Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 3573/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 21/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16.12.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.
Die am 1938 geborene Klägerin erwarb nach einem Studium an der Ingenieurschule für Bekleidungsindustrie Berlin und bestandener Prüfung als Modegestalter der Fachrichtung Bekleidung die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Modegestalter" zu führen (Urkunde vom 17. Juli 1964). Sie war vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 bei dem VEB T B als "Modegestalter" in der Abteilung "Erzeugnisentwicklung" beschäftigt. Die Klägerin war in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) weder in die Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR) noch in ein Versorgungssystem einbezogen.
Mit Bescheid vom 04. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab mit der Begründung, dass die Klägerin als Modegestalterin nicht berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen.
Mit der Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Anwendbarkeit des AAÜG festzustellen und ihre Beschäftigungszeiten vom 01. September 1964 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat diese Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die im Klageantrag bezeichneten Feststellungen. Die Klägerin werde vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst. Sie habe beim In-Kraft-Treten des AAÜG am 01. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gehabt und sei auch nicht Inhaberin einer Versorgungsanwartschaft gewesen. Sie habe auch aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage keinen bundesrechtlich fingierten Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Denn sie sei am Stichtag in der DDR nicht befugt gewesen, eine Berufsbezeichnung zu führen, aufgrund derer sie aus bundesrechtlicher Sicht einen obligatorischen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage für die AVTI gehabt habe. Die Klägerin sei entgegen ihrer Ansicht als Modegestalterin keine Ingenieurin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVTI-VO) vom 24. Mai 1951 (GBl. 487). Denn ihr sei nicht durch einen staatlichen Zuerkennungsakt das Recht zur Führung des Titels "Ingenieur" verliehen worden. Ob die Klägerin ingenieurtechnische Tätigkeiten tatsächlich ausgeführt habe, sei insoweit ohne Belang.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin zuletzt (nur) noch ihr Begehren auf Vormerkung der Zeiten vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 weiter. Sie trägt vor: Sie sei für ihre Tätigkeiten als Modegestalterin nach dem einschlägigen Kollektivrahmenvertrag für das ingenieurtechnische Personal bezahlt worden. Als Modegestalterin sei sie in der Fachrichtung Bekleidungsgestaltung bzw. Bekleidungskonstruktion ausgebildet worden. Die Klägerin hat noch ihren Sozialversicherungsausweis (SVA), diverse Arbeitsverträge für die Zeit ab 08. Februar 1971 und eine schriftliche Erklärung des letzten technischen Direktors des VEB T M vom 08. September 2005 vorgelegt; hierauf wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2003 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 04. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2003 zu verpflichten, den Zeitraum vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz sowie die in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Eine Anfrage des Senats nach Beschäftigungsunterlagen der Klägerin bei der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) ist ergebnislos geblieben. Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des ehemaligen technischen Direktors des VEB T M als Zeugen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 29. November 2005 verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Zusatzversorgungsakte der Beklagten, die Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990. Das AAÜG ist auf die Klägerin schon deshalb nicht anwendbar, weil sie am 01. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Die Klägerin war aber auch am 01. August 1991 nicht Inhaberin einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn sie hatte – unstreitig – bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihr war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die Beklagte hat auch in den angefochtenen Bescheiden eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG nicht getroffen.
§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z. B. Urteile vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und – B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie – B 4 RA 18/01 R – nicht veröffentlicht). Ein derartiger fingierter Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R – nicht veröffentlicht; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R –).
Allein maßgebend sind insoweit die Texte der AVTI-VO und der hierzu ergangenen 2. DB. Die genannten Vorschriften der DDR sind unabhängig von deren Verwaltungs- und Auslegungspraxis allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – nicht veröffentlicht –). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch auf eine Versorgungszusage nur vor, wenn die Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen erfüllt: Sie muss 1. die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit oder Beschäftigung tatsächlich verrichtet haben und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).
Die Klägerin erfüllt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls nicht die oben genannte erste Voraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage. Sie war – unstreitig – in der DDR nicht berechtigt, den für eine Zugehörigkeit zur AVTI erforderlichen "Titel" (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB zur AVTI-VO) eines Ingenieurs oder eines Technikers zu führen. Ihr war vielmehr in der DDR durch staatlichen Zuerkennungsakt allein die Berechtigung verliehen worden, die Berufsbezeichnung "Modegestalter" zu führen (Urkunde vom 17. Juli 1964). Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin – wie sie vorträgt – tatsächlich ingenieurtechnische oder Tätigkeiten eines Technikers oder Technologen ausgeführt hatte. Denn Beschäftigte, die den Titel eines Ingenieurs oder Technikers nicht hatten, konnten nur auf Antrag auf Grund einer Ermessensentscheidung nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB zur AVTI-VO in das Versorgungssystem einbezogen werden (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 35/04 R – nicht veröffentlicht).
Die Klägerin ist auch nicht der in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB genannten Berufsgruppe der Konstrukteure zuzuordnen, und zwar ungeachtet dessen, dass es jedenfalls am 30. Juni 1990 in der DDR einen förmlichen Berufsabschluss zum Konstrukteur bzw. den "Titel" eines Konstrukteurs nicht gegeben hat. Nach den vorliegenden Arbeitsverträgen war die Klägerin beim VEB T als "Modegestalter" in der Abteilung Erzeugnisentwicklung beschäftigt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin dabei zwar mit Konstruktionsaufgaben in dem Sinne betraut war, dass sie den Konstrukteur, mit dem sie eng zusammen arbeitete, bspw. bei der Konstruktion von Grundschnitten für Bekleidungsstücke angeleitet hatte. Die Tätigkeit der Klägerin bestand dabei im Wesentlichen aus der Modellentwicklung und Konstruktionsüberwachung und war somit von einer gestalterischen Funktion geprägt, nicht aber von der eigentlichen Konstruktion in Gestalt der Schnittentwicklung und –anfertigung, die allein dem Bekleidungskonstrukteur oblag. Dies folgt aus der anschaulichen und prägnanten Aussage des früheren technischen Direktors des VEB T M, der kraft seiner beruflichen Funktion einen Überblick über sämtliche technischen Betriebs- und Organisationsabläufe im ehemaligen VEB T hatte. Er hat zugleich klargestellt, dass es für Konstrukteure gesonderte Arbeitsverträge mit dieser Berufsbezeichnung und im Übrigen unterschiedliche Funktionspläne für Konstrukteure und Modegestalter gab. Die Klägerin war aber nach ihrem Arbeitsvertrag als "Modegestalter" und eben nicht als Konstrukteurin beschäftigt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht fest, dass sie im Sinne der konkreten Berechnung und Darstellung des zu fertigenden Erzeugnisses nicht selbst konstruiert hat, sondern anhand ihrer Vorgaben (erst) die eigentliche Konstruktionsarbeit durch den Konstrukteur erfolgte. Dass sie dabei im Einzelfall auch Konstruktionstätigkeiten im eigentlichen Sinne verrichtet haben mag, hat ihrer Tätigkeit jedenfalls nicht das Gepräge gegeben. Dies folgt auch aus den weiteren von ihr mit Schreiben vom 04. November 2005 mitgeteilten Tätigkeitsmerkmalen, die nicht dem Bereich der Konstruktion im eigentlichen Sinne zuzuordnen sind: der Anfertigung des Rohmodells, der Anprobe und Begutachtung als Qualitätssicherung, der Überwachung der Modellanfertigung, dem Ermitteln und Dokumentieren des Materialbedarfs, dem Aufstellen der Zeitbedarfspläne für das Modell und der Stichprobenkontrolle. Im Hinblick auf dieses weit gefächerte Betätigungsfeld wurde die Klägerin innerbetrieblich folgerichtig nicht als Konstrukteurin, sondern als Modegestalterin mit eigenständigem Funktionsplan qualifiziert. Der Titel eines "Modegestalters" wird jedoch in der 2. DB zur AVTI-VO nicht genannt.
Andere Rechtsgrundlagen, auf die die Klägerin ihr Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierungen angeknüpft hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorgenommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; Urteil vom 18. Juli 2003 – B 4 RA 1/03 R –). Zwischenzeitlich hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Auslegung der Texte der Zusatzversorgungsordnungen durch die Fachgerichte, insbesondere durch das BSG, nicht willkürlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – nicht veröffentlicht; Beschluss vom 08. September 2004 – 1 BvR 1503/04 – nicht veröffentlicht – und zuletzt Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.
Die am 1938 geborene Klägerin erwarb nach einem Studium an der Ingenieurschule für Bekleidungsindustrie Berlin und bestandener Prüfung als Modegestalter der Fachrichtung Bekleidung die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Modegestalter" zu führen (Urkunde vom 17. Juli 1964). Sie war vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 bei dem VEB T B als "Modegestalter" in der Abteilung "Erzeugnisentwicklung" beschäftigt. Die Klägerin war in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) weder in die Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR) noch in ein Versorgungssystem einbezogen.
Mit Bescheid vom 04. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab mit der Begründung, dass die Klägerin als Modegestalterin nicht berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen.
Mit der Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Anwendbarkeit des AAÜG festzustellen und ihre Beschäftigungszeiten vom 01. September 1964 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat diese Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die im Klageantrag bezeichneten Feststellungen. Die Klägerin werde vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst. Sie habe beim In-Kraft-Treten des AAÜG am 01. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gehabt und sei auch nicht Inhaberin einer Versorgungsanwartschaft gewesen. Sie habe auch aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage keinen bundesrechtlich fingierten Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Denn sie sei am Stichtag in der DDR nicht befugt gewesen, eine Berufsbezeichnung zu führen, aufgrund derer sie aus bundesrechtlicher Sicht einen obligatorischen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage für die AVTI gehabt habe. Die Klägerin sei entgegen ihrer Ansicht als Modegestalterin keine Ingenieurin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVTI-VO) vom 24. Mai 1951 (GBl. 487). Denn ihr sei nicht durch einen staatlichen Zuerkennungsakt das Recht zur Führung des Titels "Ingenieur" verliehen worden. Ob die Klägerin ingenieurtechnische Tätigkeiten tatsächlich ausgeführt habe, sei insoweit ohne Belang.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin zuletzt (nur) noch ihr Begehren auf Vormerkung der Zeiten vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 weiter. Sie trägt vor: Sie sei für ihre Tätigkeiten als Modegestalterin nach dem einschlägigen Kollektivrahmenvertrag für das ingenieurtechnische Personal bezahlt worden. Als Modegestalterin sei sie in der Fachrichtung Bekleidungsgestaltung bzw. Bekleidungskonstruktion ausgebildet worden. Die Klägerin hat noch ihren Sozialversicherungsausweis (SVA), diverse Arbeitsverträge für die Zeit ab 08. Februar 1971 und eine schriftliche Erklärung des letzten technischen Direktors des VEB T M vom 08. September 2005 vorgelegt; hierauf wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2003 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 04. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2003 zu verpflichten, den Zeitraum vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz sowie die in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Eine Anfrage des Senats nach Beschäftigungsunterlagen der Klägerin bei der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) ist ergebnislos geblieben. Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des ehemaligen technischen Direktors des VEB T M als Zeugen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 29. November 2005 verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Zusatzversorgungsakte der Beklagten, die Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 01. Januar 1981 bis zum 30. Juni 1990. Das AAÜG ist auf die Klägerin schon deshalb nicht anwendbar, weil sie am 01. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Die Klägerin war aber auch am 01. August 1991 nicht Inhaberin einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn sie hatte – unstreitig – bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihr war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die Beklagte hat auch in den angefochtenen Bescheiden eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG nicht getroffen.
§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z. B. Urteile vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und – B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie – B 4 RA 18/01 R – nicht veröffentlicht). Ein derartiger fingierter Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R – nicht veröffentlicht; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R –).
Allein maßgebend sind insoweit die Texte der AVTI-VO und der hierzu ergangenen 2. DB. Die genannten Vorschriften der DDR sind unabhängig von deren Verwaltungs- und Auslegungspraxis allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – nicht veröffentlicht –). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch auf eine Versorgungszusage nur vor, wenn die Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen erfüllt: Sie muss 1. die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit oder Beschäftigung tatsächlich verrichtet haben und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).
Die Klägerin erfüllt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls nicht die oben genannte erste Voraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage. Sie war – unstreitig – in der DDR nicht berechtigt, den für eine Zugehörigkeit zur AVTI erforderlichen "Titel" (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB zur AVTI-VO) eines Ingenieurs oder eines Technikers zu führen. Ihr war vielmehr in der DDR durch staatlichen Zuerkennungsakt allein die Berechtigung verliehen worden, die Berufsbezeichnung "Modegestalter" zu führen (Urkunde vom 17. Juli 1964). Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin – wie sie vorträgt – tatsächlich ingenieurtechnische oder Tätigkeiten eines Technikers oder Technologen ausgeführt hatte. Denn Beschäftigte, die den Titel eines Ingenieurs oder Technikers nicht hatten, konnten nur auf Antrag auf Grund einer Ermessensentscheidung nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB zur AVTI-VO in das Versorgungssystem einbezogen werden (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 35/04 R – nicht veröffentlicht).
Die Klägerin ist auch nicht der in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB genannten Berufsgruppe der Konstrukteure zuzuordnen, und zwar ungeachtet dessen, dass es jedenfalls am 30. Juni 1990 in der DDR einen förmlichen Berufsabschluss zum Konstrukteur bzw. den "Titel" eines Konstrukteurs nicht gegeben hat. Nach den vorliegenden Arbeitsverträgen war die Klägerin beim VEB T als "Modegestalter" in der Abteilung Erzeugnisentwicklung beschäftigt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin dabei zwar mit Konstruktionsaufgaben in dem Sinne betraut war, dass sie den Konstrukteur, mit dem sie eng zusammen arbeitete, bspw. bei der Konstruktion von Grundschnitten für Bekleidungsstücke angeleitet hatte. Die Tätigkeit der Klägerin bestand dabei im Wesentlichen aus der Modellentwicklung und Konstruktionsüberwachung und war somit von einer gestalterischen Funktion geprägt, nicht aber von der eigentlichen Konstruktion in Gestalt der Schnittentwicklung und –anfertigung, die allein dem Bekleidungskonstrukteur oblag. Dies folgt aus der anschaulichen und prägnanten Aussage des früheren technischen Direktors des VEB T M, der kraft seiner beruflichen Funktion einen Überblick über sämtliche technischen Betriebs- und Organisationsabläufe im ehemaligen VEB T hatte. Er hat zugleich klargestellt, dass es für Konstrukteure gesonderte Arbeitsverträge mit dieser Berufsbezeichnung und im Übrigen unterschiedliche Funktionspläne für Konstrukteure und Modegestalter gab. Die Klägerin war aber nach ihrem Arbeitsvertrag als "Modegestalter" und eben nicht als Konstrukteurin beschäftigt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht fest, dass sie im Sinne der konkreten Berechnung und Darstellung des zu fertigenden Erzeugnisses nicht selbst konstruiert hat, sondern anhand ihrer Vorgaben (erst) die eigentliche Konstruktionsarbeit durch den Konstrukteur erfolgte. Dass sie dabei im Einzelfall auch Konstruktionstätigkeiten im eigentlichen Sinne verrichtet haben mag, hat ihrer Tätigkeit jedenfalls nicht das Gepräge gegeben. Dies folgt auch aus den weiteren von ihr mit Schreiben vom 04. November 2005 mitgeteilten Tätigkeitsmerkmalen, die nicht dem Bereich der Konstruktion im eigentlichen Sinne zuzuordnen sind: der Anfertigung des Rohmodells, der Anprobe und Begutachtung als Qualitätssicherung, der Überwachung der Modellanfertigung, dem Ermitteln und Dokumentieren des Materialbedarfs, dem Aufstellen der Zeitbedarfspläne für das Modell und der Stichprobenkontrolle. Im Hinblick auf dieses weit gefächerte Betätigungsfeld wurde die Klägerin innerbetrieblich folgerichtig nicht als Konstrukteurin, sondern als Modegestalterin mit eigenständigem Funktionsplan qualifiziert. Der Titel eines "Modegestalters" wird jedoch in der 2. DB zur AVTI-VO nicht genannt.
Andere Rechtsgrundlagen, auf die die Klägerin ihr Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierungen angeknüpft hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorgenommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; Urteil vom 18. Juli 2003 – B 4 RA 1/03 R –). Zwischenzeitlich hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Auslegung der Texte der Zusatzversorgungsordnungen durch die Fachgerichte, insbesondere durch das BSG, nicht willkürlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – nicht veröffentlicht; Beschluss vom 08. September 2004 – 1 BvR 1503/04 – nicht veröffentlicht – und zuletzt Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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