L 16 AL 36/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 56 AL 3319/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 36/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2003 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Ein-gliederungszuschusses neu zu bescheiden.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen für "S, S". Sie schloss am 1. Juni 2001 mit dem Arbeit-nehmer H (im Folgenden H.) einen "Anstellungsvertrag", ausweislich dessen H. als "Band-stahlschnittbauer zum Anlernen" am 5. Juni 2001 eingestellt wurde. § 20 dieses Vertrages lau-tet: Der Arbeitsvertrag unterliegt nicht dem Tarifrecht. Bei einem Ausscheiden vor 3 Jahren erstattet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Lohnkosten – brutto - der Einarbeitung bzw. des Anlernens.

Bereits im Mai 2001 hatte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung eines Eingliede-rungszuschusses für H. beantragt, der zu dieser Zeit seit 6. Oktober 2000 arbeitslos war. Nach dem Einarbeitungsplan vom 5. Juni 2001 sollte sich die Einarbeitung über 6 Monate bis zum 30. November 2001 erstrecken; auf den in der Akte der Beklagten befindlichen Einarbei-tungsplan wird Bezug genommen.

Auf einen Hinweis der Beklagten, dass die Nebenabrede in § 20 des Arbeitsvertrages gegen die guten Sitten verstoße und deshalb die Förderung abgelehnt werden müsse, teilte die Klägerin u.a. mit, dass die Bestimmung in § 20 des Arbeitsvertrages in gegenseitigem Einvernehmen in den Arbeitsvertrag aufgenommen worden sei. Die Klägerin überreichte eine Anlage vom 9. Juli 2001 zum Arbeitsvertrag, auf die Bezug genommen wird.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Ein-gliederungszuschusses für H. ab mit der Begründung, dass Eingliederungszuschüsse nicht ge-währt würden, wenn die Beschäftigungsbedingungen oder Nebenabreden, die zum Beschäfti-gungsverhältnis gehörten, gegen arbeits- oder tarifliche Vorschriften oder die guten Sitten ver-stießen. Im Antrag der Klägerin verstießen die Beschäftigungsbedingungen (Rückzahlung eines Teils des Arbeitsentgelts bei Kündigung des Arbeitnehmers vor Ablauf von 3 Jahren) gegen die guten Sitten entsprechend § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2001).

Im Klageverfahren hat die Klägerin u. a. ein an H. gerichtetes Schreiben vom 8. Februar 2002 eingereicht, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Sie hat vorgetragen, dass mit dem § 20 des Arbeitsvertrages nur das Ausscheiden auf Verlangen des Arbeitnehmers gemeint sei.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 18. März 2003 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei begründet. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrages unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu. Der von der Klägerin mit dem Arbeitnehmer H. ge-schlossene Arbeitsvertrag verstoße nicht gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 BGB. Die Kammer könne keines der Merkmale "Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel des Urteilsvermö-gens oder erhebliche Willensschwäche" im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB feststellen. Auch die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB seien nicht erfüllt. Objektiv betrachtet sei die Rege-lung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten sittenwidrig. Die Klägerin wälze das Einarbei-tungsrisiko in Höhe von insgesamt 19.200 DM auf den Arbeitnehmer ab. Wegen der gewalti-gen Rückforderungssumme werde dessen Kündigungsrecht für die ersten 3 Jahre des Arbeits-verhältnisses ihm praktisch genommen. Ziehe man aber in die Gesamtbetrachtung die jeweilige Motivationslage der Arbeitsvertragsparteien mit ein, so könne nicht festgestellt werden, dass die getroffene Vereinbarung gegen die guten Sitten verstoße. Die Regelung sei deshalb getrof-fen worden, weil die Einarbeitung mit erheblichen Kosten für die Klägerin verbunden sei, die bei weitem über dem Zuschuss lägen, den sie von der Beklagten für die ersten 6 Monate bean-spruche. Gleichzeitig sei der Arbeitnehmer bereit gewesen, eine solche Vereinbarung einzuge-hen, um einen Arbeitsplatz zu erhalten. Aufgrund seiner beruflichen Biographie lasse sich nachweisen, dass er es überall nicht "lange ausgehalten habe". Eine solche Rückzahlungsver-einbarung schaffe einen erheblichen Druck, an dem Arbeitsplatz festzuhalten.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie trägt zur Begründung vor: Das Arbeits-verhältnis könne nicht gefördert werden, da die Beschäftigungsbedingungen aus § 20 des Ar-beitsvertrages gegen die guten Sitten verstießen. Rückzahlungsklauseln, die den Arbeitnehmer verpflichteten z. B. Ausbildungskosten zurückzuzahlen, wenn er überhaupt oder vor einem bestimmten Zeitpunkt kündige, stellten ein unzulässiges Kündigungshindernis dar. Darüber hinaus unterscheide die Kündigungsbeschränkung des § 20 des Arbeitsvertrages nicht zwi-schen schuldhaften und unverschuldeten Ausscheidungsgründen. Zudem habe die Klägerin nur eine Einarbeitungszeit vom 5. Juni 2001 bis 30. November 2001 vorgesehen, wobei H. eine Rückzahlungsverpflichtung für 18 Monate auferlegt worden sei. Dem Arbeitsvertrag sei nach § 4 zu entnehmen, dass ein Arbeitsentgelt von 16 DM/Stunde vereinbart worden sei. Die wö-chentliche Arbeitszeit (§ 3) betrage 40 Stunden. Daraus errechne sich ein wöchentliches Brut-toarbeitsentgelt von 640 DM bzw. ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 2.773,33 DM. Un-ter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge und der Pfändungsfreigrenze sei die in den Ar-beitsvertrag aufgenommene Rückzahlungsverpflichtung unangemessen und unzulässig.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: H. sei nach wie vor in ihrem Unternehmen beschäftigt und habe eine umfassende Ausbildung erhalten. Die Rückzahlungsvereinbarung habe nicht nur in ihrem Interesse, son-dern auch in dem des Arbeitnehmers gestanden. Er habe eine Berufsausbildung erhalten sollen, bei der er langfristig und sicher Arbeitsmarktchancen habe. Die Rückzahlungsvereinbarung habe nicht nur sie schützen sollen, keine sinnlose 25%ige oder 50%ige Ausbildung zu betrei-ben, sie habe auch H. schon beim Vertragsabschluss überzeugen sollen, sich bewusst auf eine Chance einzulassen. Der Bandschnittbauer sei ein anerkannter Anlernberuf, weil er einen we-sentlichen Anteil des Ausbildungsberufs Verpackungsmittelmechaniker beinhalte. Sie sei auch ein Ausbildungsbetrieb. 6 Monate Ausbildung bedeuteten die Vermittlung der Grundfertigkei-ten. Da es sich um einen echten feinmechanischen Handwerksberuf handele, erlerne man die ausreichende Fähigkeit durch "learning by doing", d. h. nach 2 bis 3 Jahren habe man bei ent-sprechender Geschicklichkeit einen guten Bandstahlschnittbauer. Motiv bei der Vertragsbil-dung sei es natürlich gewesen, einen Ertragserfolg zurück zu erhalten. Die Produktion der ers-ten 6 Monate bedeute in der Regel eine nicht verwertbare Produktion für den Abfall. Sie ver-weise nochmals darauf, dass die vereinbarte Vertragsstrafe H. geholfen habe, sein bisheriges soziales Verhalten zu verbessern und in einem kleinen Familienbetrieb Fuß zu fassen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Einarbei-tungszuschusses neu zu bescheiden. Das Urteil des SG war daher aufzuheben.

Nach § 217 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) können Arbeitgeber zur Eingliederung von Arbeitnehmern mit Vermittlungshemmnissen Zuschüsse zu den Arbeitsent-gelten erhalten, wenn deren Vermittlung wegen in ihrer Person liegender Umstände erschwert ist. Ob die in dieser Vorschrift normierten Grundvoraussetzungen für die Gewährung eines Eingliederungszuschusses vorliegen, kann im Ergebnis dahinstehen. Unerheblich ist deshalb auch, ob die Einarbeitung des H. bei der Klägerin erfolgreich war und H. in dem "kleinen Fa-milienbetrieb Fuß gefasst hat", wie die Klägerin vorbringt. Denn Leistungen an Arbeitgeber nach den Vorschriften des SGB III, die der Eingliederung von Arbeitnehmern dienen sollen (vgl. die Überschrift zum Fünften Kapitel Erster Abschnitt des SGB III), dürfen immer nur dann erbracht werden, wenn das zu fördernde Arbeitsverhältnis nicht gegen das geltende Recht verstößt (vgl. dazu den allgemeinen in § 36 Abs. 1 SGB III niedergelegten Grundsatz). Abge-sehen von der bei der Antragstellung zu treffenden Prognoseentscheidung zur Eingliederung des Arbeitnehmers ist daher immer zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis, das gefördert werden soll, mit dem geltenden Recht in Einklang steht und insbesondere nicht gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen oder aber gegen die guten Sitten verstößt.

Ob der am 01. Juni 2001 zwischen der Klägerin und dem Arbeitnehmer H. geschlossene Ar-beitsvertrag in der mit Wirkung vom 09. Juli 2001 geänderten Fassung gegen die guten Sitten verstößt (vgl. § 138 BGB), wie in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt ist, oder aber, wie das SG meint, unter Berücksichtigung der Motivationslage der Arbeitsvertragsparteien ein der-artiger Verstoß zu verneinen ist, kann unentschieden bleiben. Denn die Rückzahlungsverpflich-tung in § 20 des Arbeitsvertrages ist auch in der geänderten Fassung vom 09. Juli 2001 jeden-falls arbeitsrechtlich nicht zulässig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind zwar vertragliche Vereinbarungen über die Rückzahlung der Ausbildungs- und Fortbildungskosten im Falle einer vorzeitigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer grundsätzlich er-laubt (BAG, Urteile vom 05. Dezember 2002 – 6 AZR 537/00 = AP Nr. 11 zu § 5 BBiG und – 6 AZR 216/01 = AP Nr. 2 zu § 19 BBiG; Urteil vom 16. Januar 2003 – 6 AZR 384/01 = NZA 2004, 456). Die Rückzahlungsverpflichtung muss allerdings angemessen sein. Danach rechtfer-tigt z. B. eine Ausbildungsdauer von 1 Jahr auch eine einjährige Bindungsdauer des Arbeit-nehmers an das Arbeitsverhältnis. An einer derartigen Angemessenheit der Rückzahlungsver-pflichtung fehlt es indes im vorliegenden Falle. Denn auch nach der aufgrund der Anlage zum Arbeitsvertrag vom 09. Juli 2001 geänderten Fassung des § 20 des Arbeitsvertrages steht einer Einarbeitungszeit des H. von 6 Monaten eine Rückzahlungsverpflichtung für einen Zeitraum von insgesamt 18 Monaten gegenüber. Schon allein diese zeitliche Diskrepanz ist aber völlig unverhältnismäßig. Hinzu kommt, dass die Rückzahlungsverpflichtung auch in der geminder-ten Höhe nach der Vereinbarung vom 09. Juli 2001 insgesamt 19.200 DM umfasst und damit für einen Arbeitnehmer wie H. mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 2.773,33 DM eine Verpflichtung begründet – darauf weist die Beklagte zu Recht hin -, die völlig außer Ver-hältnis zu seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten steht. Eine Rückzahlungsverpflichtung in Hö-he von 19.200 DM ist schließlich auch deshalb völlig unverhältnismäßig, weil nach dem eige-nen Vorbringen der Klägerin nach Ablauf von 6 Monaten eine Ausbildung des H. gar nicht mehr durchgeführt wurde, die Ausbildung viel mehr allein durch "learning by doing" erfolgte. Es ist auch nichts dafür zu ersehen, dass in den ersten 6 Monaten, in denen H. ausgebildet wurde, Ausbildungskosten in dieser Höhe angefallen wären.

Hinzu kommt außerdem, dass die Rückzahlungsverpflichtung allein davon abhängig gemacht ist, dass der Arbeitnehmer H. aus dem Arbeitsverhältnis vor dem Ablauf von 3 Jahren aus-scheidet. Die Klägerin hat dazu zwar im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, dass in § 20 des Arbeitsvertrages nur das Ausscheiden auf Verlangen des Arbeitnehmers angesprochen worden sei. Dieses – klarstellende – Vorbringen der Klägerin findet allerdings im Wortlaut der Vertragsbestimmung keine Stütze. Diese Bestimmung erfasst vielmehr nach ihrem – allein maßgebenden - objektiven Erklärungsinhalt jedwedes Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vor Ablauf von 3 Jahren und begründet schon allein damit eine arbeitsrecht-lich nicht zulässige Rückzahlungsverpflichtung. Denn vertragliche Vereinbarungen über die Rückzahlung von Ausbildungskosten sind nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer das Ar-beitsverhältnis vorzeitig beendet (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 05. Dezember 2002 – 6 AZR 216/01 – a. a. O.). Entgegen der vom SG vertretenen Rechtsauffassung erfordert schließlich auch die Motivations-lage der Arbeitsvertragsparteien keine andere Betrachtungsweise. Denn der – subjektiven – Motivationslage kann überhaupt nur dann Bedeutung beigemessen werden, wenn sie in den vereinbarten Vertragsbestimmungen irgendeinen Niederschlag gefunden hat. In dem "Anstel-lungsvertrag" vom 1. Juni 2001 und der Zusatzvereinbarung vom 9. Juli 2001 kommt indes die Motivationslage der Klägerin und des H., auf die die Klägerin entscheidend abstellt, an keiner Stelle zum Ausdruck.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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