Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 4397/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 40/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) beim Kläger.
Bei dem 1942 geborenen Kläger stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 31.07.2001 den GdB seit 29.01.2001 mit 30 fest, wobei er "1. Koronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, Koronardilatation, Stentimplantation, Bluthochdruck (Einzel-GdB 30), 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10), 3. Chronische Bronchitis (Einzel-GdB 10), 4. Schwerhörigkeit beidseitig (Einzel-GdB 10)" berücksichtigte. Grundlage dieser Entscheidung waren der Befundbericht von Dr. S. vom 11.04.2001 sowie die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 09.05.2001.
Am 20.03.2002 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB. Der Beklagte zog von der Reha-Klinik W. den Entlassungsbericht vom 10.09.2002 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 21.02. bis 14.03.2002 bei. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S. übersandte das für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg erstattete Gutachten vom 25.04.2001 sowie die Arztbriefe des Orthopäden Dr. S. vom 14.05.2002 und des Internisten Dr. H. vom 21.08.2002. In Auswertung der vä Stellungnahme vom 19.01.2003 stellte der Beklagte sodann mit Bescheid vom 05.02.2003 den GdB seit 20.03.2002 mit 40 fest, wobei er jetzt für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule unter Einschluss von Nervenwurzelreizerscheinungen einen Einzel-GdB von 20 zugrunde legte. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.08.2003).
Dagegen erhob der Kläger am 20.08.2003 Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG). Das SG zog zunächst sachverständige Zeugenauskünfte bei, die in dem damals ebenfalls beim SG anhängigen Rentenstreitverfahren des Klägers (S 3 RA 1213/03) eingeholt worden waren (Auskunft Dr. S. vom 23.07.2003, Auskunft des Orthopäden Dr. R. vom 07.08.2003, Auskunft der Neurologin und Psychiaterin Dr. R. vom 08.08.2003, Auskunft des Orthopäden Dr. S. vom 08.10.2003 sowie Auskunft des Internisten/Kardiologen Dr. S. vom 21.10.2003). Außerdem beauftragte es den Internisten Dr. S. mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger, wobei ein orthopädisches Zusatzgutachten von Dr. G. erstattet werden sollte. Die Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens stellte das SG in das Ermessen von Dr. S ... Dr. S. erstattete sein Gutachten vom 07.07.2004 unter Vorlage des orthopädischen Zusatzgutachtens von Dr. N. und des HNO-ärztlichen Zusatzgutachtens von Dr. S ... Dr. S. beschrieb auf seinem Fachgebiet eine Herzkranzgefäßerkrankung. Nach Herzinfarkt im Oktober 2000 habe eine Dilatation und Stenteinlage mit gutem Erfolg stattgefunden. Außerdem bestünden ein Bluthochdruck, eine Cholesterinerhöhung sowie eine leichte Störung des Zuckerstoffwechsels, derzeit diätetisch eingestellt. Den GdB hierfür bewertete er mit 30. Außerdem bestehe beim Kläger eine chronische Bronchitis ohne Hinweise für eine Lungenfunktionsstörung, der GdB hierfür betrage 10. Der Kläger machte geltend, dass das Gutachten von Dr. N. und Dr. S. nicht verwertet werden dürfe, da diese vom SG nicht zu Sachverständigen ernannt worden seien. Das SG holte daraufhin bei der Orthopädin Dr. B.-S. das Gutachten vom 19.11.2004 ein. Diese beschrieb im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) Beschwerden bei geringen altersentsprechenden degenerativen Veränderungen ohne Nervenwurzelreizsymptome bei freier Beweglichkeit sowie im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) Beschwerden ohne Funktionseinschränkung und ohne Nervenwurzelreizsymptome bei radiologisch lumbaler Skoliose und deutlicher Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes L 5/S 1 und L 4/5. Für die LWS-Beschwerden bewertete sie den Einzel-GdB mit 20, für die HWS-Beschwerden nahm sie einen Einzel-GdB von 10 an. Für Schmerzen im Bereich beider Hüftgelenke bei geringer Rotationseinschränkung beidseits und radiologisch beginnender Hüftgelenksarthrose beidseits betrage der Einzel-GdB 20. Für weitere Gesundheitsstörungen (Schmerzen im Bereich beider Kniegelenke, beider Sprunggelenke, im Bereich der rechten Schulter und im Bereich des rechten Ellenbogens jeweils bei freier Beweglichkeit) nahm sie einen Einzel-GdB von jeweils unter 10 an. Den Gesamt-GdB auf ihrem Fachgebiet schätzte sie mit 20 ein, da eine gegenseitige Beeinflussung der Gesundheitsstörungen nicht vorliege.
Der Beklagte legte hierzu die vä Stellungnahmen von Dr. B. vom 16.02.2005 und Medizinaldirektor (MedD) D. vom 04.07. 2005 vor, wonach wegen der geringen Funktionsstörungen im Bereich der Hüftgelenke kein Einzel-GdB von 20 angenommen werden könne.
Mit Urteil vom 28.10.2005 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide einen GdB von 50 festzustellen. Es legte für die beim Kläger vorliegende Herzerkrankung mit Bluthochdruck einen Einzel-GdB von 30 zugrunde, für den von Dr. S. beschriebenen Diabetes mellitus einen Einzel-GdB von 10, ebenso für die vom Beklagten festgestellte beidseitige Schwerhörigkeit. Auch für die chronische Bronchitis legte es einen Einzel-GdB von 10 zugrunde. Für die Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule legte es einen Einzel-GdB von 20 zugrunde, ebenso für die Funktionsstörung im Bereich der Hüftgelenke. Unter Berücksichtigung dieser Einzel-GdB-Werte sei ein Gesamt-GdB von 50 angemessen.
Gegen das ihm am 13.12.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 03.01.2006 Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 19.12.2004 hält er an seiner Auffassung fest, dass für die von Dr. B.-S. beschriebenen Funktionsstörungen im Bereich der Hüftgelenke kein Einzel-GdB von 20, sondern lediglich ein solcher von 10 festgestellt werden könne. Auch unter Berücksichtigung des vom SG angenommenen Einzel-GdB von 10 für den Diabetes komme ein Gesamt-GdB von 50 nicht in Betracht, vielmehr sei ein solcher von 40 angemessen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.10.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Das SG habe die Einzel-GdB-Grade für die einzelnen Erkrankungen zutreffend festgestellt und hieraus ebenfalls zutreffend einen Gesamt-GdB von 50 gebildet. Insbesondere sei der Einzel-GdB von 20 für die Hüftgelenksarthrose beidseits vom SG - in Übereinstimmung mit der Gutachterin - zutreffend bewertet worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen.
Das SG hat die Rechtsgrundlagen und Entscheidungskriterien für die Feststellung des GdB, insbesondere auch die Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) ausführlich und zutreffend dargelegt. Ebenfalls zutreffend dargelegt hat es die Rechtsgrundlagen für die Höherbewertung des GdB nach Eintritt einer wesentlichen Änderung. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat deshalb nach eigener Prüfung insoweit auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung. Das SG hat auch ausführlich und zutreffend begründet, für welche Gesundheitsstörungen beim Kläger welche Einzel-GdB-Werte anzunehmen sind. Es hat dabei - entsprechend der Rüge des Klägers - die Zusatzgutachten von Dr. N. und Dr. S. nicht verwertet, sondern sich ausschließlich auf das Gutachten von Dr. S., soweit es dessen Fachgebiet betrifft, und das Gutachten von Dr. B.-S. gestützt. Im Hinblick auf die ausführlichen Darlegungen des SG zur jeweiligen GdB-Bewertung sieht der Senat hinsichtlich der beim Kläger vorliegenden Herzerkrankung mit Bluthochdruck, des Diabetes mellitus, der Bronchitis sowie der degenerativen Veränderungen von weiteren Ausführungen ab und verweist insoweit - wiederum nach eigener Prüfung - ebenfalls auf die angefochtene Entscheidung.
Nicht folgen kann der Senat dem SG jedoch hinsichtlich der Bewertung der Hüftgelenksarthrose mit einem Einzel-GdB von 20. Dr. B.-S. hat die beginnende Coxarthrose beidseits mit geringer Rotationseinschränkung ausdrücklich als leichtgradig bezeichnet (S. 25 des Gutachtens). In der die Hüftgelenke betreffenden Befundbeschreibung auf S. 10 ihres Gutachtens heißt es: "Die Beweglichkeitsüberprüfung ergibt eine eingeschränkte Rotation auf der linken Seite, Flexion und Extension sind frei. Schmerzen werden hierbei ebenfalls nur im Bereich des Gesäßes angegeben." Bei der genauen Beschreibung der Bewegungsausmaße der Hüftgelenke werden für Streckung/Beugung beidseitig die Werte (jeweils in Winkelgraden) 0-0-110 angegeben, wobei die Normalwerte nach der sog. Neutral-0-Methode 0-0-130/140 betragen. Das Abspreizen/Anführen der Hüftgelenke wird beidseitig mit 30-0-30 angegeben, was im Bereich der Normalwerte nach der Neutral-0-Methode liegt. Die Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk wird mit 30-0-30 für das rechte und 20-0-20 für das linke Hüftgelenk angegeben, wobei die Normalwerte hier bei 40/50-0-30/45 liegen. Die Drehung auswärts ist im rechten Hüftgelenk damit um 10 gegenüber dem Normalmaß gemindert, während die Drehung einwärts im Normalbereich liegt. Für die linke Hüfte ergibt sich ein Bewegungsdefizit von 20 für die Auswärtsdrehung bzw. 10 für die Einwärtsdrehung. Nach den AP wird eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20 bewertet, soweit eine Hüfte betroffen ist, mit einem Einzel-GdB von 20 bis 30, soweit beide Hüften betroffen sind. Die Beweglichkeit für Streckung/Beugung ist beim Kläger beidseits deutlich besser als bei den in den AP genannten Vergleichswerten. Darüber hinaus ist die Einschränkung der Rotation auf der rechten Seite sehr gering, links gering. Unter diesen Umständen vermag sich der Senat der Beurteilung von Dr. B.-S. und des SG nicht anzuschließen, dass der Einzel-GdB für die Gesundheitsstörungen im Bereich der Hüftgelenke mit 20 zu bewerten ist. Er folgt vielmehr der Einschätzung in den vä Stellungnahmen von Dr. B., MedD D. und Dr. W., die übereinstimmend und für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt haben, dass im Hinblick auf die - auch von Dr. B.-S. als leichtgradig beschriebenen - Funktionseinschränkungen im Bereich der Hüftgelenke ein Einzel-GdB von maximal 10 angenommen werden kann.
Bei Zugrundelegung eines Einzel-GdB von 10 für die Hüftgelenksbeschwerden ist jedoch die vom SG vorgenommene Bewertung des Gesamt-GdB von 50 nicht zutreffend.
Das SG hat in seiner Entscheidung die Gesichtspunkte für die Bildung des Gesamt-GdB ebenfalls zutreffend dargelegt. Unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 30 für das Herzleiden mit Bluthochdruck und eines Einzel-GdB von 20 für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule ist im vorliegenden Fall ein Gesamt-GdB von 40, wie ihn der Beklagte festgestellt hat, ausreichend und angemessen. Die weiteren beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind (Bronchitis, Schwerhörigkeit beidseits, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke sowie Diabetes mellitus) führen, da es sich insoweit um leichte Beeinträchtigungen handelt, nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.
Auf die Berufung des Beklagten war das angefochtene Urteil des SG deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) beim Kläger.
Bei dem 1942 geborenen Kläger stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 31.07.2001 den GdB seit 29.01.2001 mit 30 fest, wobei er "1. Koronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, Koronardilatation, Stentimplantation, Bluthochdruck (Einzel-GdB 30), 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10), 3. Chronische Bronchitis (Einzel-GdB 10), 4. Schwerhörigkeit beidseitig (Einzel-GdB 10)" berücksichtigte. Grundlage dieser Entscheidung waren der Befundbericht von Dr. S. vom 11.04.2001 sowie die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 09.05.2001.
Am 20.03.2002 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB. Der Beklagte zog von der Reha-Klinik W. den Entlassungsbericht vom 10.09.2002 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 21.02. bis 14.03.2002 bei. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S. übersandte das für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg erstattete Gutachten vom 25.04.2001 sowie die Arztbriefe des Orthopäden Dr. S. vom 14.05.2002 und des Internisten Dr. H. vom 21.08.2002. In Auswertung der vä Stellungnahme vom 19.01.2003 stellte der Beklagte sodann mit Bescheid vom 05.02.2003 den GdB seit 20.03.2002 mit 40 fest, wobei er jetzt für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule unter Einschluss von Nervenwurzelreizerscheinungen einen Einzel-GdB von 20 zugrunde legte. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.08.2003).
Dagegen erhob der Kläger am 20.08.2003 Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG). Das SG zog zunächst sachverständige Zeugenauskünfte bei, die in dem damals ebenfalls beim SG anhängigen Rentenstreitverfahren des Klägers (S 3 RA 1213/03) eingeholt worden waren (Auskunft Dr. S. vom 23.07.2003, Auskunft des Orthopäden Dr. R. vom 07.08.2003, Auskunft der Neurologin und Psychiaterin Dr. R. vom 08.08.2003, Auskunft des Orthopäden Dr. S. vom 08.10.2003 sowie Auskunft des Internisten/Kardiologen Dr. S. vom 21.10.2003). Außerdem beauftragte es den Internisten Dr. S. mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger, wobei ein orthopädisches Zusatzgutachten von Dr. G. erstattet werden sollte. Die Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens stellte das SG in das Ermessen von Dr. S ... Dr. S. erstattete sein Gutachten vom 07.07.2004 unter Vorlage des orthopädischen Zusatzgutachtens von Dr. N. und des HNO-ärztlichen Zusatzgutachtens von Dr. S ... Dr. S. beschrieb auf seinem Fachgebiet eine Herzkranzgefäßerkrankung. Nach Herzinfarkt im Oktober 2000 habe eine Dilatation und Stenteinlage mit gutem Erfolg stattgefunden. Außerdem bestünden ein Bluthochdruck, eine Cholesterinerhöhung sowie eine leichte Störung des Zuckerstoffwechsels, derzeit diätetisch eingestellt. Den GdB hierfür bewertete er mit 30. Außerdem bestehe beim Kläger eine chronische Bronchitis ohne Hinweise für eine Lungenfunktionsstörung, der GdB hierfür betrage 10. Der Kläger machte geltend, dass das Gutachten von Dr. N. und Dr. S. nicht verwertet werden dürfe, da diese vom SG nicht zu Sachverständigen ernannt worden seien. Das SG holte daraufhin bei der Orthopädin Dr. B.-S. das Gutachten vom 19.11.2004 ein. Diese beschrieb im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) Beschwerden bei geringen altersentsprechenden degenerativen Veränderungen ohne Nervenwurzelreizsymptome bei freier Beweglichkeit sowie im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) Beschwerden ohne Funktionseinschränkung und ohne Nervenwurzelreizsymptome bei radiologisch lumbaler Skoliose und deutlicher Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes L 5/S 1 und L 4/5. Für die LWS-Beschwerden bewertete sie den Einzel-GdB mit 20, für die HWS-Beschwerden nahm sie einen Einzel-GdB von 10 an. Für Schmerzen im Bereich beider Hüftgelenke bei geringer Rotationseinschränkung beidseits und radiologisch beginnender Hüftgelenksarthrose beidseits betrage der Einzel-GdB 20. Für weitere Gesundheitsstörungen (Schmerzen im Bereich beider Kniegelenke, beider Sprunggelenke, im Bereich der rechten Schulter und im Bereich des rechten Ellenbogens jeweils bei freier Beweglichkeit) nahm sie einen Einzel-GdB von jeweils unter 10 an. Den Gesamt-GdB auf ihrem Fachgebiet schätzte sie mit 20 ein, da eine gegenseitige Beeinflussung der Gesundheitsstörungen nicht vorliege.
Der Beklagte legte hierzu die vä Stellungnahmen von Dr. B. vom 16.02.2005 und Medizinaldirektor (MedD) D. vom 04.07. 2005 vor, wonach wegen der geringen Funktionsstörungen im Bereich der Hüftgelenke kein Einzel-GdB von 20 angenommen werden könne.
Mit Urteil vom 28.10.2005 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide einen GdB von 50 festzustellen. Es legte für die beim Kläger vorliegende Herzerkrankung mit Bluthochdruck einen Einzel-GdB von 30 zugrunde, für den von Dr. S. beschriebenen Diabetes mellitus einen Einzel-GdB von 10, ebenso für die vom Beklagten festgestellte beidseitige Schwerhörigkeit. Auch für die chronische Bronchitis legte es einen Einzel-GdB von 10 zugrunde. Für die Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule legte es einen Einzel-GdB von 20 zugrunde, ebenso für die Funktionsstörung im Bereich der Hüftgelenke. Unter Berücksichtigung dieser Einzel-GdB-Werte sei ein Gesamt-GdB von 50 angemessen.
Gegen das ihm am 13.12.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 03.01.2006 Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 19.12.2004 hält er an seiner Auffassung fest, dass für die von Dr. B.-S. beschriebenen Funktionsstörungen im Bereich der Hüftgelenke kein Einzel-GdB von 20, sondern lediglich ein solcher von 10 festgestellt werden könne. Auch unter Berücksichtigung des vom SG angenommenen Einzel-GdB von 10 für den Diabetes komme ein Gesamt-GdB von 50 nicht in Betracht, vielmehr sei ein solcher von 40 angemessen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.10.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Das SG habe die Einzel-GdB-Grade für die einzelnen Erkrankungen zutreffend festgestellt und hieraus ebenfalls zutreffend einen Gesamt-GdB von 50 gebildet. Insbesondere sei der Einzel-GdB von 20 für die Hüftgelenksarthrose beidseits vom SG - in Übereinstimmung mit der Gutachterin - zutreffend bewertet worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen.
Das SG hat die Rechtsgrundlagen und Entscheidungskriterien für die Feststellung des GdB, insbesondere auch die Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) ausführlich und zutreffend dargelegt. Ebenfalls zutreffend dargelegt hat es die Rechtsgrundlagen für die Höherbewertung des GdB nach Eintritt einer wesentlichen Änderung. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat deshalb nach eigener Prüfung insoweit auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung. Das SG hat auch ausführlich und zutreffend begründet, für welche Gesundheitsstörungen beim Kläger welche Einzel-GdB-Werte anzunehmen sind. Es hat dabei - entsprechend der Rüge des Klägers - die Zusatzgutachten von Dr. N. und Dr. S. nicht verwertet, sondern sich ausschließlich auf das Gutachten von Dr. S., soweit es dessen Fachgebiet betrifft, und das Gutachten von Dr. B.-S. gestützt. Im Hinblick auf die ausführlichen Darlegungen des SG zur jeweiligen GdB-Bewertung sieht der Senat hinsichtlich der beim Kläger vorliegenden Herzerkrankung mit Bluthochdruck, des Diabetes mellitus, der Bronchitis sowie der degenerativen Veränderungen von weiteren Ausführungen ab und verweist insoweit - wiederum nach eigener Prüfung - ebenfalls auf die angefochtene Entscheidung.
Nicht folgen kann der Senat dem SG jedoch hinsichtlich der Bewertung der Hüftgelenksarthrose mit einem Einzel-GdB von 20. Dr. B.-S. hat die beginnende Coxarthrose beidseits mit geringer Rotationseinschränkung ausdrücklich als leichtgradig bezeichnet (S. 25 des Gutachtens). In der die Hüftgelenke betreffenden Befundbeschreibung auf S. 10 ihres Gutachtens heißt es: "Die Beweglichkeitsüberprüfung ergibt eine eingeschränkte Rotation auf der linken Seite, Flexion und Extension sind frei. Schmerzen werden hierbei ebenfalls nur im Bereich des Gesäßes angegeben." Bei der genauen Beschreibung der Bewegungsausmaße der Hüftgelenke werden für Streckung/Beugung beidseitig die Werte (jeweils in Winkelgraden) 0-0-110 angegeben, wobei die Normalwerte nach der sog. Neutral-0-Methode 0-0-130/140 betragen. Das Abspreizen/Anführen der Hüftgelenke wird beidseitig mit 30-0-30 angegeben, was im Bereich der Normalwerte nach der Neutral-0-Methode liegt. Die Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk wird mit 30-0-30 für das rechte und 20-0-20 für das linke Hüftgelenk angegeben, wobei die Normalwerte hier bei 40/50-0-30/45 liegen. Die Drehung auswärts ist im rechten Hüftgelenk damit um 10 gegenüber dem Normalmaß gemindert, während die Drehung einwärts im Normalbereich liegt. Für die linke Hüfte ergibt sich ein Bewegungsdefizit von 20 für die Auswärtsdrehung bzw. 10 für die Einwärtsdrehung. Nach den AP wird eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20 bewertet, soweit eine Hüfte betroffen ist, mit einem Einzel-GdB von 20 bis 30, soweit beide Hüften betroffen sind. Die Beweglichkeit für Streckung/Beugung ist beim Kläger beidseits deutlich besser als bei den in den AP genannten Vergleichswerten. Darüber hinaus ist die Einschränkung der Rotation auf der rechten Seite sehr gering, links gering. Unter diesen Umständen vermag sich der Senat der Beurteilung von Dr. B.-S. und des SG nicht anzuschließen, dass der Einzel-GdB für die Gesundheitsstörungen im Bereich der Hüftgelenke mit 20 zu bewerten ist. Er folgt vielmehr der Einschätzung in den vä Stellungnahmen von Dr. B., MedD D. und Dr. W., die übereinstimmend und für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt haben, dass im Hinblick auf die - auch von Dr. B.-S. als leichtgradig beschriebenen - Funktionseinschränkungen im Bereich der Hüftgelenke ein Einzel-GdB von maximal 10 angenommen werden kann.
Bei Zugrundelegung eines Einzel-GdB von 10 für die Hüftgelenksbeschwerden ist jedoch die vom SG vorgenommene Bewertung des Gesamt-GdB von 50 nicht zutreffend.
Das SG hat in seiner Entscheidung die Gesichtspunkte für die Bildung des Gesamt-GdB ebenfalls zutreffend dargelegt. Unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 30 für das Herzleiden mit Bluthochdruck und eines Einzel-GdB von 20 für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule ist im vorliegenden Fall ein Gesamt-GdB von 40, wie ihn der Beklagte festgestellt hat, ausreichend und angemessen. Die weiteren beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind (Bronchitis, Schwerhörigkeit beidseits, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke sowie Diabetes mellitus) führen, da es sich insoweit um leichte Beeinträchtigungen handelt, nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.
Auf die Berufung des Beklagten war das angefochtene Urteil des SG deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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