L 4 V 3/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 31 KO 31/97
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 V 3/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Juli 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Ansprüche des Klägers nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der im Jahre 1925 geborene Kläger war Soldat im II. Weltkrieg. Ein Antrag aus dem Jahre 1960 führte im Ergebnis dazu, dass die Beklagte zugunsten des Klägers als wehrdienstbedingte Schädigungsfolgen einen Verlust des rechten Nebenhodens durch Operation nach Verschlimmerung von Nebenhodentuberkulose beiderseits sowie Aspermie anerkannte und ihm eine Rente nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes bewilligte.

In den 80er Jahren kam es zum Streit zwischen dem Kläger und der Beklagten, weil der Kläger die Anerkennung weiterer mittelbarer Schädigungsfolgen, der Verschlimmerung seines anerkannten Schädigungsleidens und die Anerkennung einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als 30 v.H. verlangte (Verfahren S 30 KO 124/86). Im Rahmen dieses Verfahrens erklärte sich die Beklagte bereit, die Bezeichnung des Versorgungsleidens zu ergänzen und eine Erhöhung der MdE ab April 1987 auf 50 v.H. anzuerkennen. Dieses Angebot der Beklagten nahm der Kläger an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Unter dem 5. Dezember 1988 erließ die Beklagte einen Ausführungsbescheid über die Feststellung von Beschädigten-Bezügen nach dem Bundesversorgungsgesetz, in dem es heißt, durch die Schädigungsfolgen "Verlust des rechten Nebenhodens durch Operation nach Verschlimmerung von Nebenhodentuberkulose beidseits, Aspermie, Zustand nach Spontanperforation im Bereich des linken Hodensackfaches und En-bloc-Entfernung des linken Nebenhodens samt entzündeter Umgebung unter Belassung des linken Hodens", und zwar verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG, sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers ab 1. April 1987 um 50 v.H. und ab 1. August 1988 um 30 v.H. gemindert. Gegen diesen Ausführungsbescheid erhob der Kläger Widerspruch, da das Angebot der Beklagten auf Erhöhung der MdE nicht befristet gewesen sei. Dieser Widerspruch wurde mit Bescheid vom 30. Oktober 1989 zurückgewiesen. Im sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren S 30 KO 140/89 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Vergleich, wonach die Beklagte ihm in Abänderung des Ausführungsbescheides vom 5. Dezember 1988 Rente nach einer MdE um 50 v.H. für die Zeit vom 1. April 1987 bis zum 30. Juni 1992 und nach einer MdE um 30 v.H. ab 1. Juli 1992 gewährt. Dem war ein rechtlicher Hinweis des Gerichts vorausgegangen, wonach das alte Verfahren durch das angenommene Angebot der Beklagten beendet gewesen und diese verpflichtet gewesen sei, einen unbefristeten Ausführungsbescheid mit einer Erhöhung der MdE ab 1. April 1987 von 30 auf 50 v.H. zu erlassen, was nicht geschehen sei. Allerdings wäre, so der Hinweis des Gerichts, die Beklagte nach neuerem ärztlichen Gutachten berechtigt gewesen, diese Herabsetzung auf 30 v.H. nunmehr für die Zukunft vorzunehmen. Am 5. August 1992 erließ die Beklagte einen Ausführungsbescheid, in welchem sie den Inhalt des Vergleichs umsetzte und außerdem die im Bescheid vom 5. Dezember 1988 bezeichneten Schädigungsfolgen unverändert übernahm.

Bereits am 20. Juli 1992 hatte der Kläger gegenüber der Beklagten die Feststellung einer Verschlimmerung seiner Gesundheitsstörungen beantragt, nämlich seiner Schwerhörigkeit rechts, die bereits vorhanden gewesen sei. Diese Gesundheitsstörung habe sich aufgrund einer Behandlung im Seehospital S. verschlechtert (gemeint ist eine tuberkulostatische Behandlung im Jahre 1987), des Weiteren die Anerkennung einer Virusinfektion anlässlich einer Untersuchung im Allgemeinen Krankenhaus (AK) B. am 17. Dezember 1991. Später nannte der Kläger außerdem als zusätzlich anzuerkennende Schädigungsfolge einen Bluthochdruck bei Harndrang sowie Darmausfluss durch eine Samenblasenfistel.

Die Beklage führte medizinische Ermittlungen durch und lehnte mit Bescheid vom 13. September 1996 den Antrag auf Erhöhung des bisherigen Grades der MdE und auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen ab: Die vom Kläger beschriebenen Blutdruckschwankungen unter zunehmender Füllung der Blase bei und nach Miktion hätten ärztlicherseits nicht nachvollzogen werden können. Die geltend gemachten Beschwerden im Sinne eines Darmausflusses bei vermuteter Harnröhren- bzw. Samenblasen-/Darmfistel seien durch Untersuchungen nicht zu belegen gewesen. Auch die weiteren Unterleibsbeschwerden des Klägers seien keine Schädigungsfolge der bekannten Urogenitaltuberkulose.

Der Kläger erhob Widerspruch, der mit Bescheid vom 29. Mai 1997 zurückgewiesen wurde. In der Begründung heißt es, dem Kläger stehe ein höherer MdE-Grad als 30 v.H. für die Schädigungsfolgen nicht zu. Weder hätten diese sich wesentlich verschlimmert noch seien weitere mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen. Der Prozessvergleich vom 15. Juni 1992, auf welchem der Ausführungsbescheid vom 5. August 1992 beruhe, habe Bestand. Der Wirksamkeit des Vergleichs stehe weder § 58 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) noch § 59 Abs. 1 SGB X entgegen. Eine wesentliche Verschlimmerung, die eine Anpassung des Vergleichsvertrages nach sich ziehen müsste, sei nicht eingetreten. Die vom Kläger vermutete Fistel habe bei den durchgeführten ärztlichen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden können. Die übrigen geltend gemachten Gesundheitsstörungen seien eindeutig schädigungsfremd und damit nicht anerkennungsfähig. Dies gelte insbesondere für den essenziellen Bluthochdruck. Auch die vom Kläger geltend gemachte Prostataerkrankung und die Herpes-Infektion stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Schädigung. Auch die Schwerhörigkeit stelle keine Schädigungsfolge dar, weil ihre eigentliche Ursache, nämlich eine Mittelohrentzündung, vor Einberufung zum Wehrdienst vorhanden gewesen sei. Schließlich leide der Vergleich vom 15. Juni 1992 auch nicht an einem so schwerwiegenden Fehler, dass er im Sinne von § 58 SGB X nichtig sein könnte. Seelische Konflikte des Klägers, resultierend aus Zeugungsunfähigkeit aufgrund seiner Erkrankung, wirkten sich nicht in dieser Weise auf die Gültigkeit des Vergleichs aus.

Der Widerspruchsbescheid wurde am 30. Mai 1997 zur Post gegeben. Am 17. Juni 1997 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.

Das Sozialgericht hat den Kläger durch den Internisten und Arbeitsmediziner Dr. S1 sowie durch den Urologen Privatdozent Dr. M. ärztlich begutachten lassen sowie die Klage mit Urteil im schriftlichen Verfahren am 6. Juli 2004 abgewiesen und zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass ein Nachweis für eine aktive Samenblasen-Rektum-Fistel nicht habe erbracht werden können. Im Übrigen sei ein Zusammenhang zwischen dem anerkannten Versorgungsleiden und der Herzkrankheit bzw. dem Bluthochdruck des Klägers ärztlich verneint worden.

Das Urteil ist dem Kläger am 17. Juli 2004 zugestellt worden. Am 21. Juli 2004 hat er Berufung eingelegt.

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Insbesondere macht er geltend, es habe aufgrund des anerkannten Versorgungsleidens eine Samenblasen-Darm-Fistel bestanden. Die Herpes-Infektion im Genitalbereich habe er sich anlässlich einer versorgungsärztlichen Untersuchung zugezogen. Die Verschlechterung seines Hörvermögens (er sei dadurch gehindert, an der Konversation der Rentner in der Kantine teilzunehmen) habe mit der medikamentösen Behandlung seiner Tuberkuloseerkrankung zu tun. Schließlich hänge auch seine Herz-/Kreislauferkrankung damit zusammen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Juli 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, zugunsten des Klägers über die in dem Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1988 bzw. dem Ausführungsbescheid der Beklagten vom 5. August 1992 anerkannten Schädigungsfolgen hinaus als weitere Schädigungsfolgen einen Bluthochdruck bei Harndrang, einen Darmausfluss durch Fistel aus Samenblase, eine Hörminderung wegen tuberkulostatischer Therapie, sowie eine Herpes-Infektion im Genitalbereich anzuerkennen und eine höhere schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit als 30 v.H. festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, dass über die bereits anerkannten Schädigungsfolgen hinaus beim Kläger keine weiteren schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen vorlägen.

Der Senat hat ein urologisches Gutachten durch die Ärzte J. M1 und Dr. H. eingeholt. Darin heißt es, ein direkter Zusammenhang der Herzerkrankung des Klägers mit dem Versorgungsleiden sei nicht erkennbar. Die Schwerhörigkeit könnte zwar prinzipiell mit einer medikamentösen Tuberkulosebehandlung zusammenhängen. In mehreren HNO-ärztlichen Gutachten seinen jedoch andere Ursachen für die Schwerhörigkeit gefunden worden. Die Herpes-Infektion könne zwar anhand der Laborwerte als nachgewiesen gelten. Ob sie tatsächlich im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung im Dezember 1991 erfolgt sei, lasse sich nicht mehr beweisen. Die am Kläger im Jahre 1993 vorgenommene Operation der Prostata habe wegen einer gutartigen Vergrößerung dieses Organs stattgefunden, die in zunehmendem Lebensalter ein häufiges Problem darstelle. Bei dem Eingriff sei gewiss auch der tuberkulös veränderte Teil der Prostata behandelt worden, gleichwohl stelle die Tuberkulose nur einen Nebenbefund dar. Eine aktive Tuberkulose sei ohnehin mehrfach ausgeschlossen worden. Eine Samenblasen-Rektum-Fistel könne nach einer Genitaltuberkulose zwar prinzipiell auftreten. Sie sei nur schwer nachweisbar. In allen bisherigen Gutachten und auch bei der eigenen Untersuchung sei jedoch eine Verbindung des unteren Harntraktes zum Enddarm ausgeschlossen worden.

Die Sachakten der Beklagten, die den Kläger betreffende Krankenakten des AK B. und des AK E., des Weiteren die Akten des Verfahrens S 30 KO 124/86 haben vorgelegen. Auf ihren sowie den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Dem Begehren des Klägers auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und Feststellung einer höheren MdE steht bereits der am 15. Juni 1992 mit der Beklagten geschlossene Prozessvergleich entgegen. Das diesem Vergleich zugrunde liegende sozialgerichtliche Verfahren betraf zwar zunächst nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Befristung des Anerkennungsbescheides aus dem Jahre 1988, der dem Kläger die Heraufsetzung der MdE auf 50 v.H. nicht uneingeschränkt gewährte. Der Kläger hat sich jedoch, nachdem das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 1992 darauf hingewiesen hatte, dass die MdE von 50 v.H. nunmehr aufgrund ärztlichen Gutachtens wieder herabgesetzt werden dürfe, auf diese medizinische Bewertung eingelassen und damit den Vergleich über einen die bloß formalen verfahrensrechtliche Aspekte betreffenden Bereich hinaus erstreckt.

Hinweise dafür, dass der Vergleich gemäß § 58 SGB X nichtig sein könnte, gibt es nicht. Im Übrigen wären die von der Beklagten dazu im Widerspruchsbescheid angestellten Überlegungen zutreffend.

Der Kläger kann auch keine Anpassung des Vergleichs gemäß § 59 Abs. 1 SGB X verlangen. Dies würde voraussetzen, dass die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblich gewesen sind, sich seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert haben, dass ihm das Festhalten an der Vergleichsregelung nicht zuzumuten ist. Eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse ist nur bei Änderungen anzunehmen, mit denen ein Vertragspartner nicht rechnen musste und die objektiv zu einer so erheblichen Verschlechterung geführt haben, dass bei ihrer Kenntnis der Vertrag nicht geschlossen worden wäre, wobei strengere Anforderungen als in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gelten (von Wulffen, SGB X, Kommentar, 5. Auflage, § 59 Rn. 6). An diesen Voraussetzungen fehlt es im Falle des Klägers schon deswegen, weil die von ihm als Verschlimmerungen geltend gemachten Gesundheitsstörungen sämtlich bereits vor Vergleichsabschluss im Juni 1992 vorhanden und bekannt waren. Das gilt sowohl für die behauptete Fistel, die Herpes-Infektion vom Dezember 1991 (Inkubationszeit wenige Tage bis Wochen), das Leiden des Gehörs, das aufgrund der medikamentösen Behandlung in S. schon ab 1987 weiter nachgelassen haben soll, schließlich die Herz-/Kreislauferkrankung (Bypass-Operation 1980).

Doch selbst wenn man das Begehren des Klägers rechtlich nicht als durch den Vergleich abgeschnitten und/oder nach den weniger strengen Kriterien des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X beurteilen wollte, könnte er mit Klage und Berufung nicht durchdringen. Eine Verschlimmerung des Versorgungsleidens mit weiteren Schädigungsfolgen hat sich nämlich nicht erwiesen. Die behauptete Fistel konnte mit den dem Urologen zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden nicht gefunden werden. Im Übrigen besteht nach Angaben des Klägers der Ausfluss aus dem Darm seit einigen Monaten nicht mehr. Ein Zusammenhang der Herpes-Infektion mit dem Versorgungsleiden ist zwar insofern möglich, als der Kläger behauptet, er habe sie sich anlässlich einer versorgungsärztlichen Untersuchung zugezogen. Es kommen aber ebenso andere Infektionswege in Betracht. Ärztlich dokumentiert ist in diesem Zusammenhang nichts. Herz-/Kreislauf- und Gehörleiden stehen nach einhelliger ärztlicher Einschätzung nicht im Zusammenhang mit dem Versorgungsleiden. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, die Bescheide der Beklagten gerichtlich zu korrigieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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