L 8 AL 4167/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 3540/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 4167/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. August 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu Recht aufgehoben und vom Kläger die Erstattung der entsprechenden Leistungen einschließlich der entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge verlangt hat.

Der am 1968 geborene Kläger, der vom 01.04.1999 bis 31.03.2000 als Verkäufer beschäftigt war, bezog von der Beklagten vom 01.04.2000 bis 03.12.2000 Arbeitslosengeld (Alg). Nach der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme (04.12.2000 bis 02.12.2001) bezog er bis 25.05.2002 wiederum Alg. Ab 26.05.2002 war der Anspruch auf Alg erschöpft.

Während der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme vom 04.12.2000 bis 02.12.2001 erhielt der Kläger von der Beklagten Unterhaltsgeld; vom 03.12.2001 bis 31.12.2001 bezog er Alg. Mit Bescheid vom 19.12.2002 (Widerspruchsbescheid vom 07.02.2003) hob die Beklagte die Bewilligung von Unterhaltsgeld und Alg für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 teilweise in Höhe von insgesamt 5.437,72 EUR auf und machte gleichzeitig die Erstattung der in dieser Höhe zu Unrecht gewährten Leistungen geltend, da der Kläger den erfolgten Lohnsteuerklassenwechsel nicht ordnungsgemäß mitgeteilt habe. Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG), das die angegriffenen Bescheide mit Urteil vom 30.04.2003 aufhob (S 3 AL 400/03). Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung (L 5 AL 3530/03) hatte überwiegend Erfolg. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hob mit Urteil vom 11.05.2005 das angefochtene Urteil auf, änderte die angegriffenen Bescheide entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten hinsichtlich der Zeiträume vom 01.09.2001 bis 02.12.2001 (Unterhaltsgeld) und 03.12.2001 bis 31.12.2001 (Alg) ab und setzte den Erstattungsbetrag auf 4.338,63 EUR fest. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Am 22.04.2002 sprach der Kläger persönlich beim Arbeitsamt Heilbronn vor. Über diese Vorsprache hat das Arbeitsamt folgenden Vermerk angefertigt: "Wünscht weitere Vordrucke wegen betriebl. TM. einen erneuten Antrag auf Bewerbungskosten sowie einen Vermittlungsgutschein. Gewünschtes zugesandt bzw. veranlasst."

Am 25.04.2002 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Alhi. Auf dem Antragsformular versicherte der Kläger mit seiner Unterschrift, dass seine Angaben zutreffen. Änderungen werde er unverzüglich anzeigen. Das Merkblatt 1 für Arbeitslose habe er erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen. Mit Bescheid vom 30.04.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alhi für die Zeit vom 26.05.2002 bis 25.05.2003. Der tägliche Leistungssatz betrug 25,87 EUR (gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt 575,- EUR; Leistungsgruppe A/0).

Unter dem Datum vom 17.05.2002 findet sich folgender Vermerk in der Akte der Beklagten: "Stellungnahme betriebl. TM bis 03.08.2002 weiter an AG-Team." Am 04.06.2002 teilte der Kläger der Beklagten per E-Mail u.a. Folgendes mit: "Ich habe ab dem 13.05.2002 eine Praktikumsstelle in M. angetreten, bei der ich monatlich 250,- EUR brutto verdiene. Die entsprechende Lohnsteuerkarte habe ich in der Firma abgegeben. Zeitgleich habe ich bei Frau N. in Ihrem Hause einen Antrag auf Zuschuss für das Praktikum gestellt, der wie mir mitgeteilt wurde z. Zeit geprüft wird. Da ich nun die innerbetrieblichen Abläufe im Arbeitsamt nicht kenne und ich natürlich auch keine doppelte Antragstellung bzw. Auszahlung oder Überschneidung möchte, dient dies zu Ihrer Information" Mit Bescheid vom 21.06.2002 erteilte die Beklagte dem Kläger die Einwilligung zur Teilnahme an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung/Trainingsmaßnahme nach § 48 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) bei der Firma G. & S. GmbH in M. mit Beginn der Maßnahme am 13.05.2002 und dem Ende der Maßnahme am 03.08.2002 und bewilligte ihm gleichzeitig Fahr- und Unterkunftskosten. Der Bezug von Alhi wird in dem Bewilligungsbescheid nicht erwähnt. Am 22.10.2002 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er ab 04.11.2002 ein befristetes Arbeitsverhältnis bei der Firma G. & S. aufnehme.

Mit Anhörungsschreiben vom 24.05.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, nach ihren Erkenntnissen habe er in der Zeit vom 13.05.2002 bis 03.11.2002 Alhi in Höhe von 4.527,25 EUR zu Unrecht bezogen. Er habe in der Zeit vom 13.05.2002 bis 31.12.2002 in einem mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigungsverhältnis bei der Firma G. & S. GmbH in M. gestanden. Daraufhin gab der Kläger am 25.05.2004 an, er habe am 13.05.2002 ein auf sechs Monate befristetes Praktikum bei der Firma G. & S. in M. begonnen. Die Praktikumsstelle sei bei der Beklagten (Frau N.) gemeldet worden und er habe auch um eine Kostenunterstützung im Rahmen einer Teilnahme an einer Maßnahme gebeten. Diese sei ihm auch gewährt worden. Anfang Juni habe er Frau J. per E-Mail drüber unterrichtet, dass er nur eine Praktikumsvergütung von 250,- EUR erhalte und um eine Berichtigung seiner Bezüge gebeten. Er sei davon ausgegangen, dass dies entsprechend bei seiner Alhi angerechnet worden sei, da er vor dem Praktikum ca. 960,00 EUR und nach Beginn des Praktikums ca. 770,00 EUR im Monat erhalten habe. Vom 03.11.2002 bis 31.03.2004 habe er in einem festen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma G. & S. in M. gestanden. Auf Aufforderung der Beklagten legte der Kläger mit Schreiben vom 04.07.2004 - neben weiteren Unterlagen - von der Firma G. und S. GmbH ausgestellte Bescheinigungen über Nebeneinkommen des Klägers in der Zeit vom 01.08.2002 bis 31.10.2002 vor. In diesen Bescheinigungen wurde die Frage, ob dem Kläger eine Tätigkeit von mehr als kurzzeitigem Umfang - 15 Stunden und mehr wöchentlich - übertragen worden sei, bejaht. Der Kläger hat in dem Schreiben vom 04.07.2004 seine damalige Situation geschildert und u.a. ausgeführt, seine Arbeitszeit habe auch während des Praktikums um die 10 Stunden gelegen.

Mit Bescheid vom 27.07.2004 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 04.08.2002 bis 03.11.2002 auf und verlangte die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 2.987,25 EUR (Alhi 2.380,04 EUR sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 607,21 EUR). Der Kläger habe in der genannten Zeit für Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung gestanden, da er von Montag bis Freitag nicht unter der von ihm benannten Adresse postalisch erreichbar gewesen sei und damit keinen Anspruch auf Leistungen gehabt habe. Der Kläger habe eigenmächtig die von ihr bewilligte Maßnahme (Maßnahmedauer 13.05.2002 bis 03.08.2002) bis zur endgültigen Arbeitsaufnahme am 04.11.2002 verlängert. Da die Voraussetzungen für die Bewilligung von Alhi im genannten Zeitraum nicht vorgelegen hätten und er seiner Verpflichtung, alle Änderungen in seinen Verhältnissen mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen sei, sei die Bewilligungsentscheidung aufzuheben.

Dagegen legte der Kläger am 13.08.2004 Widerspruch ein und machte geltend, die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung und Rückforderung der erbrachten Leistungen lägen nicht vor. Um die Praktikumsstelle überhaupt antreten zu können, habe er der Anweisung seines "Arbeitgebers" nachkommen müssen, der ihm mitgeteilt habe, das Praktikum von sechs Wochen sei zu kurz. Man sei bereit, ihm die Möglichkeit eines Praktikums von Mai bis Oktober zu geben, kürzer sei dies nicht möglich. Schon aus diesem Grund habe er die Verpflichtung gehabt, die Praktikumszeit bis zum 03.11.2002 zu verlängern. Er habe seinerzeit im persönlichen Gespräch vor Genehmigung der Maßnahme Frau J. darauf hingewiesen, dass er dieses Praktikum auch über die vom Arbeitsamt unterstützte Zeit weiterführen werde. Ein Widerspruch durch Frau J. sei nicht erfolgt. Dass er während dieser Zeit postalisch nicht erreichbar gewesen sei, entbehre jeder Grundlage. Seine Lebensgefährtin sei die ganze Zeit über unter der der Beklagten bekannten Anschrift in Talheim erreichbar sowie in der Lage gewesen, eventuelle Stellenangebote für ihn - sei es telefonisch oder per Fax - weiterzuleiten. Auch telefonisch hätte die Beklagte mit ihm Kontakt aufnehmen können. Von einer grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht könne keine Rede sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger habe für die Zeit vom 04.08.2002 bis 03.11.2002 keinen Leistungsanspruch gehabt, da er den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit in diesem Zeitraum wegen fehlender Erreichbarkeit nicht zur Verfügung gestanden habe und somit nicht arbeitslos gewesen sei. Der Kläger habe die bis 03.08.2002 bewilligte Maßnahme, während der er sich von Montag bis Freitag in M. aufgehalten habe, eigenmächtig ohne vorherige Zustimmung der Beklagten bis 03.11.2002 verlängert.

Am 26.11.2004 erhob der Kläger Klage zum SG, mit der er einen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen Bescheide geltend machte. Er wiederholte im Wesentlichen sein Widerspruchsvorbringen und brachte vor, es treffe nicht zu, dass er etwaigen Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden habe. Er habe - wie dies § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III verlange - Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten können. Er wäre hierzu ohne schuldhaftes Zögern in der Lage gewesen. Ebenso wäre es ihm möglich gewesen, unverzüglich die Beklagte aufzusuchen. Die Beklagte hätte ihn jederzeit - per Brief, Fax oder Telefon - erreichen können. Im Übrigen sei in der Zeit vom 13.05.2002 bis 03.11.2002 kein einziges Arbeitsangebot der Beklagten bei ihm eingegangen. Eine grob fahrlässige Verletzung seiner Pflichten liege nicht vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und brachte vor, dem Kläger seien bei der Antragstellung die Merkblätter 1 und 1b, deren Erhalt und Kenntnisnahme er auch unterschriftlich bestätigt habe, ausgehändigt worden. Sie legte die dienstliche Stellungnahme ihrer Mitarbeiterin J. vom 09.02.2005 vor, in der diese mitteilte, dass sie sich an das Gespräch mit dem Kläger (am 29.04.2002) nicht mehr erinnern könne.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.08.2005 wies das SG die Klage ab. Gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III hat es den Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Bewilligungsbescheid darin gesehen, dass der Kläger der Arbeitsvermittlung in der Zeit vom 04.08.2002 bis 03.11.2002 nicht zur Verfügung gestanden habe. Der Kläger sei - wie nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Erreichbarkeitsanordnung (EAO) iVm §§ 152 Nr. 2, 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III erforderlich - in diesem Zeitraum nicht persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichbar gewesen, da der Beklagten lediglich seine Anschrift in Talheim, unter der er nicht persönlich erreichbar gewesen sei, nicht aber seine Anschrift in M. bekannt gewesen sei. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgehe, dass er Frau J. vor Beginn der Maßnahme mitgeteilt habe, dass er das Praktikum über den 03.08.2002 hinaus fortsetzen werde, hätte er jedenfalls nach dem Bescheid, mit dem die Beklagte ihre Einwilligung zu der Maßnahme für die Zeit vom 13.05.2002 bis 03.08.2002 gegeben habe, davon ausgehen müssen, dass für die Beklagte M. nicht mehr sein gewöhnlicher Aufenthaltsort gewesen ist. Im Übrigen sei die postalische Erreichbarkeit des Klägers nicht deshalb zu bejahen, weil die an seine Wohnanschrift in Talheim gerichtete Briefpost der Beklagten durch seine Lebensgefährtin an ihn weitergeleitet worden wäre. Auch die Erreichbarkeit mittels Telefon bzw. Handy oder aufgrund einer angegebenen E-Mailadresse genüge den Anforderungen der EAO nicht. Die Beklagte sei auch zur rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigt gewesen, da der Kläger seiner sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I resultierenden Mitteilungspflicht grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Der Kläger hätte spätestens am 03.08.2002 die Beklagte über seinen weiteren Aufenthalt in M. als gewöhnlichen Aufenthaltsort unterrichten müssen. Dieser Verpflichtung sei er grob fahrlässig nicht nachgekommen. Im Merkblatt 1 für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er mit seiner Unterschrift bestätigt habe, werde ausgeführt, dass der Arbeitslose persönlich an jedem Werktag für das Arbeitsamt unter der von ihm benannten Anschrift erreichbar sein müsse. Die Handlungsfrist von einem Jahr sei ebenfalls eingehalten. Die Erstattungspflicht des Klägers folge aus § 50 Abs. 1 SGB X.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 02.09.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit einem am 04.10.2005 (Dienstag) beim SG eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Er hält die angefochtene Entscheidung des SG für unrichtig und macht geltend, er habe den Vorschlägen des Arbeitsamtes in der Zeit vom 04.08.2002 bis 03.11.2002 zeit- und ortsnah Folge leisten können. Er gehe davon aus, dass die Vorschriften der EAO nicht gemäß den Buchstaben, sondern vorwiegend nach deren Sinn auszulegen seien. Es könne wohl nicht angehen, dass in Zeiten, in denen andere Kommunikationsmittel wie z.B. Handy oder E-Mail weit zuverlässiger als die Post seien, die persönliche Erreichbarkeit durch Briefpost gegeben sein müsse. Im Übrigen habe er seine Pflichten nicht in besonders schwerem Maße verletzt, also nicht grob fahrlässig gehandelt. Wenn ihm aber nur einfache Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, sei der Bescheid der Beklagten aufzuheben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. August 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG müsse der Arbeitslose unter der von ihm benannten Anschrift persönlich an jedem Werktag durch Briefpost erreichbar sein. Diese Voraussetzung habe der Kläger trotz seiner Vorkehrungen nicht erfüll. Dem Kläger sei auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er die entsprechenden Hinweise über seine Pflichten im Falle einer Ortsabwesenheit im Merkblatt für Arbeitslose nicht beachtet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, obwohl weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter zum Termin erschienen sind. Denn die Beteiligten sind in der Terminsmitteilung, die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 18.05.2006 zugestellt worden ist, darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten (bzw. Bevollmächtigten) verhandelt und entschieden werden kann (vgl. BSG SozR 3-1500 § 110 Nr. 3).

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist nach § 151 SGG zulässig. Insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden. Die einen Monat betragende Frist zur Einlegung der Berufung gegen den am 02.09.2005 zugestellten Gerichtsbescheid endete hier gemäß § 64 Abs. 3 SGG erst am 04.10.2005 (Dienstag), da der 03.10.2005 ein gesetzlicher Feiertag war. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 04.08.2002 bis 03.11.2002 aufgehoben und die Erstattung der insoweit erbrachten Leistungen und der von ihr entrichteten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 2.987,25 EUR verlangt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung ist § 48 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Abs. 1 Satz 1). Dies hat - rückwirkend - ab dem Zeitpunkt dieser Änderung zu erfolgen, soweit u.a. (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Hierbei ist nach § 330 Abs. 3 SGB III auch bei atypischen Fällen kein Ermessen auszuüben, sondern eine gebundene Entscheidung zu treffen. Die in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen, die nach Erlass des Verwaltungsaktes eingetreten sind und sich für den Betroffenen nachteilig auswirken, ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I. Eine rückwirkende Aufhebung hat ferner zu erfolgen, wenn der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 30.04.2002 sind erfüllt. Der Senat ist allerdings - anders als das SG und die Beklagte - nicht der Ansicht, dass die für eine Aufhebung der Alhi-Bewilligung notwendige Änderung der tatsächlichen Verhältnisse darin zu sehen ist, dass der Kläger über den 03.08.2002 hinaus in M. geblieben ist, ohne dies der Beklagten noch einmal (gesondert) mitgeteilt zu haben. Abgesehen von der Frage, ob der Kläger überhaupt zu der von der Beklagten und vom SG für notwendig erachteten (zusätzlichen) Mitteilung verpflichtet war, hat er nach seinem unwiderlegten Vorbringen darauf hingewiesen, dass er bereits vor Antritt des "Praktikums" in M. dem Arbeitsamt Heilbronn mitgeteilt habe, dass er auch über den von der Beklagten geförderten Zeitraum hinaus in M. bleiben werde. Der Senat sieht keinen Grund, diesen Angaben nicht zu glauben. Im Übrigen hat er in seiner E-Mail vom 04.06.2002 mitgeteilt, dass er "ab dem 13.05.2002" eine Stelle antreten werde. Angaben zum Zeitpunkt der Beendigung seines Aufenthalts in M. hat er nicht gemacht. Er konnte dem Bescheid der Beklagten vom 21.06.2002, in dem ihm die Beklagte die Einwilligung zu einer Trainingsmaßnahme für die Zeit bis 03.08.2002 erteilt und das "Praktikum" dadurch gefördert hat, nicht entnehmen, dass die Beklagte davon ausgeht, er werde anschließend den Aufenthalt in M. beenden. Im Gegenteil. Die von der Beklagten ausgesprochene Förderung nach § 48 SGB III ergibt nur einen Sinn, wenn diese davon ausgeht, dass dadurch die Chancen des Klägers auf eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt verbessert werden. Ansonsten hätte sie die Maßnahme gar nicht fördern dürfen.

Der angefochtene Bescheid ist aber deshalb rechtmäßig, weil sich die Beklagte auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X stützen kann. Der Umstand, dass die Beklagte zur Begründung ihrer Entscheidung nur § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X herangezogen hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Denn das so genannte "Nachschieben von Gründen" (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt bzw erschwert wird (BSGE 29, 129 , 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG ; BSG, Urteil vom 18. September 1997 - 11 RAr 9/97; BSGE 87, 8 , 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BSG, Urteil vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R). Weil die Nr. 2 und 4 des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen im vorliegenden Fall unbedenklich. Das Interesse des Klägers daran, dass ein belastender Verwaltungsakt nicht nachträglich auf eine andere ihn tragende Rechtsgrundlage gestützt wird, ist rechtlich nicht per se geschützt (zum Ganzen ausführlich BSG 20.10.2005 SozR 4-4300 § 119 Nr 3)

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger entweder wusste, dass sein Anspruch auf Alhi mit der Aufnahme der Tätigkeit in M. weggefallen ist, oder, falls er dies nicht wusste, dass seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht. Anspruch auf Alhi hat nur derjenige, der arbeitslos ist (§ 190 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.12.2004 geltenden Fassung). Arbeitslos ist nach §§ 198 Satz 2 Nr. 1, 118 Absatz 1 Nr. 1 SGB III (in der vom 01.01.1998 bis 31.12.2004 geltenden Fassung) ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus (§ 118 Absatz 2 Satz 1 SGB III). Wird dagegen 15 Stunden wöchentlich oder länger gearbeitet, liegt eine Beschäftigungslosigkeit nicht mehr vor. Eine selbständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger stehen einer Beschäftigung gleich (§ 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Demnach fällt Arbeitslosigkeit als Anspruchsvoraussetzung für Alhi bei Ausübung einer Tätigkeit als abhängig Beschäftigter, selbständig Tätiger oder mithelfender Familienangehöriger von 15 Wochenstunden und mehr fort. Auf die Höhe eines dabei erzielten Einkommens kommt es bei Überschreiten der zeitlichen Grenze nicht an.

Der Anspruch des Klägers auf Alhi ist entfallen, weil er ab dem 13.05.2002 eine mehr als 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung bei der Firma G. & S. in M. ausgeübt hat. Dies folgt unzweifelhaft aus den von der Firma G. & S. ausgestellten Arbeitsbescheinigungen. Die Bezeichnung "Praktikum" war ersichtlich nur der Tatsache geschuldet, dass es sich um ein sehr schlecht bezahltes Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat. Darauf kommt es aber hier nicht an. Entscheidend ist, dass der Kläger eine deutlich mehr als 15 Stunden wöchentlich umfassende Tätigkeit ausgeübt hat. Wie er im Schreiben vom 04.07.2004 selbst vorgetragen hat, war er teilweise 10 Stunden beschäftigt. Dies kann im Zusammenhang mit den übrigen Ausführungen nur so verstanden werden, dass er damit seine tägliche Arbeitszeit gemeint hat. Im Übrigen hat die Firma G. & S. von den Bruttobezügen des Klägers Sozialversicherungsbeiträge abgeführt und dem Kläger netto nur 199,73 EUR ausbezahlt, wie sich ebenfalls aus den von der Firma ausgestellten Bescheinigungen (Bl 192/194 der Verwaltungsakte der Beklagten) ergibt.

Selbst wenn der Kläger nicht wusste, dass durch die Aufnahme einer mehr als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung der Anspruch auf Alhi entfallen ist, so beruht seine Unkenntnis zur Überzeugung des Senats auf grober Fahrlässigkeit. Zum einen wurde dem Kläger bei der Antragstellung im April 2002 das Merkblatt 1 für Arbeitslose ausgehändigt. Darin wird darüber informiert, dass der Anspruch nur bei Beschäftigungslosigkeit besteht und was darunter zu verstehen ist. Darüber hinaus ist es nach Ansicht des Senats allgemein bekannt, dass jemand nicht mehr arbeitslos ist, wenn er einer ganztägigen Beschäftigung nachgeht. Zudem hat der Kläger nach eigenen Angaben zumindest damit gerechnet, dass seine Bezüge auf die Alhi angerechnet werden. Aus dem Bewilligungsbescheid vom 21.06.2002 (Trainingsmaßnahme) lässt sich allenfalls entnehmen, dass ihm Alhi bis zum 03.08.2002 belassen wird. Für die Zeit danach enthält der Bescheid aber keinerlei Hinweise und Regelungen.

Ob hier ein so genannter atypischer Fall iSd § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorliegt, weil der Beklagten die tatsächlichen Verhältnisse bekannt waren und die Überzahlung deshalb hätte vermieden werden können, ist unerheblich. Die Regelung in § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III sieht auch für einen solchen Fall ausdrücklich kein Ermessen der Beklagten, sondern eine gebundene Entscheidung vor. Die Beklagte war deshalb berechtigt und auch verpflichtet, die Leistungsbewilligung rückwirkend aufzuheben. Die Jahresfrist nach §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt. Im Anhörungsschreiben vom 24.05.2004 hat die Beklagte dem Kläger vorgehalten, vom 13.05.2002 bis 31.12.2002 in einem mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigungsverhältnis bei der Firma G. & S. GmbH in M. gestanden zu haben und mit Bescheid vom 27.07.2004 hat sie die Alhi-Bewilligung aufgehoben - wenn auch mit anderer Begründung - und zuviel gezahlte Leistungen zurückgefordert.

Aus der rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung folgt die Verpflichtung, überzahlte Leistungen zurückzuzahlen (§ 50 Abs. 1 SGB X). Die Verpflichtung zur Erstattung der gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich aus § 335 SGB III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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