Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 19 RJ 351/99
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 6 RJ 24/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Altersrente unter Berücksichtigung von Zeiten im Ghetto.
Der Kläger ist am XX.XXXXX 1928 in P. (Polen) geboren und jüdischen Glaubens. Er lebt heute in England und ist britischer Staatsangehöriger.
Der Kläger stellte mit Schreiben vom 14. Oktober 1997 – eingegangen bei der Beklagten am 3. November 1997 – unter Hinweis auf die Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Antrag auf Altersrente. Er machte geltend, dass er mit 14 Jahren verhaftet und 1942 in eine Glasfabrik in Piotrkow-Tribunalsky gebracht worden sei, wo er bis 1943 gearbeitet habe. 1943/44 sei er in einer Holzfabrik (Bugi) und danach in Schlieben und Buchenwald in einer Munitionsfabrik und einem Steinbruch eingesetzt worden. Ihm sei ein wöchentlicher Lohn gezahlt, wenn auch nicht überreicht worden. Die zuvor abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge seien den staatlichen Versicherungsanstalten zugeflossen.
Aus der beigezogenen Entschädigungsakte ergab sich, dass der Kläger in einer schriftlichen Erklärung vom 21. Mai 1955 angegeben hatte, seine Familie habe wenige Monate nach Kriegsausbruch in das Ghetto Piotrkow übersiedeln müssen. Von dort sei er zur Zwangsarbeit in der Glasfabrik "Hortensia" herangezogen worden. Ab Ende 1942 habe er in dem bei der Glasfabrik eingerichteten Zwangsarbeitslager bleiben müssen. Wenige Wochen später sei er in das in Piotrkow-Bugaj gelegene Arbeitslager einer Holzfabrik verlegt worden. Etwa ein Jahr später sei er nach Buchenwald gebracht und kurze Zeit später dem Kommando Schlieben überwiesen worden. Im April 1945 sei er schließlich nach Theresienstadt gekommen. Mit Bescheid vom 4. Mai 1956 wurde dem Kläger wegen Freiheitsentziehung durch Zwangsaufenthalt in Piotrkow-Bugaj, Buchenwald, Schlieben, Theresienstadt eine Entschädigung nach dem BEG zuerkannt. Mit Bescheid vom 11. April 1960 wurden ihm eine monatliche Rente wegen Körper- bzw. Gesundheitsschäden gewährt.
Mit Bescheid vom 25. Mai 1998 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Versichertenrente ab. Der Kläger habe bis zum 8. Mai 1945 nicht in einem rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Er habe eigenen Angaben zufolge vielmehr Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen verrichtet. Entsprechend sei für die jüdische Bevölkerung im Generalgouvernement die Zwangsarbeit ohne Entlohnung ausdrücklich geregelt gewesen. Jedenfalls könnten Beitragszeiten weder nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch nach dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigt werden, weil Piotrkow im Generalgouvernement gelegen habe und nicht in das Deutsche Reich eingegliedert worden sei und es an den sachlichen und persönlichen Voraussetzungen des FRG und des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) fehle.
Gegen diesen am 25. Juli 1998 zugegangenen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 6. August 1998, eingegangen bei der Beklagten am 12. August 1998, Widerspruch ein. Er bezog sich vor allem auf ein Gutachten von A. B ... Wegen der Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben verwiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Tätigkeiten des Klägers seien als Zwangsarbeit anzusehen, er habe auch keinen Barlohnbezug behauptet.
Dagegen hat der Kläger am 31. März 1999 Klage erhoben. Das Gutachten B. dokumentiere, dass die jüdischen Arbeiter einen wöchentlichen Lohn erhalten hätten. Davon seien Invalidenversicherung und Steuer abgeführt worden. So ergebe es sich auch aus einem Schreiben des Reichsministers für Finanzen vom 30. Mai 1942 und einem entsprechenden Befehl von H. Himmler und Dr. Fraundorfer. Der restliche Lohn sei den jüdischen Arbeitern jedoch nicht ausgezahlt worden.
In der vom Sozialgericht beigezogenen Entschädigungsakte der Bezirksregierung Düsseldorf findet sich ein Bericht des Arztes Dr. G. vom 11. August 2000. Danach gab der Kläger hinsichtlich seiner Familie u.a. an, dass seine Eltern Juden und polnische Staatsangehörige gewesen seien. Der Großvater väterlicherseits sei deutscher Jude gewesen, dadurch sei gelegentlich zu Hause deutsch gesprochen worden; er hätte zumindest ein paar rudimentäre Deutschkenntnisse gehabt. Die Familie der Mutter habe aus Russland gestammt. Mit Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Rentenrechtliche Zeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung seien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Es sei nicht zu erkennen, dass der Kläger in einem sog. "Ghetto-Arbeitsverhältnis" gestanden habe und für seine Arbeitsleistung tatsächlich Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden seien. Seine Arbeit sei vielmehr als Zwangsarbeit zu werten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.
Der Kläger hat am 30. Januar 2003 gegen den am 21. November 2002 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt. Er macht geltend: Unter der Herrschaft von Gestapo und Wehrmacht habe niemand wagen können, die befohlene Arbeitsstelle nicht anzutreten und auszufüllen. Insofern seien alle Zwangsarbeiter gewesen. Die Arbeit sei bezahlt worden, das zeige auch die Anordnung von Dr. Frauendorfer. Für die jüdischen Arbeiter hätten die Aufseher die Lohntüten erhalten; Steuer und Invalidenversicherung seien zuvor abgezogen und an das zuständige Amt überwiesen worden.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2002 den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Versichertenrente nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Sachakten der Beklagten und die Entschädigungsakte 3 W 647 B der Bezirksregierung Düsseldorf, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Rechtsgrundlage des Begehrens ist § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die Voraussetzungen des § 300 Abs. 2 SGB VI, der auf die RVO verweist, sind erkennbar nicht gegeben.
§ 35 SGB VI setzt die Vollendung des 65. Lebensjahres und die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voraus. Der Kläger ist 1928 geboren und hat das 65. Lebensjahr bereits 1993 vollendet. Die allgemeine Wartezeit beträgt nach § 50 Abs. 1 SGB VI fünf Jahre. Auch wenn nach der Verordnung des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern – EG-VO 1408/71 –, deutsche und britische Versicherungszeiten zusammengerechnet werden können, bleibt nach Art. 48 Abs. 1 der Verordnung eine Versicherungszeit von mindestens zwölf Monaten in der deutschen Rentenversicherung erforderlich. Daran fehlt es. Ebenso wenig kommt dem Kläger die Erleichterung des § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) zugute, wonach bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf Rente auch besteht, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorhanden ist.
Nach § 51 Abs. 1 und 4 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Ob die Voraussetzungen für Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vorliegen, kann offen bleiben; Ersatzzeiten können nämlich nur "Versicherte" erwerben, was wiederum den Nachweis einer Beitragszeit verlangt (BSG, Urt. v. 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -, BSGE 93 S. 214, 216; Schmidt, in: Kreikebohm, 2. Aufl. 2003, § 250 Rn. 6).
Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Pflichtbeitragszeiten auch solche Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Nach § 247 Abs. 3 SGB VI sind Beitragszeiten auch Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.
Bundesrecht galt offensichtlich nicht. Als polnischer Staatsangehöriger jüdischer Abstammung war der Kläger im Generalgouvernement jedoch auch nicht von den Reichsversicherungsgesetzen erfasst. Für ihn galten vielmehr weiterhin die polnischen Sozialversicherungsgesetze (vgl. BSG, Urt. v. 8.9.2005, - B 13 RJ 20/05 R -, juris; Urt. v. 7.10.2004, a.a.O. S. 217; BSG, Urt. v. 23.8.2001, - B 13 RJ 59/00 R -, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17, S. 67 f.), so dass die Vorschrift des § 247 Abs. 3 SGB VI nicht greift.
Auch kommt eine Berücksichtigung von Versicherungszeiten nach §§ 15 f. FRG nicht in Betracht. Der Kläger gehört nämlich nicht zu dem nach § 1 FRG begünstigten Personenkreis, er ist weder anerkannter Vertriebener oder Spätaussiedler noch Deutscher oder heimatloser Ausländer. Auch steht er den anerkannten Vertriebenen nicht nach § 20 WGSVG gleich, denn er hat zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes offensichtlich nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört (vgl. § 20 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz WGSVG). Das setzt nämlich vor allem den zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Bereich voraus (vgl. BSG, Urt. v. 26.9.1991, - 4 RA 89/90 -, SozR 3-5070 § 20 Nr. 2 S. 9 f.). Aus der Akte ergibt sich jedoch, dass der Kläger lediglich rudimentäre deutsche Sprachkenntnisse besaß. Schon aus dem gleichen Grund kommt eine Anwendbarkeit der §§ 15 f. FRG über § 17a FRG nicht in Betracht. Insoweit kann hier offen bleiben, ob überhaupt Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind bzw. ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung, die unter anderem Freiwilligkeit voraussetzt, vorgelegen hat.
Schließlich kann sich der Kläger für seinen Rentenanspruch nicht auf das ZRBG berufen.
Es kann letztlich offen bleiben, ob dies bereits deshalb gilt, weil auch das ZRBG die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis voraussetzt (so LSG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.2006, - L 4 RJ 113/04 -, juris; nicht rechtskräftig). Dafür spricht zunächst die Regelung des § 1 Abs. 2 ZRBG, nach der das ZRBG lediglich das WGSVG ergänzt. Letzteres verlangt durchaus die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Auch lässt die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 14/8583 S. 1, 6; BT-Drs. 14/8602 S. 1, 5) erkennen, dass es nicht um eine Erweiterung des Kreises der Berechtigten gehen sollte, sondern um die Zahlbarmachung von erworbenen Ansprüchen. Das wird bereits aus der Beschreibung der Problemstellung des Gesetzentwurfs deutlich. Danach soll das Gesetz das Problem lösen, dass die von der Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begünstigten ehemaligen Ghettobewohner sich gewöhnlich im Ausland aufhalten. Die auf einer Beschäftigung im Ghetto beruhende Rente könne vielfach aus auslandsrentenrechtlichen Gründen nicht gezahlt werden, insbesondere weil Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht im erforderlichen Umfang vorlägen (BT-Drs. 14/8583 u. 8602 S. 1). Entsprechend sieht das BSG den Zweck des Gesetzes darin, den Zustand zu beseitigen, dass trotz Vorliegens versicherungspflichtiger Ghettoarbeitszeiten ein hieraus resultierender Rentenanspruch nicht in das Ausland zahlbar war (BSG, Urt. v. 7.10.2004, a.a.O., S. 225).
Jedenfalls fehlt es an den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a und b ZRBG, wonach die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen und gegen Entgelt ausgeübt worden sein muss.
Es ist bereits zweifelhaft, inwieweit der Kläger angesichts seines damaligen Alters überhaupt eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss hätte eingehen können. Vor allem aber hat er in der Berufungsbegründung deutlich gemacht, dass er Zwangsarbeit zu leisten hatte: Niemand habe es wagen können, die befohlene Arbeitsstelle nicht anzutreten; er habe sich den Maßnahmen und Befehlen fügen müssen. Dem entspricht die Erklärung im Entschädigungsverfahren, nach der er zur "Zwangsarbeit" in der Glasfabrik Hortensia herangezogen wurde. Auch Herr S. G. hat im Entschädigungsverfahren am 3. Januar 1956 erklärt, der Kläger habe in der Glasfabrik Zwangsarbeit geleistet. Der Kläger hat an keiner Stelle vorgetragen oder auch nur angedeutet, im Rahmen der für alle Juden in dem Ghetto bestehenden Zwänge aus freiem Willensentschluss ein Arbeitsverhältnis eingegangen zu sein. Nach Verlassen des Ghettos hat er sich in Zwangsarbeitslagern aufhalten müssen, so dass eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss von vornherein nicht in Betracht kommt.
Außerdem hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, für seine Tätigkeit ein Entgelt erhalten zu haben. Im Gegenteil hat er erklärt, er habe keinen Lohn erhalten. Dass der Arbeitgeber dennoch Gehalt gezahlt und auch Sozialabgaben abgeführt haben soll, stützt der Kläger auf ein Gutachten und einige allgemeine Schreiben und Befehle zur Entgeltfrage. Das kann aber notwendige Darlegungen seines eigenen Falles nicht ersetzen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Altersrente unter Berücksichtigung von Zeiten im Ghetto.
Der Kläger ist am XX.XXXXX 1928 in P. (Polen) geboren und jüdischen Glaubens. Er lebt heute in England und ist britischer Staatsangehöriger.
Der Kläger stellte mit Schreiben vom 14. Oktober 1997 – eingegangen bei der Beklagten am 3. November 1997 – unter Hinweis auf die Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Antrag auf Altersrente. Er machte geltend, dass er mit 14 Jahren verhaftet und 1942 in eine Glasfabrik in Piotrkow-Tribunalsky gebracht worden sei, wo er bis 1943 gearbeitet habe. 1943/44 sei er in einer Holzfabrik (Bugi) und danach in Schlieben und Buchenwald in einer Munitionsfabrik und einem Steinbruch eingesetzt worden. Ihm sei ein wöchentlicher Lohn gezahlt, wenn auch nicht überreicht worden. Die zuvor abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge seien den staatlichen Versicherungsanstalten zugeflossen.
Aus der beigezogenen Entschädigungsakte ergab sich, dass der Kläger in einer schriftlichen Erklärung vom 21. Mai 1955 angegeben hatte, seine Familie habe wenige Monate nach Kriegsausbruch in das Ghetto Piotrkow übersiedeln müssen. Von dort sei er zur Zwangsarbeit in der Glasfabrik "Hortensia" herangezogen worden. Ab Ende 1942 habe er in dem bei der Glasfabrik eingerichteten Zwangsarbeitslager bleiben müssen. Wenige Wochen später sei er in das in Piotrkow-Bugaj gelegene Arbeitslager einer Holzfabrik verlegt worden. Etwa ein Jahr später sei er nach Buchenwald gebracht und kurze Zeit später dem Kommando Schlieben überwiesen worden. Im April 1945 sei er schließlich nach Theresienstadt gekommen. Mit Bescheid vom 4. Mai 1956 wurde dem Kläger wegen Freiheitsentziehung durch Zwangsaufenthalt in Piotrkow-Bugaj, Buchenwald, Schlieben, Theresienstadt eine Entschädigung nach dem BEG zuerkannt. Mit Bescheid vom 11. April 1960 wurden ihm eine monatliche Rente wegen Körper- bzw. Gesundheitsschäden gewährt.
Mit Bescheid vom 25. Mai 1998 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Versichertenrente ab. Der Kläger habe bis zum 8. Mai 1945 nicht in einem rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Er habe eigenen Angaben zufolge vielmehr Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen verrichtet. Entsprechend sei für die jüdische Bevölkerung im Generalgouvernement die Zwangsarbeit ohne Entlohnung ausdrücklich geregelt gewesen. Jedenfalls könnten Beitragszeiten weder nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch nach dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigt werden, weil Piotrkow im Generalgouvernement gelegen habe und nicht in das Deutsche Reich eingegliedert worden sei und es an den sachlichen und persönlichen Voraussetzungen des FRG und des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) fehle.
Gegen diesen am 25. Juli 1998 zugegangenen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 6. August 1998, eingegangen bei der Beklagten am 12. August 1998, Widerspruch ein. Er bezog sich vor allem auf ein Gutachten von A. B ... Wegen der Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben verwiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Tätigkeiten des Klägers seien als Zwangsarbeit anzusehen, er habe auch keinen Barlohnbezug behauptet.
Dagegen hat der Kläger am 31. März 1999 Klage erhoben. Das Gutachten B. dokumentiere, dass die jüdischen Arbeiter einen wöchentlichen Lohn erhalten hätten. Davon seien Invalidenversicherung und Steuer abgeführt worden. So ergebe es sich auch aus einem Schreiben des Reichsministers für Finanzen vom 30. Mai 1942 und einem entsprechenden Befehl von H. Himmler und Dr. Fraundorfer. Der restliche Lohn sei den jüdischen Arbeitern jedoch nicht ausgezahlt worden.
In der vom Sozialgericht beigezogenen Entschädigungsakte der Bezirksregierung Düsseldorf findet sich ein Bericht des Arztes Dr. G. vom 11. August 2000. Danach gab der Kläger hinsichtlich seiner Familie u.a. an, dass seine Eltern Juden und polnische Staatsangehörige gewesen seien. Der Großvater väterlicherseits sei deutscher Jude gewesen, dadurch sei gelegentlich zu Hause deutsch gesprochen worden; er hätte zumindest ein paar rudimentäre Deutschkenntnisse gehabt. Die Familie der Mutter habe aus Russland gestammt. Mit Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Rentenrechtliche Zeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung seien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Es sei nicht zu erkennen, dass der Kläger in einem sog. "Ghetto-Arbeitsverhältnis" gestanden habe und für seine Arbeitsleistung tatsächlich Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden seien. Seine Arbeit sei vielmehr als Zwangsarbeit zu werten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.
Der Kläger hat am 30. Januar 2003 gegen den am 21. November 2002 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt. Er macht geltend: Unter der Herrschaft von Gestapo und Wehrmacht habe niemand wagen können, die befohlene Arbeitsstelle nicht anzutreten und auszufüllen. Insofern seien alle Zwangsarbeiter gewesen. Die Arbeit sei bezahlt worden, das zeige auch die Anordnung von Dr. Frauendorfer. Für die jüdischen Arbeiter hätten die Aufseher die Lohntüten erhalten; Steuer und Invalidenversicherung seien zuvor abgezogen und an das zuständige Amt überwiesen worden.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2002 den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Versichertenrente nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Sachakten der Beklagten und die Entschädigungsakte 3 W 647 B der Bezirksregierung Düsseldorf, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Rechtsgrundlage des Begehrens ist § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die Voraussetzungen des § 300 Abs. 2 SGB VI, der auf die RVO verweist, sind erkennbar nicht gegeben.
§ 35 SGB VI setzt die Vollendung des 65. Lebensjahres und die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voraus. Der Kläger ist 1928 geboren und hat das 65. Lebensjahr bereits 1993 vollendet. Die allgemeine Wartezeit beträgt nach § 50 Abs. 1 SGB VI fünf Jahre. Auch wenn nach der Verordnung des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern – EG-VO 1408/71 –, deutsche und britische Versicherungszeiten zusammengerechnet werden können, bleibt nach Art. 48 Abs. 1 der Verordnung eine Versicherungszeit von mindestens zwölf Monaten in der deutschen Rentenversicherung erforderlich. Daran fehlt es. Ebenso wenig kommt dem Kläger die Erleichterung des § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) zugute, wonach bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf Rente auch besteht, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorhanden ist.
Nach § 51 Abs. 1 und 4 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Ob die Voraussetzungen für Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vorliegen, kann offen bleiben; Ersatzzeiten können nämlich nur "Versicherte" erwerben, was wiederum den Nachweis einer Beitragszeit verlangt (BSG, Urt. v. 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -, BSGE 93 S. 214, 216; Schmidt, in: Kreikebohm, 2. Aufl. 2003, § 250 Rn. 6).
Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Pflichtbeitragszeiten auch solche Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Nach § 247 Abs. 3 SGB VI sind Beitragszeiten auch Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.
Bundesrecht galt offensichtlich nicht. Als polnischer Staatsangehöriger jüdischer Abstammung war der Kläger im Generalgouvernement jedoch auch nicht von den Reichsversicherungsgesetzen erfasst. Für ihn galten vielmehr weiterhin die polnischen Sozialversicherungsgesetze (vgl. BSG, Urt. v. 8.9.2005, - B 13 RJ 20/05 R -, juris; Urt. v. 7.10.2004, a.a.O. S. 217; BSG, Urt. v. 23.8.2001, - B 13 RJ 59/00 R -, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17, S. 67 f.), so dass die Vorschrift des § 247 Abs. 3 SGB VI nicht greift.
Auch kommt eine Berücksichtigung von Versicherungszeiten nach §§ 15 f. FRG nicht in Betracht. Der Kläger gehört nämlich nicht zu dem nach § 1 FRG begünstigten Personenkreis, er ist weder anerkannter Vertriebener oder Spätaussiedler noch Deutscher oder heimatloser Ausländer. Auch steht er den anerkannten Vertriebenen nicht nach § 20 WGSVG gleich, denn er hat zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes offensichtlich nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört (vgl. § 20 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 lit. a 2. Halbsatz WGSVG). Das setzt nämlich vor allem den zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Bereich voraus (vgl. BSG, Urt. v. 26.9.1991, - 4 RA 89/90 -, SozR 3-5070 § 20 Nr. 2 S. 9 f.). Aus der Akte ergibt sich jedoch, dass der Kläger lediglich rudimentäre deutsche Sprachkenntnisse besaß. Schon aus dem gleichen Grund kommt eine Anwendbarkeit der §§ 15 f. FRG über § 17a FRG nicht in Betracht. Insoweit kann hier offen bleiben, ob überhaupt Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind bzw. ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung, die unter anderem Freiwilligkeit voraussetzt, vorgelegen hat.
Schließlich kann sich der Kläger für seinen Rentenanspruch nicht auf das ZRBG berufen.
Es kann letztlich offen bleiben, ob dies bereits deshalb gilt, weil auch das ZRBG die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis voraussetzt (so LSG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.2006, - L 4 RJ 113/04 -, juris; nicht rechtskräftig). Dafür spricht zunächst die Regelung des § 1 Abs. 2 ZRBG, nach der das ZRBG lediglich das WGSVG ergänzt. Letzteres verlangt durchaus die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Auch lässt die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 14/8583 S. 1, 6; BT-Drs. 14/8602 S. 1, 5) erkennen, dass es nicht um eine Erweiterung des Kreises der Berechtigten gehen sollte, sondern um die Zahlbarmachung von erworbenen Ansprüchen. Das wird bereits aus der Beschreibung der Problemstellung des Gesetzentwurfs deutlich. Danach soll das Gesetz das Problem lösen, dass die von der Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begünstigten ehemaligen Ghettobewohner sich gewöhnlich im Ausland aufhalten. Die auf einer Beschäftigung im Ghetto beruhende Rente könne vielfach aus auslandsrentenrechtlichen Gründen nicht gezahlt werden, insbesondere weil Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht im erforderlichen Umfang vorlägen (BT-Drs. 14/8583 u. 8602 S. 1). Entsprechend sieht das BSG den Zweck des Gesetzes darin, den Zustand zu beseitigen, dass trotz Vorliegens versicherungspflichtiger Ghettoarbeitszeiten ein hieraus resultierender Rentenanspruch nicht in das Ausland zahlbar war (BSG, Urt. v. 7.10.2004, a.a.O., S. 225).
Jedenfalls fehlt es an den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a und b ZRBG, wonach die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen und gegen Entgelt ausgeübt worden sein muss.
Es ist bereits zweifelhaft, inwieweit der Kläger angesichts seines damaligen Alters überhaupt eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss hätte eingehen können. Vor allem aber hat er in der Berufungsbegründung deutlich gemacht, dass er Zwangsarbeit zu leisten hatte: Niemand habe es wagen können, die befohlene Arbeitsstelle nicht anzutreten; er habe sich den Maßnahmen und Befehlen fügen müssen. Dem entspricht die Erklärung im Entschädigungsverfahren, nach der er zur "Zwangsarbeit" in der Glasfabrik Hortensia herangezogen wurde. Auch Herr S. G. hat im Entschädigungsverfahren am 3. Januar 1956 erklärt, der Kläger habe in der Glasfabrik Zwangsarbeit geleistet. Der Kläger hat an keiner Stelle vorgetragen oder auch nur angedeutet, im Rahmen der für alle Juden in dem Ghetto bestehenden Zwänge aus freiem Willensentschluss ein Arbeitsverhältnis eingegangen zu sein. Nach Verlassen des Ghettos hat er sich in Zwangsarbeitslagern aufhalten müssen, so dass eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss von vornherein nicht in Betracht kommt.
Außerdem hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, für seine Tätigkeit ein Entgelt erhalten zu haben. Im Gegenteil hat er erklärt, er habe keinen Lohn erhalten. Dass der Arbeitgeber dennoch Gehalt gezahlt und auch Sozialabgaben abgeführt haben soll, stützt der Kläger auf ein Gutachten und einige allgemeine Schreiben und Befehle zur Entgeltfrage. Das kann aber notwendige Darlegungen seines eigenen Falles nicht ersetzen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
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