L 13 R 1451/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 2799/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1451/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. März 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1945 geborene Kläger war zuletzt von Februar 1984 bis August 1992 als ungelernter Metallarbeiter bei der S. AG beschäftigt. Anschließend blieb er durchgängig - seit Januar 1995 ohne Leistungsbezug - arbeitslos gemeldet. Ein erster Rentenantrag vom Mai 1994 blieb ohne Erfolg, da leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten überwiegend im Sitzen oder in wechselnder Körperhaltung als möglich erachtet wurden (Bescheid vom 20. September 1994, Widerspruchsbescheid vom 4. September 1995 nach Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Sonnhalde D. vom 7. Juni bis 4. Juli 1995, rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. Dezember 1996 - S 8 J 2917/95 - auf der Grundlage eines internistischen Gutachtens Dr. L. vom 16. September 1996 und orthopädischen Gutachtens Dr. Sch. vom 5. November 1996).

Im November 2000 beantragte der Kläger wiederum Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Arzt für Allgemeinmedizin (Sozialmedizin/Sportarzt) Dr. H. von der ärztlichen Dienststelle der damaligen Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg in Karlsruhe erstattete das Gutachten vom 3. April 2001, in welchem er den Kläger in Kenntnis von Befundberichten der behandelnden Ärzte weiterhin für leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig einsatzfähig hielt. Es erging der ablehnende Bescheid vom 17. April 2001 und ohne erneute medizinische Ermittlungen der Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2001.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht zunächst die behandelnden Ärzte als Sachverständige Zeugen gehört. Arzt für Orthopädie Dr. H. hat (Aussage vom 28. November 2001) wegen einer komplexen Vorfußdeformität beiderseits Tätigkeiten überwiegend im Stehen und Laufen als ungünstig erachtet, sich jedoch im übrigen der Wertung des Gutachters Dr. H. angeschlossen. Urologe Dr. Sch. hat in der Aussage vom 10. Dezember 2001 für sein Fachgebiet wesentliche Leistungseinschränkungen verneint. Auch Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. I. hat in der Aussage vom 15. Januar 2002 keine wesentlichen Beschwerden genannt. Schließlich hat Arzt für Innere Medizin S. in der Aussage vom 27. Januar 2002 über Behandlungstermine wegen unterschiedlicher Beschwerden berichtet. Sodann hat das Sozialgericht auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde sowie Arbeitsmedizin Dr. P. vom Institut für Arbeits- und Sozialhygiene in K. vom 16. Juli 2002 (Untersuchung am selben Tag) eingeholt. Dieser hat genannt ein beidseitiges Schulter-Arm-Syndrom mit Verschleißerscheinungen der Gelenke, Wirbelsäulenveränderungen, Vorfußdeformität, auf internistischem Gebiet erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes mellitus Typ II b, leichtgradige Leberverfettung sowie Nierensteindiathese ohne aktuellen Hinweis auf Rezidiv. Zu vermeiden seien Arbeiten in Zwangshaltung, mit häufigem Bücken oder Überkopfarbeiten, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sowie stärkere Einwirkungen von Kälte, Nässe und Zugluft. Im übrigen seien leichte Arbeiten bei uneingeschränkter Gehstrecke vollschichtig möglich. Von den Darlegungen der behandelnden Ärzte sei nicht abzuweichen. Der Kläger hat sich zum Gutachtensergebnis nicht geäußert. Durch Gerichtsbescheid vom 8. März 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist dem Gutachten Dr. P. gefolgt. Auf die Entscheidungsgründe wird im übrigen Bezug genommen.

Gegen den am 14. März 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. April 2003 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er im wesentlichen vorgebracht, das erhobene Gutachten sei dahingehend nicht überzeugend, dass die Summenwirkung der Einzelbeeinträchtigungen nicht gewürdigt werde. Dies müsse durch ein Obergutachten bestätigt werden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. März 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2001 zu verurteilen, ihm vom 1. November 2000 bis 31. August 2005 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähig- keit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide weiterhin für zutreffend.

Der Kläger ist darauf hingewiesen worden (richterliche Schreiben vom 7. Juli und 9. September 2005), dass weitere medizinische Ermittlungen nicht beabsichtigt seien. Er hat daraufhin Altersrente für schwerbehinderte Menschen beantragt, die durch Bescheid vom 18. Mai 2006 ab 1. September 2005 bewilligt worden ist; die Rente wird wegen der Vertrauensschutzregelung des § 236a Satz 3 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ohne Abschlag gezahlt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten (Versicherungsnummer:) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache nicht begründet. Es besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- oder Berufunfähigkeit.

Maßgeblich für die erhobenen Rentenansprüche sind noch die Bestimmungen des SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, nachdem der Rentenantrag im November 2000 gestellt worden ist und sich auf Leistungen noch für dieses Jahr bezieht (vgl. § 300 Abs. 2, § 302 b Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827). Versicherte haben hiernach gemäß § 44 Abs. 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rentenart sowie die allgemeine Wartezeit erfüllt haben und erwerbsunfähig sind. Entsprechende Regelungen gelten in § 43 Abs. 1 SGB VI für die Rente wegen Berufsunfähigkeit. Die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) ist hier ebenso erfüllt wie die Drei-Fünftel-Belegung mit Pflichtbeiträgen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 305 SGB VI). Nach § 43 Abs. 2 Satz 4, § 44 Abs. 2 Satz Nr. 2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1996, BGBl. I S. 659 ist bei vollschichtigem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. Bundessozialgericht - BSG - BSGE 78, 207, 212; Großer Senat BSGE 89, 24 ff.).

Berufsschutz im Sinne der Vorschriften über Berufsunfähigkeit steht dem Kläger nicht zu. Ein solcher kommt regelmäßig erst in Betracht, wenn zuletzt eine Beschäftigung mit einer erforderlichen Anlernzeit von über 12 Monaten ausgeübt worden ist (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Eine solche Anlernzeit hat der Kläger nicht durchlaufen; er ist mithin auf alle ungelernten Tätigkeiten des Arbeitsmarktes verweisbar. Solche kann er aus den im Folgenden darzulegenden Gründen noch vollschichtig verrichten.

Der Kläger leidet an einer Reihe gesundheitlicher Einschränkungen. Diese haben jedoch im streitigen Zeitraum weder als einzelne noch in ihrer Zusammenschau die vollschichtige Ausübung leichter Arbeiten in Sitzen oder im wechselnder Körperhaltung ohne überwiegendes Gehen und Stehen gehindert. Grundlage für diese Einschätzung ist das Gutachten des Internisten und Arbeitsmediziners Dr. P. vom 16. Juli 2002. Der Sachverständige hat nach eigener Untersuchung des Klägers und in Auseinandersetzung mit den Bekundungen der behandelnden Ärzte eine weitergehende Leistungseinschränkung verneint. Dies hält der Senat für den hier noch streitigen Zeitraum bis August 2005 (anschließend Bezug von Altersrente) nach wie vor für zutreffend. Es besteht ein beidseitiges Schulter-Arm-Syndrom mit Gelenkveränderungen; hinzu kommen Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit wiederkehrenden Rückenbeschwerden. Insoweit stimmt der Sachverständige mit der Einschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 28. November 2001 überein, wobei wegen der Vorfußdeformitäten überwiegendes Gehen und Stehen zu vermeiden ist. Wesentliche Verschlimmerungen im hier noch streitigen Zeitraum oder neue Erkenntnisse behandelnder Ärzte sind auch auf Nachfrage nicht vorgetragen worden. Auf internistischem Gebiet bestehen nach der Darlegung des Sachverständigen lediglich Risikofaktoren, nämlich erhöhte Cholesterinwerte, ein diätpflichtiger Diabetes mellitus Typ II, ein leichtes Übergewicht und eine leichtgradige Leberverfettung. Dies sind, was der für das internistische Fachgebiet kompetente Sachverständige Dr. P. so gesehen hat, offenkundig keine Störungen, die eine leichte Erwerbstätigkeit ausschließen. Der Sachverständige befindet sich insoweit in Übereinstimmung mit dem behandelnden Internisten S. (Aussage vom 27. Januar 2002). Ebenfalls unwesentlich ist ein Zustand nach Entfernung von Nierensteinen. Die Einschätzung des Sachverständigen, Arbeiten ohne Zwangshaltung, häufiges Bücken oder Überkopfarbeit, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg und wesentlichen Einfluss von Kälte- Nässe und Zugluft seien vollschichtig möglich, bleibt überzeugend.

Ein erneutes Gutachten, wie in der Berufungsschrift angeregt, brauchte nicht eingeholt zu werden. Bei dem vom Kläger selbst nach § 109 SGG gewählten Sachverständigen Dr. P. handelt es sich um einen Arbeitsmediziner, also einen Arzt des Fachgebiets, dessen Vertreter typischerweise zu einer integrierenden Bewertung der auf verschiedenen medizinischen Gebieten bestehenden Störungen gefordert sind. Dass der Sachverständige dieser Forderung nicht überzeugend nachgekommen wäre, hat der Kläger nicht schlüssig zu begründen vermocht. Für eine sich aus der Kombination der gesundheitlichen Einschränkungen ergebende zeitliche Minderung der Leistungsfähigkeit bestehen keine Anhaltspunkte. In diesem Zusammenhang ist auch der Ausnahmefall einer Summierung von Leistungseinschränkungen, die zur Benennung einer konkreten Tätigkeit veranlassen müssten, nicht gegeben.

Auch das ab 1. Januar 2001 geltende Recht (§ 43 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2000) vermag, soweit die Zeit ab Januar 2001 betroffen ist, das Begehren nicht zu stützen, nachdem durch die Rechtsänderung der Zugang zu den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erschwert worden ist; § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in dieser Fassung schließt teilweise Erwerbsminderung bereits bei täglicher Leistungsfähigkeit für sechs Stunden aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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