L 11 EG 4/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 EG 2078/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 4/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch auf Erziehungsgeld unter Anwendung des bis zum 26.06.1993 geltenden Erziehungsgeldgesetzes besteht nur dann, wenn das Verfahren auf Gewährung von Erziehungsgeld noch nicht abgeschlossen ist. - Anschluss an die Entscheidung des EuGH im Rechtsstreit Sürül v. 4.5.1999 - C 262/96 - und Beschluss des BVerfG v. 6.7.2004 - 1 BvR 2515/95 -.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Erziehungsgeld (ErzG) im Sinne des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) für das 1. Lebensjahr des am 28.03.1998 geborenen Kindes C ...

Die 1971 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, hält sich nach ihren Angaben seit 1988 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie war ebenso wie ihr Ehemann A. D. im Besitz einer bis 27.05.2000 bzw. 31.03.2000 befristeten Aufenthaltsbefugnis. A. D. war als Maurer versicherungspflichtig beschäftigt.

Den Antrag der Klägerin vom 27.05.1998 auf Gewährung von ErzG für das 1. Lebensjahr des Kindes C. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.06.1998 ab, weil die Klägerin weder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch einer Aufenthaltsberechtigung sei. Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis begründe keinen Erziehungsgeldanspruch.

Am 06.08.1998 beantragte die Klägerin noch einmal ErzG für das 1. Lebensjahr ihres Kindes C ... Flüchtlingen nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) stehe ErzG zu. Insoweit werde auf die zum Kindergeld ergangene Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29.08.1998 und den Schlussantrag des Generalanwaltes L. P. verwiesen. Hierauf bestätigte die Beklagte mit Bescheid vom 10.08.1998, der nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, noch einmal den Bescheid vom 16.06.1998. § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG enthalte eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung. Unter dem Besitz sei die ausdrückliche vorherige Zubilligung des Aufenthaltsrechts durch Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft gemeint. Die Formulierung des § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG "für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung ..." lasse es nicht zu, beim Fehlen dieser Voraussetzung ErzG als Ermessensleistung zu gewähren. Dafür gebe es keine gesetzliche Grundlage. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die Regelung des § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG und ihre Folgen in ständiger Rechtsprechung als verfassungskonform bestätigt (Urteil vom 28.02.1996 und Beschluss vom 02.10.1997). Diese Regelung gelte uneingeschränkt auch für Flüchtlinge. Auch dies sei vom BSG bestätigt worden.

Mit Schreiben vom 18.03.2002 beantragte die Klägerin, nachdem sich inzwischen die Rechtsprechung und die Rechtspraxis geändert hätten, das Verfahren wieder aufzugreifen und ihr rückwirkend ErzG ab Antragstellung zu gewähren.

Mit Bescheid vom 23.09.2003 lehnte die Beklagte den Antrag erneut ab. Anhaltspunkte für die Rücknahme des Bescheides vom 16.06.1998 nach § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) lägen nicht vor. In der Entscheidung "Sürül" vom 04.05.1999 - C 262/96 - habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) zwar festgestellt, dass türkische Staatsbürger aufgrund der Regelung des Art. 3 Abs. 1 des Assoziationsbeschlusses EWG/Türkei Nr. 3/80 Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Gewährung von Kindergeld hätten. Dies gelte allerdings nur, soweit sie in einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert seien und in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnen würden. Das Abkommen sei nach Weisung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 25.07.2002 auch dann anzuwenden, wenn es sich bei den türkischen Staatsangehörigen und deren Familienangehörigen um Flüchtlinge handele. In seinem Urteil habe der EuGH die Rückwirkung seiner Entscheidung jedoch begrenzt und bestimmt, dass keine Ansprüche auf Leistungen vor Erlass des Urteils, d. h. vor dem 04.05.1999 geltend gemacht werden könnten. Da der maßgebliche Bezugszeitraum (1. Lebensjahr von C.) bereits am 27.03.1999 geendet habe, bestehe in diesem Fall kein Anspruch auf ErzG.

Ihren dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass die ausgeschlossene Rückwirkung nur dann gelte, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Urteil des EuGH einen Antrag gestellt oder Klage erhoben hätten. Sie habe bereits am 03.08.1998 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 51 Abs. 1 AuslG, insbesondere auf den Schlussantrag des Generalanwalts L. P., einen zweiten Antrag auf Gewährung von ErzG für C. gestellt. Über diesen Antrag sei bis heute noch nicht entschieden. Eine Klage sei mangels eines Ablehnungsbescheides nicht möglich gewesen. Selbstverständlich hätte sie, wäre zum damaligen Zeitpunkt ein rechtsmittelfähiger Bescheid erlassen worden, alle Rechtsmittel bis zum Klageverfahren durchschritten.

Mit Schreiben vom 24.11.2003 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie - die Klägerin -, nachdem der Bescheid vom 10.08.1998 nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen sei, innerhalb der Jahresfrist bis zum 13.08.1998 (richtig wohl 13.08.1999) Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.08.1999 (richtig wohl 10.08.1998) hätte einlegen können. Diese Frist sei ohne Angabe von Gründen versäumt worden. Zur Prüfung, ob eine Wiedereinsetzung nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) möglich sei, werde um Stellungnahme gebeten. Hierauf antwortete die Klägerin zunächst, dass ihr ein Bescheid vom 10.08.1998 unbekannt sei. Nachdem ihr das Schreiben vom 10.08.1998 übermittelt worden war, nahm sie dahingehend Stellung, dass das Schreiben keinen Bescheid, sondern lediglich einen Hinweis auf die Rechtslage darstelle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2004 wies die Beklagte im Anschluss daran den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf Rücknahme der ablehnenden Entscheidungen vom 16.06.1998 und vom 10.08.1998 gemäß § 44 SGB X sei nicht gegeben. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 04.05.1999 unter den Ziffern 111 bis 113 zur zeitlichen Geltung des Urteils ausdrücklich festgestellt, dass es zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit ausschließen würden, Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des vorliegenden Urteils abschließend geregelt worden seien, in einer Situation wieder in Frage zu stellen, in der dies die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten rückwirkend erschüttern würde. Eine Ausnahme von dieser Beschränkung der Wirkung des vorliegenden Urteils sei nur zugunsten derjenigen vorzusehen, die vor seinem Erlass gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hätten. Die Sürül-Entscheidung sei zwar zum Kindergeldrecht ergangen, sie sei jedoch auch auf das BErzGG anzuwenden, da das ErzG eine Familienleistung darstelle. Nachdem gegen die Ablehnungsbescheide vom 16.06.1998 und vom 10.08.1998 seinerzeit kein Widerspruch eingelegt worden sei, sei das Erziehungsgeldverfahren für das 1. Lebensjahr des Kindes C. bereits vor Ergehen des Sürül-Urteils (04.05.1999) abgeschlossen gewesen. Damit könne für Zeiträume vor dem 04.05.1999 kein Anspruch aus diesem Urteil hergeleitet werden. Das Schreiben vom 10.08.1998 habe einen Verwaltungsakt dargestellt. Dieser Verwaltungsakt sei auch bestandskräftig geworden. Dass der Bescheid keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe, habe ihn nicht ungültig gemacht. In diesem Fall gelte gemäß § 66 SGG, dass die Einlegung eines Widerspruchs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig sei. Der Bescheid sei am 10.08.1998 zur Post gegeben worden. Nach § 37 Abs. 2 SGB X gelte er mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, somit am 13.08.1998. Damit sei die Frist zur Erhebung des Widerspruchs am 13.08.1999 abgelaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt sei kein Widerspruch eingelegt worden. Für Anträge nach § 44 SGB X, die - wie hier - nach dem 04.05.1999 gestellt worden seien, komme nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Sürül eine Rücknahme nur für den Zeitraum ab dem 04.05.1999 in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt sei das 1. Lebensjahr des Kindes bereits beendet gewesen. Damit könne kein ErzG für das 1. Lebensjahr des Kindes gewährt werden. Es bestehe deshalb kein Anspruch auf Rücknahme der ablehnenden Entscheidungen vom 16.06.1998 und vom 10.08.1998.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Sie verwies im wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen und legte unter anderem das Schreiben der Beklagten vom 10.08.1998 mit einem Eingangsstempel der Kanzlei ihres Klägerbevollmächtigten vom 13.08.1998 vor. Ergänzend wies sie darauf hin, dass sich zum Zeitpunkt ihres Antrags vom 18.03.2002 ihre Handakte im Archiv ihres Klägerbevollmächtigten befunden habe. Sie habe ihm, dem Klägerbevollmächtigten, lediglich eine Kopie von dessen Antragschreiben vom 03.08.1998 vorgelegt und ihm hierzu mitgeteilt, dass nach ihrer Kenntnis dieser Antrag abgelehnt worden sei. Erst zum Zeitpunkt der Abfassung der Widerspruchsbegründung am 24.10.2003 sei die im Archiv unter einem falschen Anfangsbuchstaben abgelegte Ursprungsakte wieder aufgefunden worden. Hierbei sei festgestellt worden, dass bisher kein Ablehnungsbescheid ergangen sei. Das Schreiben vom 10.08.1998 sei lediglich ein Hinweis auf die damalige Rechtslage. Sie sehe darin keine Behördenentscheidung, gegen die sie hätte Rechtsmittel einlegen müssen.

Die Beklagte erwiderte hierauf, dass das Schreiben vom 10.08.1998 einen Verwaltungsakt darstelle.

Mit Gerichtsbescheid vom 25.01.2005, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 03.02.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X lägen nicht vor. Zwar würde bei heutiger Entscheidung ein Rechtsanspruch der Klägerin auf ErzG nach Art. 3 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 bestehen. Dies gelte jedoch nicht in den Fällen, in denen zum Zeitpunkt des Erlasses des EuGH-Urteils über einen Antrag abschließend entschieden worden sei. Dies sei hier der Fall. Das Schreiben vom 10.08.1998 der Beklagten sei ein Verwaltungsakt. Damit sei über den Antrag der Klägerin vom 03.08.1998 bindend entschieden worden. Dies habe zur Folge, dass die Entscheidung des EuGH für diesen Rechtsstreit keine Geltung erlangen könne. Wiedereinsetzungsgründe in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist lägen nicht vor. Insbesondere stelle der Vortrag, dass erst zum Zeitpunkt der Abfassung der Widerspruchsbegründung am 24.10.2003 die falsch abgelegte Ursprungsakte wieder aufgefunden worden sei, keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.03.2005 Berufung eingelegt, mit welcher sie ihr Begehren weiterverfolgt. Dass das SG das Schreiben der Beklagten vom 10.08.1998 als Verwaltungsakt ansehe, begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Klägerin beantragt - sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Januar 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Rücknahme der Bescheide vom 16. Juni 1998 und 10. August 1998 zu verurteilen, ihr für das erste Lebensjahr ihres Sohnes C. Bundeserziehungsgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Der Anspruch der Klägerin sei wegen der zeitlichen Geltung des Urteils des EuGH in der Sache Sürül ausgeschlossen. Ihr könne, da über ihren Antrag bereits vor dem 04.05.1999 bestandskräftig entschieden worden sei, dieses Urteil nicht zugute kommen. Auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 - 1 BvR 2515/95 - bestehe für eine Wiederaufnahme rechts- oder bestandskräftig abgeschlossener Verfahren kein Anlass. Dies gelte auch dann, wenn man in § 44 SGB X eine speziellere und daher eine vorrangig anzuwendende Regelung zu dem sonst heranzuziehenden § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BverfGG) sehe, denn die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien nicht gegeben. § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG 1993 sei nach der Entscheidungsformel des Bundesverfassungsgerichts nicht für nichtig, sondern nur für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt worden. Daraus folge eine Sperre für die weitere Anwendung dieser Norm, nicht jedoch eine Rechtswidrigkeit der bisher ergangenen Bescheide. Diese hätten ihre gesetzliche Grundlage nicht verloren. Das Bundesverfassungsgericht habe auch nur für die noch nicht abgeschlossenen Verfahren angeordnet, dass, wenn der Bundesgesetzgeber bis zum 1. Januar 2006 die verfassungswidrige Regelung nicht durch eine Neuregelung ersetze, für diese Verfahren das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden sei.

Mit Beschluss vom 27.04.2005 hat die Berichterstatterin das Verfahren, nachdem das Bundesverfassungsgericht § 1 Abs. 1 Satz 1 BErzGG in der Fassung vom 23.06.1993 als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat, bis zu einer Neuregelung der Norm durch den Gesetzgeber und für den Fall, dass eine solche bis 01.01.2006 nicht erfolgt, bis 01.01.2006 ausgesetzt.

Eine Neuregelung durch den Gesetzgeber bis 01.01.2006 ist nicht erfolgt.

Die Beteiligten haben übereinstimmend einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Die Bescheide der Beklagten vom 16.06.1998 und 10.08.1998, mit denen sie einen Anspruch der Klägerin auf ErzG abgelehnt hat, sind nicht rechtswidrig, weshalb die Beklagte es zu Recht abgelehnt hat, auf den erneuten Antrag der Klägerin diese Bescheide zurückzunehmen und der Klägerin ErzG für das erste Lebensjahr ihres Kindes C. zu gewähren.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme unanfechtbar gewordener Bescheide gemäß § 44 SGB X und für einen Anspruch auf Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG in der ab dem 27.06.1993 geltenden Fassung sowie Art. 3 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 in Verbindung mit dem Sürül-Urteil des EuGH vom 04.05.1999 - C 262/96 - sind im Gerichtsbescheid des SG bzw. in den Bescheiden und dem Widerspruchsbescheid der Beklagten zutreffend dargestellt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Nach Auffassung des Senats ist die Berufung unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten bereits aus den vom SG ausführlich und zutreffend dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auch auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das SG zutreffend entschieden hat, dass das Schreiben der Beklagten vom 10.08.1998 einen Verwaltungsakt darstellt. Es handelte sich um eine Entscheidung, die die Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen hat und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet war. Die Beklagte hat hiermit entschieden, dass die Klägerin die Voraussetzungen für ErzG nicht erfüllt, da sie lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sei und diese keinen Erziehungsgeldanspruch begründe. Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil dieser Bescheid nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war. Die fehlende Rechtsmittelbelehrung hat lediglich zur Folge, dass gemäß § 66 Abs. 2 SGG die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen diesen Bescheid innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Zugestellt wurde der Klägerin der Bescheid am 13.08.1998. Dies ergibt sich aus dem vom Klägerbevollmächtigten dem SG vorgelegten Schreiben vom 10.08.1998, das den Eingangsstempel der Kanzlei der Klägerbevollmächtigten vom 13.08.1998 trägt. Widerspruch hätte damit bis 13.08.1999 eingelegt werden müssen. Bis zu diesem Datum hat die Klägerin keinen Widerspruch eingelegt. Sie hat sich erst wieder mit Schreiben vom 18.03.2002 an die Beklagte gewandt. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs abgelaufen. Damit ist der Bescheid vom 10.08.1998 ebenso wie der Bescheid vom 16.06.1998, der eine Rechtsmittelbelehrung enthielt und gegen den nicht innerhalb eines Monats ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, bestandkräftig geworden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre gemäß § 67 SGG, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dies war hier nicht der Fall. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sich die Klägerin zurechnen lassen muss, hat nicht die Sorgfalt angewendet, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig SGG Kommentar, 8. Auflage 2005, § 67 Rdnr. 3). Dadurch dass die Akte fehlerhaft im Archiv abgelegt war, traf den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden, so dass eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht kommt.

Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf die Entscheidung des EuGH im Rechtsstreit Sürül stützen. Zwar hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 04.05.1999 ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 es einem Mitgliedstaat verbietet, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen, für den dieser Beschluss gilt und dem er den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestattet hat, der jedoch dort nur eine zu einem bestimmten Zweck erteilte, befristete Aufenthaltsbewilligung besitzt, Kindergeld für sein Kind, das in diesem Mitgliedstaat mit ihm zusammenwohnt, vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer insoweit nur ihren Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben müssen. Entsprechendes gilt unbestrittenermaßen auch für ErzG, da es sich insoweit ebenfalls um eine Familienleistung handelt. Der EuGH hat jedoch weiter ausgeführt, dass zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit es ausschließen, Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des vorliegenden Urteils abschließend geregelt worden sind, in einer Situation wieder in Frage zu stellen, in der dies die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten rückwirkend erschüttern würde. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn vor Erlass des Urteils gerichtlich Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Wie bereits ausgeführt waren die Verwaltungsakte vom 16.06.1998 und 10.08.1998 bestandskräftig. Widerspruch oder Klage war dagegen nicht erhoben worden. Nach der Entscheidung im Rechtsstreit Sürül hat die getroffene Entscheidung damit weiter Bestand.

Ein Leistungsanspruch steht der Klägerin auch nicht nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 - 1 BvR 2515/95 - zu. In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG 1993 aufgrund der darin enthaltenen Benachteiligung von Ausländern mit Aufenthaltsbefugnis für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Eine Nichtigkeit der Norm wurde nicht ausgesprochen. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen würden, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, weshalb nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht komme. Weiter hat das Bundesverfassungsgericht bestimmt, dass, wenn der Gesetzgeber die verfassungswidrige Regelung nicht bis zum 01.01.2006 durch eine Neuregelung ersetzt, auf nicht bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Verfahren das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden sei. Eine Neuregelung durch den Gesetzgeber bis zum 01.01.2006 ist nicht erfolgt. Nachdem der Gesetzgeber nicht tätig geworden ist, ist demnach nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf "nicht abgeschlossene Verfahren" das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden. Diese Voraussetzung zur Anwendung des bis zum 26.06.1993 geltenden Rechts ist hier nicht gegeben. Das Verfahren der Klägerin war abgeschlossen. Auf ihre Anträge hatte die Beklagte jeweils mit Bescheiden reagiert. Diese Bescheide sind - wie schon mehrfach erwähnt - bestandskräftig geworden.

Schließlich begründet auch § 44 SGB X keinen Anspruch der Klägerin auf Rücknahme der Bescheide vom 16.06.1998 und 10.08.1998 und Bewilligung von ErzG. § 44 SGB X hat unter anderem zur Voraussetzung, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Hier kommt nur die Konstellation in Betracht, dass das Recht unrichtig angewandt wurde. Dies ist hier indessen nicht der Fall. Die Beklagte hat im Jahr 1998 zu Recht das damals gültige Bundeserziehungsgeldgesetz 1993 angewandt. Dieses Recht ist vom Bundesverfassungsgericht nunmehr nicht ex tunc (rückwirkend jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes) für nichtig erklärt worden. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht § 1 Abs. 1a Satz 1 BErzGG 1993 nur als mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Diese Unvereinbarkeitserklärung ist mit einer Nichtigerklärung ex tunc nicht gleichzusetzen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur dazu, dass das beanstandete Recht künftig und, nachdem der Gesetzgeber bis 01.01.2006 keine Neuregelung getroffen hat, auf noch nicht abgeschlossene Verfahren nicht mehr anzuwenden ist. Im Hinblick auf abgeschlossene Verfahren ist das Recht weiter richtig angewandt (vgl. BSG Urteil vom 20.12.2001 - B 4 RA 6/01 R - in SozR 3-8570 § 8 Nr. 7). Die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen damit nicht vor.

Die Berufung konnte damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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