 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) hat und deshalb wohl auch vertreten wird, die Aufrechnungserklärung einer Behörde stelle die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts dar und sei eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung, die nicht durch Verwaltungsakt erfolge (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, Aktenzeichen: B 4 RA 60/02 R, zitiert nach juris; Seewald a. a. O., § 51 SGB I, Anm. 51; a.A.: BSG, Urteil v. 25. 03.1982, Az.: 10 RKG 2/81, a. a. O.; Urteil v. 18. 02. 1992 Az.: 13/5 RJ 61/90, a. a. O.; Hauck, a. a. O., K § 51, Anm. 3, 5), fehlt es für die Verrechnung nach § 52 SGB I an einem zivilrechten Äquivalent. Der Leistungsträger wird jedenfalls bei der Verrechnung nach § 52 SGB I, weil dem Leistungsberechtigten eine Forderung aus einem anderen Sozialleistungsverhältnis entgegengehalten wird, auf der Grundlage einer eigenständigen Befugnis tätig. Er handelt hoheitlich zur Regelung der Höhe der Leistung auf der Grundlage des § 52 SGB I, einer Norm des öffentlichen Rechts (§ 31 SGB X). Da die Verrechnung einen Eingriff in den Leistungsanspruch des Berechtigen darstellt, ist dieser auch vorher nach § 24 SGB X anzuhören (Seewald, a. a. O. § 52 SGB I, Anm. 14; Hauck, a. a. O., K § 52, Anm. 4), wie dies die Antragsgegnerin auch getan hat.

Unabhängig davon, ob die weiteren Voraussetzungen für eine Verrechnung vorliegen, (Verrechnungslage, Verrechnungserklärung) ist die vorgenommene Verrechnung jedenfalls in ihrem Umfang nicht zulässig. Hinsichtlich der zulässigen Höhe der Verrechnung verweist § 52 SGB I auf § 51 SGB I. Da der Antragsgegner mit Beitragsansprüchen der Beigeladenen verrechnet, ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass nicht die Pfändungs-grenzen nach der ZPO über §§ 51 Abs. 1, 54 SGB I für die Belastungsgrenze des Antragstellers maßgebend sind.

Nach § 51 Abs. 2 SGB I können Beitragsansprüche mit Ansprüchen auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufgerechnet werden, soweit der Leistungsberechtigte hierdurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetztes - BSHG -, seit dem 01. Januar 2005 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - SGB XII -, wird. Diese Belastungsgrenze wird durch die Entscheidung der Beklagten nicht eingehalten. Mit dem in der Hauptsache angefochtenen Bescheid verbleibt dem Antragsteller nur noch ein monatlicher Betrag nach Verrechnung in Höhe von 361,64 EUR.

Hierdurch wird der Antragsteller sozialhilfedürftig. Der Bedarf des Antragstellers richtet sich nach § 28 SGB XII und der Regelsatzverordnung. Im Land Brandenburg beträgt der monatliche Regelbedarf 331,00 EUR. Zum notwendigen Lebensunterhalt zählen ferner die Kosten für die Unterkunft. Nach dem vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren eingereichten Mietvertrag vom 01. März 2005 beträgt die monatliche Miete des Antragstellers 301,60 EUR. Damit besteht ein sozialhilferechtlicher Bedarf in Höhe von 632,60 EUR, der durch die von der Antragsgegnerin nach verfügter Verrechnung ausgezahlte Rentenleistung nicht gedeckt ist. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller über (weiteres) Einkommen oder Vermögen verfügt; aus den Protokollen über die Pfändungsversuche der Beigeladenen ergibt sich dies jedenfalls nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Da der Antragsteller trotz Aufforderung in dem sozialgerichtlichen Verfahren und auch nicht im Rahmen der Anhörung der Antragsgegnerin im Verwaltungsverfahren Belege über seine Wohnkosten eingereicht hat und damit sein sozialhilferechtlicher Bedarf erst im Beschwerde-verfahren berechnet werden konnte, waren außergerichtliche Kosten für das sozialgerichtliche Verfahren nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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