S 10 RA 5/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RA 5/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit ist die Weitergewährung einer Halbwaisenrente für die Zeit eines Einsatzes im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes.

Die am 28.09.1982 geborene Klägerin ist die Tochter des am 27.07.1996 gestorbenen Versicherten J. Sie besuchte bis 29.06.2002 (Datum des Abschlusszeugnisses) das Gymnasium. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid om 27.09.1996 beginnend mit dem 27.07.1996 Halbwaisenrente zunächst bis zum 30.09.2000. Nach Vorlage einer aktuellen Schulbescheinigung wurde der Klägerin am 30.08.2000 mitgeteilt, dass die Halbwaisenrente bis zum voraussichtlichen Ende der Schulausbildung am 31.07.2002 weitergezahlt werde.

Im Mai 2001 wurde die weitere Anspruchsberechtigung durch die Beklagte überprüft. Die Klägerin legte eine Schulbescheinigung vor, aus der sich ergab, dass die Schulausbildung voraussichtlich im Juni 2002 durch die Abiturprüfung abgeschlossen werde. Die Klägerin verpflichtete sich, jede Änderung der Verhältnisse mitzuteilen, die den Waisenrentenan-spruch beeinflußt. Mit Schreiben vom 16.08.2002 bat die Beklagte um Übersendung des Abschlusszeugnisses, das am 27.08.2002 bei der Beklagten einging.

Gleichzeitig teilte die Klägerin mit, dass sie in der Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.08.2003 im Rahmen des EU-Aktionsprogrammes Jugend einen Europäischen Freiwilligendienst in Innsbruck absolvieren werde. Sie legte eine Bescheinigung der Deutschen Entsendeorganisation, der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd) Landesverein Niedersachsen e.V. vor, mit der die Teilnahme an dem Euro-päischen Freiwilligendienst bestätigt wurde. In der Bescheinigung wurde ausgeführt, dass die Klägerin für die Dauer des Freiwilligendienstes ein monatliches Taschengeld in Höhe von 175,00 EUR aus Mitteln des EU-Programmes sowie freie Unterkunft und Verpflegung durch die Aufnahmeorganisation erhalten werde. Als Aufnahmeorganisation wurde die Stelle für Freiwillige Soziale Dienste/Diözese Innsbruck angegeben. Es wurde durch die Entsendeorganisation bestätigt, dass die Bestimmungen des Aktionsprogrammes zur Durchführung des Europäischen Freiwilligendienstes beachtet würden und dass der Freiwilligendienst aus Mitteln des Aktionsprogrammes gefördert würde.

Mit Bescheid vom 12.09.2002 wurde der Bescheid vom 27.09.1996 über die Bewilligung der Waisenrente nach § 48 SGB X mit Wirkung zum 01.08.2002 aufgehoben, da durch das Ende der Schulausbildung zum 31.07.2002 in den tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Für den Zeitraum der Ableistung des Europäischen Freiwilligendienstes bestehe nach § 48 Abs. 4 Ziffer 2 a SGB VI kein Anspruch auf Waisenrente. Die für den Monat August 2002 erfolgte Zahlung der Waisenrente wurde nach § 50 SGB X zurückgefordert.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 24.09.2002 Widerspruch und bat um Überprüfung der Entscheidung, die Halbwaisenrente während des Europäischen Freiwilligendienstes nicht weiter zu zahlen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es sich insoweit um eine Schlechterstellung gegenüber den Absolventen eines freiwilligen sozialen Jahres handeln würde. Darüber hinaus wurde geltend gemacht, dass das Kindergeld während des Europäischen Freiwilligendienstes weiter gezahlt würde. Mit Bescheid der Beklagten vom 12.12.2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Teilnahme am Europäischen Frei-willigendienst junger Menschen begründe keinen Anspruch auf Waisenrente. Es liege insoweit kein freiwilliges soziales Jahr oder freiwilliges ökologisches Jahr vor, da in der Vorschrift des § 48 Abs. 4 Ziffer a SGB VI ein Waisenrentenanspruch für den Europäischen Freiwilligendienst nicht ausdrücklich geregelt sei.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 17.01.2003 Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2004 für die Zeit ab dem 01.10.2003 bis zum 30.09.2007 die Halbwaisenrente wieder bewilligt, da die Klägerin ab Oktober 2003 ein Hochschulstudium aufgenommen hat.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe auch für die Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.08. 2003 einen Anspruch auf Zahlung einer Halbwaisenrente, da es sich bei dem Europäischen Freiwilligendienst um ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Geset-zes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres handele. Ein freiwilliges soziales Jahr könne auch im europäischen Ausland geleistet werden, wenn der Träger seinen Hauptsitz im Inland habe. Bei dem von der Klägerin ausgeübten Dienst handele es sich insbesondere um eine ganztätige pflegerische, erzieherische bzw. hauswirtschaftliche Hilfstätigkeit im Sinne des Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres, da sie bei der Altenhilfe der Caritas in Innsbruck eingesetzt werde.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 12.09.2002 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 12.12.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass eine Gleichstellung des von der Klägerin absolvierten Euro-päischen Freiwilligendienstes mit einem freiwilligen sozialen Jahr nicht im Gesetz erfolgt sei. Der Gesetzgeber habe zwar im Bereich des Kindergeldrechtes eine solche Gleichstellung ausdrücklich vorgenommen. Da jedoch eine entsprechende gesetzliche Neuregelung im Bereich des § 48 SGB VI nicht erfolgt sei, könne ein Waisenrentenanspruch nicht begründet werden.

Das Gericht hat bei den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten Landesverein Niedersachsen e.V. eine schriftliche Auskunft vom 26.08.2003 eingeholt zur näheren Ausgestaltung des von der Klägerin in Österreich absolvierten Europäischen Freiwilligendienstes, insbesondere zu Art und Umfang der pädagogischen Begleitung durch die Entsendeorganisation und zur Zulassung der Entsendeorganisation als Träger eines freiwilligen sozialen Jahres im Ausland. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf Bl. 21 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin in dem Zeitraum vom 01.08.2002 bis zum 30.09.2003 keinen Anspruch auf Gewährung einer Halbwaisenrente hat und die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 SGB X erfüllt sind.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der - 5 -

Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Soweit die Beklagte den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 27.09.1996 für den Monat August 2002 aufgehoben hat, handelt es sich um eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit. Da sich die Klägerin im August 2002 nicht mehr in Schulausbildung befunden hat, lag eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Da die Klägerin wusste, dass der Abschluss der Schulausbildung für den Waisenrentenanspruch eine wesentliche Änderung darstellte und der Nachweis der Beendigung der Schulausbil-dung erst Ende August bei der Beklagten vorlag, konnte die Beklagte den Bewilli-gungsbescheid nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben.

Soweit die Beklagte eine Zahlung der Waisenrente für den Zeitraum von September 2002 bis August 2003 abgelehnt hat, liegt eine Aufhebung des Bewilligungsbeschei-des mit Wirkung für die Zukunft im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Die Vor-aussetzungen für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides sind gegeben, da mit dem Abschluss der Schulausbildung eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist und die Aufnahme des Europäischen Freiwilligendienstes keinen Umstand darstellt, der einen Weitergewährungsanspruch der Klägerin für die Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.08.2003 begründet.

Nach § 48 Abs. 1 SGB VI haben Kinder nach dem Tod eines Elternteiles Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch auf Halbwaisenrente besteht längstens

1. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder

2. bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise

a)sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des FSJG oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des FÖJG leistet oder

b) wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 48 Abs. 4 SGB VI).

Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 01.09.2002 bis zum 31.08.2003 keinen Anspruch auf Halbwaisenrente, da der von ihr geleistete Europäische Freiwilligendienst kein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) darstellt und eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI auf den von ihr geleisteten Europäischen Freiwilligendienst nicht in Betracht kommt.

Die Voraussetzungen eines freiwilligen sozialen Jahres sind im Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) vom 17.08.1964 (BGBL 1. Seite 640 ff.) geregelt, dass zuletzt durch das Gesetz zur Änderung des FSJG vom 27.05.2002 wesentlich geändert worden ist und insbesondere die Möglichkeiten der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland erheblich erweitert hat.

In § 3 Abs. 1 FSJG ist zunächst grundsätzlich geregelt, dass ein freiwilliges soziales Jahr auch im Ausland geleistet werden kann. Dabei müssen hinsichtlich der Art des zu leistenden Dienstes (1), hinsichtlich der pädagogischen Begleitung (2) und hinsichtlich der Berechtigung, ein freiwilliges soziales Jahr als Träger im Ausland durchführen zu können (3), besondere Voraussetzungen erfüllt sein. Der von der Klägerin geleistete Europäische Freiwilligendienst erfüllt zwar inhaltlich die an die Art eines freiwilligen Dienstes im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres gestellten Anfor-derungen, allerdings ist die pädagogische Begleitung nicht so ausgestaltet, wie es das Gesetz erfordert. Zudem ist der Internationale Jugendgemeinschaftsdienst Landesverband Niedersachsen e.V. kein nach § 5 Abs. 2 FSJG für die Durchführung des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland zugelassener Träger, was ebenfalls eine zwingende gesetzliche Voraussetzung für die Anerkennung als freiwilliges soziales Jahr darstellt.

1) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 FSJG setzt ein freiwilliges soziales Jahr voraus, dass ein freiwilliger Dienst ohne Gewinnerzielungsabsicht außerhalb einer Berufsausbildung und vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung geleistet wird. Nach § 2 Abs. 2 FSJG wird der freiwillige Dienst im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres ganztätig als überwiegend praktische Hilfstätigkeit in gemeinwohlorientierten Einrichtungen, insbesondere in Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, in Einrich-tungen der Kinder- und Jugendhilfe einschließlich der Einrichtungen für außer-schulische Jugendbildung und Einrichtungen für Jugendarbeit und Einrichtungen der Gesundheitspflege und kulturellen Einrichtungen (Einsatzstellen) geleistet.

Für das freiwillige soziale Jahr im Ausland ist ergänzend geregelt, dass es sich um einen Dienst im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 FSJG handeln muss, zudem insbesondere auch der Dienst für Frieden und Versöhnung gehört.

Es bestehen keine Zweifel, dass der von der Klägerin in Innsbruck absolvierte Europäische Freiwilligendienst diesen Anforderungen gerecht wird. Nach der Bescheinigung der Entsendeorganisation vom 02.07.2002 sowie der Aufnahmerganisation (Stelle für Freiwillige Soziale Dienste der Diözese Innsbruck) absolvierte die Klägerin ihren Dienst bei der Al-tenhilfe der Caritas Innsbruck, erhielt ein Taschengeld in Höhe von 175,00 EUR aus Mitteln des EU- Programmes sowie freie Unterkunft und Verpflegung durch die Aufnahmeorganisation. Somit handelt es sich um einen ohne Gewinnerzielungsabsicht außerhalb der Berufsausbildung geleisteten Dienst in Ge-stalt einer überwiegend praktischen Hilfstätigkeit in einer gemeinwohlorientierten Einrichtung.

Dies entspricht auch dem Rahmen, in den der Europäische Freiwilligendienst eingebunden ist. Er ist Teil des gemeinschaftlichen Aktionsprogrammes Jugend, der in der Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2006 von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft durchgeführt wird. Das Aktionsprogramm dient unter anderem der Förderung des aktiven Beitrages der Jugendlichen zum Aufbau Euro-pas durch deren Teilnahme an grenzüberschreitenden Austauschprogrammen innerhalb der EU und mit Drittländern, der Stärkung des Solidaritätsgedankens durch Ausweitung der Teilnah-me der Jugendlichen an grenzüberschreitenden Tätigkeiten im Dienst der Allgemein-heit innerhalb derEU und mit Drittländern sowie der Förderung des Unternehmungs- und Unternehmergeistes und der Kreativität der Jugendlichen (Art. 2 Abs. 1 des Be-schlusses des Europäischen Parlamentes und des Rates - zitiert bei Pauli Kommen-tar zum EStG/BKGG § 32 EStG Rn. 126). Um diesen Zweck zu erreichen, wird neben anderen Aktivitäten ein Europäischer Freiwilligendienst innerhalb der EU und in Zusammenarbeit mit Drittländern gefördert, der von Jugendlichen im Alter von 18 bis 25 Jahren geleistet werden kann, dessen Dauer drei Wochen bis zu einem Jahr betragen kann und in der Praxis zumeist zwischen 6 und 12 Monaten dauert. Nach den von den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten Landesverband Niedersachsen vorgelegten Unterlagen finden die Einsätze in der Praxis überwiegend im gesamten sozialen Bereich von der Kinder- und Jugendarbeit bis zur Alten- und Behindertenpflege, aber auch im ökologischen und kulturellen Bereich statt. Auf diesem Hintergrund handelt es sich um freiwillige Dienste, die ohne Gewinnerzielungsabsicht, außerhalb einer Berufsausbildung und vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung geleistet werden.

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(2) Eine Berücksichtigungsfähigkeit des von der Klägerin geleisteten Europäischen Freiwilligendienstes als freiwilliges soziales Jahres scheitert jedoch daran, dass die pädagogische Begleitung vor, während und nach dem Dienst nicht in der Weise ausgestaltet ist, wie es in § 3 FSJG vorgeschrieben ist.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 FSJG erfolgt die pädagogische Begleitung bei einem freiwilligen sozialen Jahr im Ausland in Form von Bildungsmaßnahmen (Seminare oder pädagogische Veranstaltungen), durch fachliche Anleitung durch die Einsatzstelle und die individuelle Betreuung durch pädagogische Kräfte der Einsatzstelle und der Trägerorganisation. Die Gesamtdauer der Bildungsmaßnahmen muss – bezogen auf eine 12-monatige Teilnahme am freiwilligen Dienst im Ausland – mindestens 5 Wochen betragen. Dabei soll die pädagogische Begleitung in der Weise erfolgen, dass jeweils in der Bundes-republik Deutschland vorbereitende Veranstaltungen von mindestens 4-wöchiger Dauer und nachbereitende Veranstaltungen von mindestens einwöchiger Dauer stattfinden.

Falls der Träger ein Zwischenseminar im Ausland sicherstellen kann, das regelmäßig bis zu zwei Wochen dauern kann, verkürzen sich die vorbereitenden Veranstaltungen entsprechend.

Nach der vom Gericht eingeholten Auskunft der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste Landesverband Niedersachsen e.V. sind als vorbereitende Bildungsmaßnahmen im Entsendeland lediglich ein drei- bis viertägiges Ausreiseseminar durchgeführt worden. Das ein- bis zweitägige Auswahlseminar kann insoweit keine Berücksichtigung finden, weil es der Auswahl der zehn zu entsendenden Kandidaten dient. Weder bei dem zweiwöchigen Einführungstraining im Aufnahmeland noch bei dem einwöchigen Midterm-Meeting im Aufnahmeland handelt es sich um ein von dem inländischen Träger des Europäischen Freiwilligendienstes sichergestelltes Zwi-schenseminar im Sinne des § 3 Abs. 2 FSJG, so dass eine entsprechende Verkürzung der in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführenden vorbereitenden Veranstaltungen nicht in Betracht kommt. Abgesehen davon wäre eine Verkürzung nur um bis zu zwei Wochen möglich, so dass mindestens eine zweiwöchige in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführende Veranstaltung verbleiben müsste. Insgesamt ist somit festzustellen, dass als vorbereitende Bildungsmaßnahme statt eines vierwöchigen Seminars oder einer pädagogischen Veranstaltung von vier Wochen Dauer lediglich ein viertägiges Ausreiseseminar vorgesehen ist, so dass die vom Gesetz vorgeschriebenen Mindestanforderungen an die pädagogische Begleitung nicht erfüllt sind. Auch die notwendige Gesamtdauer von 5 Wochen wird nicht erreicht, weil am Ende lediglich noch ein drei- bis viertägiges Rückkehrseminar im Heimatland stattfindet, so dass insgesamt nur sechs bis acht Tage berücksichtigungsfähige Bildungsmaßnahmen durchgeführt werden.

Die Durchführung von Bildungsmaßnahmen der genannten Art und Dauer ist nach dem Gesetz zwingende Voraussetzung für die Anerkennung eines Dienstes als freiwilliges soziales Jahr. Die intensive pädagogische Begleitung ist Wesenselement ei-nes freiwilligen sozialen Jahres. Sie dient insbesondere dem mit dem freiwilligen sozialen Jahr verfolgten Ziel, das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken, sowie soziale und interkulturelle Erfahrungen zu vermitteln (§ 2 Abs. 3 Satz 3 FSJG). Auch bei einem im Inland durchgeführten freiwilligen sozialen Jahr müssen Seminare mit einer Mindestdauer von 5 Wochen durchgeführt werden, wobei es sich um Einführungs-, Zwischen- und Abschlussseminare handelt. Die Bedeutung der pädagogischen Begleitung in Form von Bildungsmaßnahmen für die Anerkennung des freiwilligen sozialen Jahres wird auch dadurch vom Gesetz hervorgehoben, dass die Teilnahme an den Bildungsmaßnahmen als Dienstzeit gilt und die Teilnahme zur Pflicht erklärt wird (vgl. § 2 Abs. 3 für das soziale Jahr im Inland, § 3 Abs. 2 für das soziale Jahr im Ausland). Damit kann eine Anerkennung einer Dienstzeit als freiwilliges soziales Jahr nicht erfolgen, wenn während des Dienstes nicht die vom Gesetz vorgeschriebenen Bildungsmaßnahmen durchgeführt werden.

(3) Schließlich scheitert die Berücksichtigungsfähigkeit des von der Klägerin geleisteten Freiwilligendienstes auch an dem formalen Kriterium, dass die Entsendeorganisation Internationale Jugendgemeinschaftsdienste Landesverein Niedersachsen e.V. nicht nach § 5 Abs. 2 FSJG als Träger des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland zugelassen ist.

Nach § 5 Abs. 2 FSJG sind als Träger des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland juristische Personen zugelassen, die

1. Maßnahmen im Sinne des § 3 durchführen und Freiwillige für einen Dienst im Ausland vorbereiten, entsenden und betreuen, 2. Gewähr dafür bieten, dass sie aufgrund ihrer nachgewiesenen Auslandserfahrungen ihre Aufgabe auf Dauer erfüllen und den ihnen nach dem Gesetz obliegenden Verpflichtungen nachkommen, 3. ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zwecken im Sinne der §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung dienen, 4. ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Über die Zulassung eines Trägers des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland entscheidet die zuständige Landesbehörde.

Auch insoweit handelt es sich um zwingende gesetzliche Voraussetzungen, deren Nichterfüllung allein zur Folge hat, dass der von den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten Niedersachsen e.V. organisierte Europäische Freiwilligendienst nicht als freiwilliges soziales Jahr anerkannt werden kann. Von dem Erfordernis der Zulassung nach § 5 Abs. 2 FSJG kann insbesondere nicht deshalb abgesehen werden, weil die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste anerkannte Mitgliedsorganisa-tionen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sind, der nach zugelassener Träger des im Inland durchgeführten freiwilligen sozialen Jahres ist. Der Gesetzgeber hat für die Zulassung der Träger im Inland und im Ausland in den Absätzen 1 und 2 des § 5 FSJG unterschiedliche Kriterien aufgestellt. Die Zulassung für die Trägerschaft des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland ist insbesondere an ausreichende, nachgewiesene Auslandserfahrungen geknüpft. Zudem muss beispielsweise der Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine juristische Person handelt, die die im Gesetz vorgesehenen mehrwöchigen Bildungsmaßnahmen zur Vorbereitung des im Ausland zu absolvierenden Dienstes durchführen kann bzw. durchführt. Der Um-stand, dass der Gesetzgeber eine formelle Zulassung durch die zuständige Landesbehörde vorgesehen hat, belegt, wie wichtig ihm die Einhaltung und die Überprüfung der qualitativen Anforderungen eines im Ausland absolvierten Dienstes im Rahmen der Anerkennung als freiwilliges soziales Jahr ist.

Insgesamt erfüllt der von der Klägerin geleistete Europäische Freiwilligendienst ins Innsbruck nicht die Voraussetzungen eines freiwilligen sozialen Jahres im Sinne des FSJG.

Eine entsprechende (analoge) Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI auf eine Waise, die bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres einen Europäischen Freiwilligendienst leistet, scheidet aus. Grundvoraussetzung einer Gesetzesanalogie ist eine planwidrige, d.h. vom Gesetzgeber nicht gewollte Gesetzeslücke. Eine planwidrige Gesetzeslücke liegt bezogen auf den Europäischen Freiwilligendienst und bezogen auf die damit verbundenen sozialrechtlichen Konsequenzen nicht vor.

Wie bereits ausgeführt, trat das Aktionsprogramm Jugend und damit der Europäische Freiwilligendienst als Teil dieses Programmes ab 01.01.2000 in Kraft. Als flankierende Maßnahme hat der Gesetzgeber das Gesetz zur Familienförderung vom 22.12.1999 (BGBL 1999 Seite 2552 ff.) beschlossen, dass zum 01.01.2000 n Kraft getreten ist.

Durch Art. 2 dieses Gesetzes wurde beispielsweise § 2 Abs. 2 Nr. 2 d des Bundes-kindergeldgesetzes dahingehend geändert, dass ein Kind, dass das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt wird, wenn es vor Vollendung des 27. Lebensjahres ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres oder einen Freiwilligendienst im Sinne des Beschlusses Nr. 1686/98/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Juli 1998 zur Einführung des gemeinschaftlichen Aktionsprogrammes "Europäischer Freiwilligendienst junger Menschen" leistet. Hier wurde also eine Gleichstellung des Europäischen Freiwilligendienstes mit einem freiwilligen sozialen Jahr ausdrücklich vorgenommen. Gleiches gilt für das Einkommenssteuerrecht, da nach Art. 1 des Gesetzes zur Familienförderung § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 d EStG ebenfalls dahingehend geändert wurde, dass ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres und ein Freiwilligendienst im Sinne des Beschlusses Nr. 1686/98/EG des Europä-ischen Parlamentes und des Rates vom 20.07.1998 zur Einführung des gemeinschaftlichen Aktionsprogrammes "Europäischer Freiwilligendienste junger Menschen" erfasst wird. Wenn der Gesetzgeber in diesen rechtlichen Bereichen eine Gleichstellung vornimmt und im Bereich der Regelung der Waisenrente eine Erweiterung der Anspruchsberechtigung für Teilnehmer am Europäischen Freiwilligendienstes nicht vornimmt, kann von einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht die Rede sein.

Dies gilt erst recht auf dem Hintergrund, dass sich der Gesetzgeber mit der Thematik der Berücksichtigungsfähigkeit von freiwilligen Diensten im Ausland im Rahmen des Erlasses des Gesetzes zur Änderung des FSJG vom 27.05.2002 noch einmal befasst hat und in § 4 dieses Gesetzes unter anderem auf § 48 SGB VI ausdrücklich Bezug genommen hat, in dem unter Ziffer 12 des § 4 ausgeführt wurde, dass sich die Förderung des freiwilligen sozialen Jahres nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 a des SGB VI richtet. Da gleichzeitig keine Änderung des § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI vorgenom-men, insbesondere der Europäische Freiwilligendienst nicht in den Tatbestand aufgenommen worden ist, wird der gesetzgeberische Wille erkennbar, einen im Ausland absolvierten Dienst wie den Europäischen Freiwilligendienst nur dann als Voraussetzung für einen Waisenrentenanspruch anzuerkennen, wenn gleichzeitig die Vor-aussetzungen für ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland im Sinne des FSJG erfüllt sind.

Der Bescheid der Beklagten ist schließlich auch insoweit rechtmäßig, als eine Rück-zahlungsverpflichtung der Klägerin für die im Monat August 2002 weiter gezahlte Halbwaisenrente in Höhe von 217,08 EUR geregelt worden ist. Insoweit besteht ein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 50 SGB X, da die Bewilligung der Halb-waisenrente mit Wirkung zum 01.08.2002 wirksam aufgehoben worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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