L 18 B 1416/05 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 10709/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 1416/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Dezember 2005 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antrag des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes erneut zu bescheiden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren.

Gründe:

Der Antrag des 18jährigen Antragstellers, die Antragsgegnerin einstweilen zur umgehenden Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten, hat nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Antragsgegnerin war gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (nur) zur erneuten Bescheidung des Antrages auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu verpflichten. Eine solche Anordnung kann ergehen, wenn ein Anspruch auf Neubescheidung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht wird (Keller, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, § 86b, Rn. 30a). Die dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen vor.

Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2005, mit dem die beantragten Leistungen versagt werden, ist schon deswegen offensichtlich rechtswidrig, weil dem Antragsteller keine angemessene Frist zur Nachholung seiner Mitwirkungspflichten gesetzt worden ist (§ 66 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil –). Die ihm mit Hinweisschreiben vom 16. August 2005 gesetzte Frist bis zum 23. August 2005 war unangemessen kurz. Unter Berücksichtigung des Lebensalters des Antragstellers und seiner schon aus dem Antragsformular ersichtlichen Ungewandtheit in bürokratischen Angelegenheiten hätten ihm mindestens zwei, eher drei Wochen für die Beibringung der geforderten Unterlagen eingeräumt werden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 6. August 1992 – 8/5a RKnU 1/87 = BSGE 71, 104 ff., wonach eine im Rahmen der Anhörung gesetzte Äußerungsfrist in der Regel zwei Wochen nicht unterschreiten darf).

Eine ordnungsgemäße Versagung setzt zudem die Ausübung von Ermessen voraus, in welches insbesondere Erwägungen der Verhältnismäßigkeit einzufließen haben (BSG, Urteil vom 5. April 2000 – B 5 RJ 38/99 R = BSGE 86, 107 ff. = SozR 3-1200 § 2 Nr. 1). Ermessenserwägungen kommen indes im Bescheid vom 25. August 2005 nicht zum Ausdruck. Sein textbausteinartiger Inhalt spricht zudem dafür, dass die Antragsgegnerin ihre Pflicht zur Ausübung von Ermessen nicht einmal erkannt hat.

Mit Rücksicht auf die bei Aufhebung des – wie ausgeführt: offensichtlich rechtswidrigen – Versagensbescheides in einem ggf. durchzuführenden Hauptsacheverfahren "von selbst" bestehende Pflicht der Antragsgegnerin zur erneuten Entscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 4/02 R = SozR 4-1200 § 66 Nr. 1) war sie bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Neubescheidung zu verpflichten.

Im Übrigen hat die Beschwerde keinen Erfolg. Ob der Antragsteller die gesetzlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erfüllt, ist derzeit mangels genügender Mitwirkung ungeklärt. Dies gilt insbesondere für die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Ausweislich eines Vermerks in den Akten der Antragsgegnerin wohnt der Antragsteller nicht in der im Mietvertrag angegebenen Wohnung im Gartenhaus, vierter Stock rechts, in der S Straße und hat in dieser Wohnung auch nie gewohnt. Auf die gerichtliche Aufforderung zur ergänzenden Äußerung zu den konkreten Wohnverhältnissen hat der Antragsteller nur angegeben, seit dem 1. Juni 2005 im Hinterhaus, zweites Obergeschoss, Mitte, links zu wohnen. Diese Angabe steht jedoch in Widerspruch zum Anmeldedatum (1. Juli 2005) und zur im Mietvertrag bezeichneten Wohnung. Angaben dazu, wovon er seit August 2005 seinen Lebensunterhalt bestreitet, hat der Antragsteller nicht gemacht.

Die verfassungsrechtlich gebotene Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 = Breithaupt 2005, 803 ff.) führt zu keiner anderen Beurteilung. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind vorläufig durch die angeordnete Pflicht zur Neubescheidung gewahrt.

Soweit die Antragsgegnerin bei ihrer erneuten Entscheidung einer Mitwirkung des Antragstellers bedarf, wird sie ihm präzise und individuell verständlich mitzuteilen haben, welche Unterlagen etc. noch beigebracht werden müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller inzwischen volljährig und damit voll geschäftsfähig ist. Die Antragsgegnerin wird auch dem Vortrag des Antragstellers nachzugehen haben, dass er die geforderten Unterlagen bereits am 10. Juni 2005 in der Müllerstraße abgegeben hat (Schriftsatz vom 24. November 2005). Die Antragsgegnerin wird schließlich darauf hingewiesen, dass nach der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts existenzsichernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden dürfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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