L 16 AL 63/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 52 AL 3216/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 63/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2004 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 24. März 2002 bis zum 22. Februar 2003 und einer Rückforderung der Beklagten in Höhe von insgesamt 9.247,59 EUR.

Die Klägerin, geboren am 1945, stammt aus der Türkei und besitzt die türkische Staatsangehö-rigkeit. Sie war ab 07. August 1970 bei der Siemens AG als Montiererin versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer – fristgemäßen – Kündigung der Ar-beitgeberin vom 22. Juni 1999 am 31. Januar 2000. Ausweislich der von der Siemens AG am 21. Januar 2000 ausgestellten Arbeitsbescheinigung wurde der Klägerin eine Abfindung von insgesamt 46.218,74 EUR als laufende Zahlung für die Zeit vom 01. August 2000 bis 31. Januar 2005 (= monatlich 855,90 EUR) gewährt, und zwar als "Anerkennung langjähriger Dienstzeit bis zum Einsetzen der Versicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, längstens je-doch bis zum vollendeten 60. Lebensjahr". Außerdem erhielt die Klägerin von der Siemens AG einen Übergangszuschuss für die Zeit vom 01. Februar 2000 bis 31. Juli 2000 in Höhe von monatlich 1.892,06 EUR und – ebenfalls ab 01. Februar 2000 - ein monatliches Ruhegeld von 117,60 EUR.

Auf den Antrag der Klägerin vom 26. Januar 2000 gewährte die Beklagte der Klägerin Arbeits-losengeld (Alg) vom 01. Februar 2000 bis zum 23. März 2002. Bei der Antragstellung wurde der Klägerin das Merkblatt 1 für Arbeitslose ausgehändigt.

Am 24. März 2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Alhi; auf das in der Akte der Beklagten befindliche ausgefüllte Antragsformular vom 15. März 2002 wird Bezug genom-men. Die Beklagte bewilligte Anschluss-Alhi für die Zeit ab 24. März 2002 (Bescheid vom 10. Juli 2002).

Nach Anhörung der Klägerin (Schreiben der Beklagten vom 18. Februar 2003) zu der beab-sichtigten Aufhebung und Rückforderung der Alhi nahm die Beklagte zunächst die Bewilli-gung von Alhi für die Zeit ab 22. Februar 2003 zurück und hob dann mit Bescheid vom 30. April 2003 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 24. März 2002 ganz auf. Zur Begründung ist ausgeführt: Unter Berücksichtigung der Firmenpension bestehe kein Anspruch auf Alhi. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungs-verfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) in Verbindung mit § 330 Absatz 3 Sozialgesetz-buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Die Klägerin sei ihrer Anzeigepflicht nicht rechtzeitig nachgekommen. In der von der Aufhebung betroffenen Zeit vom 24. März 2002 bis 22. Febru-ar 2003 habe die Klägerin 7.562,66 EUR ohne Rechtsanspruch erhalten. Auch die für diesen Zeit-raum gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.684,93 EUR seien zu ersetzen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2003).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 15. Juli 2004 antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 30. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2003 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Rechtsgrundlage für die Aufhebung und Erstattung der bewilligten Alhi sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien § 330 Abs. 2 SGB III, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X, § 335 SGB III sowie § 50 Abs. 1 SGB X. Die Bewilligung der Alhi ab 24. März 2003 (richtig gestellt: 2002) sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da die Klägerin infolge der von der Siemens AG bezogenen monatlichen Firmenpension in Höhe von 960,27 EUR nicht bedürftig gewesen sei. Zur Überzeugung der Kammer könne der Klägerin je-doch nicht der Vorwurf gemacht werden, infolge grober Fahrlässigkeit in dem Antrag auf Ge-währung von Alhi in wesentlicher Beziehung unvollständige Angaben gemacht zu haben bzw. infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit der Bewilligung der Alhi ab 24. März 2002 nicht erkannt zu haben. Die Klägerin habe in dem Antrag auf Gewährung von Alhi ab 24. März 2002 den Bezug der Firmenpension der Siemens AG in Höhe von 960,27 EUR nicht angegeben. Die Klägerin habe aber im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie und ihr Ehemann, wie dieser bestätigt habe, bei dem Ausfüllen des Antrags auf Gewährung von Alhi davon ausgegangen seien, dass es sich bei der Firmenpension nicht um eine Leistung des Ar-beitgebers handele, da es die Abfindungszahlung wegen Beendigung des Beschäftigungsver-hältnisses gewesen sei. Darüber hinaus hätten sie bei der Stellung des Antrags auf Gewährung von Alg alle Unterlagen, auch die über die Abfindung und die Abfindungszahlungen, vorge-legt. Der Vortrag der Klägerin rechtfertige den Vorwurf der Fahrlässigkeit, jedoch nicht den grober Fahrlässigkeit.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie trägt zur Begründung vor: Die Klägerin habe in dem Antrag auf Alhi vom 24. März 2003 (richtig gestellt: 2002) auf die Frage unter Punkt 4., ob sie noch andere Leistungen beziehe, "NEIN" angekreuzt. Unter Punkt 4. werde allerdings sehr eindeutig und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass Ausgleichszahlun-gen der ehemaligen Arbeitgeber anzugeben seien. Die Begründung des SG sei insoweit nicht nachvollziehbar. Auch bereits die Betreffzeile des Schreibens der Firma Siemens AG an die Klägerin vom 29. November 1999 weise auf Firmenleistungen wegen des Verlustes des Ar-beitsplatzes hin. Inwiefern die Klägerin davon habe ausgehen können, dass es sich nicht um Leistungen des Arbeitgebers handele, bleibe unverständlich. Auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 Absatz 2 Satz 3 Nr. 4 (richtig gestellt: Nr. 3) SGB X lägen vor, da die Klägerin die Unrichtigkeit der Bewilligung habe erkennen können. Sowohl allgemein, aber insbesondere aus den einschlägigen Erläuterungen des "Merkblatts für Arbeitslose" müsse bzw. habe bekannt sein müssen, dass die Bedürftigkeit eine Anspruchsvoraussetzung für den Bezug der Alhi sei. Insofern hätte die Klägerin bei einfachsten Überlegungen erkennen kön-nen, dass der Bezug einer monatlichen Leistung des Arbeitgebers in Höhe von über 800,00 EUR nicht ohne Auswirkung auf die Bewilligung der Alhi bleiben könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2004 aufzuheben und die Klage abzu-weisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Sie habe den Bezug der Firmenpension nicht angegeben, da sie irrigerweise da-von ausgegangen sei, dass es sich bei der Firmenpension nicht um eine so genannte "Aus-gleichszahlung des ehemaligen Arbeitgebers" gehandelt habe. Sie habe gedacht, dass lediglich Leistungen aus einem Beschäftigungsverhältnis darunter fielen. Im Übrigen liege hier ein Mit-verschulden der Beklagten vor. Schließlich habe das SG zu Recht darauf abgestellt, dass ihre persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht rechtfertigten. Außerdem sei sie Ausländerin, die des Amtsdeutschen nur bedingt mächtig sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben über die Umstände beim Ausfüllen des Antrags auf Alhi durch Vernehmung des Ehemannes der Klägerin H A als Zeugen; auf die Vernehmungsniederschrift vom 29. November 2005 wird Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Entgegen der vom SG vertretenen Rechtsauffassung war die Beklagte berechtigt, die Bewilli-gung der Alhi für die Zeit ab 24. März 2002 und damit für die Vergangenheit zurückzunehmen, und sie kann auch von der Klägerin die Erstattung des im Bescheid vom 30. April 2003 festge-setzten Betrages von 9.247,59 EUR verlangen.

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 30. April 2003 in der Gestalt des Wi-derspruchbescheides vom 26. Mai 2003 beurteilt sich nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X i.V.m. §§ 330 Abs. 2 SGB III, 50 SGB X sowie § 335 SGB III. Danach ist ein objektiv rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt, vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X), mit Wirkung für die Ver-gangenheit zurückzunehmen, wenn sich der Begünstigte auf sein Vertrauen in die Bestands-kraft des Bescheides nicht berufen kann, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvoll-ständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder aber der Begünstigte die Rechts-widrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwe-rem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Ermessenserwägungen sind bei einer danach zu treffenden Rücknahmeentscheidung nicht anzustellen (vgl. § 330 Abs. 2 SGB III). Die Rücknahme muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, die die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bereits erbrachte Leistungen sind zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das Gleiche gilt für die gezahlten und auf den Aufhebungszeitraum entfallenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (§ 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Die Bewilligung der Alhi für die Zeit ab 24. März 2002 war objektiv rechtswidrig. Die Klägerin hatte ab 24. März 2002 keinen An-spruch auf Alhi nach den bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Vorschriften der §§ 190 ff. SGB III (im Folgenden ohne Zusatz zitiert). Denn sie war nicht bedürftig im Sinne der §§ 190 Abs. 1 Nr. 5, 193 Abs. 1 SGB III. Die Siemens AG zahlte in der Zeit vom 01. August 2000 bis zum 31. Januar 2005 und damit auch in dem streitigen Zeitraum eine laufende monat-liche Leistung von 855,90 EUR sowie ab 01. Februar 2000 ein monatliches Ruhegeld von 117,60 EUR, so dass die Klägerin in der Zeit vom 24. März 2002 an über ein monatliches Nettoeinkom-men von 960,27 EUR verfügte. Ausgehend von der ihr für die Zeit ab 24. März 2002 täglich bewil-ligten Alhi in Höhe von 22,53 EUR, die sich ab 1. Januar 2003 auf 22,39 EUR belief, überstieg das monatliche Einkommen der Klägerin die bewilligte Alhi bei weitem.

Bei den laufenden monatlichen Zahlungen der Siemens AG in der streitigen Zeit ab 24. März 2002 handelt es sich auch um zu berücksichtigendes Einkommens im Sinne des § 194 SGB III. Denn Einkommen im Sinne der ehemaligen Alhi waren nach der in § 194 Abs. 2 SGB III ge-gebenen Definition alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Auch der Teilbetrag der monatli-chen Abfindungsleistung ist dabei als Einkommen der Klägerin in Ansatz zu bringen. Zwar gelten gemäß § 194 Abs. 3 Nr. 7 SGB III Leistungen zum Ausgleich eines Schadens nicht als Einkommen, soweit sie nicht für entgangenes oder entgehendes Einkommen oder für den Ver-lust gesetzlicher Unterhaltsansprüche erbracht werden. Auch wenn die Gewährung einer Ab-findung sich immer auch als Entschädigung für den Verlust eines Arbeitsplatzes qualifizieren lässt, so handelt es sich doch bei der der Klägerin gezahlten Abfindungsleistung nicht um eine gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vom Gericht festgesetzte Abfindung und auch nicht eine in Anlehnung an die §§ 9, 10 KSchG ausschließlich für den Verlust des Ar-beitsplatzes vergleichsweise vereinbarte Abfindungsleistung (vgl. dazu BSG SozR 4100 § 138 Nr. 18). Ausweislich der von der Siemens AG am 21. Januar 2000 ausgestellten Arbeitsbe-scheinigung wurde die Abfindung vielmehr "als Anerkennung langjähriger Dienstzeit bis zum Einsetzen der Versicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, längstens jedoch bis zum vollendeten 60. Lebensjahr" gewährt. Die Leistung diente damit dem Ausgleich ent-gangenen Einkommens bis zum voraussichtlichen Eintritt in das Rentenalter. Sie unterfällt demgemäß nicht der Ausschlussvorschrift des § 194 Abs. 3 Nr. 7 SGB III. Für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der Siemens AG aufgrund einer sozialwidrigen Kün-digung findet sich zudem kein Anhalt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete vielmehr auf-grund einer fristgemäßen ordentlichen Kündigung, die von der Klägerin nicht mit einer Kün-digungsschutzklage angefochten worden war.

Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung ist der Klägerin auch zumindest grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung der Alhi vorzuwerfen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Die Bewilligung der Alhi beruhte zudem auf Angaben, die die Klägerin zu-mindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs. Satz 3 Nr. 2 SGB X).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin sich beim Ausfüllen des Antragsformulars für die Alhi der Hilfe ihres Ehemannes bedient hatte. Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann, der als Zeuge gehört worden ist, ha-ben übereinstimmend erklärt, dass nicht die Klägerin, sondern ihr Ehemann das Formular aus-gefüllt und die Klägerin dann den Antrag nur unterschrieben hatte. Hinsichtlich der Entschei-dungserheblichen Angaben im Antragsformular unter 4. steht indes die Aussage des Zeugen A in eindeutigem Widerspruch zu dem Vorbringen der Klägerin, dass über die Abfindung "über-haupt nicht gesprochen" worden sei. Denn der Zeuge A hat bekundet, dass er "die einzelnen Fragen mit seiner Ehefrau besprochen habe". Selbst wenn die Klägerin die erforderlichen An-gaben unter der Nummer 4. im Antragsformular zu "Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers" nicht selbst beantwortet haben, sondern nur die Richtigkeit der Beantwortung durch ihre Unter-schrift bestätigt haben sollte, ist sie vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit indes nicht befreit. Denn derjenige, der sich eines Dritten bedient, hat dessen Verschulden in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden (vgl. § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der auch im Sozialrecht gilt – vgl. BSG, Beschluss vom 18. August 2005 – B 7 AL 4/05 R unter Bezug-nahme auf BSGE 28, 258, 259 ff.).

Im Ergebnis hat damit entweder die Klägerin selbst oder der Zeuge A beim Ausfüllen des An-tragsformulars grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. HS SGB X vor, wenn der Begünstigte die er-forderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn der Begünstigte schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb dasjenige nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22). Dabei ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Ein-sichtsvermögen des Begünstigen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen.

Den Zeugen Atrifft unter Berücksichtigung dieser Vorgaben schon deshalb der Vorwurf grober Fahrlässigkeit, weil ihm wegen seines eigenen Alhi-Bezuges die Relevanz der Zahlungen der Siemens AG an seine Ehefrau klar sein musste. Darauf hat die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen, ohne dass die Klägerin oder der Zeuge A diesem Vor-trag widersprochen hätten. Soweit die Klägerin sich auf mangelnde deutsche Sprachkenntnisse beruft, vermag dieses Vorbringen weder sie noch ihren Ehemann von dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu befreien (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1997 – 11 RA 89/96 = AuB 1997, 282 ff.). Denn derjenige, der die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, muss sich Klarheit über den Inhalt eines an ihn gerichteten Bescheides verschaffen, z. B. mit Hilfe eines Dolmetschers. Der Zeuge A hat zudem bestätigt, dass er und seine Ehefrau das einschlägige Merkblatt der Beklagten, das er ebenfalls erhalten hatte, sorgfältig gelesen und auch verstanden hätten, und zwar ohne dass eine Übersetzung in die türkische Sprache erforderlich gewesen wäre. Wenn er gleichwohl trotz des sorgfältigen Lesens und des Verstehens des Inhalts des Merkblatts der irrigen Annahme war – wie er ausgesagt hat –, sie müssten die Abfindung beim Antrag seiner Ehefrau nicht angeben, dann hätte ihm ohne weiteres einleuchten müssen, dass diese Annahme auch unter Berücksichtigung der Erläuterungen im Merkblatt, wonach jegli-ches Einkommen anzugeben ist, nirgendwo eine Grundlage findet. Soweit sich diese irrige An-nahme nach dem Vorbringen der Klägerin darauf gründet, dass bereits bei der Antragstellung auf Alg die "Firmenpension" aufgrund der Arbeitsbescheinigung der Siemens AG der Beklag-ten bekannt war, so hätte sie bzw. ihr Ehemann jedenfalls wissen müssen, dass beim Ausfüllen eines neuen Antrages alle Fragen vollständig und richtig zu beantworten sind und unter Be-rücksichtigung der Erläuterungen im Merkblatt jegliches Einkommen – erneut – mitzuteilen ist. Ein etwaiges Mitverschulden der Beklagten, auf das sich die Klägerin beruft, vermag den Vorwurf grober Fahrlässigkeit jedenfalls nicht zu entkräften und ist daher rechtlich unerheblich (vgl. BSG, Beschluss vom 29. Juni 2000 – B 11 AL 253/99 B – n. v. ).

Auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind erfüllt. Bei Zugang des Alhi-Bewilligungsbescheides hätte die Klägerin erkennen müssen, dass ihr die bewilligte Alhi nicht zustand. Denn aus Seite 53 des Merkblatts, das die Klägerin und ihr Ehemann nach der Aussage des Zeugen A sorgfältig gelesen und auch verstanden hatten, war der Klägerin be-kannt, dass das Amt sofort zu benachrichtigen war, wenn man aus einer früheren Beschäfti-gung noch Arbeitsentgelt, eine Urlaubsabgeltung oder eine Entlassungsentschädigung (Abfin-dungen, Entschädigungen oder ähnliche Leistungen) erhält. Selbst wenn der Begriff der "Aus-gleichszahlungen des ehemaligen Arbeitsgebers" im Antragsformular auf Alhi missverständ-lich gewesen sein sollte, so ist der Begriff der "Abfindung" jedenfalls eindeutig; das muss auch für die Sicht der Klägerin gelten. Denn auch die ehemalige Arbeitgeberin der Klägerin, die Siemens AG, hatte in dem von der Klägerin eingereichten Schreiben vom 29. Juni 1999 betref-fend die "Firmenleistungen wegen Verlustes des Arbeitsplatzes" den Begriff der "Abfindung" verwendet. Der von der Klägerin behauptete Irrtum ist daher wegen der Deckungsgleichheit der Begriffe von vornherein nicht nachvollziehbar. Da die Firmenleistungen der Siemens AG damit auch aus der Sicht der Klägerin anrechenbares Einkommen darstellen mussten und die ihr bewilligte Alhi mit dem monatlichen Zahlbetrag weit unter diesen Firmenleistungen lag, hätte die Klägerin sofort erkennen müssen, dass ihr die bewilligte Alhi nicht zustand.

Die nach § 24 SGB X vor der Aufhebung der Bewilligung der Alhi erforderliche Anhörung ist schließlich im Ergebnis ebenfalls ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die zutreffende Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X) findet sich zwar erst im Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2003. Die Anhörung ist dann aber jedenfalls in zulässiger Weise noch im Gerichtsverfahren nachgeholt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X). Auch die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten worden; inso-weit besteht auch zwischen den Beteiligten kein Streit.

Da die Aufhebung der Bewilligung der Alhi für die Vergangenheit, d. h. für den Zeitraum vom 24. März 2002 bis zum 21. Februar 2003, zu Recht erfolgt ist, steht der Beklagten im Ergebnis auch ein Rückforderungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zu. Dabei ist die Rückforde-rung für den 22. Februar 2003 allerdings nicht rechtens, da die Klägerin nach den vorliegenden Zahlungsnachweisen für den 22. Februar 2003 Alhi nicht mehr erhalten hatte. Die in der Zeit vom 24. März 2002 bis 22. Februar 2003 gezahlte Alhi beliefe sich auf 7.562,66 EUR (= 22,53 EUR täglich vom 24. März bis 31. Dezember 2002 sowie ab 01. Januar 2003 bis 22. Februar 2003 = 22,39 EUR täglich), für die Zeit bis 21. Februar 2003 also auf 7.540,27 EUR. Außerdem ist die Kläge-rin zur Rückzahlung der bis zum 21. Februar 2003 angefallenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet (§ 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Zu berücksichtigen sind dabei Krankenversicherungsbeiträge vom 24. März 2002 bis 31. Dezember 2002 von 1.525,92 EUR und in der Zeit vom 01. Januar 2003 bis 21. Februar 2003 von 151,36 EUR, also insgesamt 9.217.55 EUR. Schlägt man nun noch die Beiträge zur Pflegeversicherung hinzu (= 128,18 EUR), die die Beklagte bei ihrer Berechnung versehentlich unberücksichtigt gelassen hatte, dann ergibt sich ein Betrag von 9.345,73 EUR. Die von der Beklagten geltend gemacht Rückforderung in Höhe von 9.247,59 EUR liegt noch darunter und ist deshalb nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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