L 8 SB 4795/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 1091/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4795/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) streitig.

Bei dem am 1961 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Ravensburg (VA) nach Auswertung zahlreicher medizinischer Befundunterlagen auf dessen Antrag vom 14.04.2000 wegen eines Tremors und seelischer Störung (Teil-GdB 30) und einer Zuckerkrankheit (Teil-GdB 10) den GdB mit 30 seit dem 14.04.2000 fest (Bescheid vom 12.07.2000).

Ein Antrag des Klägers vom 02.07.2001 auf Erhöhung des GdB und die Feststellung gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen blieb nach Auswertung weiterer medizinischer Befundunterlagen trotz zusätzlicher Berücksichtigung einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) durch Bescheid des VA vom 25.09.2001 erfolglos.

Am 25.09.2002 stellte der Kläger beim VA einen weiteren Antrag auf Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung des Tremors und der Zuckerkrankheit sowie neu aufgetretener Wirbelsäulenbeschwerden und auf Feststellung weiterer gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" und "RF". Das VA zog medizinische Befundunterlagen bei (Berichte der Kliniken des Landkreises S. GmbH vom 23.04.2002 und 06.05.2002, Dr. W. vom 29.04.2002, 04.06.2002 und 19.09.2002, des Universitätsklinikums U. vom 17.08.2002 sowie Befundschein Dr. K.) und ließ diese versorgungsärztlich auswerten (Dr. W. vom 16.11.2002).

Mit Bescheid vom 21.11.2002 stellte das VA beim Kläger wegen seelischer Störung und essenziellem Tremor (Teil-GdB 30), Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar, Teil-GdB 20) sowie einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) den GdB nunmehr mit 40 seit 25.09.2002 fest. Da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege, hätten gesundheitliche Merkmale als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nicht festgestellt werden können.

Hiergegen legte der Kläger am 16.12.2002 Widerspruch ein. Er machte geltend, wegen der Funktionsbeeinträchtigungen seelische Störung, Tremorerkrankung, Diabetes, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und SchM.en im rechten Bein sowie im Bereich des rechten Fußes liege bei ihm die Schwerbehinderteneigenschaft vor. Er verfolge seinen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von mindestens 50 weiter. Das VA zog den Bericht des Universitätsklinikums U. - Poliklinik für Neurologie - vom 10.09.2002 bei und ließ diesen durch den Versorgungsarzt Nörenberg auswerten (Stellungnahme vom 26.03.2003).

Mit Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 06.05.2003 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 40 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers wieder. Eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen.

Am 03.06.2003 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG), mit der er sein Ziel auf Feststellung des GdB von mindestens 50 weiterverfolgte. Er machte geltend, aufgrund der Vielzahl der Erkrankungen sei bei ihm zumindest von einer Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Behinderungsgrad von 50 auszugehen.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. K., Dr. M. und Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Internist Dr. M. teilte in seiner Stellungnahme vom 29.10.2003 unter Vorlage von Arztbriefen den Behandlungsverlauf und die erhobenen Befunde mit. Der Kläger leide an einem Diabetes mellitus Typ IIb, die Einstellung sei mittels Medikamenten ohne Insulintherapie erfolgt. Organkomplikationen lägen nach seinem Kenntnisstand nicht vor. Der Orthopäde Dr. B. teilte in seiner Stellungnahme vom 04.11. 2003 den Behandlungsverlauf und die erhobenen Befunde mit. Auf orthopädischem Gebiet sei der GdB wegen einer Fußdeformität mit statischer Auswirkung mittleren Grades zwischen 10 und 20 einzuschätzen. Der Internist Dr. K. teilte in seiner Stellungnahme vom 18.11.2003 unter Vorlage ärztlicher Berichte den Behandlungsverlauf und die erhobenen Befunde mit. Aufgrund des Tremors bestünden erhebliche Störungen der Feinmotorik, wodurch eine erhebliche Belastung bei alltäglichen Aufgaben bestehe. Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit seien durch progrediente SchM.en im Bereich der Wirbelsäule und der Kniegelenke vorhanden.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der Stellungnahme des Versorgungsarztes Deppisch vom 17.02.2004, wonach eine Funktionsstörung durch Fußfehlform (Teil-GdB 10) und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit bei unveränderten Gesamt-GdB von 40 zusätzlich zu berücksichtigen sei, entgegen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG holte das SG das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. P., Rehabilitationskrankenhaus U., vom 09.02.2005 sowie das neurologische Gutachten des Prof. Dr. H., Universitätsklinikum U., vom 15.07.2005 ein.

Prof. Dr. P. diagnostizierte in seinem Gutachten chronisch rezidivierende Lumbalgien ohne wesentliche radiologisch erkennbare degenerative Veränderungen, chronisch rezidivierende Halswirbelsäulenbeschwerden sowie eine Metatarsalgie beidseits, rechts stärker als links. Auf orthopädischem Gebiet ergebe sich auf Grund der Wirbelsäulenbeschwerden ein GdB von 10. Die Metatarsalgien führten zu keiner Erhöhung des GdB.

Prof. Dr. H. diagnostizierte in seinem Gutachten Cervikobrachialgien und Lumboischialgien ohne radikuläre Ausfallsymptomatik, einen essenziellen Tremor sowie den Verdacht auf eine diskrete sensible Polyneuropathie. Der GdB für den essenziellen Tremor betrage 30. Die diskrete diabetische Polyneuropathie in Form von Dysästhesien ohne motorische Ausfälle sei im Rahmen des GdB von 20 für den Diabetes mellitus berücksichtigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.10.2005 wies das SG die Klage des Klägers ab. Das Gericht sei zu der Überzeugung gelangt, dass keine weiter gehende Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten sei als sie der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden bereits berücksichtigt habe. Die Verurteilung zur Feststellung eines höheren Gesamt-GdB komme deshalb nicht in Betracht. Dies folge bereits aus den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte nebst den von diesen vorgelegten Fremdbefunden und werde durch die auf Antrag des Klägers erfolgten Begutachtungen auf neurologischem und orthopädischem Gebiet bestätigt. Der essenzielle Tremor bedinge einen im Wesentlichen unstreitigen GdB von 30. Der Diabetes mellitus könne selbst bei Vorliegen einer diabetischen Polyneuropathie nicht höher als mit 20 bewertet werden. Der Beklagte habe somit zu Recht einen Gesamt-GdB von 40 festgestellt. Eine weitere Erhöhung sei nicht zu rechtfertigen.

Gegen den am 14.10.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.11.2005 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, er könne sich mit der Einschätzung des SG nicht einverstanden erklären. Die Ansicht des SG sei umso weniger nachvollziehbar, als die einzelnen Behinderungsgrade auf neurologischem Gebiet mit 30, auf orthopädischem Gebiet mit 10 und auf internistischem Gebiet mit 20 festgestellt worden seien. Zutreffend sei zwar, dass keine einfache Addition stattfinden könne. Vorliegend sei jedoch bei einer Gesamtbewertung des Krankheitsbildes und der Schwere der Krankheitsbilder zumindest von einem Gesamt-GdB von 50 und damit von einer Schwerbehinderteneigenschaft auszugehen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Oktober 2005 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2003 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie ein Band Akten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Feststellung eines GdB vom 50 (oder mehr) nicht zu. Die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten und des SG sind nicht zu beanstanden.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart (Abteilung 10) vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur Reformgesetz VRG) vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Das SG ist unter Heranziehung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungsgrundsätze der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht 2004" (AHP) zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass die Behinderungen des Klägers keinen höheren GdB als 40 bedingen. Der Senat kommt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Die Bewertung des GdB mit 40 steht im Einklang mit den beim Kläger festgestellten Befunden und den damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen und entspricht den Bewertungsgrundsätzen der AHP. Der Senat schließt sich zur Begründung seiner eigenen Entscheidung den erstinstanzlichen Ausführungen des SG vollumfänglich an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:

Entgegen der Ansicht des Klägers rechtfertigt eine Gesamtbewertung des Krankheitsbildes und insbesondere auch die Schwere der Krankheitsbilder keinen höheren Gesamt-GdB als 40. Nach den von Prof. Dr. P. bei der Untersuchung des Klägers erhobenen Befunden zeigte sich beim Kläger ihm Stehen ein Beckengeradstand. Der Finger-Boden-Abstand betrug 2 cm. Die Zeichen nach Schober betrugen 10/15 und nach Ott 30/33. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule war allenfalls endgradig eingeschränkt, ohne SchM.provokation bei maximaler Reklination und Inklination sowie maximaler Drehung. Es fanden sich keine Auffälligkeiten an den oberen Extremitäten. Zehenspitzen- und Hackengang beidseits waren möglich. Eine relevante Bewegungseinschränkung im Bereich beider Hüftgelenke bestand nicht. Beide Kniegelenke waren (bei Angabe von SchM.en im Bereich beider Kniekehlen) frei beweglich. Ebenso die oberen und unteren Sprunggelenke sowie die Zehen. Über den Mittelfußköpfchen beidseits bestanden deutliche SchM.en, rechts stärker als links. Weiter gab der Kläger eine nicht dermatombezogene Hypästhesie am linken Unterschenkel und Fuß an. Nach den von Prof. Dr. H. erhobenen Befunden kann beim Kläger allenfalls von einer gering ausgeprägten diabetischen Polyneuropathie ausgegangen werden. Der Kläger zeigte einen aufrechten, flüssigen Gang mit normaler Schrittlänge und Geschwindigkeit sowie normale physiologische Mitbewegungen der Arme. Es bestand ein diskreter feinschlägiger Haltetremor der oberen Extremitäten ohne Paresen oder Musekelatrophien bei intakter Feinmotorik beidseits. Nach den Angaben des Klägers bei der Untersuchung war eine Depression kaum noch vorhanden. Damit bestehen beim Kläger keine Funktionsbeeinträchtigungen, die in ihrer Gesamtschau nach den AHP dem Bild eines schwer behinderten Menschen entsprechen. Solche sind auch nicht den sonst zahlreich vorliegenden ärztlichen Befundunterlagen zu entnehmen.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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