Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 256/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2831/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. April 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers sowie die Feststellung der Nachteilsausgleiche Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (G), Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (RF) und Gehörlos (Gl).
Bei dem 1969 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Rottweil (VA) zuletzt in Ausführung des Urteils des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Mai 1998 mit Bescheid vom 16. Juni 1998 einen GdB von 30 ab 1. Mai 1997 unter Berücksichtigung eines chronisch rezidivierenden Wirbelsäulensyndroms bei Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts fest.
Am 3. Dezember 2001 beantragte der Kläger die rückwirkende Erhöhung seines GdB unter Beifügung des Berichts der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 15. Januar 2001 (Diagnosen: Fissur Os sacrum rechts, Fissur des Wirbelbogens SWK 1 links) und des Arztbriefs des Orthopäden Dr. S. vom 3. April 2001 (Diagnosen: Lumbaler Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts, L4/5 links, Osteochondrose C5/6 und beginnend L5/S1, Zustand nach blandem M. Scheuermann). Am 13. Dezember 2001 beantragte der Kläger die Nachteilsausgleiche G sowie RF und teilte mit, seine Rückenschmerzen hätten sich verschlimmert und neu aufgetreten seien Halswirbel-, Kopf- und Schulterschmerzen, eine Knieplatzwunde, Wirbellähmungserscheinungen und Taubheitsgefühle. Das VA zog über die Württembergische Bau-Berufsgenossenschaft das unfallchirurgische Zusammenhangsgutachten von Prof. Dr. D. vom 7. März 2001 (Diagnosen: Osteochondrose L5/S1 mit links-lateraler Spondylosis deformans, Chondrose im Bewegungssegment L4/5, subligamentäre Bandscheibenvorwölbungen in Höhe L4/5 und L5/S1) und den Bericht über eine Kernspintomographie des Beckens von Prof. Dr. Dr. M. vom 2. März 2001 bei. Des Weiteren holte das VA den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 15. März 2002 ein, welchem der ärztliche Entlassungsbericht von Prof. Dr. J./Dr. S./Dr. K. vom 8. Dezember 1999 über die vom 16. November 1999 bis zum 7. Dezember 1999 in der Rheumaklinik B. W. durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Diagnosen: rezidivierende Lumboischialgien beidseits bei Bandscheibenvorfällen L4/5 und L5/S1 und muskulärer Dysbalance, Halswirbelsäulen[HWS]-Syndrom bei muskulären Verspannungen, Gonalgien rechts bei Schnapp-Phänomen bei überbeweglichem Innenmeniskus rechts, Hypercholesterinämie), der Bericht von Prof. Dr. W./Dr. V./Dr. B. vom 9. Oktober 2000 (Diagnose: aktivierte Lumbabo nach Lendenwirbelsäulen[LWS]-Kontusion) und das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 18. Mai 2001 (Diagnosen: Lumboischialgie bei NPP L4/5, L5/S1, Osteochondrose L5/S1 mit linkslateraler Spondylosis deformans und Chondrose L4/5 mit erheblicher Einschränkung der Beweglichkeit der Brustwirbelsäule[BWS]/LWS, Zustand nach Fissur Os sacrum rechts, Fissur des Wirbelbogens SWK 1 links, Prellung Becken, Nierenprellung rechts, Knieplatzwunde) beigefügt waren. Dr. D. wertete in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 27. Mai 2002 die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 30 und führte aus, von den Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, dem Zustand nach Knieplatzwunde und nach Prellung der rechten Hüfte sowie nach der Beckenprellung gingen keine einen GdB von wenigstens 10 bewirkenden Funktionsbeeinträchtigungen aus. Hierauf gestützt lehnte das VA mit Bescheid vom 5. Juni 2002 eine höhere Bewertung des GdB sowie eine Feststellung der Nachteilsausgleiche G und RF ab.
Hiergegen legte der Kläger am 14. Juni 2002 Widerspruch ein. Er trug vor, er habe im Rückenbereich nicht nur Prellungen, sondern Fissuren. Außerdem lebe er seit seiner Geburt nur mit einem Ohr. Sodann holte das VA den Befundbericht des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Heilkunde C. vom 5. November 2002 ein, in welchem unter Beifügung des Audiogramms vom 10. Oktober 2002 eine Surditas rechts und eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit links beschrieben wurde. In der vä Stellungnahme vom 6. Dezember 2002 wurde zusätzlich die Gehörlosigkeit rechts, die Mikrotie und die Schwerhörigkeit links mit einem Teil-GdB von 40 und der Gesamt-GdB unter Einschluss des Teil-GdB 30 für den Bandscheibenschaden und die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule auf 50 eingeschätzt. Den Fissuren im Kreuzbein wurde keine einen GdB von mindestens 10 bedingende Funktionsbeeinträchtigung zugemessen. Dies zugrunde legend stellte das VA mit Teilabhilfebescheid vom 10. Dezember 2002 den GdB ab 13. Dezember 2001 auf 50 fest. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er wies auf das Fehlen eines Ohres und eine Herzrhythmusstörung hin. Außerdem sei seine Beinverkürzung und sein Meniskusschaden bislang nicht berücksichtigt worden. Der Kläger beantragte eine Heraufsetzung des GdB auf 80 bis 90 ab seiner Geburt sowie auf 100 ab 1990 und im Übrigen neben der Feststellung der Merkzeichen G und RF nun auch das Merkzeichen GL. Mit Bescheid vom 13. Januar 2003 lehnte das VA die Feststellung des Nachteilsausgleichs GL ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2003 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 5. Juni 2002, 10. Dezember 2002 und 13. Januar 2003 zurück. In den Gründen führte der Beklagte u. a. aus, es könne ein GdB von 40 rückwirkend ab Geburt und ein GdB von 50 rückwirkend ab 1. Mai 1997 festgestellt werden.
Dagegen erhob der Kläger am 5. Februar 2003 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Das SG holte die Befundberichte des HNO-Arztes C. und von Dr. R., jeweils vom 5. Mai 2003 ein. Der HNO-Arzt C. führte aus, der Kläger habe sich zuletzt am 10. Oktober 2002 bei ihm vorgestellt. Von entscheidender Bedeutung sei die Durchführung einer kernspintomographischen Untersuchung und der Nachweis, ob die Cochlea rechts, das Vestibularorgan rechts und das Mittelohr rechts regelrecht angelegt seien. Bejahendenfalls könne durch eine plastische Gehörgangsanlage das Gehör rechts gegebenenfalls wieder hergestellt werden. Das Fehlen des rechten Vestibularorganes habe entsprechende Konsequenzen für die tägliche Arbeit. Ein Hörgerät links habe der Kläger bislang abgelehnt. Dr. R. führte aus, nach seinen Unterlagen bestehe ein chronisches HWS-LWS-Syndrom mit angegebenen Bandscheibenvorfällen im Bereich der LWS, ein Zustand nach Fissuren im Bereich des Os sacrum sowie des Wirbelbogens SWK 1 sowie anamnestisch ein Zustand nach Innenmeniskusoperation. Bezüglich der orthopädischen Problematik sei der GdB mit 30 einzuschätzen. Zuletzt habe sich der Kläger bei ihm im Februar 2002 vorgestellt. Beigefügt waren die Arztbriefe des Orthopäden Dr. K. vom 18. April 1997, der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 7. Oktober 1998, 15. Januar 2001 und 1. März 2001, des Dr. S. vom 27. Juli 1999, 7. Februar 2002 und vom 26. März 2002, des Universitätsklinikums T. vom 15. August 1997 und des Nuklearmediziners Dr. H. vom 11. August 1999.
Der Beklagte legte die vä Stellungnahme vom 1. September 2003 vor, in welcher Dr. B. ausführte, Gehörlosigkeit liege nach Maßgabe der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Schwerbehindertenrecht und sozialen Entschädigungsrecht (Teil 2 SGB IX) Ausgabe 2004 (AP) nur dann vor, wenn auch unter Zuhilfenahme eines Hörgerätes eine normale Verständigung nicht möglich sei. Allein auf Basis des Tonaudiogramms vom 10. Oktober 2002 ergebe sich für das linke Ohr ein Hörverlust von 36 %. Dies entspreche einer geringgradigen Schwerhörigkeit. Damit sei der GdB allein für die Hörminderung mit 30 anzunehmen. Unter Berücksichtigung der Ohrmuscheldysplasie sei der GdB 40 also korrekt. Da die Hörminderung also allein mit einem GdB von 30 anzusetzen sei, sei Gehörlosigkeit beim Kläger nicht gegeben. Auch seien die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht erfüllt. Der GdB für die Wirbelsäulenstörung sei weiterhin mit 30 einzuschätzen. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bestehe nicht. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 8. April 2004 ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf die vä Stellungnahmen vom 6. Dezember 2002 und 1. September 2003 und den Befundbericht von Dr. R. vom 5. Mai 2003.
Gegen das ihm am 17. Juni 2004 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 16. Juli 2004 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, er könne nicht ohne Weiteres eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen.
Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. April 2004 aufzuheben, die Bescheide vom 5. Juni 2002, 10. Dezember 2002 und 13. Januar 2003 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 90 sowie die Nachteilsausgleiche G, RF und GL festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat dem Kläger mit Schreiben vom 25. August 2004 und dem Beklagten mit Schreiben vom 10. Februar 2006 mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, die Beteiligten Gelegenheit erhalten haben, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 50 und die Anerkennung der Nachteilsausgleiche G, RF und GL.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, sind insoweit seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP Abschn. 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP Abschn. 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP Abschn. 19 Abs. 4, S. 26).
Soweit beim Kläger funktionelle Einschränkungen auf dem orthopädischem Fachgebiet vorliegen, sind diese lediglich mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Insoweit stützt sich der Senat auf die Einschätzung des den Kläger behandelnden Dr. R. in dessen Befundbericht vom 15. März 2002. Dr. R. bewertete für den Senat nachvollziehbar den Teil-GdB für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule mit 30. Der Senat ist unter Berücksichtigung der umfangreichen von Dr. R. vorgelegten Arztbriefe der den Kläger behandelnden Orthopäden und Chirurgen der Ansicht, dass von den im Übrigen aufgeführten Diagnosen (Fissur Os Sacrum rechts, Fissur des Wirbelbogens SWK 1 links) keine GdB-erhöhende Wirkung ausgeht. Nach den AP sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem Teil-GdB von 30 bis 40 sowie mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, schwere Skoliose) mit einem Teil-GdB von 50 bis 70 zu bewerten (AP, 26.18, S. 116). Vorliegend handelt es sich um Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in mehreren Wirbelsäulenabschnitten. Die Einschätzung von Dr. R. in seinem Befundbericht vom 5. Mai 2003 sowie von Dr. B. in der vä Stellungnahme vom 1. September 2003, wonach der Teil-GdB für die Wirbelsäulenstörung mit 30 einzuschätzen sei, ist somit für den Senat schlüssig und gut nachvollziehbar. Der Vortrag des Klägers, eine Beinverkürzung sowie ein Meniskusschaden liege vor, ist für den Senat unter Zugrundelegung der vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht nachvollziehbar.
Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet beträgt der Teil-GdB 40. Beim Kläger liegt eine Gehörlosigkeit rechts, eine Ohrmuschelmissbildung rechts sowie eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit links vor. Insoweit stützt sich der Senat auf die Befundberichte des HNO-Arztes C. vom 5. November 2002 und 5. Mai 2003. Nach der Tabelle D der AP ist der GdB für eine Taubheit rechts und eine geringgradige Schwerhörigkeit links mit 30 bzw. für eine Taubheit rechts und eine mittelgradige Schwerhörigkeit links mit 40 zu bewerten (AP, 26.5, S. 59) sowie der GdB für den Verlust einer Ohrmuschel mit 20 zu bewerten (AP, 26.5 S. 62). In Abweichung von der Einschätzung des HNO-Arztes C. ist der Senat mit Dr. B. nicht von einer mittelgradigen Schwerhörigkeit links, sondern von einer geringgradigen Schwerhörigkeit links ausgegangen, sodass der Teil-GdB auf HNO-ärztlichem Fachgebiet zutreffend mit 40 bewertet wurde.
Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB hält der Senat einen Gesamt-GdB von 50, keinesfalls jedoch einen solchen von 80 oder gar 90 für angemessen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein Gesamt-GdB von 80 nur angenommen werden kann, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie etwa beim Verlust eines Beines im Hüftgelenk oder mit sehr kurzem Oberschenkelstumpf (AP, 26.18, S. 123), bei Wirbelsäulenschäden mit schwerster Belastungsinsuffizienz (AP, 26.18, S. 116), bei Herz-Kreislaufschäden mit auftretenden Dekompensationserscheinungen (AP, 26.9, S. 72), bei schwergradigen Einschränkungen der Lungenfunktion (AP, 26.8, S. 68) oder bei schweren psychischen Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten (AP, 26.3, S. 48) ... usw. Ein vergleichbares Ausmaß erreichen die vom Senat festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers nicht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens G.
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Auch bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AP, 30 Abs. 3 Satz 1, S. 137). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AP, 30 Abs. 3 Satz 2, S. 138). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.9 S. 71) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 68) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AP, 30 Abs. 3 Satz 4, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 89).
Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind nach den AP bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70, bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr - Beendigung der Gehörlosenschule) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt (AP, 30 Abs. 5 Satz 1, S. 138).
Bei geistig Behinderten sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn sich die Behinderten im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht (AP, 30 Abs. 5 Satz 2, S. 138).
Beim Kläger liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Insoweit verweist der Senat auf die obigen Ausführungen, wonach der GdB für die Wirbelsäulenschäden des Klägers lediglich 30 beträgt. Auch sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von sich auf die unteren Gliedmaßen des Klägers auswirkenden Behinderungen gegeben. Für die Gehfähigkeit relevante Herzschäden oder Atembehinderungen liegen ebenfalls nicht vor. Auch eine Taubheit oder eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit - jeweils beider Ohren - ist nicht gegeben, abgesehen davon fehlt es auch an der erforderlichen Kombination mit einer erheblichen Störung der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Nachteilsausgleichs RF.
Das Merkzeichen RF gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehinderten-Ausweis-Verordnung (SchwbAwV) ist gegeben, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Nach § 1 der Verordnung der Landesregierung von Baden-Württemberg über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 21. Juli 1992 (Ges.Bl. S. 573 ff.) in Verbindung mit den Fernmeldegebührenvorschriften werden wegen einer Behinderung von der Rundfunkgebührenpflicht befreit bzw. erhalten Gebührenermäßigung beim Fernsprechhauptanschluss u. a Sonderfürsorgeberechtigte im Sinne des § 27 e Bundesversorgungsgesetz, Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Personen, bei denen der GdB wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung beträgt, Hörgeschädigte, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist oder Behinderte, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht gegeben. Insoweit verweist der Senat auf die obigen Ausführungen, insbesondere darauf, dass der Kläger weder gehörlos ist, noch bei ihm ein Gesamt-GdB von wenigstens 80 festzustellen ist. Auch ist der Senat davon überzeugt, dass dem Kläger eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen möglich ist. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des HNO-Arztes C ...
Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs GL.
Das Merkzeichen Gl für Gehörlose gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 Schwerbehinderten-Ausweis-Verordnung (SchwbAwV) soll hörbehinderten Menschen zuerkannt werden, bei denen Taubheit beiderseits vorliegt, sowie hörbehinderten Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, wenn daneben schwere Sprachstörungen (schwer verständliche Lautsprache, geringer Sprachschatz) gegeben sind (LSG Hamburg, Urteil vom 12. April 2005 - L 4 SB 24/03 -). Auch diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht gegeben.
Nach alledem liegt eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, welche dem Bescheid des VA vom 16. Juni 1998 zu Grunde lagen, nicht vor. Der Beklagte hat daher die Anträge, soweit sie sich auf eine Heraufsetzung des GdB auf über 50 und die Feststellung der Nachteilsausgleiche G, RF und Gl richteten, zu Recht abgelehnt.
Unter Hinweis auf die obigen Ausführungen hat der Senat auch keine Anhaltspunkte, davon auszugehen, dass der Bescheid des VA vom 16. Juni 1998 insoweit rechtswidrig ist, als ein GdB von 90 nicht bereits seit der Geburt des Klägers und ein GdB von 100 nicht bereits seit 1990 festgestellt wurde.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.
Zurecht hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2003 ausgeführt, es könne ein GdB von 40 rückwirkend ab Geburt und ein GdB von 50 rückwirkend ab 1. Mai 1997 festgestellt werden. Der Senat hat keine Anhaltspunkte für eine zeitlich weitreichendere rückwirkende Feststellung eines höheren GdB.
Da nach alledem das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat, war die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers sowie die Feststellung der Nachteilsausgleiche Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (G), Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (RF) und Gehörlos (Gl).
Bei dem 1969 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Rottweil (VA) zuletzt in Ausführung des Urteils des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Mai 1998 mit Bescheid vom 16. Juni 1998 einen GdB von 30 ab 1. Mai 1997 unter Berücksichtigung eines chronisch rezidivierenden Wirbelsäulensyndroms bei Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts fest.
Am 3. Dezember 2001 beantragte der Kläger die rückwirkende Erhöhung seines GdB unter Beifügung des Berichts der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 15. Januar 2001 (Diagnosen: Fissur Os sacrum rechts, Fissur des Wirbelbogens SWK 1 links) und des Arztbriefs des Orthopäden Dr. S. vom 3. April 2001 (Diagnosen: Lumbaler Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts, L4/5 links, Osteochondrose C5/6 und beginnend L5/S1, Zustand nach blandem M. Scheuermann). Am 13. Dezember 2001 beantragte der Kläger die Nachteilsausgleiche G sowie RF und teilte mit, seine Rückenschmerzen hätten sich verschlimmert und neu aufgetreten seien Halswirbel-, Kopf- und Schulterschmerzen, eine Knieplatzwunde, Wirbellähmungserscheinungen und Taubheitsgefühle. Das VA zog über die Württembergische Bau-Berufsgenossenschaft das unfallchirurgische Zusammenhangsgutachten von Prof. Dr. D. vom 7. März 2001 (Diagnosen: Osteochondrose L5/S1 mit links-lateraler Spondylosis deformans, Chondrose im Bewegungssegment L4/5, subligamentäre Bandscheibenvorwölbungen in Höhe L4/5 und L5/S1) und den Bericht über eine Kernspintomographie des Beckens von Prof. Dr. Dr. M. vom 2. März 2001 bei. Des Weiteren holte das VA den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 15. März 2002 ein, welchem der ärztliche Entlassungsbericht von Prof. Dr. J./Dr. S./Dr. K. vom 8. Dezember 1999 über die vom 16. November 1999 bis zum 7. Dezember 1999 in der Rheumaklinik B. W. durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Diagnosen: rezidivierende Lumboischialgien beidseits bei Bandscheibenvorfällen L4/5 und L5/S1 und muskulärer Dysbalance, Halswirbelsäulen[HWS]-Syndrom bei muskulären Verspannungen, Gonalgien rechts bei Schnapp-Phänomen bei überbeweglichem Innenmeniskus rechts, Hypercholesterinämie), der Bericht von Prof. Dr. W./Dr. V./Dr. B. vom 9. Oktober 2000 (Diagnose: aktivierte Lumbabo nach Lendenwirbelsäulen[LWS]-Kontusion) und das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 18. Mai 2001 (Diagnosen: Lumboischialgie bei NPP L4/5, L5/S1, Osteochondrose L5/S1 mit linkslateraler Spondylosis deformans und Chondrose L4/5 mit erheblicher Einschränkung der Beweglichkeit der Brustwirbelsäule[BWS]/LWS, Zustand nach Fissur Os sacrum rechts, Fissur des Wirbelbogens SWK 1 links, Prellung Becken, Nierenprellung rechts, Knieplatzwunde) beigefügt waren. Dr. D. wertete in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 27. Mai 2002 die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 30 und führte aus, von den Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, dem Zustand nach Knieplatzwunde und nach Prellung der rechten Hüfte sowie nach der Beckenprellung gingen keine einen GdB von wenigstens 10 bewirkenden Funktionsbeeinträchtigungen aus. Hierauf gestützt lehnte das VA mit Bescheid vom 5. Juni 2002 eine höhere Bewertung des GdB sowie eine Feststellung der Nachteilsausgleiche G und RF ab.
Hiergegen legte der Kläger am 14. Juni 2002 Widerspruch ein. Er trug vor, er habe im Rückenbereich nicht nur Prellungen, sondern Fissuren. Außerdem lebe er seit seiner Geburt nur mit einem Ohr. Sodann holte das VA den Befundbericht des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Heilkunde C. vom 5. November 2002 ein, in welchem unter Beifügung des Audiogramms vom 10. Oktober 2002 eine Surditas rechts und eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit links beschrieben wurde. In der vä Stellungnahme vom 6. Dezember 2002 wurde zusätzlich die Gehörlosigkeit rechts, die Mikrotie und die Schwerhörigkeit links mit einem Teil-GdB von 40 und der Gesamt-GdB unter Einschluss des Teil-GdB 30 für den Bandscheibenschaden und die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule auf 50 eingeschätzt. Den Fissuren im Kreuzbein wurde keine einen GdB von mindestens 10 bedingende Funktionsbeeinträchtigung zugemessen. Dies zugrunde legend stellte das VA mit Teilabhilfebescheid vom 10. Dezember 2002 den GdB ab 13. Dezember 2001 auf 50 fest. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er wies auf das Fehlen eines Ohres und eine Herzrhythmusstörung hin. Außerdem sei seine Beinverkürzung und sein Meniskusschaden bislang nicht berücksichtigt worden. Der Kläger beantragte eine Heraufsetzung des GdB auf 80 bis 90 ab seiner Geburt sowie auf 100 ab 1990 und im Übrigen neben der Feststellung der Merkzeichen G und RF nun auch das Merkzeichen GL. Mit Bescheid vom 13. Januar 2003 lehnte das VA die Feststellung des Nachteilsausgleichs GL ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2003 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 5. Juni 2002, 10. Dezember 2002 und 13. Januar 2003 zurück. In den Gründen führte der Beklagte u. a. aus, es könne ein GdB von 40 rückwirkend ab Geburt und ein GdB von 50 rückwirkend ab 1. Mai 1997 festgestellt werden.
Dagegen erhob der Kläger am 5. Februar 2003 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Das SG holte die Befundberichte des HNO-Arztes C. und von Dr. R., jeweils vom 5. Mai 2003 ein. Der HNO-Arzt C. führte aus, der Kläger habe sich zuletzt am 10. Oktober 2002 bei ihm vorgestellt. Von entscheidender Bedeutung sei die Durchführung einer kernspintomographischen Untersuchung und der Nachweis, ob die Cochlea rechts, das Vestibularorgan rechts und das Mittelohr rechts regelrecht angelegt seien. Bejahendenfalls könne durch eine plastische Gehörgangsanlage das Gehör rechts gegebenenfalls wieder hergestellt werden. Das Fehlen des rechten Vestibularorganes habe entsprechende Konsequenzen für die tägliche Arbeit. Ein Hörgerät links habe der Kläger bislang abgelehnt. Dr. R. führte aus, nach seinen Unterlagen bestehe ein chronisches HWS-LWS-Syndrom mit angegebenen Bandscheibenvorfällen im Bereich der LWS, ein Zustand nach Fissuren im Bereich des Os sacrum sowie des Wirbelbogens SWK 1 sowie anamnestisch ein Zustand nach Innenmeniskusoperation. Bezüglich der orthopädischen Problematik sei der GdB mit 30 einzuschätzen. Zuletzt habe sich der Kläger bei ihm im Februar 2002 vorgestellt. Beigefügt waren die Arztbriefe des Orthopäden Dr. K. vom 18. April 1997, der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 7. Oktober 1998, 15. Januar 2001 und 1. März 2001, des Dr. S. vom 27. Juli 1999, 7. Februar 2002 und vom 26. März 2002, des Universitätsklinikums T. vom 15. August 1997 und des Nuklearmediziners Dr. H. vom 11. August 1999.
Der Beklagte legte die vä Stellungnahme vom 1. September 2003 vor, in welcher Dr. B. ausführte, Gehörlosigkeit liege nach Maßgabe der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Schwerbehindertenrecht und sozialen Entschädigungsrecht (Teil 2 SGB IX) Ausgabe 2004 (AP) nur dann vor, wenn auch unter Zuhilfenahme eines Hörgerätes eine normale Verständigung nicht möglich sei. Allein auf Basis des Tonaudiogramms vom 10. Oktober 2002 ergebe sich für das linke Ohr ein Hörverlust von 36 %. Dies entspreche einer geringgradigen Schwerhörigkeit. Damit sei der GdB allein für die Hörminderung mit 30 anzunehmen. Unter Berücksichtigung der Ohrmuscheldysplasie sei der GdB 40 also korrekt. Da die Hörminderung also allein mit einem GdB von 30 anzusetzen sei, sei Gehörlosigkeit beim Kläger nicht gegeben. Auch seien die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht erfüllt. Der GdB für die Wirbelsäulenstörung sei weiterhin mit 30 einzuschätzen. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bestehe nicht. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 8. April 2004 ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf die vä Stellungnahmen vom 6. Dezember 2002 und 1. September 2003 und den Befundbericht von Dr. R. vom 5. Mai 2003.
Gegen das ihm am 17. Juni 2004 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 16. Juli 2004 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, er könne nicht ohne Weiteres eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen.
Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. April 2004 aufzuheben, die Bescheide vom 5. Juni 2002, 10. Dezember 2002 und 13. Januar 2003 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 90 sowie die Nachteilsausgleiche G, RF und GL festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat dem Kläger mit Schreiben vom 25. August 2004 und dem Beklagten mit Schreiben vom 10. Februar 2006 mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, die Beteiligten Gelegenheit erhalten haben, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 50 und die Anerkennung der Nachteilsausgleiche G, RF und GL.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, sind insoweit seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP Abschn. 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP Abschn. 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP Abschn. 19 Abs. 4, S. 26).
Soweit beim Kläger funktionelle Einschränkungen auf dem orthopädischem Fachgebiet vorliegen, sind diese lediglich mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Insoweit stützt sich der Senat auf die Einschätzung des den Kläger behandelnden Dr. R. in dessen Befundbericht vom 15. März 2002. Dr. R. bewertete für den Senat nachvollziehbar den Teil-GdB für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule mit 30. Der Senat ist unter Berücksichtigung der umfangreichen von Dr. R. vorgelegten Arztbriefe der den Kläger behandelnden Orthopäden und Chirurgen der Ansicht, dass von den im Übrigen aufgeführten Diagnosen (Fissur Os Sacrum rechts, Fissur des Wirbelbogens SWK 1 links) keine GdB-erhöhende Wirkung ausgeht. Nach den AP sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem Teil-GdB von 30 bis 40 sowie mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, schwere Skoliose) mit einem Teil-GdB von 50 bis 70 zu bewerten (AP, 26.18, S. 116). Vorliegend handelt es sich um Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in mehreren Wirbelsäulenabschnitten. Die Einschätzung von Dr. R. in seinem Befundbericht vom 5. Mai 2003 sowie von Dr. B. in der vä Stellungnahme vom 1. September 2003, wonach der Teil-GdB für die Wirbelsäulenstörung mit 30 einzuschätzen sei, ist somit für den Senat schlüssig und gut nachvollziehbar. Der Vortrag des Klägers, eine Beinverkürzung sowie ein Meniskusschaden liege vor, ist für den Senat unter Zugrundelegung der vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht nachvollziehbar.
Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet beträgt der Teil-GdB 40. Beim Kläger liegt eine Gehörlosigkeit rechts, eine Ohrmuschelmissbildung rechts sowie eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit links vor. Insoweit stützt sich der Senat auf die Befundberichte des HNO-Arztes C. vom 5. November 2002 und 5. Mai 2003. Nach der Tabelle D der AP ist der GdB für eine Taubheit rechts und eine geringgradige Schwerhörigkeit links mit 30 bzw. für eine Taubheit rechts und eine mittelgradige Schwerhörigkeit links mit 40 zu bewerten (AP, 26.5, S. 59) sowie der GdB für den Verlust einer Ohrmuschel mit 20 zu bewerten (AP, 26.5 S. 62). In Abweichung von der Einschätzung des HNO-Arztes C. ist der Senat mit Dr. B. nicht von einer mittelgradigen Schwerhörigkeit links, sondern von einer geringgradigen Schwerhörigkeit links ausgegangen, sodass der Teil-GdB auf HNO-ärztlichem Fachgebiet zutreffend mit 40 bewertet wurde.
Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB hält der Senat einen Gesamt-GdB von 50, keinesfalls jedoch einen solchen von 80 oder gar 90 für angemessen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein Gesamt-GdB von 80 nur angenommen werden kann, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie etwa beim Verlust eines Beines im Hüftgelenk oder mit sehr kurzem Oberschenkelstumpf (AP, 26.18, S. 123), bei Wirbelsäulenschäden mit schwerster Belastungsinsuffizienz (AP, 26.18, S. 116), bei Herz-Kreislaufschäden mit auftretenden Dekompensationserscheinungen (AP, 26.9, S. 72), bei schwergradigen Einschränkungen der Lungenfunktion (AP, 26.8, S. 68) oder bei schweren psychischen Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten (AP, 26.3, S. 48) ... usw. Ein vergleichbares Ausmaß erreichen die vom Senat festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers nicht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens G.
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Auch bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AP, 30 Abs. 3 Satz 1, S. 137). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AP, 30 Abs. 3 Satz 2, S. 138). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.9 S. 71) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 68) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AP, 30 Abs. 3 Satz 4, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 89).
Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind nach den AP bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70, bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr - Beendigung der Gehörlosenschule) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt (AP, 30 Abs. 5 Satz 1, S. 138).
Bei geistig Behinderten sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn sich die Behinderten im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht (AP, 30 Abs. 5 Satz 2, S. 138).
Beim Kläger liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Insoweit verweist der Senat auf die obigen Ausführungen, wonach der GdB für die Wirbelsäulenschäden des Klägers lediglich 30 beträgt. Auch sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von sich auf die unteren Gliedmaßen des Klägers auswirkenden Behinderungen gegeben. Für die Gehfähigkeit relevante Herzschäden oder Atembehinderungen liegen ebenfalls nicht vor. Auch eine Taubheit oder eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit - jeweils beider Ohren - ist nicht gegeben, abgesehen davon fehlt es auch an der erforderlichen Kombination mit einer erheblichen Störung der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Nachteilsausgleichs RF.
Das Merkzeichen RF gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehinderten-Ausweis-Verordnung (SchwbAwV) ist gegeben, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Nach § 1 der Verordnung der Landesregierung von Baden-Württemberg über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 21. Juli 1992 (Ges.Bl. S. 573 ff.) in Verbindung mit den Fernmeldegebührenvorschriften werden wegen einer Behinderung von der Rundfunkgebührenpflicht befreit bzw. erhalten Gebührenermäßigung beim Fernsprechhauptanschluss u. a Sonderfürsorgeberechtigte im Sinne des § 27 e Bundesversorgungsgesetz, Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Personen, bei denen der GdB wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung beträgt, Hörgeschädigte, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist oder Behinderte, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht gegeben. Insoweit verweist der Senat auf die obigen Ausführungen, insbesondere darauf, dass der Kläger weder gehörlos ist, noch bei ihm ein Gesamt-GdB von wenigstens 80 festzustellen ist. Auch ist der Senat davon überzeugt, dass dem Kläger eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen möglich ist. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des HNO-Arztes C ...
Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs GL.
Das Merkzeichen Gl für Gehörlose gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 Schwerbehinderten-Ausweis-Verordnung (SchwbAwV) soll hörbehinderten Menschen zuerkannt werden, bei denen Taubheit beiderseits vorliegt, sowie hörbehinderten Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, wenn daneben schwere Sprachstörungen (schwer verständliche Lautsprache, geringer Sprachschatz) gegeben sind (LSG Hamburg, Urteil vom 12. April 2005 - L 4 SB 24/03 -). Auch diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht gegeben.
Nach alledem liegt eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, welche dem Bescheid des VA vom 16. Juni 1998 zu Grunde lagen, nicht vor. Der Beklagte hat daher die Anträge, soweit sie sich auf eine Heraufsetzung des GdB auf über 50 und die Feststellung der Nachteilsausgleiche G, RF und Gl richteten, zu Recht abgelehnt.
Unter Hinweis auf die obigen Ausführungen hat der Senat auch keine Anhaltspunkte, davon auszugehen, dass der Bescheid des VA vom 16. Juni 1998 insoweit rechtswidrig ist, als ein GdB von 90 nicht bereits seit der Geburt des Klägers und ein GdB von 100 nicht bereits seit 1990 festgestellt wurde.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.
Zurecht hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2003 ausgeführt, es könne ein GdB von 40 rückwirkend ab Geburt und ein GdB von 50 rückwirkend ab 1. Mai 1997 festgestellt werden. Der Senat hat keine Anhaltspunkte für eine zeitlich weitreichendere rückwirkende Feststellung eines höheren GdB.
Da nach alledem das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat, war die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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