Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 RJ 1038/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 100/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) hat.
Der heute in den USA lebende und vom dortigen Träger Altersrente beziehende Kläger jüdischen Glaubens wurde 1921 im polnischen Ludwipol (Kreis Rowno, bis 1945 zum ostgalizischen Teil Polens gehörend) geboren. Dort wurde während der Besatzung durch das nationalsozialistische Deutschland ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung eingerichtet, in dem der Kläger nach seinen 1993 gegenüber der Claims Conference gemachten Angaben von Oktober 1941 bis August 1942 leben und arbeiten, nämlich graben ("diging", richtig wohl: digging) und schaufeln ("showling", richtig wohl: shoveling) "etc." musste. Im August 1942 sei er entkommen und habe sich bis zur Befreiung durch die russische Armee im Dezember 1944 in einem nahe gelegenen Wald versteckt. Seine Eltern und sechs Geschwister seien durch die Nationalsozialisten getötet worden.
Ein 1958 gestellter Antrag auf Entschädigung für einen Schaden an Freiheit nach dem Bundesentschädigungsgesetz wurde vom Bayerischen Landesentschädigungsamt wegen fehlender Mitwirkung des Klägers abgelehnt, nachdem vom Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes nur Angaben über das Schicksal des Klägers ab November 1945 gemacht worden waren und der Kläger trotz mehrfacher Erinnerung zur weiteren Aufklärung nichts mehr beigetragen hatte. Wegen Unsubstantiiertheit wurde ein 1965 gestellter Antrag auf Entschädigung für einen Schaden an Körper und Gesundheit abgelehnt.
Im Januar 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten (bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg, im Folgenden ebenfalls Beklagte genannt) die Zahlung einer Regelaltersrente ab 1. Juli 1997 unter Verweis auf das ZRBG. Er gab an, in den Jahren 1941 und 1942 im Ghetto Ludwipol (Straßen-) Bauarbeiten in Vollzeit verrichtet und als Gegenleistung Essen und Unterkunft erhalten zu haben. Zeugen seien keine mehr vorhanden.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten nicht erfüllt sei. Beschäftigungszeiten nach dem ZRBG könnten nicht anerkannt werden, weil es nicht glaubhaft sei, dass es sich bei der im Ghetto Ludwipol ausgeübten Tätigkeit um eine aus freiem Willensentschluss zu Stande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des § 1 ZRBG gehandelt habe (Bescheid vom 17. November 2003, Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2004).
Mit der dagegen erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er von Oktober 1941 bis September 1942 im Ghetto Ludwipol als Schuhmacher und anschließend im Straßenbau gearbeitet habe. Er habe sich die Beschäftigungsverhältnisse über den Judenrat gesucht und "sozialversicherungsrechtliches" Entgelt in Form von Verpflegung und Unterkunft erhalten. Sämtliche Zeugen seien verstorben. Die Verhältnisse im Ghetto Ludwipol seien indes mit jenen im Ghetto Lodz vergleichbar gewesen.
Die Beklagte hat erwidert, dass Straßenbauarbeiten in den besetzten Gebieten in der Regel von Arbeitskommandos als Zwangsarbeit verrichtet worden seien.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger in Ermangelung anzuerkennender (fiktiver) Beitragszeiten die allgemeine Wartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllt habe. Auch wenn die Kammer zu Gunsten des Klägers davon ausgehe, dass er im Ghetto Ludwipol (Straßen-)Bauarbeiten verrichtet habe, komme eine Anerkennung dieser Zeiten als Beitragszeiten nicht in Betracht. Weder seien für die angegebene Beschäftigung Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden, noch könne dies fingiert werden. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Kläger die angegebene Tätigkeit entgeltlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeübt habe. Die vom Kläger angegebene bloße Gewährung von Lebensmitteln am Arbeitsplatz als Gegenleistung für die geleistete Arbeit erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Eine außergewöhnliche Höhe der erhaltenen Sachleistung, die das für den Kläger selbst erforderliche Maß überstiegen und unter Umständen zu einer versicherungsrechtlichen Relevanz der Gegenleistung hätte führen können, sei weder nahe liegend, noch sei sie vom Kläger behauptet worden. Auch Anhaltspunkte für eine neben der Verpflegung gewährte Gegenleistung seien nicht vorhanden. Daher komme es auf die Frage, ob der Kläger seine Arbeit aus freiem Willensentschluss im Sinne des ZRBG aufgenommen habe, nicht an.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung meint der Kläger, dass die Gewährung ausreichender Verpflegung und Unterkunft für die Tätigkeiten als Schuhmacher und im Straßenbau über die vom BSG aufgestellten Maßstäbe für die Annahme von Entgeltlichkeit hinausgehe, so dass Ghetto-Beitragszeiten anzuerkennen seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 2005 und des Bescheides vom 17. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2004 zu verpflichten, ihm unter Anerkennung von Beitragszeiten nach dem ZRBG Altersrente zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und schließt sich dessen Ausführungen an.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie des Bayerischen Landesentschädigungsamts.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die statthafte und auch Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nach § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) ist nicht erfüllt. Es sind keine hierauf anrechenbare Zeiten glaubhaft gemacht worden, weder Beitragszeiten (§ 51 Abs. 1 SGB VI; hierzu unter 1.) noch Ersatzzeiten (§ 51 Abs. 4 SGB VI; hierzu unter 2.).
1. Anzuerkennende Beitragszeiten liegen nicht vor, wobei überhaupt nur Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI in Betracht kommen. Denn der Kläger gehört nicht zu dem nach §§ 1 oder 17a Fremdrentengesetz begünstigten oder nach § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) diesem gleich gestellten Personenkreis.
Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die vom Kläger behaupteten Beschäftigungen im Ghetto Ludwipol offenkundig nicht gegeben.
Nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Ob hierzu so genannte Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG, um deren Vorliegen die Beteiligten streiten, gehören können (verneinend: LSG Nordrhein-Westfalen 13. Januar 2006 – L 4 RJ 113/04), lässt der erkennende Senat offen (ebenso: LSG Hamburg 15. Dezember 2005 – L 6 RJ 24/03). Denn selbst, wenn man die diesbezügliche Auffassung der Beteiligten als richtig unterstellt, fehlt es an den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Danach gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Diese Voraussetzungen sind nach § 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 WGSVG glaubhaft zu machen, was vorliegend nicht geschehen ist.
Das Sozialgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die pauschale Angabe der Gewährung von Essen und Unterkunft nicht ausreicht, um eine Entgeltlichkeit der angegebenen Beschäftigungsverhältnisse zu bejahen. Entgeltlichkeit setzt zunächst eine noch angemessene Gegenleistung für geleistete Arbeit voraus, muss eine Mindesthöhe erreichen, liegt jedoch nicht vor, wenn nur freier Unterhalt gewährt wird (BSG 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 59/03 R, BSGE 93, 214). Über dieses Maß hinausgehende Leistungen sind vom Kläger nicht substantiiert behauptet worden.
Die Anerkennung der angegebenen Beschäftigungszeiten scheitert auch schon daran, dass nicht feststellbar ist, welche Beschäftigungen in welchem Zeitraum der Kläger tatsächlich ausübte. Während er gegenüber der Claims Conference noch Arbeiten in Form von Graben und Schaufeln bis August 1942 und in dem Antrag bei der Beklagten Bau- und Straßenbauarbeiten in einem nicht näher bestimmten Zeitraum von 1941 bis 1942 angegeben hatte, behauptete er erstmals im Widerspruchs- und danach im Klageverfahren eine Tätigkeit bis September 1942, also bis zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich nach seinen Angaben gegenüber der Claims Conference bereits auf der Flucht und in seinem Versteck im Wald befunden hatte. Weiter hat der Kläger erstmals im Klageverfahren behauptet, dass er bis September 1942 überwiegend als Schuhmacher gearbeitet habe, ohne jedoch einen Arbeitsort zu benennen. Erst daran anschließend habe er Straßenbauarbeiten verrichtet, also zu einem Zeitpunkt, zu dem er nach seinen früheren Angaben längst auf der Flucht bzw. im Versteck war. Angesichts dieser Widersprüche und des Fehlens von Zeugen lässt sich durch das Gericht nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen, welche Beschäftigung der Kläger in welchem Zeitraum ausübte, was sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu dessen Nachteil auswirkt.
Schließlich ist auch nicht die weitere Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG glaubhaft gemacht worden, dass die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommen sein muss. Wenn man - wie es das Sozialgericht getan hat - die Erstangaben des Klägers zu Grunde legt, dass er im Straßenbau beschäftigt gewesen sei, spricht - worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat - einiges dafür, dass es sich um Zwangsarbeit innerhalb einer Arbeitskolonne handelte. Hierfür spricht auch die vom Bevollmächtigten des Klägers im März 2004 dem Bayerischen Landesentschädigungsamt vorgelegte Vollmacht des Klägers vom 27. Oktober 2003 (Blatt 20 der Entschädigungsakte), mit der ausdrücklich eine Bevollmächtigung mit der Wahrnehmung der Interessen des Klägers im Rahmen des Entschädigungsverfahrens auf Grund der "von mir geleisteten Zwangsarbeit" ("slave labour I was forced to perform") erfolgte.
2. Auch Ersatzzeiten können nicht anerkannt werden.
Unter anderem setzt § 250 Abs. 1 SGB VI die Versicherteneigenschaft voraus, die der Kläger nach den vorhergehenden Ausführungen jedoch gerade nicht besitzt. Denn versichert im Sinne dieser Vorschrift ist nur derjenige, für den ein Beitrag vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder aber als wirksam entrichtet gilt (BSG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) hat.
Der heute in den USA lebende und vom dortigen Träger Altersrente beziehende Kläger jüdischen Glaubens wurde 1921 im polnischen Ludwipol (Kreis Rowno, bis 1945 zum ostgalizischen Teil Polens gehörend) geboren. Dort wurde während der Besatzung durch das nationalsozialistische Deutschland ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung eingerichtet, in dem der Kläger nach seinen 1993 gegenüber der Claims Conference gemachten Angaben von Oktober 1941 bis August 1942 leben und arbeiten, nämlich graben ("diging", richtig wohl: digging) und schaufeln ("showling", richtig wohl: shoveling) "etc." musste. Im August 1942 sei er entkommen und habe sich bis zur Befreiung durch die russische Armee im Dezember 1944 in einem nahe gelegenen Wald versteckt. Seine Eltern und sechs Geschwister seien durch die Nationalsozialisten getötet worden.
Ein 1958 gestellter Antrag auf Entschädigung für einen Schaden an Freiheit nach dem Bundesentschädigungsgesetz wurde vom Bayerischen Landesentschädigungsamt wegen fehlender Mitwirkung des Klägers abgelehnt, nachdem vom Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes nur Angaben über das Schicksal des Klägers ab November 1945 gemacht worden waren und der Kläger trotz mehrfacher Erinnerung zur weiteren Aufklärung nichts mehr beigetragen hatte. Wegen Unsubstantiiertheit wurde ein 1965 gestellter Antrag auf Entschädigung für einen Schaden an Körper und Gesundheit abgelehnt.
Im Januar 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten (bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg, im Folgenden ebenfalls Beklagte genannt) die Zahlung einer Regelaltersrente ab 1. Juli 1997 unter Verweis auf das ZRBG. Er gab an, in den Jahren 1941 und 1942 im Ghetto Ludwipol (Straßen-) Bauarbeiten in Vollzeit verrichtet und als Gegenleistung Essen und Unterkunft erhalten zu haben. Zeugen seien keine mehr vorhanden.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten nicht erfüllt sei. Beschäftigungszeiten nach dem ZRBG könnten nicht anerkannt werden, weil es nicht glaubhaft sei, dass es sich bei der im Ghetto Ludwipol ausgeübten Tätigkeit um eine aus freiem Willensentschluss zu Stande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des § 1 ZRBG gehandelt habe (Bescheid vom 17. November 2003, Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2004).
Mit der dagegen erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er von Oktober 1941 bis September 1942 im Ghetto Ludwipol als Schuhmacher und anschließend im Straßenbau gearbeitet habe. Er habe sich die Beschäftigungsverhältnisse über den Judenrat gesucht und "sozialversicherungsrechtliches" Entgelt in Form von Verpflegung und Unterkunft erhalten. Sämtliche Zeugen seien verstorben. Die Verhältnisse im Ghetto Ludwipol seien indes mit jenen im Ghetto Lodz vergleichbar gewesen.
Die Beklagte hat erwidert, dass Straßenbauarbeiten in den besetzten Gebieten in der Regel von Arbeitskommandos als Zwangsarbeit verrichtet worden seien.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger in Ermangelung anzuerkennender (fiktiver) Beitragszeiten die allgemeine Wartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllt habe. Auch wenn die Kammer zu Gunsten des Klägers davon ausgehe, dass er im Ghetto Ludwipol (Straßen-)Bauarbeiten verrichtet habe, komme eine Anerkennung dieser Zeiten als Beitragszeiten nicht in Betracht. Weder seien für die angegebene Beschäftigung Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden, noch könne dies fingiert werden. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Kläger die angegebene Tätigkeit entgeltlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeübt habe. Die vom Kläger angegebene bloße Gewährung von Lebensmitteln am Arbeitsplatz als Gegenleistung für die geleistete Arbeit erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Eine außergewöhnliche Höhe der erhaltenen Sachleistung, die das für den Kläger selbst erforderliche Maß überstiegen und unter Umständen zu einer versicherungsrechtlichen Relevanz der Gegenleistung hätte führen können, sei weder nahe liegend, noch sei sie vom Kläger behauptet worden. Auch Anhaltspunkte für eine neben der Verpflegung gewährte Gegenleistung seien nicht vorhanden. Daher komme es auf die Frage, ob der Kläger seine Arbeit aus freiem Willensentschluss im Sinne des ZRBG aufgenommen habe, nicht an.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung meint der Kläger, dass die Gewährung ausreichender Verpflegung und Unterkunft für die Tätigkeiten als Schuhmacher und im Straßenbau über die vom BSG aufgestellten Maßstäbe für die Annahme von Entgeltlichkeit hinausgehe, so dass Ghetto-Beitragszeiten anzuerkennen seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 2005 und des Bescheides vom 17. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2004 zu verpflichten, ihm unter Anerkennung von Beitragszeiten nach dem ZRBG Altersrente zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und schließt sich dessen Ausführungen an.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie des Bayerischen Landesentschädigungsamts.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die statthafte und auch Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nach § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) ist nicht erfüllt. Es sind keine hierauf anrechenbare Zeiten glaubhaft gemacht worden, weder Beitragszeiten (§ 51 Abs. 1 SGB VI; hierzu unter 1.) noch Ersatzzeiten (§ 51 Abs. 4 SGB VI; hierzu unter 2.).
1. Anzuerkennende Beitragszeiten liegen nicht vor, wobei überhaupt nur Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI in Betracht kommen. Denn der Kläger gehört nicht zu dem nach §§ 1 oder 17a Fremdrentengesetz begünstigten oder nach § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) diesem gleich gestellten Personenkreis.
Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die vom Kläger behaupteten Beschäftigungen im Ghetto Ludwipol offenkundig nicht gegeben.
Nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Ob hierzu so genannte Ghetto-Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG, um deren Vorliegen die Beteiligten streiten, gehören können (verneinend: LSG Nordrhein-Westfalen 13. Januar 2006 – L 4 RJ 113/04), lässt der erkennende Senat offen (ebenso: LSG Hamburg 15. Dezember 2005 – L 6 RJ 24/03). Denn selbst, wenn man die diesbezügliche Auffassung der Beteiligten als richtig unterstellt, fehlt es an den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Danach gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Diese Voraussetzungen sind nach § 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 WGSVG glaubhaft zu machen, was vorliegend nicht geschehen ist.
Das Sozialgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die pauschale Angabe der Gewährung von Essen und Unterkunft nicht ausreicht, um eine Entgeltlichkeit der angegebenen Beschäftigungsverhältnisse zu bejahen. Entgeltlichkeit setzt zunächst eine noch angemessene Gegenleistung für geleistete Arbeit voraus, muss eine Mindesthöhe erreichen, liegt jedoch nicht vor, wenn nur freier Unterhalt gewährt wird (BSG 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 59/03 R, BSGE 93, 214). Über dieses Maß hinausgehende Leistungen sind vom Kläger nicht substantiiert behauptet worden.
Die Anerkennung der angegebenen Beschäftigungszeiten scheitert auch schon daran, dass nicht feststellbar ist, welche Beschäftigungen in welchem Zeitraum der Kläger tatsächlich ausübte. Während er gegenüber der Claims Conference noch Arbeiten in Form von Graben und Schaufeln bis August 1942 und in dem Antrag bei der Beklagten Bau- und Straßenbauarbeiten in einem nicht näher bestimmten Zeitraum von 1941 bis 1942 angegeben hatte, behauptete er erstmals im Widerspruchs- und danach im Klageverfahren eine Tätigkeit bis September 1942, also bis zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich nach seinen Angaben gegenüber der Claims Conference bereits auf der Flucht und in seinem Versteck im Wald befunden hatte. Weiter hat der Kläger erstmals im Klageverfahren behauptet, dass er bis September 1942 überwiegend als Schuhmacher gearbeitet habe, ohne jedoch einen Arbeitsort zu benennen. Erst daran anschließend habe er Straßenbauarbeiten verrichtet, also zu einem Zeitpunkt, zu dem er nach seinen früheren Angaben längst auf der Flucht bzw. im Versteck war. Angesichts dieser Widersprüche und des Fehlens von Zeugen lässt sich durch das Gericht nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen, welche Beschäftigung der Kläger in welchem Zeitraum ausübte, was sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu dessen Nachteil auswirkt.
Schließlich ist auch nicht die weitere Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG glaubhaft gemacht worden, dass die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommen sein muss. Wenn man - wie es das Sozialgericht getan hat - die Erstangaben des Klägers zu Grunde legt, dass er im Straßenbau beschäftigt gewesen sei, spricht - worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat - einiges dafür, dass es sich um Zwangsarbeit innerhalb einer Arbeitskolonne handelte. Hierfür spricht auch die vom Bevollmächtigten des Klägers im März 2004 dem Bayerischen Landesentschädigungsamt vorgelegte Vollmacht des Klägers vom 27. Oktober 2003 (Blatt 20 der Entschädigungsakte), mit der ausdrücklich eine Bevollmächtigung mit der Wahrnehmung der Interessen des Klägers im Rahmen des Entschädigungsverfahrens auf Grund der "von mir geleisteten Zwangsarbeit" ("slave labour I was forced to perform") erfolgte.
2. Auch Ersatzzeiten können nicht anerkannt werden.
Unter anderem setzt § 250 Abs. 1 SGB VI die Versicherteneigenschaft voraus, die der Kläger nach den vorhergehenden Ausführungen jedoch gerade nicht besitzt. Denn versichert im Sinne dieser Vorschrift ist nur derjenige, für den ein Beitrag vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder aber als wirksam entrichtet gilt (BSG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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