Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 484/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 57/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin am 29. Dezember 1998 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die 1982 geborene Klägerin verbrachte im Jahr 1998 die Weihnachtsferien auf dem landwirtschaftlichen Betrieb des damaligen Verlobten und jetzigen Ehemanns ihrer Tante, den dieser zusammen mit ihrer Tante im Nebenerwerb betrieb. Dort übernachtete sie häufig am Wochenende und in den Ferien. Eines der Pferde stand ihr zum Reiten zur Verfügung. Am 29. Dezember 1998 führte die Klägerin gegen 8.00 Uhr ein zweijähriges Fohlen zusammen mit dessen Mutter auf eine vom Stall entfernt liegende Koppel. Dabei riss sich das Fohlen los, die Klägerin stürzte und wurde von dem Fohlen getreten. Sie erlitt eine Atlasbogeninfraktur, die stationär behandelt werden musste und zu bleibenden Funktionseinschränkungen der oberen Halswirbelsäule führte.
Die Beklagte erfuhr erstmals im September 2000 von dem Unfall, als die Krankenkasse, bei der die Klägerin familienversichert war, Ersatzansprüche anmeldete. Die Mutter der Klägerin hatte eine Anfrage der Krankenkasse zur Art der Tätigkeit der Klägerin in einem Schreiben vom 5.August 2000 dahingehend beantwortet, dass die Klägerin nicht als Ersatzarbeitskraft eingesetzt werde. Ihre Tante eröffne ihr vielmehr die Möglichkeit, ihrer Pferdeleidenschaft dadurch nachzugehen, dass sie in ständigem Kontakt zu den Pferden stehe. Den Tagesablauf habe sie nach eigenem Gutdünken gestalten können.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Geschehens vom 29. Dezember 1998 ab. Die unfallbringende Tätigkeit sei Teil der Freizeitgestaltung und nicht von einer fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung geprägt gewesen.
Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sowohl ihre Tante als auch deren Ehemann arbeiteten als Polizeibeamte im Schichtdienst. Am 29. Dezember 1998 hätten beide vor 6.00 Uhr den Hof verlassen und seien nicht vor 16.00 Uhr zurückgekommen. Da das Wetter es zugelassen habe, habe sie um 8.00 Uhr damit begonnen, die vorhandenen 10 Pferde auf die Koppel zu führen.
Das Sozialgericht hat die Tante der Klägerin, M B P, und deren Ehemann, P, als Zeugen vernommen und die Klägerin befragt. Beide Zeugen haben angegeben, es habe am 29. Dezember 1998 keine Notwendigkeit bestanden, die Pferde auf die Koppel zu führen, die Pferde hätten im Stall mit Laufbereich verbleiben können. Es "sei klar" gewesen, dass die Pferde nicht auf die Koppel gebracht werden sollten, wenn sie, die Zeugen, nicht zugegen gewesen seien. Die Klägerin hat erklärt, alle Aufgaben verrichtet zu haben, die bei der Versorgung der Pferde angefallen seien. Sie liebe die Tiere und habe die Aufgaben gern verrichtet. Sie sei sehr froh gewesen, dass sie auf diese Art Gelegenheit gehabt habe, zu reiten und mit den Tieren zusammen zu sein.
Durch Urteil vom 29. Juni 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, den Zustand nach Atlasbogeninfraktion nach Pferdetritt als Folge des am 29. Dezember 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen. Die Klägerin sei wie eine Beschäftigte tätig geworden und nach § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII versichert gewesen. Als sie die Pferde auf die Koppel geführt habe, sei sie nicht einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen, sondern habe eine Tätigkeit verrichtet, die dazu bestimmt und geeignet gewesen sei, den Zwecken des Reiterhofes zu dienen. Auch wenn die Arbeit der Klägerin nicht aufgetragen worden sei, sondern sie sich diese als Pferdenärrin gesucht habe, sei sie objektiv betriebsdienlich gewesen und habe den Rahmen einer Gefälligkeitsleistung gesprengt. Die Klägerin sei auch dann wie eine Beschäftigte tätig geworden, wenn die unfallbringende konkrete Handlung nicht dem Willen des Betreibers entsprochen und die Klägerin dies gewusst habe. Ob der Klägerin gegenüber ein ausdrückliches Verbot ausgesprochen worden sei, habe sich weder durch die Befragung der Zeugen noch durch die Befragung der Klägerin feststellen lassen. Selbst wenn jedoch ein ausdrückliches Verbot ausgesprochen worden sei, ließe dies den Versicherungsschutz nicht entfallen, weil nach § 7 Abs. 2 SGB VII verbotwidriges Handeln den Versicherungsfall nicht ausschließe.
Gegen das ihr am 30. August 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 9. September 2004. Sie macht geltend, Versicherungsschutz bestehe nur, wenn die Handlungstendenz wesentlich auf die Belange des als unterstützt geltend gemachten Unternehmens gerichtet gewesen sei. Dies sei nicht der Fall, da die Klägerin persönliche Interessen verfolgt habe. Sie habe sich als Pferdeliebhaberin auf dem Hof aufgehalten und mit den Tieren beschäftigt. Die konkrete Tätigkeit, die Pferde auf die Koppel zu bringen, sei ohne Wissen und Zustimmung des Betriebsunternehmers erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, es habe die Notwendigkeit bestanden, die Pferde am 29. Dezember 1998 auf die Koppel zu führen, weil sie am 28. Dezember 1998 witterungsbedingt nicht auf die Koppel gekonnt hätten. Dies sei mit den Zeugen so besprochen worden. Es entspreche nicht der Wahrheit, dass sie die Pferde noch nie herausgeführt habe, wenn die Zeugen nicht zugegen gewesen seien. Hierüber sei auch in Gegenwart ihrer Freundin, der Zeugin A L, gesprochen worden. Anhand der von ihr eingereichten Skizze werde deutlich, dass die von der Zeugin geschilderte Koppel, auf die sie die Pferde habe bringen dürfen, in unmittelbarer Nähe der so genannten Reitbahn gelegen habe, auf die sie die Pferde habe bringen wollen.
Der Senat hat M P, P P, AL und die Schwester der Klägerin, K Sch, als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Juni 2006 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts S 68 U 484/ 01) und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Die Beklagte hat die Anerkennung des Ereignisses vom 29. Dezember 1998 als Arbeitsunfall zu Recht abgelehnt.
Die Klägerin ist nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden, da sie – obwohl ihre Hilfe auf dem Hof eine Gegenleistung zu der ihr eingeräumten Möglichkeit darstellte, ein Pferd unentgeltlich zu reiten-, jedenfalls im Allgemeinen nicht weisungsgebunden gehandelt hat, sondern nach den übereinstimmenden Angaben aller Zeugen lediglich in einem von ihr selbst bestimmten Umfang half.
Es bestand auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs.2 S. 1 SGB VII. Danach sind Personen versichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ( vgl. Urteil vom 27.6.2000-B 2 U 21/99 R- m. w. Nachw.) setzt dieser Versicherungsschutz voraus, dass - selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt - eine ernstliche, einem fremden Unternehmen zu dienen bestimmte, arbeitnehmerähnliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert vorliegt, die dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht. Dabei sind die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen und nicht nur auf die unmittelbar zum Unfall führende Verrichtung abzustellen.
Der Annahme einer derartigen versicherten Tätigkeit steht nicht bereits entgegen, dass diese als familienhafte Mitarbeit grundsätzlich unversichert wäre. Allerdings ist die Klägerin mit dem Zeugen P, dem Unternehmer des bei der Beklagten versicherten Betriebes, im dritten Grad in der Seitenlinie verschwägert. Bei der von ihr ausgeübten Tätigkeit handelte es sich aber nicht um eine Leistung, die unter Verschwägerten üblich und typisch ist, und dementsprechend ohne weiteres erwartet wird. Zwar hat der Zeuge P bei seiner Aussage das Interesse verfolgt, den Umfang der im Allgemeinen von der Klägerin verrichteten Tätigkeiten als gering darzustellen. Diese Angaben hielt der Senat jedoch für unglaubhaft. So konnte der Senat weder nachvollziehen, dass der Zeuge angab, nicht zu wissen, welchen zeitlichen Umfang die Grundversorgung eines Pferdes einnimmt. Auch ergibt sich aus der Gesamtschau der anderen Zeugenaussagen eine jedenfalls umfangreichere Tätigkeit der Klägerin auf dem Hof als von diesem Zeugen angegeben. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Angaben der Schwester der Klägerin zu dem nach ihrer Schilderung ganz erheblichen Umfang der Tätigkeit nicht nachvollziehbar waren, weil sich die Frage stellte, wie das Ehepaar P die erforderlichen Arbeiten regelmäßig unter der Woche bewältigt haben sollte, bleiben doch unter Würdigung der Aussage der Zeuginnen P und L Tätigkeiten in einem Umfang erhalten, der nicht mehr in einer Familie üblich und typisch ist. So hat die Zeugin P angegeben, dass die Klägerin nicht nur das von ihr gerittene Pferd versorgte, sondern auch andere Pferde mit versorgt hat, indem sie diese geputzt und auf die so genannte Reitbahn gebracht hatte. Entsprechende Tätigkeiten wie das Führen auf die Koppeln, Stallausmisten und Putzen der Pferde hat auch die Zeugin L geschildert. Deren Aussage hat den Senat am meisten überzeugt, weil sie nachvollziehbar angegeben hat, sich nicht mehr an verschiedene Einzelheiten zu erinnern und ihre Schilderungen mit dem "Erlebnishorizont" einer damals etwa Fünfzehnjährigen im Einklang standen.
Die Tatsache, dass die Klägerin eine objektiv arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ausgeübt hat, reicht jedoch für das Vorliegen des Versicherungsschutzes allein nicht aus. Erforderlich ist des Weiteren die Handlungstendenz, die darauf zielt, eine der Pferdehaltung des Unternehmens zu dienen bestimmte Tätigkeit zu verrichten (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 1993 -2 RU 40/92=HV-INFO 1993, 2215 ff). Unter Berücksichtigung sämtlicher Zeugenaussagen, der Angaben der Klägerin vor dem Sozialgericht und der Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2006 konnte der Senat nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Tätigkeit der Klägerin dazu bestimmt war, dem Unternehmen ihres Onkels zu dienen.
Im sozialgerichtlichen Verfahren hatte die Klägerin angegeben, froh gewesen zu sein, durch die Arbeiten Gelegenheit zu haben, zu reiten und mit den Tieren zusammen zu sein. Demnach verfolgte sie gerade ihre eigenen Interessen. Diese Interessenlage wird von der Mutter bestätigt. Diese hatte in ihrem Schreiben vom 5. August 2000 darauf verwiesen, dass der Charakter der Arbeiten "am ehesten dadurch zu beschreiben(sei), dass sie dadurch ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt".
Etwas anderes hat die Zeugenvernehmung durch den Senat nicht erbracht. Die damalige Motivlage hat die Zeugin L als einzige Zeugin, die an dem Ausgang des Rechtstreits kein eigenes Interesse hatte, dahingehend beschrieben, dass es sich um eine Symbiose gehandelt habe. Sie habe Spaß an der Tätigkeit mit Pferden gehabt und es sei für sie selbstverständlich gewesen, mitzuhelfen. Eine auf das Unternehmen des Onkels gerichtete Handlungstendenz konnte der Senat auch nicht der Angaben der Schwester der Klägerin entnehmen. Allerdings hat die Zeugin mit ihrer Schilderung den Eindruck vermitteln wollen, nur durch das Herausholen der Pferde auf die Koppel sei eine artgerechte Haltung gewährleistet gewesen, da die Tiere sonst starken Stress entwickelt hätten. Dadurch ist jedoch noch keine Handlungstendenz dahingehend erwiesen, auch dem Betrieb des Onkels dienen zu wollen. Denn einem Pferdeliebhaber liegt gerade das Wohlergehen der Tiere am Herzen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin der Vermutung ihrer Schwester zufolge tätig wurde, um Vorhaltungen ihres Onkels zu vermeiden, dass sie faul sei. Dieses Motiv als wahr unterstellt, hätte die Klägerin gerade im Wesentlichen ihre eigenen Angelegenheiten, nämlich die Verbesserung ihres Ansehens bei ihrem Onkel verfolgt.
Auf der Grundlage der Angaben der Klägerin vor dem Senat kann ebenfalls nicht die Handlungstendenz festgestellt werden, dem Unternehmen des Onkels dienen zu wollen. Eine ausdrückliche Weisung, die Pferde auf die Koppel zu bringen, hat die Klägerin nicht behauptet. Eine entsprechende Aufforderung kann auch der nach längerer Diskussion in der Verhandlung protokollierten und von der Klägerin genehmigten Aussage, das Ehepaar Peters habe sinngemäß geäußert, "die Pferde werden sich freuen, auf die Koppel zu kommen", nicht entnommen werden. Denn es handelt sich um eine Feststellung, die auf die Belange der Pferde gerichtet ist und nicht auf die Belange des Unternehmens. Ist die Klägerin aufgrund dieser Äußerungen des Ehepaars tätig geworden, so hat sie wie auch sonst im Wesentlichen ihre eigenen Interessen, nämlich mit den Pferden zusammen zu sein und für ihr Wohlergehen zu sorgen, verfolgt.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin am 29. Dezember 1998 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die 1982 geborene Klägerin verbrachte im Jahr 1998 die Weihnachtsferien auf dem landwirtschaftlichen Betrieb des damaligen Verlobten und jetzigen Ehemanns ihrer Tante, den dieser zusammen mit ihrer Tante im Nebenerwerb betrieb. Dort übernachtete sie häufig am Wochenende und in den Ferien. Eines der Pferde stand ihr zum Reiten zur Verfügung. Am 29. Dezember 1998 führte die Klägerin gegen 8.00 Uhr ein zweijähriges Fohlen zusammen mit dessen Mutter auf eine vom Stall entfernt liegende Koppel. Dabei riss sich das Fohlen los, die Klägerin stürzte und wurde von dem Fohlen getreten. Sie erlitt eine Atlasbogeninfraktur, die stationär behandelt werden musste und zu bleibenden Funktionseinschränkungen der oberen Halswirbelsäule führte.
Die Beklagte erfuhr erstmals im September 2000 von dem Unfall, als die Krankenkasse, bei der die Klägerin familienversichert war, Ersatzansprüche anmeldete. Die Mutter der Klägerin hatte eine Anfrage der Krankenkasse zur Art der Tätigkeit der Klägerin in einem Schreiben vom 5.August 2000 dahingehend beantwortet, dass die Klägerin nicht als Ersatzarbeitskraft eingesetzt werde. Ihre Tante eröffne ihr vielmehr die Möglichkeit, ihrer Pferdeleidenschaft dadurch nachzugehen, dass sie in ständigem Kontakt zu den Pferden stehe. Den Tagesablauf habe sie nach eigenem Gutdünken gestalten können.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Geschehens vom 29. Dezember 1998 ab. Die unfallbringende Tätigkeit sei Teil der Freizeitgestaltung und nicht von einer fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung geprägt gewesen.
Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sowohl ihre Tante als auch deren Ehemann arbeiteten als Polizeibeamte im Schichtdienst. Am 29. Dezember 1998 hätten beide vor 6.00 Uhr den Hof verlassen und seien nicht vor 16.00 Uhr zurückgekommen. Da das Wetter es zugelassen habe, habe sie um 8.00 Uhr damit begonnen, die vorhandenen 10 Pferde auf die Koppel zu führen.
Das Sozialgericht hat die Tante der Klägerin, M B P, und deren Ehemann, P, als Zeugen vernommen und die Klägerin befragt. Beide Zeugen haben angegeben, es habe am 29. Dezember 1998 keine Notwendigkeit bestanden, die Pferde auf die Koppel zu führen, die Pferde hätten im Stall mit Laufbereich verbleiben können. Es "sei klar" gewesen, dass die Pferde nicht auf die Koppel gebracht werden sollten, wenn sie, die Zeugen, nicht zugegen gewesen seien. Die Klägerin hat erklärt, alle Aufgaben verrichtet zu haben, die bei der Versorgung der Pferde angefallen seien. Sie liebe die Tiere und habe die Aufgaben gern verrichtet. Sie sei sehr froh gewesen, dass sie auf diese Art Gelegenheit gehabt habe, zu reiten und mit den Tieren zusammen zu sein.
Durch Urteil vom 29. Juni 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, den Zustand nach Atlasbogeninfraktion nach Pferdetritt als Folge des am 29. Dezember 1998 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen. Die Klägerin sei wie eine Beschäftigte tätig geworden und nach § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII versichert gewesen. Als sie die Pferde auf die Koppel geführt habe, sei sie nicht einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen, sondern habe eine Tätigkeit verrichtet, die dazu bestimmt und geeignet gewesen sei, den Zwecken des Reiterhofes zu dienen. Auch wenn die Arbeit der Klägerin nicht aufgetragen worden sei, sondern sie sich diese als Pferdenärrin gesucht habe, sei sie objektiv betriebsdienlich gewesen und habe den Rahmen einer Gefälligkeitsleistung gesprengt. Die Klägerin sei auch dann wie eine Beschäftigte tätig geworden, wenn die unfallbringende konkrete Handlung nicht dem Willen des Betreibers entsprochen und die Klägerin dies gewusst habe. Ob der Klägerin gegenüber ein ausdrückliches Verbot ausgesprochen worden sei, habe sich weder durch die Befragung der Zeugen noch durch die Befragung der Klägerin feststellen lassen. Selbst wenn jedoch ein ausdrückliches Verbot ausgesprochen worden sei, ließe dies den Versicherungsschutz nicht entfallen, weil nach § 7 Abs. 2 SGB VII verbotwidriges Handeln den Versicherungsfall nicht ausschließe.
Gegen das ihr am 30. August 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 9. September 2004. Sie macht geltend, Versicherungsschutz bestehe nur, wenn die Handlungstendenz wesentlich auf die Belange des als unterstützt geltend gemachten Unternehmens gerichtet gewesen sei. Dies sei nicht der Fall, da die Klägerin persönliche Interessen verfolgt habe. Sie habe sich als Pferdeliebhaberin auf dem Hof aufgehalten und mit den Tieren beschäftigt. Die konkrete Tätigkeit, die Pferde auf die Koppel zu bringen, sei ohne Wissen und Zustimmung des Betriebsunternehmers erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, es habe die Notwendigkeit bestanden, die Pferde am 29. Dezember 1998 auf die Koppel zu führen, weil sie am 28. Dezember 1998 witterungsbedingt nicht auf die Koppel gekonnt hätten. Dies sei mit den Zeugen so besprochen worden. Es entspreche nicht der Wahrheit, dass sie die Pferde noch nie herausgeführt habe, wenn die Zeugen nicht zugegen gewesen seien. Hierüber sei auch in Gegenwart ihrer Freundin, der Zeugin A L, gesprochen worden. Anhand der von ihr eingereichten Skizze werde deutlich, dass die von der Zeugin geschilderte Koppel, auf die sie die Pferde habe bringen dürfen, in unmittelbarer Nähe der so genannten Reitbahn gelegen habe, auf die sie die Pferde habe bringen wollen.
Der Senat hat M P, P P, AL und die Schwester der Klägerin, K Sch, als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Juni 2006 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts S 68 U 484/ 01) und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Die Beklagte hat die Anerkennung des Ereignisses vom 29. Dezember 1998 als Arbeitsunfall zu Recht abgelehnt.
Die Klägerin ist nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden, da sie – obwohl ihre Hilfe auf dem Hof eine Gegenleistung zu der ihr eingeräumten Möglichkeit darstellte, ein Pferd unentgeltlich zu reiten-, jedenfalls im Allgemeinen nicht weisungsgebunden gehandelt hat, sondern nach den übereinstimmenden Angaben aller Zeugen lediglich in einem von ihr selbst bestimmten Umfang half.
Es bestand auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs.2 S. 1 SGB VII. Danach sind Personen versichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ( vgl. Urteil vom 27.6.2000-B 2 U 21/99 R- m. w. Nachw.) setzt dieser Versicherungsschutz voraus, dass - selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt - eine ernstliche, einem fremden Unternehmen zu dienen bestimmte, arbeitnehmerähnliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert vorliegt, die dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht. Dabei sind die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen und nicht nur auf die unmittelbar zum Unfall führende Verrichtung abzustellen.
Der Annahme einer derartigen versicherten Tätigkeit steht nicht bereits entgegen, dass diese als familienhafte Mitarbeit grundsätzlich unversichert wäre. Allerdings ist die Klägerin mit dem Zeugen P, dem Unternehmer des bei der Beklagten versicherten Betriebes, im dritten Grad in der Seitenlinie verschwägert. Bei der von ihr ausgeübten Tätigkeit handelte es sich aber nicht um eine Leistung, die unter Verschwägerten üblich und typisch ist, und dementsprechend ohne weiteres erwartet wird. Zwar hat der Zeuge P bei seiner Aussage das Interesse verfolgt, den Umfang der im Allgemeinen von der Klägerin verrichteten Tätigkeiten als gering darzustellen. Diese Angaben hielt der Senat jedoch für unglaubhaft. So konnte der Senat weder nachvollziehen, dass der Zeuge angab, nicht zu wissen, welchen zeitlichen Umfang die Grundversorgung eines Pferdes einnimmt. Auch ergibt sich aus der Gesamtschau der anderen Zeugenaussagen eine jedenfalls umfangreichere Tätigkeit der Klägerin auf dem Hof als von diesem Zeugen angegeben. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Angaben der Schwester der Klägerin zu dem nach ihrer Schilderung ganz erheblichen Umfang der Tätigkeit nicht nachvollziehbar waren, weil sich die Frage stellte, wie das Ehepaar P die erforderlichen Arbeiten regelmäßig unter der Woche bewältigt haben sollte, bleiben doch unter Würdigung der Aussage der Zeuginnen P und L Tätigkeiten in einem Umfang erhalten, der nicht mehr in einer Familie üblich und typisch ist. So hat die Zeugin P angegeben, dass die Klägerin nicht nur das von ihr gerittene Pferd versorgte, sondern auch andere Pferde mit versorgt hat, indem sie diese geputzt und auf die so genannte Reitbahn gebracht hatte. Entsprechende Tätigkeiten wie das Führen auf die Koppeln, Stallausmisten und Putzen der Pferde hat auch die Zeugin L geschildert. Deren Aussage hat den Senat am meisten überzeugt, weil sie nachvollziehbar angegeben hat, sich nicht mehr an verschiedene Einzelheiten zu erinnern und ihre Schilderungen mit dem "Erlebnishorizont" einer damals etwa Fünfzehnjährigen im Einklang standen.
Die Tatsache, dass die Klägerin eine objektiv arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ausgeübt hat, reicht jedoch für das Vorliegen des Versicherungsschutzes allein nicht aus. Erforderlich ist des Weiteren die Handlungstendenz, die darauf zielt, eine der Pferdehaltung des Unternehmens zu dienen bestimmte Tätigkeit zu verrichten (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 1993 -2 RU 40/92=HV-INFO 1993, 2215 ff). Unter Berücksichtigung sämtlicher Zeugenaussagen, der Angaben der Klägerin vor dem Sozialgericht und der Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2006 konnte der Senat nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Tätigkeit der Klägerin dazu bestimmt war, dem Unternehmen ihres Onkels zu dienen.
Im sozialgerichtlichen Verfahren hatte die Klägerin angegeben, froh gewesen zu sein, durch die Arbeiten Gelegenheit zu haben, zu reiten und mit den Tieren zusammen zu sein. Demnach verfolgte sie gerade ihre eigenen Interessen. Diese Interessenlage wird von der Mutter bestätigt. Diese hatte in ihrem Schreiben vom 5. August 2000 darauf verwiesen, dass der Charakter der Arbeiten "am ehesten dadurch zu beschreiben(sei), dass sie dadurch ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt".
Etwas anderes hat die Zeugenvernehmung durch den Senat nicht erbracht. Die damalige Motivlage hat die Zeugin L als einzige Zeugin, die an dem Ausgang des Rechtstreits kein eigenes Interesse hatte, dahingehend beschrieben, dass es sich um eine Symbiose gehandelt habe. Sie habe Spaß an der Tätigkeit mit Pferden gehabt und es sei für sie selbstverständlich gewesen, mitzuhelfen. Eine auf das Unternehmen des Onkels gerichtete Handlungstendenz konnte der Senat auch nicht der Angaben der Schwester der Klägerin entnehmen. Allerdings hat die Zeugin mit ihrer Schilderung den Eindruck vermitteln wollen, nur durch das Herausholen der Pferde auf die Koppel sei eine artgerechte Haltung gewährleistet gewesen, da die Tiere sonst starken Stress entwickelt hätten. Dadurch ist jedoch noch keine Handlungstendenz dahingehend erwiesen, auch dem Betrieb des Onkels dienen zu wollen. Denn einem Pferdeliebhaber liegt gerade das Wohlergehen der Tiere am Herzen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin der Vermutung ihrer Schwester zufolge tätig wurde, um Vorhaltungen ihres Onkels zu vermeiden, dass sie faul sei. Dieses Motiv als wahr unterstellt, hätte die Klägerin gerade im Wesentlichen ihre eigenen Angelegenheiten, nämlich die Verbesserung ihres Ansehens bei ihrem Onkel verfolgt.
Auf der Grundlage der Angaben der Klägerin vor dem Senat kann ebenfalls nicht die Handlungstendenz festgestellt werden, dem Unternehmen des Onkels dienen zu wollen. Eine ausdrückliche Weisung, die Pferde auf die Koppel zu bringen, hat die Klägerin nicht behauptet. Eine entsprechende Aufforderung kann auch der nach längerer Diskussion in der Verhandlung protokollierten und von der Klägerin genehmigten Aussage, das Ehepaar Peters habe sinngemäß geäußert, "die Pferde werden sich freuen, auf die Koppel zu kommen", nicht entnommen werden. Denn es handelt sich um eine Feststellung, die auf die Belange der Pferde gerichtet ist und nicht auf die Belange des Unternehmens. Ist die Klägerin aufgrund dieser Äußerungen des Ehepaars tätig geworden, so hat sie wie auch sonst im Wesentlichen ihre eigenen Interessen, nämlich mit den Pferden zusammen zu sein und für ihr Wohlergehen zu sorgen, verfolgt.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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