L 16 AL 19/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 60 AL 1756/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 19/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Ja-nuar 2004 werden zurückgewiesen. Die Klagen auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 werden abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch in dem Verfahren bei dem Landessozialge-richt nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Zahlung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002, hilfsweise für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. Au-gust 2002.

Die 1960 bzw. 1965 geborenen Kläger waren als Zusteller bei der Agentur N Vertriebslogistik des M K (im Folgenden: K) beschäftigt; die Arbeitsverhältnisse endeten durch betriebsbedingte arbeitgeberseitige Kündigungen zum 30. April 2003. Die letzten Gehaltszahlungen des Arbeit-gebers an die Kläger erfolgten – verspätet – für den Monat Mai 2002. Von diesem Zeitpunkt an erfolgte auch keine Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mehr. Weitere Gehaltszahlun-gen lehnte K unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit ab. Ab dem 01. Juli 2002 war der Geschäftsbetrieb des K eingestellt, weil ein Großkunde seinen Auftrag storniert hatte. Am 05. August 2002 stellte K einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermö-gen, dem das Amtsgericht (AG) Charlottenburg mit Beschluss vom 12. Dezember 2002 (- 103 IN 4255/02 -) entsprach. Zuvor hatte der zum Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt R als Sachverständiger in seinem Ermittlungsbericht vom 02. September 2002 mitgeteilt, dass nach seinen Feststellungen eine die Kosten des Insolvenzverfahrens deckende Masse nicht vorhan-den sei, bei Bewilligung der Stundung der Verfahrenskosten und Auslagen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedoch befürwortet werden könne.

Auf die Anträge vom 08. Juli 2002 (Kläger zu 2) bzw. vom 19. August 2002 (Kläger zu 1) be-willigte die Beklagte den Klägern für die Zeit vom 01. Juni 2002 bis zum 30. Juni 2002 Insg i. H. v. 838,10 EUR (Kläger zu 1; Bescheid vom 27. Februar 2003) bzw. 653,16 EUR (Kläger zu 2; Be-scheid vom 26. Februar 2003). Insg könne nur für eine Zeit innerhalb des Insg-Zeitraumes vom 01. Juni 2002 bis zum 30. Juni 2002 gewährt werden, weil am 01. Juli 2002 die Betriebstätig-keit wegen Zahlungsunfähigkeit eingestellt worden sei. Die Widersprüche der Kläger, mit de-nen diese die Zahlung von Insg für insgesamt 3 Monate geltend machten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 10. März 2003 (Kläger zu 2) bzw. 21. März 2003 (Kläger zu 1) zurück.

Mit seiner Klagebegründungsschrift vom 20. Mai 2003 hat der Kläger zu 1) beantragt, die Be-klagte unter Änderung der angefochtenen Bescheide zur Zahlung weiteren Insg für die Monate Juli 2002 und August 2002 zu verurteilen; der Kläger zu 2) hat die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Insg für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002 begehrt (Klageschrift vom 10. April 2003). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat beide Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die zuletzt übereinstimmend auf die Gewährung von Insg für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002 gerichteten Klagen mit Urteil vom 22. Januar 2004 abgewiesen. Zur Begründung ist ausge-führt: Die Klagen seien nicht begründet. Den Klägern stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Insg für den streitigen Zeitraum gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsför-derung – (SGB III) zu. Denn der maßgebende Insg-Zeitraum umfasse die dem Insolvenzereig-nis der vollständigen Betriebseinstellung des K am 01. Juli 2002 vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Entgegen der Auffassung der Kläger sei als maßgebliches Insolvenzereignis nicht der Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des K anzusehen, weil der Insg-Anspruch innerhalb der drei Insolvenzer-eignisse des § 183 Abs. 1 SGB III durch das zeitlich früheste Ereignis ausgelöst werde. Dies sei der Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit wegen Vermögenslosig-keit im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III am 01. Juli 2002. Der Betrieb sei zu die-sem Zeitpunkt vollständig beendet und bis dahin ein Insolvenzantrag nicht gestellt worden. Es habe auch nicht nur eine Betriebspause vorgelegen, da nach dem 30. Juni 2002 eine dem Be-triebszweck dienliche Tätigkeit nicht mehr ausgeführt bzw. nicht wieder aufgenommen worden sei. Dabei sei unerheblich, ob K gehofft habe, die Wiederaufnahme der Betriebstätigkeit durch eine gerichtliche Verpflichtung des Großkunden wiederherstellen zu können. Im Zeitpunkt der Betriebseinstellung sei auch ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Be-tracht gekommen. Bei verständiger Würdigung der den Klägern bekannten Umstände habe zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung am 01. Juli 2002 von der Masselosigkeit ausgegangen werden müssen. K habe seinerzeit schon mehrfach das Arbeitsentgelt erst verspätet ausgezahlt gehabt und habe ab Mai 2002 die Entgelte in größerem Umfang wegen Zahlungsunfähigkeit nicht auszahlen können. Er habe nicht nur im Schriftsatz vom 10. Juli 2002 erklärt, dass eine Auszahlung nicht möglich sei, weil kein Geld in der Kasse sei, sondern den Arbeitnehmern klargemacht, dass angesichts der ausbleibenden Zahlung und der Kündigung des Betriebsver-trages durch den Großkunden Mittel zur Zahlung des Arbeitsentgeltes nicht vorhanden seien. Hieran ändere auch nichts, dass später am 12. Dezember 2002 tatsächlich das Insolvenzverfah-ren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden sei. Denn der Eröffnungsbeschluss sei trotz der vom Sachverständigen festgestellten Masselosigkeit nur ergangen, weil hinsicht-lich der Verfahrenskosten und Auslagen eine Stundung gewährt worden sei.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter und machen hilfsweise nunmehr die Gewährung von Insg für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 geltend. Sie tragen vor: Auf den Tag der Betriebsstilllegung als maßgebendes Insolvenzereignis könne es nicht ankommen, da der K später einen Insolvenzantrag gestellt habe, dem auch stattgegeben worden sei. Im Übrigen habe am 30. Juni 2002 auch noch keine Zahlungsunfähigkeit bestan-den, weil der K erst mit Schreiben vom 15. August 2002 (Bescheinigung zur Vorlage bei Äm-tern und Behörden) mitgeteilt habe, dass aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Gehälter für Juni und Juli nicht hätten ausgezahlt werden können und am 02. August 2002 der Insolvenzan-trag gestellt worden sei. Maßgebendes Insolvenzereignis im Rahmen des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III sei somit das Datum der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (12. Dezember 2002). Im Übrigen gelte hinsichtlich der Hilfsanträge, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2003 – C – 160/01 = NJW 2003, 2371 "Mau") auf den Zeitpunkt abzustellen sei, zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ge-stellt worden sei.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 10. März 2003 und des Bescheides vom 27. Februar 2003 in der Ges-talt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2003 zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002 unter Anrechnung bisher erhalte-nen Insolvenzgeldes bzw. Arbeitslosengeldes Insolvenzgeld zu gewähren, hilfsweise, ihnen für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 Insolvenzgeld zu gewäh-ren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen und die hilfsweise erhobenen Klagen auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Insg-Akte des Klägers zu 2), die Insg-Betriebsakte des K und die anhand von Unterlagen des Klägers zu 1) rekonstruierte Insg-Akte des Klägers zu 1), die Insolvenzakten des AG Char-lottenburg – 103 N 4255/02 – sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Kläger sind zulässig, weil sie jeweils den erforderlichen Beschwerdewert von 500,- EUR (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) überschreiten. Maß-gebend für die Ermittlung des Beschwerdewertes beim Insg sind die Nettobeträge (vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2004 – B 11 AL 53/03 R – veröffentlicht in Juris). Da die Kläger getrenn-te Berufungen gegen das SG-Urteil eingelegt haben, sind die Beschwerdewerte nicht zusam-menzurechnen, sondern für jede Klage getrennt zu errechnen. Nach den im Schriftsatz vom 20. Oktober 2004 bezifferten Anträgen der Kläger ist davon auszugehen, dass jede der beiden Be-rufungen den erforderlichen Beschwerdewert erreicht und damit statthaft ist. Ob die Berech-nungen der Kläger in diesem Schriftsatz im Einzelnen bis ins Detail zutreffend sind, kann da-bei dahinstehen. Denn diese bezifferten Anträge sind in jedem Fall nicht rechtsmissbräuchlich gestellt worden, um die Berufungsfähigkeit zu erreichen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. Au-gust 1990 – 10 RKg 29/88 = SozR 3-5870 § 27 Nr. 1).

Die Berufungen der Kläger sind nicht begründet. Die im Verlauf des Berufungsverfahrens hilfsweise erhobenen Klagen auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002, über die der Senat erstinstanzlich kraft Klage zu befinden hatte, sind bereits unzulässig.

Die von dem Kläger zu 1) im Termin zur mündlichen Verhandlung bei dem SG am 22. Januar 2004 erhobene Klage auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002 unter Anrechnung des bisher erhaltenen Insg, die der Kläger zu 1) auch im Berufungsverfahren weiter verfolgt hat, ist unzulässig. Der Kläger zu 1) hatte mit seiner durch die Klagebegründungsschrift vom 20. Mai 2003 konkretisierten Klage nur die Gewährung von Insg für die Monate Juli 2002 und August 2002 unter entsprechender Bezifferung der Zahlbe-träge geltend gemacht. Diesen prozessualen Anspruch hat der Kläger im Verhandlungstermin bei dem SG nicht mehr zu dessen Entscheidung gestellt, sondern (nur) noch den Klageanspruch auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002. Hierbei handelt es sich um eine Klageänderung, die dann vorliegt, wenn der Streitgegenstand durch eine Erklärung gegenüber dem Gericht geändert wird, beispielsweise dadurch, dass das ursprünglich verfolgte Begehren durch ein neues Begehren ersetzt wird (vgl. § 99 SGG). Eine zulässige gewillkürte Klageänderung entbindet das Gericht jedoch nicht von der Verpflichtung, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen, für die sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen ebenfalls vorliegen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 3/01 R – veröffent-licht in Juris –). Einer gerichtlichen Sachentscheidung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhand-lung bei dem SG stand aber hinsichtlich des geänderten Klagebegehrens die Bestandskraft des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 27. Februar 2003 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 21. März 2003 entgegen (vgl. § 77 SGG). Da der Kläger zu 1) diesen Bescheid nur insoweit angefochten hatte, als er mit seiner Klage die Gewährung weiteren Insg für die Monate Juli 2002 und August 2002 geltend gemacht hatte, war der Bescheid im Übri-gen, d. h. für andere denkbare Insg-Bezugszeiträume als Juli 2002 oder August 2002, be-standskräftig geworden. Denn dieser Bescheid verlautbarte nicht allein die Regelung, dass Insg an den Kläger zu 1) nur für den Monat Juni 2002 zu zahlen sei, sondern die Beklagte lehnte damit auch die Gewährung von Insg für andere Zeiträume ab. Sofern der Kläger für andere Zeiträume als für den Monat Juni 2002 die Zahlung von Insg geltend machen wollte, hätte er dies mit seiner Klage - wie für den Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum 31. August 2002 zu-nächst geschehen – konkretisieren müssen. Selbst wenn aber von einer Zulässigkeit der geän-derten Klage auszugehen wäre, wäre diese – wie die von dem Kläger zu 2) erhobene statthafte und im Berufungsverfahren weiter verfolgte Klage auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002 – nicht begründet gewesen.

Die Klage des Klägers zu 2) ist nicht begründet. Der Kläger zu 2) hat gegen die Beklagte kei-nen Anspruch auf Insg für die Zeit vom 12. September 2002 bis zum 11. Dezember 2002 unter Anrechnung bisher erhaltenen Insg bzw. Alg; denn sein Insg-Anspruch gegenüber der Beklag-ten beschränkt sich auf nicht erfüllte Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die dem 01. Juli 2002 vorausgehenden drei Monate seines Arbeitsverhältnisses mit K.

Anspruch auf Insg besteht gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III für im Inland beschäftigt gewe-sene Arbeitnehmer, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Nr. 1), bei Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens man-gels Masse (Nr. 2) oder bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzver-fahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Rechtlich maßgebend ist von den genannten drei Insolvenzereignissen dasjenige Insolvenzereignis, dass erstmals die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers hervortreten lässt und somit eine so genann-te Sperrwirkung auslöst (vgl. BSG SozR 4100 § 141 b Nr. 1; BSG SozR 4100 § 141 b Nr. 19; BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 – B 11 AL 27/00 R – veröffentlicht in Juris).

Vorliegend stellt nach den Feststellungen des Senats die vollständige Einstellung der Betriebs-tätigkeit des K am 01. Juli 2002 das maßgebende Insolvenzereignis dar. An diesem Tag hatte K seine betriebliche Tätigkeit im Inland vollständig beendigt, was sich zweifelsfrei aus dem im Verlauf des späteren Insolvenzverfahrens erstellten Ermittlungsbericht des späteren Insolvenz-verwalters RA R vom 02. September 2002 ergibt. Betriebsdienliche Tätigkeiten sind nach die-sem Zeitpunkt von K nicht mehr durchgeführt worden. Etwaige reine Abwicklungs- und Li-quidationsarbeiten nach dem 01. Juli 2000 stehen einer Betriebseinstellung nicht entgegen (vgl. BSG SozR 4100 § 141 Nr. 19). Zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung am 01. Juli 2002 war auch ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt; K reichte diesen Antrag bei dem AG Charlottenburg erst am 05. August 2002 ein. Auch die weitere Voraussetzung, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam, lag bereits zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung am 01. Juli 2002 vor. Hierfür reicht es aus, wenn für einen unvoreingenommenen Betrachter alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für Masseunzulänglichkeit sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 04. März 1999 – B 11/10 AL 3/98 R – veröffentlicht in Juris). Zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung des K hatte dieser das Gehalt des Klägers zu 2) für den Monat 2002 bis auf eine Zahlung von 100,- EUR und das ebenfalls fälli-ge Gehalt für Juni 2002 überhaupt nicht ausgezahlt, und zwar unter Hinweis darauf, dass er zahlungsunfähig sei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III waren damit am 01. Juli 2002 erfüllt. Die Vorschrift ist ein Auffangtatbestand für die Fälle, in denen Arbeitnehmer wegen der behaupteten und nicht leicht zu widerlegenden Zahlungsun-fähigkeit des Arbeitgebers keinen Lohn erhalten haben. Sofern K nach dem Vorbringen der Kläger die Hoffnung ausgedrückt haben sollte, dass die Zahlungsfähigkeit durch ein Fortbeste-hen des Vertriebsvertrages mit einem Großkunden eventuell hätte wiederhergestellt werden können, ändert dies nichts an der Tatsache seiner offensichtlichen Zahlungsunfähigkeit zum 01. Juli 2002, die sich auch zweifelsfrei aus dem Gutachten des Insolvenzverwalters ergibt. Unschädlich ist hierbei, dass K die Hoffnung geäußert hatte, durch eine gerichtliche Verpflich-tung des Großkunden seine Betriebstätigkeit eventuell in der Zukunft wieder aufnehmen zu können. Dies ändert an der durch das Gutachten des Insolvenzverwalters klargestellten tatsäch-lichen Masselosigkeit zum 01. Juli 2002 nichts, zumal es zu einer Aufnahme der Betriebstätig-keit durch K nach dem 1. Juli 2002 auch tatsächlich nicht mehr kam. Das Insolvenzverfahren ist nur deshalb am 12. Dezember 2002 eröffnet worden, weil die Verfahrenskosten und Ausla-gen gestundet wurden. Im Übrigen gab der Kläger zu 1) in seinem Insg-Antrag vom 19. August 2002 selbst an, dass der K seine Betriebstätigkeit bereits am 29. Juni 2002 vollständig einge-stellt und die Nichtzahlung des Arbeitsentgelts mit Zahlungsunfähigkeit begründet habe.

Die im Berufungsverfahren erstmals hilfsweise erhobenen Klagen auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 sind bereits unzulässig, weil es insoweit an der funktionalen Zuständigkeit des Landessozialgerichts fehlt, über diese erstmals erhobe-nen Klageansprüche zu entscheiden (vgl. § 29 SGG). Nach der genannten Vorschrift entschei-det das LSG im zweiten Rechtszug über die Berufung gegen die Urteile der SGe, mithin nur über die ihm mit der Berufung angefallenen prozessualen Ansprüche, die zur Entscheidung des SG gestellt worden sind. Dies ist bei den nunmehr hilfsweise erhobenen Klagen auf Gewäh-rung von Insg für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 ersichtlich nicht der Fall. Eine Klageänderung im Sinne von § 99 SGG ist zwar auch im Berufungsverfahren zuläs-sig, entbindet das LSG aber nicht von der Verpflichtung, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen. Diese kann sich im Berufungsverfahren nur aus § 96 SGG ergeben. Nur unter den dort genannten Voraussetzungen hat das LSG ausnahmsweise entgegen § 29 SGG erstinstanz-lich über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 3/01 R –). Ein Fall des § 96 SGG liegt vorliegend aber mangels Erteilung eines (weiteren) Verwaltungsaktes im Berufungsverfahren nicht vor.

Indes wären die hilfsweise erhobenen Klagen auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 04. August 2002 ohnehin unbegründet. Denn maßgebendes Insolvenzereig-nis kann vorliegend – wie bereits dargelegt – nur der Zeitpunkt der vollständigen Betriebsein-stellung am 01. Juli 2002 im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III sein, in keinem Fall aber die Stellung des Insolvenzantrages am 05. August 2002, auf die die Hilfsanträge der Klä-ger abzielen. Zwar hat der EuGH in dem von den Klägern in Bezug genommenen Urteil vom 15. Mai 2003 (C – 160/01 = NJW 2003, 2371 "Mau") entschieden, dass Artikel 3 Abs. 2 und Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie des Europäischen Rates vom 02. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsun-fähigkeit des Arbeitgebers (EWGRL 80/987) in der bis zum Inkrafttreten der Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 270) geltenden Fassung dahin auszulegen seien, dass sie einer Bestimmung nationalen Rechts entgegenstehen, in der der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als der Zeit-punkt der Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht als der Zeitpunkt der Einreichung dieses Antrages definiert wird. Das vorliegend anzuwendende deutsche Recht (§ 183 SGB III), das nicht auf den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah-rens, sondern grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Eröffnung abstellt, genügte insoweit den Anforderungen der EWGRL 80/987 nicht, ist jedoch eindeutig und nicht im Sinne der Rechtsprechung des EuGH auszulegen. Aus der EWGRL 80/987 lassen sich kei-ne Ansprüche der Kläger gegenüber der Beklagten ableiten, sondern allenfalls Ansprüche auf Schadensersatz wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie, über die die Gerichte der Sozial-gerichtsbarkeit nicht zu befinden haben (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 11 AL 27/03 R = SozR 4-4100 § 141 b Nr. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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