L 29 B 1159/05 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 1 AS 234/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 B 1159/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 07. September 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 28. Februar 2005 und begehrt darüber hinaus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den 27. Februar 2005 hinaus.

Auf ihren Antrag vom 21. Oktober 2004 bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 07. Dezember 2004 und 15. Dezember 2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis zum 30. April 2005 in Höhe von 517,18 Euro monatlich.

Aufgrund eines Datenabgleiches mit der Bundesagentur für Arbeit erfuhr die Antragsgegnerin vom Wohnsitz (Vweg , W) des Herrn E A (fort an: A.) und forderte die Antragstellerin zu einer Erklärung auf. Diese teilte daraufhin mit Schreiben vom 20. März 2005 mit, sie sei ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen. Sie habe sich dabei an die Veröffentlichung in der örtlichen Presse gehalten und nahm auf ein Verfahren des Düsseldorfer Sozialgerichts – S 35 SO 28/05 – in ähnlicher Sache Bezug. Auskünfte zu Einnahmen und Ausgaben des A. könne sie nicht machen.

Nachdem ein unangemeldeter Hausbesuch am 14. Februar 2005 auf Wunsch der Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen verschoben worden war, wurde dieser schließlich am 28. Februar 2005 durchgeführt. Die Prüferin fand ein mit Doppelbett und Kleiderschrank eingerichtetes Schlafzimmer, in dem die Bekleidung des A. hing. In der Küche stand ein Kühlschrank. Auf die Frage, ob man beide in der Öffentlichkeit sehe, antwortete die Antragstellerin mit Ja.

Die Antragsgegnerin hob daraufhin mit Bescheid vom 04. April 2005 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 28. Februar 2005 ganz auf. Zur Begründung führte sie aus, zwischen der Antragstellerin und A. liege eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vor; die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des A. seien zu berücksichtigen. Die Einkommenssituation könne nicht geklärt werden, da die Antragstellerin entsprechende Nachweise nicht beibringe. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 21. April 2005 Widerspruch ein, ohne ihn zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Eine Klage wurde gegen diesen Bescheid nicht erhoben.

Am 11. August 2005 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Neuruppin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 07. September 2005 lehnte das Sozialgericht Neuruppin den Antrag ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Nach den vorliegenden Indizien sei von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen, so dass auch die Einkünfte und das Vermögen des A. anzurechnen seien. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Abschluss des Kreditvertrages zwischen der Antragstellerin und A., der zumindest teilweise erfolgten Finanzierung des Hauses der Antragstellerin durch A. sowie den Feststellungen anlässlich des Hausbesuches vom 28. Februar 2005.

Der hiergegen am 15. September 2005 erhobenen Beschwerde hat das Sozialgericht nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht für das Land Berlin-Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt.

Mit ihrer Beschwerde trägt die Antragstellerin vor, nach der Scheidung ihrer Ehe im Mai 2001 habe ihr geschiedener Ehegatte die Zwangsversteigerung des gemeinsamen bewohnten Eigenheimes betrieben. Im Januar 2002 habe sie A. kennengelernt. Ende März 2002 sei sie arbeitslos geworden und habe keine ausreichende Bonität mehr besessen, um für die im September 2002 terminierte Zwangsversteigerung mit zu bieten. Im Oktober 2002 hätten sie und A. einen Darlehensvertrag geschlossen, in dem sich A. als Darlehensgeber verpflichtet habe, ihr "ab September 2002 die erforderliche Summe für den Erwerb der Immobilie Vweg " zinslos zu überlassen. Es sei eine Rückzahlung in Monatsraten zu je 100,00 Euro ab Oktober 2002 vereinbart worden. A. habe zwei Bausparverträge bei der L besessen, auf die er Darlehen in Höhe von rund 14.000,00 Euro und 6.700,00 Euro mit einem Nominalzins von 5,43 % aufgenommen habe. Desweiteren habe A. mit der Sparkasse P im Oktober 2002 einen Darlehensvertrag über 12.000,00 Euro bei einem Zinsatz von effektiv 5,13 % geschlossen, wobei als Sicherheit für den Kredit für die Immobilie der Antragstellerin eine Grundschuld von 80.000,00 Euro eingetragen worden sei. Das Geld aus den Krediten habe ihr A. für den Erwerb des Hauses zur Verfügung gestellt. Im November 2002 sei A. in ihr Haus eingezogen. Dort lebe er zumindest seit Februar 2004 durchgehend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Hierbei ist es ebenfalls zutreffend von der Regelung des § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgegangen. Zwar wendet sich die Antragstellerin im Wesentlichen gegen eine Leistungseinstellung aufgrund des Aufhebungsbescheides vom 04. April 2005. Gleichwohl liegt ein Fall des § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht vor, weil der Widerspruch gegen diesen Aufhebungsbescheid bereits mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2005 beschieden und ein Klageverfahren hiergegen nicht eingeleitet wurde. Die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kommt damit nicht in Betracht.

Auch eine einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist vorliegend erfolglos. Denn eine einstweilige Anordnung darf nur ergehen, wenn der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Auch im Beschwerdeverfahren sind maßgeblich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (OVG Hamburg NVwZ 1990, Seite 975).

In Bezug auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit ab dem 11. August 2005, dem Antragszeitpunkt, bis zur Entscheidung des erkennenden Senates steht der Antragstellerin kein Anordnungsgrund zur Seite. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden. Diese sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Etwas Anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist. Diesbezüglich ist jedoch von der Antragstellerin nichts glaubhaft gemacht worden.

Soweit die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen für die Zeit ab der Entscheidung des Senats zu erhalten, fehlt es jedenfalls an einem Anordnungsanspruch.

Der Aufhebungsbescheid vom 04. April 2005 wurde gemäß § 77 SGG bindend, nachdem die Antragstellerin gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2005 eine Klage nicht erhoben hat. Damit liegt eine zwischen den Beteiligten bindende Entscheidung vor, die der Annahme eines Leistungsanspruches in der Regel auch für die Zeit ab der Entscheidung des Senats entgegensteht. Hierbei kann dahinstehen, ob mit Schreiben vom 21. Juli 2005 die Überprüfung insbesondere des Bescheides vom 04. April 2005 überhaupt beantragt wurde. Denn die Bindungswirkung nach § 77 SGG besteht unabhängig von einem Antrag nach §§ 44 ff SGB X; dieser lässt weder die formelle noch die materielle Bestandskraft/Bindungswirkung nachträglich entfallen. Ein Antrag nach §§ 44 ff SGB X ist die Geltendmachung eines behaupteten Anspruchs auf Rücknahme eines Verwaltungsakts, aber schlechthin kein "Rechtsbehelf" im Sinne des § 77 SGG. "Rechtsbehelfe" sind demgegenüber Mittel zur Durchsetzung eines Abwehranspruchs gegen einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt, der in ein subjektives Recht eingreift. Der Abwehranspruch und der Rücknahmeanspruch können zwar nebeneinander bestehen, solange der eingreifende Verwaltungsakt noch mit "Rechtsbehelfen" angefochten werden kann. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit gibt es aber keinen mit einem "Rechtsbehelf" durchsetzbaren Abwehranspruch mehr, weil grundsätzlich jeder "Rechtsbehelf" unzulässig ist. Als "Rechtsbehelfe" gegen Verwaltungsakte, welche den Eintritt der Bindungswirkung unter Umständen verhindern können, stellen das Sozialverwaltungsverfahrensrecht und das sozialgerichtliche Prozessrecht allein Widerspruch, Klage, Berufung, Revision sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zur Verfügung (vgl. u.a. BSG Urteil vom 10. April 2003, Az: B 4 RA 56/02 R, in SozR 4-1300 § 44 Nr 3 m.w.N.). Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn die bindend gewordene Verwaltungsentscheidung offensichtlich rechtswidrig gewesen ist. Das ist nicht der Fall.

Von einem Leistungsanspruch nach dem SGB II ist nicht auszugehen. Dies hat das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 07. September 2005 ausführlich begründet. Dieser Begründung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung insoweit an und sieht entsprechend § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Gründe ab. Ergänzend ist lediglich anzumerken, dass abgesehen von den übrigen Indizien vor allem die Umstände der Finanzierung des Hauses der Antragstellerin für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft sprechen. Es ist für den Senat kaum vorstellbar, dass die Antragstellerin einzig aus freundschaftlichen Gründen ihre Immobilie zur Sicherung von Kreditverträgen des A. zur Verfügung stellt und dieser – ebenfalls nur aus freundschaftlichen Gründen – der Antragstellerin zinslose Darlehen in erheblichem Umfang zur Finanzierung ihres Hauserwerbes einräumt, wobei er selbst für die Aufnahme der hierzu notwendigen Kredite Zinsen von über 5 % jährlich zahlt. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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