L 3 R 1125/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 02195/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 1125/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 12.7.1956 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Versicherungspflichtig beschäftigt war sie zuletzt bis Mai 1999 als Hauswirtschaftshilfe und wurde dabei als angelernte Kraft tariflich entlohnt (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 86/89 der SG-Akte Bezug genommen). In der Folgezeit betrieb sie noch für wenige Monate eine Änderungsschneiderei. Ein erster, im Oktober 1997 gestellter Rentenantrag wurde bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 9.1.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.4.1998 und Urteil des Sozialgerichts Konstanz [SG] vom 13.10.1999 im Verfahren S 7 RJ 836/98).

Den streitgegenständlichen Rentenantrag stellte die Klägerin am 8.11.2000.

Die hierauf von der Beklagten veranlasste internistische, nervenärztliche und orthopädische Begutachtung (zusammenfassende Würdigung des Arztes L. vom 19.4.2001) erbrachte ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten bei Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 2.5.2001 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch nach Einholung von Arztauskünften sowie einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 23.8.2001 mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2001 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 6.11.2001 erneut beim SG Klage erhoben, mit der sie ihr Rentenbegehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt, die sich jeweils den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten angeschlossen haben (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 43/46 und 48/51 der SG-Akte Bezug genommen).

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. K. vom 26.7.2002. Erhoben worden ist ein psychogen überlagertes Schmerzsyndrom mit Fixierung und Verstärkung der auf degenerativen Veränderungen beruhenden Beschwerden des Bewegungsapparates. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung, ohne Nacht- oder Wechselschicht, ohne Zeitdruck und ohne besondere psychische Belastungen könnten vollschichtig verrichtet werden.

Ferner hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. N. vom 12.12.2002. Diagnostiziert worden sind ein Fibromyalgiesyndrom, ein rezidivierendes zervikocephales und zervicobrachiales Wirbelsäulensyndrom bei Osteochondrose und Spondylarthrose der Halswirbelsäule, rezidivierende, computertomographisch nachgewiesene Bandscheibenvorfälle C 5/C 6 links und C 7/T 1 rechts ohne neurologische Ausfallsymptomatik, ein rezidivierendes Lumbalsyndrom bei leichter Wirbelsäuleskoliose, eine Coxarthralgie und Gonarthralgie im Rahmen einer Fibromyalgie mit Knorpelschaden des linken Kniegelenkes sowie eine Bewegungseinschränkung beider Schulterngelenke nach operativ revidierten Kontinuitätsunterbrechungen der Rotatorenmanschette. Unzumutbar seien schwere Arbeiten, Arbeiten in Zwangshaltungen, Akkordarbeiten, Fließbandarbeiten, Arbeiten mit besonderem Stress, Arbeiten in Schulterhöhe und darüber, Arbeiten mit Kälte, Nässe und Zugluft, überwiegend sitzende Tätigkeiten, Tätigkeiten mit häufigem Bücken und solche mit gleichförmigen Körperhaltungen. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten vollschichtig verrichtet werden.

Das SG hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 24.2.2003 abgewiesen.

Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Darstellung der Grundsätze zum Berufsschutz entschieden, dass die als breit verweisbar einzustufende Klägerin ihr damit noch zumutbare unbenannte leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten könne. Gefolgt werde den im Rentenverfahren und im Klageverfahren eingeholten Gutachten. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 6.3.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.3.2003 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Rentenbegehren weiterverfolgt.

Während des Berufungsverfahrens ist ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 4.7.2003 erstellt worden, in welchem ebenfalls ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten angenommen wird (Blatt 34/35 der LSG-Akte).

Der Senat hat im Hinblick auf die von der Klägerin hauptsächlich vorgebrachten Bandscheibenschäden mit zwischenzeitlich erfolgter Operation (wegen der Einzelheiten vgl. Blatt 60/70 der LSG-Akte) den insoweit behandelnden Neurochirurgen Dr. R. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser erachtet in seiner Aussage vom 16.8.2005 nach Ablauf einer Rekonvaleszenzzeit von drei bis vier Monaten leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes für vollschichtig zumutbar.

Wegen der von der Klägerin abschließend noch geltend gemachten und ebenfalls von Dr. R. behandelten therapieresistenten Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule hat der Senat Dr. R. abermals befragt, der in seinem erneuten Bericht vom 29.5.2006 im Ergebnis von seiner zuletzt vorgenommenen Leistungseinschätzung nicht abweicht und die vom Senat in das Verfahren eingeführte Tätigkeit einer Pförtnerin an einer Nebenpforte ausdrücklich für vollschichtig zumutbar erachtet.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2001 zu verurteilen, ihr Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit, weil sie zur Überzeugung des Senats noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide folgend als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens wird das berufliche Restleistungsvermögen der Klägerin entscheidend geprägt durch Schäden des Bewegungsapparates, insbesondere der Wirbelsäule, die psychisch überlagert sind. Zu einer rentenrechtlich relevanten Leistungseinschränkung führen diese Funktionsbeeinträchtigungen nicht.

Der Senat stützt seine diesbezügliche Überzeugung in erster Linie ebenfalls auf die vom SG eingeholten Sachverständigengutachten. Danach bedingen die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen lediglich die Beschränkung auf noch leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung der weiteren, in den Sachverständigengutachten im Einzelnen aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen. Insbesondere ist nach diesen Gutachten die Annahme einer quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkung medizinisch nicht begründet. Die von den Sachverständigen vorgenommene Leistungsbeurteilung ist nach den erhobenen Befunden, bei kritischer Würdigung und der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, weshalb er ihr folgt.

Die sozialmedizinische Beurteilung bei somatoformen Schmerzstörungen erfordert eine ausführliche Befragung des Probanden zu den Tagesaktivitäten. Erfragt (und hinterfragt) werden müssen auch Symptome des sozialen Rückzugs.

Nur bei einer weitgehenden Einschränkung der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens (im Sinne einer "vita minima") beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit ist von einer Minderung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens auszugehen (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, DRV-Schriften, Band 30, S. 47).

Hier lässt die von der nervenärztlichen Sachverständigen erhobene Lebensgestaltung der Klägerin insbesondere mit der erhaltenen Fähigkeit zur Bewältigung des Haushalts und der Pflege sozialer Kontakte (vgl. Blatt 71/72 der LSG-Akte), aber auch der erhobene psychische Befund mit vorhandener affektiver Schwingungsfähigkeit und überdurchschnittlich ausgeprägten mnestischen Funktionen sowie überdurchschnittlich ausgeprägter Konzentrationsfähigkeit bzw. der Verneinung einer schwergradigen depressiven Verstimmung keine derartige Einschränkung erkennen, die die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung im Rahmen leichter Tätigkeiten bedingen würde.

Aus rein körperlicher Sicht bedingen die orthopädischen Befunde hauptsächlich der Wirbelsäule ebenfalls keine zeitliche Leistungseinschränkung. Hierfür ist maßgebend, dass orthopädischen Befunden in aller Regel bereits durch die Einhaltung qualitativer Einschränkungen Rechnung getragen werden kann. Lediglich in besonders begründeten Ausnahmefällen kann die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung gerechtfertigt sein.

Unter Berücksichtigung von Art und Umfang der hier zu beurteilenden Befunde liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Insbesondere haben sowohl Dr. N. als auch Dr. R. ausdrücklich neurologische Ausfallserscheinungen verneint. Betont wurde allerdings insoweit auch von Dr. R. eine Somatisierung - vgl. dazu oben - (und möglicherweise auch eine Aggravationstendenz).

Bestätigt sieht sich der Senat in seiner Auffassung durch das Ergebnis der sachverständigen Zeugenbefragung von Dr. R ... Dabei hat sich der Senat nicht gedrängt gefühlt, - wie von der Klägerin angeregt - auch noch die weiteren behandelnden Ärzte (Orthopäde und Internist) zu befragen.

Denn zum einen standen gerade neurochirurgische Befunde zur Beurteilung an, hinsichtlich deren Einschätzung Dr. R. als Neurochirurg besondere Fachkompetenz besitzt und zum anderen ist Dr. R. gerade der Arzt, der als speziell behandelnder Arzt von der Klägerin und vom Orthopäden Dr. T. ausdrücklich benannt worden ist.

Unter Berücksichtigung der bei der Klägerin vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen kommt z.B. - so ausdrücklich auch Dr. R. - die Verweisungstätigkeit einer Pförtnerin an einer Nebenpforte in Betracht, im Rahmen derer die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen Berücksichtigung finden.

Entsprechende Tätigkeiten sind im Lohngruppenverzeichnis i.d.F. des Änderungstarifvertrages Nr. 11 vom 22.3.1991 des Manteltarifvertrags für Arbeiterinnen und Arbeiter der Länder II der Lohngruppe 2 (Arbeiter mit Tätigkeiten, für die eine eingehende Einarbeitung erforderlich ist - Ziff. 1.9) zugeordnet.

Der Pförtner an der Nebenpforte hat insbesondere bekannte Fahrzeuge der Firma bzw. Mitarbeiter passieren zu lassen (vgl. BSG vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/95 - und Urteil des 2. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25.6.1997 - L 2 J 3307/96 -). Die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte kann im Wechsel von Sitzen und Stehen ausgeübt werden und ist nicht mit dem Heben und Tragen von Lasten verbunden. Tätigkeiten eines Pförtners an der Nebenpforte erfordern auch keine besonderen sprachlichen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen.

Pförtnertätigkeiten kommen darüber hinaus in den unterschiedlichsten Ausprägungen vor. Die Klägerin könnte deshalb in einem Bereich eingesetzt werden, der nicht in erster Linie durch Publikumsverkehr geprägt ist. Pförtnertätigkeiten eignen sich auch für Personen, deren obere Extremitäten Funktionsbeeinträchtigungen aufweisen oder deren Hebe- und Tragefähigkeit aus anderen Gründen eingeschränkt ist, weil derartige Einschränkungen sich - je nach konkretem Arbeitsplatz - berücksichtigen lassen (vgl. zur Pförtnertätigkeit faktisch Einarmiger und in der Schlüsselverwaltung Urteil des 8. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 17.10.1997 - L 8 J 262/97 -, gestützt auf entsprechende berufskundliche Feststellungen des - damaligen - Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg).

Es gibt nach Feststellungen des Berufsverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V. sogar Tätigkeiten im Pfortenbereich, die lediglich im Sitzen ausgeführt werden können und bei denen der Pförtner nur auf ein Klingelzeichen hin die Tür öffnen muss. Der Senat hat deshalb bereits entschieden, dass selbst eine erhebliche Beeinträchtigung beider oberer Extremitäten infolge von Beschwerden im Bereich der Schultergelenke mit einer dadurch bedingten eingeschränkten Beweglichkeit und der Unfähigkeit, Lasten von mindestens 5 kg zu heben oder zu tragen, ihrer Art nach selbst bei Eintritt einer Verschlimmerung einer Pförtnertätigkeit der beschriebenen Art nicht entgegensteht (Urteil des erkennenden Senats vom 28.1.2004 - L 3 RJ 1120/03 -).

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht über die für die Tätigkeit als Pförtner notwendige Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit verfügt, sind aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht ersichtlich.

Arbeitsplätze als Pförtner sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in genügender Anzahl vorhanden und sind nicht nur leistungsgeminderten Betriebsangehörigen vorbehalten, sondern werden auch mit Bewerbern vom freien Arbeitsmarkt besetzt (vgl. Urteil des 8. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 17.10.1997 - L 8 J 262/97 -). Ob Arbeitsplätze als Pförtner an der Nebenpforte frei oder besetzt sind, ist nicht zu ermitteln, denn das Risiko, dass die Klägerin möglicherweise keinen geeigneten Arbeitsplatz finden könnte, geht nicht zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 19; BSG NZS 1993, 403, 404 und vom 21.7.1992 - 3 RA 13/91 -). Ebenso ist nicht festzustellen, ob die Klägerin aus der genannten Verweisungstätigkeit die "erforderliche Lohnhälfte" seines bisherigen Bruttoeinkommens erzielen kann, denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist davon auszugehen, dass Versicherte, die - wie die Klägerin- eine ihnen zumutbare Verweisungstätigkeit vollschichtig und regelmäßig verrichten können, damit auch in der Lage sind, die gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 60 und BSG vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/95 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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