L 25 B 259/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 1507/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 259/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. März 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27. Februar 2006 gegen den Sanktionsbescheid vom 8. Februar 2006 wird angeordnet. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsgegner erließ am 8. Februar 2006 – nach entsprechender Anhörung (§ 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) – gegenüber dem Antragsteller einen Sanktionsbescheid gemäß § 31 SGB II, mit welchem er das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2006 monatlich um 10% der Regelleistung absenkte und den ursprünglichen Bewilligungsbescheid insoweit für den genannten Zeitraum gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufhob. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller zu dem Meldetermin am 2. Dezember 2005 trotz schriftlicher Belehrung über die Folgen des Ausbleibens nicht erschienen sei und auch keine Gründe für sein Fernbleiben angeführt habe. Entsprechendes ergibt sich aus einem Vermerk des Antragsgegners vom 2. Februar 2006 (Bl. 82 Verwaltungsakte [VA]).

Am 16. Februar 2006 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin "Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Weiterzahlung des Arbeitslosengeld II in voller Höhe" gestellt und vorgetragen, dass ihm keine Verletzung der Mitwirkungspflichten vorgeworfen werde könne, da er sich ausreichend zum Sachverhalt geäußert habe. Zur Begründung hat er diverse Kopien eingereicht, u. a. die Kopie eines Widerspruchsschreibens vom 27. Februar 2006 gegen den Absenkungsbescheid vom 8. Februar 2006 sowie eines Schreibens vom 1. Februar 2006, in welchem er dem Antragsgegner unter Bezugnahme auf dessen Anhörungsschreiben nach § 24 SGB X vom 2. Januar 2006 mitteilt, dass er – der Antragsteller - bereits am 6. Oktober 2006 (gemeint ist wohl: 2005) bei der Gesellschaft für berufliche Bildung mbH – GBB - gewesen sei und dass keine weitere ordentliche Ladung in schriftlicher Form erfolgt sei (Bl. 10, 29 Gerichtsakte [GA]), ferner eine Bestätigung der G über die Teilnahme an einem Beratungsgespräch am 4. Oktober 2005 von 15.30 Uhr bis 17.00 Uhr.

Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung vom 21. Februar 2006 vorgetragen, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorlägen, da schwere unzumutbare, nicht wieder gutzumachende Nachteile nicht zu befürchten seien und die Entscheidung in der Hauptsache zudem vorweg genommen würde. Auch bestünden keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.

Mit Beschluss vom 9. März 2006 hat das Sozialgericht Berlin es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27. Februar 2006 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Februar 2006 anzuordnen. Das Sozialgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Absenkungsbescheides gemäß § 31 Abs. 6 SGB II vorgelegen hätten, da der Antragsteller nach Hinweis auf die mögliche Absenkung zur Vorsprache beim Antragsgegner am 2. Dezember 2005 ohne Angabe von Gründen ferngeblieben sei und auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine Entschuldigungsgründe vorgetragen habe. Die Ausführungen des Antragstellers zur Verfassungsmäßigkeit der von ihm und dem Antragsgegner abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung spiele im vorliegenden Verfahren keine Rolle, da die hier eingetretene Absenkung der Regelleistung gerade nicht auf dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung beruhe.

Gegen diesen ihm am 14. März 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am 3. April 2006 eingegangene Beschwerde des Antragstellers, mit welcher dieser ergänzend vorträgt, dass er – entgegen den Feststellungen in dem Beschluss - keine schriftliche Einladung zu dem Meldetermin am 2. Dezember 2005 erhalten habe und daher auch nicht unentschuldigt diesem Termin fern geblieben sei. Im Übrigen bedeute die Kürzung für ihn eine besondere soziale Härte.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. März 2006 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27. Februar 2006 gegen den Sanktionsbescheid vom 8. Februar 2006 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie die Streitakten verwiesen. Die genannten Unterlagen haben dem Senat zu seiner Entscheidung vorgelegen.

II.

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist begründet.

Einstweiligen Rechtsschutz erhält der Antragsteller im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86 Abs. 1 Nr. 2 SGG), da Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung haben. Über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung, in der auf die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels abgestellt wird. Ist der Bescheid offensichtlich rechtswidrig, so wird die aufschiebende Wirkung angeordnet und somit die Vollziehung ausgesetzt, denn es gibt kein öffentliches Interesse an der Fortgeltung eines solchen Verwaltungsaktes.

So verhält es sich hier. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Sanktionsbescheides nach § 31 Abs. 2 SGB II liegen nicht vor bzw. sind jedenfalls aus den Akten nicht nachvollziehbar.

Nach § 31 Abs. 2 SGB II wird das Arbeitslosengeld II u. a. dann abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht nachkommt und auch keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, dass der Antragsteller – "unstreitig" – unter Hinweis auf die mögliche Absenkung der Regelleistung "zur Vorsprache beim Antragsgegner" am 2. Dezember 2005 eingeladen worden und trotzdem ohne Angaben von Gründen ferngeblieben sei und auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dem Sozialgericht gegenüber keine Gründe für sein Fernbleiben trotz entsprechender Gelegenheit vorgetragen habe. Der Antragsteller bestreitet indes in seinem Beschwerdevorbringen, eine schriftliche Einladung – genauer: Ladung – zu dem Termin vom 2. Dezember 2005 erhalten zu haben. Dieses, allerdings erst im Beschwerdeverfahren erhobene Vorbringen lässt sich an Hand der Akten nicht widerlegen. In dem Verwaltungsvorgang befindet sich lediglich folgender Vermerk des Antragsgegners: " Kunde ist zur 01 am 2.12.05 bei G nicht erschienen. Anhörungsschreiben Kunden zugesandt – Kd. 01 zugesandt. Unterschrift R" (Blatt 82 Verwaltungsakte [VA]). In dem Verwaltungsvorgang befindet sich jedoch schon kein Schreiben über eine entsprechende Aufforderung des Antragstellers, sich zum 2. Dezember 2005 bei der G zu melden. Vorhanden ist lediglich ein Ausdruck mit den persönlichen Daten des Antragstellers, wobei als Hauptwohnsitz die Gstraße in B vermerkt ist und der den handschriftlichen Vermerk trägt: "Bitte Anschrift klären und gegebenenfalls zurück an 665 zur Änderung von ZBDV. Ne 13.12.05" (Blatt 78 VA). Bei dieser Sachlage erscheint es sowohl möglich, dass eine Aufforderung, sich – beim Antragsgegner – zu melden, überhaupt nicht an den Antragsteller abgesandt wurde, es ist aber ebenso möglich, dass diese an die vorbezeichnete Adresse des Antragstellers gegangen ist, der allerdings dem Antragsgegner bereits am 19. Januar 2005 mitgeteilt hatte, dass sein Hauptwohnsitz seit Herbst 2004 im L Weg , B sei und die Postanschrift in der Gstraße deshalb nicht mehr bestehe (Blatt 17 R VA).

Jedenfalls ist es dem Antragsteller nicht zu widerlegen, dass er die Meldeaufforderung nicht erhalten hat. Die Last des Nachweises für das Vorliegen eines Sanktionstatbestandes im Sinne des § 31 Abs. 2 SGB II trifft den Antragsgegner. Da der Sanktionstatbestand sich auf Verhaltensgebote, nämlich Melde- und Mitwirkungspflichten, bezieht, setzt eine Sanktion das Vorliegen einer hinreichend bestimmten schriftlichen Aufforderung voraus, die es dem Hilfebedürftigen ermöglicht, das ihm abverlangte Verhalten zu erkennen, denn die Sanktion setzt einen vorsätzlichen Verstoß gegen die Meldepflicht voraus. Eine diesen Anforderungen genügende schriftliche Aufforderung befindet sich weder in den Akten des Antragsgegners, noch wurde eine solche im folgenden Eilverfahren vorgelegt. Es bestehen daher ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides vom 8. Februar 2006.

Nach alledem war der Beschwerde statt zu geben.

Gegen diese Entscheidung sieht das Gesetz einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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