Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 16/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 94/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2006 verurteilt, dem Kläger höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von 65,87 Euro im Monat zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu 15 % zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Leistungen für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.06.2006 in Höhe von weiteren 452,42 Euro im Monat.
Der am 00.00.1961 geborene Kläger lebt mit seiner Ehefrau (geb. 00.00.1966) und der gemeinsamen Tochter (geb. 00.00.2000) in einem gemieteten Einfamilienhaus in I mit 118 qm Wohnfläche. Die Miete beläuft sich nach Angaben des Klägers bei Antragstellung auf 572,59 Euro monatlich zuzüglich einer Nebenkostenpauschale von 57,26 Euro, die Heizkosten belaufen sich nach Angaben des Klägers auf 162,50 Euro monatlich. Die Ehefrau des Klägers erzielt ein gleichbleibendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit von monatlich 908,32 Euro netto.
Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 01.06.2005 informiert hatte, dass sie die Unterkunftskosten als unangemessen hoch ansehe, erkannte sie auf den Fortzahlungsantrag von Dezember 2005 mit Bescheid vom 14.12.2005 nur mehr einen Leistungsanspruch von 496,24 Euro monatlich für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 an. Sie legte hierbei angemessene Leistungen der Unterkunft in Heizung i.H.v. insgesamt 433,81 Euro zugrunde und berücksichtigte das Einkommen der Ehefrau mit monatlich 631,95 Euro. Den bisher zuerkannten Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung berücksichtigte sie nicht mehr. Den an 02.01.2006 hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 17.01.2006 zurück.
Hiergegen richtet sich die 09.02.2006 erhobene Klage.
Der Kläger führt aus, vom Einkommen der Ehefrau habe die Beklagte einen Grundfreibetrag von weiteren 100 Euro abzusetzen, so dass nur 531,95 Euro anzurechnen seien. Die Kosten für Unterkunft und Heizung seien in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von insgesamt 791,50 Euro monatlich zu übernehmen, da ein Wohnungswechsel unzumutbar sei: Die Familie bewohne das Haus seit 18 Jahren und habe dort erhebliche Investitionen getätigt, für die sie von der Vermieterin nach Auszug keinen Ersatz werde verlangen können. Auch sei der Kläger angesichts seines gesundheitlichen Zustandes - er fühle sich nach einem schweren Gichtanfall völlig kraftlos - den körperlichen Anforderungen von Umzug und Auszugsrenovierung nicht gewachsen. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sei unter Zugrundelegung der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" (2. Aufl., 1997) anzuerkennen, da er bzw. seine Ehefrau an Hyperlipidämie, Hypertonie, Hyperurikämie/Gicht und Rheuma erkrankt seien. Aufgrund dessen sei er auf kostenaufwändige Diätmargarine, Fisch und Geflügel angewiesen. Der Kläger und seine Ehefrau könnten nur Diätgebäck zu sich nehmen, das erheblich teurer sei als handelsübliches Gebäck.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2006 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von monatlich 452,42 Euro mehr als bewilligt für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, der nach § 30 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ( SGB II) außer Betracht bleibende Betrag von 100 Euro sei der Freibetrag nach § 11 Abs. 2 SGB II und daher nicht auch noch bei der Bemessung des Freibetrages nach § 30 SGB II angesetzt werden. Hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung beruft sie sich auf die Wohngeldtabelle, wonach 360.- Euro angemessen seien.
Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur in Höhe von 65,87 Euro monatlich begründet, da der Kläger Anspruch auf höhere Leistungen der Unterkunft hat. Im Übrigen sind die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger hat Anspruch auf höhere Leistungen der Unterkunft. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden diese Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Solange das zuständige Ministerium von der in § 27 Nr. 1 SGB II enthaltenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind, keinen Gebrauch gemacht hat, ist die Angemessenheit dieser Aufwendungen nach den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien zu bestimmen. Maßgebliches Kriterium für die Angemessenheit der Unterkunftskosten (ausführlich Putz, info also 2004, 198 ff) ist zunächst die sog. abstrakte Angemessenheit (ausführlich Grube, in: Grube/Wahrendorff SGB XII, 2005, § 29 Rn. 21 ff), für die es auf die Wohnfläche ankommt, wobei die Werte in den landesrechtlichen Verordnungen zu § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmungen von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz - WoBindG) analog anwendbar sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.2005, L 19 B 21/05 AS ER; OVG Nordrhein-Westfalen, info also 1998, 135, 136; BVerwG, NVwZ 1995, 1104). Weiter sind Wohnstandard (insbesondere Lage und Ausstattung) und örtliches Preisniveau von Bedeutung. Auf dieser Grundlage ist die tatsächliche Preisspanne des unteren Marktsegments am Wohnort des Hilfebedürftigen zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).
Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses ist sodann der örtliche Mietspiegel heranzuziehen. Während sich der Beklagte bei der Bestimmung der Angemessenheit ausdrücklich auf die Werte der Tabelle nach § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) bezieht, erachtet die Kammer jedenfalls einen qualifizierten Mietspiegel i.S.d. § 558 d BGB für grundsätzlich besser geeignet (gegen die Anwendung der Tabelle nach § 8 WoGG auch BVerwG, NJW 2005, 310 f mwN). Nach § 558 c Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Mietspiegel eine Übersicht über die ortsüblichen Vergleichsmiete, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. Ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von den Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist (qualifizierter Mietspiegel, § 558 d Abs. 1 BGB) enthält nach § 558 Abs. 3 BGB die gesetzliche (widerlegliche, vgl. Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 64. Aufl., 2005, § 558 d, Rn 6) Vermutung der ortsüblichen Vergleichsmiete, wenn er im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung angepasst und alle vier Jahre neu erstellt wird, § 558 d Abs. 2 BGB.
Jedenfalls ein qualifizierter Mietspiegel wird den Vorgaben von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II besser gerecht, da er - im Gegensatz zur Wohngeldtabelle, die pauschal für den gesamten Geltungsbereich des Gesetzes gilt - die örtlichen Gegebenheiten abbildet. Anders als insbesondere § 20 SGB II - Regelleistung - pauschaliert § 22 Abs. 1 SGB II die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht, sondern verweist mit dem Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit auf die Umstädde des Einzelfalls und somit auch auf die örtlichen Gegebenheiten.
Angemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 SGB II sind die Kosten einer Unterkunft nach alledem dann, wenn der Mietzins nicht höher ist als Produkt aus der im Wohnungsbindungsrecht anerkannten qm-Größe und der (aus dem Mietspiegel entnommenen) Miethöhe pro qm für eine Wohnung der unteren Kategorie (zu letzterem Schmidt, in: Östreicher, SGB XII/SGB II, 2005, § 22 SGB II, Rn 33, 39; OVG Nordrhein-Westfalen, info also 1998, 135, 136).
Anhand dieser Kriterien erweisen sich die tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Klägers als unangemessen hoch, insbesondere wird auch die erheblich oberhalb des Richtwertes von 75 qm für drei Personen liegende Wohnungsgröße nicht durch eine entsprechend niedrigere Miete kompensiert. Die vom Kläger gegen einen Wohnungswechsel vorgebrachten Argumente greifen angesichts § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht durch. Investitionen, die der Hilfebedürftige über seine mietvertragliche Verpflichtung hinaus tätigt, begründen keinen Anspruch darauf, eine unangemessen große und kostenaufwändige Wohnung beibehalten zu können. Auch zwingende gesundheitliche Gründe gegen einen Wohnungswechsel sind nicht ersichtlich: Dass der Kläger unter Gichtanfällen leidet, spricht weder dafür, die derzeitige Wohnung unbedingt beizubehalten, noch macht es ihm die Suche nach einer anderen Unterkunft unmöglich. Falls es ihm tatsächlich nicht möglich sein sollte, Umzug und Renovierungsarbeiten zu bewältigen, können jedenfalls die Umzugsaufwendungen im Wege des § 22 Abs. 2 SGB II übernommen werden.
Auch wenn die Unterkunftskosten in voller Höhe unangemessen sind, so hat der Kläger nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ("soweit") dennoch Anspruch auf die unter Zugrundelegung der örtlichen Verhältnisse angemessenen Aufwendungen. Dieser Betrag ermittelt sich daraus, was der Hilfebedürftige unter Zugrundelegung der persönlichen und örtlichen Verhältnisse zulässigerweise für eine Unterkunft aufwenden dürfte. Hierbei sind auch Wohnungen neueren Baujahrs einzubeziehen, denn auch eine solche wäre dem Kläger nicht grundsätzlich verwehrt. Der nötigen Beschränkung auf das untere Marktsegment wird dadurch Rechnung getragen, dass vom Preissegment der neusten Wohnungen nur die untersten 10 % berücksichtigt werden. Der Mietspiegel für Heinsberg setzt Wohnungen mit Baujahr bis 2001 mit zwischen 4,80 und 5,90 Euro pro qm monatlich an. Die Obergrenze für angemessenen Wohnraum liegt mithin bei 4,91 Euro/qm monatlich. Multipliziert mit 75 qm ergibt dies monatlich 368,25 Euro. Nebenkosten sind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie auf eine an sich unangemessen große qm-Zahl entfallen (SG Aachen, Urteil vom 16.11.2005, S 11 AS 70/05), so dass die Pauschale von 57,26 Euro monatlich hinzuzuaddieren ist und sich die Leistungen der Unterkunft auf insgesamt 425,87 Euro im Monat belaufen. Stromkosten sind aus der Regelleistung zu decken und nicht bei den Leistungen für Unterkunft zu berücksichtigen (LSG Hamburg, Beschluss vom 09.06.2005, L 5 B 71/05 ER AS; SG Dresden, Beschluss vom 01.06.2005, S 23 AS 212/05 ER; SG Köln, Beschluss vom 11.4.2005, S 22 AS 36/05 ER und Beschluss vom 08.04.2005, S 1 AS 7/05 ER).
Darüber hinaus ergibt sich indes kein höherer Leistungsanspruch.
Die Beklagte hat das Einkommen der Ehefrau des Klägers zutreffend berücksichtigt. Der von ihr errechnete Freibetrag erweist sich jedenfalls nicht als zu niedrig. Insbesondere kennt das Gesetz keinen weiteren Freibetrag i.H.v. 100.- Euro monatlich. Der Zusammenhang, in dem der Kläger sich auf diesen Freibetrag beruft, lässt vermuten, dass der Regelungsinhalt von § 30 Satz 2 Nr. 1 1. HS SGB II (" ...das 100 Euro übersteigt ...") gemeint ist. Diese Bestimmung begründet jedoch keinen - zu § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II (in der seit 01.10.2005 geltenden Fassung) hinzutretenden - weiteren bezifferten Freibetrag, sondern regelt allein die Berechnung des (von der Beklagten berücksichtigten) Freibetrages nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II und bestimmt hierbei, dass bei der Ermittlung des 20-prozentigen Freibetrags die "ersten 100 Euro" unberücksichtigt bleiben. Dass § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II diese "ersten 100 Euro" von der Berechnung des Freibetrages ausnimmt, hat seinen Grund in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II und soll verhindern, dass die "ersten 100 Euro" im Zusammenspiel beider Vorschriften einen Freibetrag von insgesamt 120.- Euro auslösen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Heizung, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die geltend gemachten Aufwendungen (162,50 Euro monatlich) belaufen sich auf jährliche Aufwendungen von 16,53 Euro/qm, was unter Zugrundelegung des (ortsnächsten) Heizspiegels für Aachen als extrem hoch anzusehen ist. Zwar liegen gerade angesichts der unstreitigen erheblichen Isolationsmängel in der Wohnung des Klägers keine Hinweise auf verschwenderisches Heizverhalten vor, jedoch hält das Gericht es bei unangemessen hohen Heizkosten - anders als bei anderen Nebenkosten - für angebracht, die zu erbringenden Leistungen jedenfalls unter Zugrundelegung der angemessenen Wohnfläche sowie einer immer noch als extrem hoch anzusehenden Heizklasse zu reduzieren. Hier ergibt dies einen Betrag von mtl. 69,99 Euro (11,2: 12 X 75), der sogar unter der erbrachten Leistung zurückbleibt.
Abschließend besteht auch kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Die Erkrankungen, die der Kläger anführt (Hyperlipidämie, Hypertonie, Hyperurikämie/Gicht und Rheuma) verursachen keinen entsprechenden Mehrbedarf. Das Gericht legt seiner Entscheidung den "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulagen) gem. § 23 Abs. 4 BSHG (jetzt: § 30 Abs. 5 SGB XII)", herausgegeben vom Arbeitsausschuss der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Stand: Januar 2002, (i.F.: Begutachtungsleitfaden) zugrunde (so auch LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.09.2005, L 9 B 186/05 SO ER; weiterhin LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.11.2005, L 9 B 259/05 SO PKH; SG Detmold, Urteil vom 11.10.2005, S 19 SO 44/05), wonach u.a. lipidsenkende, natriumdefinierte und purinreduzierte Kost nicht als kostenaufwändig anzuerkennen sind. Es hält dieses Ergebnis auch mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar, dass sich fett- und salzarme Kost nicht nur durch sog. Diätlebensmittel, sondern gerade auch durch die Auswahl solcher Lebensmittel sicherstellen lässt, die nicht mehr kosten als vergleichbare Lebensmittel mit höherem Gehalt an Fett etc. (z.B. Magerquark anstelle fettreicherem Quark). Erhöhte Aufwendungen für Fisch- und Geflügelprodukte kann der Kläger vermeiden, indem er verstärkt auf - sehr preiswertes - Obst und Gemüse zurückgreift.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Wohngeldtabelle oder der örtliche Mietspiegel anzuwenden ist, auch hinsichtlich des dem Kläger zuerkannten Anspruchs zugelassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Ein entsprechender Ausspruch im Tenor ist nur versehentlich unterblieben.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Leistungen für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.06.2006 in Höhe von weiteren 452,42 Euro im Monat.
Der am 00.00.1961 geborene Kläger lebt mit seiner Ehefrau (geb. 00.00.1966) und der gemeinsamen Tochter (geb. 00.00.2000) in einem gemieteten Einfamilienhaus in I mit 118 qm Wohnfläche. Die Miete beläuft sich nach Angaben des Klägers bei Antragstellung auf 572,59 Euro monatlich zuzüglich einer Nebenkostenpauschale von 57,26 Euro, die Heizkosten belaufen sich nach Angaben des Klägers auf 162,50 Euro monatlich. Die Ehefrau des Klägers erzielt ein gleichbleibendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit von monatlich 908,32 Euro netto.
Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 01.06.2005 informiert hatte, dass sie die Unterkunftskosten als unangemessen hoch ansehe, erkannte sie auf den Fortzahlungsantrag von Dezember 2005 mit Bescheid vom 14.12.2005 nur mehr einen Leistungsanspruch von 496,24 Euro monatlich für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 an. Sie legte hierbei angemessene Leistungen der Unterkunft in Heizung i.H.v. insgesamt 433,81 Euro zugrunde und berücksichtigte das Einkommen der Ehefrau mit monatlich 631,95 Euro. Den bisher zuerkannten Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung berücksichtigte sie nicht mehr. Den an 02.01.2006 hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 17.01.2006 zurück.
Hiergegen richtet sich die 09.02.2006 erhobene Klage.
Der Kläger führt aus, vom Einkommen der Ehefrau habe die Beklagte einen Grundfreibetrag von weiteren 100 Euro abzusetzen, so dass nur 531,95 Euro anzurechnen seien. Die Kosten für Unterkunft und Heizung seien in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von insgesamt 791,50 Euro monatlich zu übernehmen, da ein Wohnungswechsel unzumutbar sei: Die Familie bewohne das Haus seit 18 Jahren und habe dort erhebliche Investitionen getätigt, für die sie von der Vermieterin nach Auszug keinen Ersatz werde verlangen können. Auch sei der Kläger angesichts seines gesundheitlichen Zustandes - er fühle sich nach einem schweren Gichtanfall völlig kraftlos - den körperlichen Anforderungen von Umzug und Auszugsrenovierung nicht gewachsen. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sei unter Zugrundelegung der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" (2. Aufl., 1997) anzuerkennen, da er bzw. seine Ehefrau an Hyperlipidämie, Hypertonie, Hyperurikämie/Gicht und Rheuma erkrankt seien. Aufgrund dessen sei er auf kostenaufwändige Diätmargarine, Fisch und Geflügel angewiesen. Der Kläger und seine Ehefrau könnten nur Diätgebäck zu sich nehmen, das erheblich teurer sei als handelsübliches Gebäck.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2006 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von monatlich 452,42 Euro mehr als bewilligt für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, der nach § 30 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ( SGB II) außer Betracht bleibende Betrag von 100 Euro sei der Freibetrag nach § 11 Abs. 2 SGB II und daher nicht auch noch bei der Bemessung des Freibetrages nach § 30 SGB II angesetzt werden. Hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung beruft sie sich auf die Wohngeldtabelle, wonach 360.- Euro angemessen seien.
Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur in Höhe von 65,87 Euro monatlich begründet, da der Kläger Anspruch auf höhere Leistungen der Unterkunft hat. Im Übrigen sind die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger hat Anspruch auf höhere Leistungen der Unterkunft. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden diese Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Solange das zuständige Ministerium von der in § 27 Nr. 1 SGB II enthaltenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind, keinen Gebrauch gemacht hat, ist die Angemessenheit dieser Aufwendungen nach den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien zu bestimmen. Maßgebliches Kriterium für die Angemessenheit der Unterkunftskosten (ausführlich Putz, info also 2004, 198 ff) ist zunächst die sog. abstrakte Angemessenheit (ausführlich Grube, in: Grube/Wahrendorff SGB XII, 2005, § 29 Rn. 21 ff), für die es auf die Wohnfläche ankommt, wobei die Werte in den landesrechtlichen Verordnungen zu § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmungen von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz - WoBindG) analog anwendbar sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.2005, L 19 B 21/05 AS ER; OVG Nordrhein-Westfalen, info also 1998, 135, 136; BVerwG, NVwZ 1995, 1104). Weiter sind Wohnstandard (insbesondere Lage und Ausstattung) und örtliches Preisniveau von Bedeutung. Auf dieser Grundlage ist die tatsächliche Preisspanne des unteren Marktsegments am Wohnort des Hilfebedürftigen zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).
Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses ist sodann der örtliche Mietspiegel heranzuziehen. Während sich der Beklagte bei der Bestimmung der Angemessenheit ausdrücklich auf die Werte der Tabelle nach § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) bezieht, erachtet die Kammer jedenfalls einen qualifizierten Mietspiegel i.S.d. § 558 d BGB für grundsätzlich besser geeignet (gegen die Anwendung der Tabelle nach § 8 WoGG auch BVerwG, NJW 2005, 310 f mwN). Nach § 558 c Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Mietspiegel eine Übersicht über die ortsüblichen Vergleichsmiete, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. Ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von den Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist (qualifizierter Mietspiegel, § 558 d Abs. 1 BGB) enthält nach § 558 Abs. 3 BGB die gesetzliche (widerlegliche, vgl. Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 64. Aufl., 2005, § 558 d, Rn 6) Vermutung der ortsüblichen Vergleichsmiete, wenn er im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung angepasst und alle vier Jahre neu erstellt wird, § 558 d Abs. 2 BGB.
Jedenfalls ein qualifizierter Mietspiegel wird den Vorgaben von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II besser gerecht, da er - im Gegensatz zur Wohngeldtabelle, die pauschal für den gesamten Geltungsbereich des Gesetzes gilt - die örtlichen Gegebenheiten abbildet. Anders als insbesondere § 20 SGB II - Regelleistung - pauschaliert § 22 Abs. 1 SGB II die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht, sondern verweist mit dem Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit auf die Umstädde des Einzelfalls und somit auch auf die örtlichen Gegebenheiten.
Angemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 SGB II sind die Kosten einer Unterkunft nach alledem dann, wenn der Mietzins nicht höher ist als Produkt aus der im Wohnungsbindungsrecht anerkannten qm-Größe und der (aus dem Mietspiegel entnommenen) Miethöhe pro qm für eine Wohnung der unteren Kategorie (zu letzterem Schmidt, in: Östreicher, SGB XII/SGB II, 2005, § 22 SGB II, Rn 33, 39; OVG Nordrhein-Westfalen, info also 1998, 135, 136).
Anhand dieser Kriterien erweisen sich die tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Klägers als unangemessen hoch, insbesondere wird auch die erheblich oberhalb des Richtwertes von 75 qm für drei Personen liegende Wohnungsgröße nicht durch eine entsprechend niedrigere Miete kompensiert. Die vom Kläger gegen einen Wohnungswechsel vorgebrachten Argumente greifen angesichts § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht durch. Investitionen, die der Hilfebedürftige über seine mietvertragliche Verpflichtung hinaus tätigt, begründen keinen Anspruch darauf, eine unangemessen große und kostenaufwändige Wohnung beibehalten zu können. Auch zwingende gesundheitliche Gründe gegen einen Wohnungswechsel sind nicht ersichtlich: Dass der Kläger unter Gichtanfällen leidet, spricht weder dafür, die derzeitige Wohnung unbedingt beizubehalten, noch macht es ihm die Suche nach einer anderen Unterkunft unmöglich. Falls es ihm tatsächlich nicht möglich sein sollte, Umzug und Renovierungsarbeiten zu bewältigen, können jedenfalls die Umzugsaufwendungen im Wege des § 22 Abs. 2 SGB II übernommen werden.
Auch wenn die Unterkunftskosten in voller Höhe unangemessen sind, so hat der Kläger nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ("soweit") dennoch Anspruch auf die unter Zugrundelegung der örtlichen Verhältnisse angemessenen Aufwendungen. Dieser Betrag ermittelt sich daraus, was der Hilfebedürftige unter Zugrundelegung der persönlichen und örtlichen Verhältnisse zulässigerweise für eine Unterkunft aufwenden dürfte. Hierbei sind auch Wohnungen neueren Baujahrs einzubeziehen, denn auch eine solche wäre dem Kläger nicht grundsätzlich verwehrt. Der nötigen Beschränkung auf das untere Marktsegment wird dadurch Rechnung getragen, dass vom Preissegment der neusten Wohnungen nur die untersten 10 % berücksichtigt werden. Der Mietspiegel für Heinsberg setzt Wohnungen mit Baujahr bis 2001 mit zwischen 4,80 und 5,90 Euro pro qm monatlich an. Die Obergrenze für angemessenen Wohnraum liegt mithin bei 4,91 Euro/qm monatlich. Multipliziert mit 75 qm ergibt dies monatlich 368,25 Euro. Nebenkosten sind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie auf eine an sich unangemessen große qm-Zahl entfallen (SG Aachen, Urteil vom 16.11.2005, S 11 AS 70/05), so dass die Pauschale von 57,26 Euro monatlich hinzuzuaddieren ist und sich die Leistungen der Unterkunft auf insgesamt 425,87 Euro im Monat belaufen. Stromkosten sind aus der Regelleistung zu decken und nicht bei den Leistungen für Unterkunft zu berücksichtigen (LSG Hamburg, Beschluss vom 09.06.2005, L 5 B 71/05 ER AS; SG Dresden, Beschluss vom 01.06.2005, S 23 AS 212/05 ER; SG Köln, Beschluss vom 11.4.2005, S 22 AS 36/05 ER und Beschluss vom 08.04.2005, S 1 AS 7/05 ER).
Darüber hinaus ergibt sich indes kein höherer Leistungsanspruch.
Die Beklagte hat das Einkommen der Ehefrau des Klägers zutreffend berücksichtigt. Der von ihr errechnete Freibetrag erweist sich jedenfalls nicht als zu niedrig. Insbesondere kennt das Gesetz keinen weiteren Freibetrag i.H.v. 100.- Euro monatlich. Der Zusammenhang, in dem der Kläger sich auf diesen Freibetrag beruft, lässt vermuten, dass der Regelungsinhalt von § 30 Satz 2 Nr. 1 1. HS SGB II (" ...das 100 Euro übersteigt ...") gemeint ist. Diese Bestimmung begründet jedoch keinen - zu § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II (in der seit 01.10.2005 geltenden Fassung) hinzutretenden - weiteren bezifferten Freibetrag, sondern regelt allein die Berechnung des (von der Beklagten berücksichtigten) Freibetrages nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II und bestimmt hierbei, dass bei der Ermittlung des 20-prozentigen Freibetrags die "ersten 100 Euro" unberücksichtigt bleiben. Dass § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II diese "ersten 100 Euro" von der Berechnung des Freibetrages ausnimmt, hat seinen Grund in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II und soll verhindern, dass die "ersten 100 Euro" im Zusammenspiel beider Vorschriften einen Freibetrag von insgesamt 120.- Euro auslösen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Heizung, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die geltend gemachten Aufwendungen (162,50 Euro monatlich) belaufen sich auf jährliche Aufwendungen von 16,53 Euro/qm, was unter Zugrundelegung des (ortsnächsten) Heizspiegels für Aachen als extrem hoch anzusehen ist. Zwar liegen gerade angesichts der unstreitigen erheblichen Isolationsmängel in der Wohnung des Klägers keine Hinweise auf verschwenderisches Heizverhalten vor, jedoch hält das Gericht es bei unangemessen hohen Heizkosten - anders als bei anderen Nebenkosten - für angebracht, die zu erbringenden Leistungen jedenfalls unter Zugrundelegung der angemessenen Wohnfläche sowie einer immer noch als extrem hoch anzusehenden Heizklasse zu reduzieren. Hier ergibt dies einen Betrag von mtl. 69,99 Euro (11,2: 12 X 75), der sogar unter der erbrachten Leistung zurückbleibt.
Abschließend besteht auch kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Die Erkrankungen, die der Kläger anführt (Hyperlipidämie, Hypertonie, Hyperurikämie/Gicht und Rheuma) verursachen keinen entsprechenden Mehrbedarf. Das Gericht legt seiner Entscheidung den "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulagen) gem. § 23 Abs. 4 BSHG (jetzt: § 30 Abs. 5 SGB XII)", herausgegeben vom Arbeitsausschuss der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Stand: Januar 2002, (i.F.: Begutachtungsleitfaden) zugrunde (so auch LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.09.2005, L 9 B 186/05 SO ER; weiterhin LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.11.2005, L 9 B 259/05 SO PKH; SG Detmold, Urteil vom 11.10.2005, S 19 SO 44/05), wonach u.a. lipidsenkende, natriumdefinierte und purinreduzierte Kost nicht als kostenaufwändig anzuerkennen sind. Es hält dieses Ergebnis auch mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar, dass sich fett- und salzarme Kost nicht nur durch sog. Diätlebensmittel, sondern gerade auch durch die Auswahl solcher Lebensmittel sicherstellen lässt, die nicht mehr kosten als vergleichbare Lebensmittel mit höherem Gehalt an Fett etc. (z.B. Magerquark anstelle fettreicherem Quark). Erhöhte Aufwendungen für Fisch- und Geflügelprodukte kann der Kläger vermeiden, indem er verstärkt auf - sehr preiswertes - Obst und Gemüse zurückgreift.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Wohngeldtabelle oder der örtliche Mietspiegel anzuwenden ist, auch hinsichtlich des dem Kläger zuerkannten Anspruchs zugelassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Ein entsprechender Ausspruch im Tenor ist nur versehentlich unterblieben.
Rechtskraft
Aus
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