L 12 R 1743/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 RA 4912/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 R 1743/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2005 wird als unzulässig verworfen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1944 geborene Kläger, der vom 28. Januar 1965 bis zum 31. Dezember 1973 (nach seinen Angaben bis zum 30. Juni 1974) in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt war, lebt seitdem wieder in Ö, wo er zuletzt bis zum 30. September 2000 im Außendienst eines Versi-cherungsunternehmens arbeitete.

Am 2. April 2001 beantragte er bei der (damaligen) Pensionsversicherungsanstalt der Ange-stellten (PVA) die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension, die ihm diese (augenscheinlich ab März 2001) aufgrund eines im Oktober 2003 vor dem Landesgericht S als Arbeits- und So-zialgericht geschlossenen Vergleichs auch gewährt.

Seinen mit Datum vom 28. August 2001 nochmals ausdrücklich gestellten Antrag auf Gewäh-rung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der deutschen Rentenversicherung lehnte die Beklagte nach Auswertung der ihr von der PVA übermittelten ärztlichen Gutachten mit Bescheid vom 18. Dezember 20003 ab, da der Kläger nicht erwerbsgemindert sei,.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 3. August 2004) hat der Kläger am 25. August 2004 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, das einen Befundbericht von dem den Kläger behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin sowie Auskünfte von dessen letzter Arbeitgeberin eingeholt hat.

Durch Urteil vom 22. Juli 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da der Kläger nicht erwerbsgemindert sei. Er könne mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen jedenfalls noch einfache Büroarbeiten verrichten; eine solche Tätigkeit sei ihm auch sozial zumutbar. Das Sozialgericht hat den Kläger in dem Urteil darüber belehrt, dass dieses mit der Berufung angefochten werden könne, die innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Lan-dessozialgericht Berlin-Brandenburg einzulegen sei. Die Berufungsfrist sei auch durch Einle-gung der Berufung beim Sozialgericht Berlin gewahrt. Die Berufungsschrift müsse innerhalb der Monatsfrist bei einem dieser Gericht eingehen. Sei das Urteil im Ausland zuzustellen, gelte anstellte der Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.

Das Urteil ist dem Kläger durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein an dessen Wohnung in Ö übersandt worden; dort wurde die Sendung am 5. August 2005 seiner Tochter ausgehändigt.

Der Kläger hat mit einem an das Sozialgericht Berlin gerichteten und am 3. November 2005 um 16.58 Uhr in L (D) aufgegebenen eingeschriebenen Brief, der am 8. November 2005 beim Sozialgericht Berlin einging, Berufung eingelegt, mit der er weiterhin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erstrebt.

Er hat auf Aufforderung des Senats zunächst angegeben, dass ihm das Urteil des Sozialgerichts Berlin am 12. August 2005 als Einschreiben mit Rückschein durch einen Postbediensteten zu-gestellt worden sei. Nach einem Hinweis, dass die für ihn bestimmte Sendung bereits am 5. August 2005 ausgehändigt worden sei, trägt er nunmehr vor, dass er das am 3. August 2005 an ihn abgefertigte Urteil erst nach dem 3. August 2005 erhalten habe. Da er bereits am 3. No-vember 2005 die Berufung übermittelt habe, sei diese seines Erachtens fristgerecht.

Auf einen weiteren Hinweis des Senats, dass anzunehmen sei, dass er das Urteil des Sozialge-richts Berlin bereits am 5. (und nicht erst am 12.) August 2005 erhalten habe und unter diesen Umständen die Berufungsfrist nicht gewahrt sein dürfte, hat sich der Kläger nicht mehr geäu-ßert.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von der Beklagten vor-gelegte Einheitsakte, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist, verwiesen.

-

Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist (§ 158 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle einzulegen. Ist das angefochtene Urteil im Ausland zugestellt worden, beträgt die Berufungsfrist gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG drei Monate (allgemeine Meinung seit BSG, Beschluss vom 3. August 1960 – 3 RJ 244/58 –, SozR § 151 SGG Nr. 11; s. auch J. Meyer-Ladewig/W. Keller/St. Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. [2005], § 151 Rdnr. 6). Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim So-zialgericht schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Lässt sich die formgerechte Zustellung nicht nachweisen oder ist das zuzustel-lende Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist (§ 189 der Zivilprozess-ordnung [ZPO] i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Zwar ist das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2005 dem Kläger nicht den gesetzli-chen Vorschriften entsprechend zugestellt worden. Zuzustellen ist von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 63 Abs. 2 Satz 1 SGG), die eine Zustellung im Aus-land durch Einschreiben mit Rückschein nur vorsieht (und zulässt), "soweit aufgrund völker-rechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen" (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Dies ist im Verhältnis zu Ö nicht der Fall. Eine solche Befugnis er-gibt sich insbesondere weder aus Artikel 84 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, noch aus Arti-kel 3 Abs. 3 der zur Durchführung jener Verordnung ergangenen Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienan-gehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern; nach diesen Regelungen dürfen – lediglich – "Bescheide oder sonstige Schriftstücke eines Trägers eines Mitgliedstaats, die für eine im Gebiet eines andren Mitgliedstaats wohnende oder sich dort aufhaltende Person be-stimmt sind, dieser unmittelbar mittels Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden", nicht aber – auch – Urteile eines Gerichts (ebenso bereits LSG Berlin, Urteil vom 23. Oktober 2003 – L 8 RJ 1/03 – m.w.Nw.).

Der Mangel der formgerechten Zustellung ist jedoch dadurch "geheilt", dass das Urteil des So-zialgerichts Berlin vom 22. Juli 2005 tatsächlich zugegangen ist, so dass es als zugestellt gilt (§ 189 ZPO i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zur Überzeugung des Senats ist das Urteil dem Kläger am 5. August 2005 tatsächlich zugegangen; an diesem Tag wurde es nach dem an das Sozialgericht zurückgelangten Rückschein von einem Postbediensteten in seiner Wohnung sei-ner volljährigen Tochter D ausgehändigt. Der vom Senat darauf hingewiesene Kläger bestreitet nicht, dass er das Urteil noch am selben Tag erhalten hat, was auch der Lebenserfahrung ent-spricht. Insbesondere behauptet er nicht, dass er an diesem Tag nicht zu Hause gewesen wäre oder aus anderen Gründen das Schriftstück nicht in Empfang genommen hat.

Die danach durch den tatsächlichen Erhalt des Urteils am 5. August 2005 in Gang gesetzte Be-rufungsfrist endete damit nach Ablauf von drei Monaten am 7. November 2005 (Montag, da der 5. November 2005 ein Sonnabend war; § 64 Abs. 2 und 3 SGG). Die Berufung ist jedoch erst am 8. November 2005 und damit verspätet beim Sozialgericht Berlin eingegangen.

Über die Berufungsfrist ist der Kläger in dem Urteil des Sozialgerichts auch zutreffend und vollständig belehrt worden. Insbesondere enthält diese Belehrung den Hinweis, dass die Beru-fungsschrift innerhalb der Berufungsfrist beim Sozialgericht oder Landessozialgericht eingehen (und nicht lediglich – wie möglicherweise nach österreichischem Recht – zur Post gegeben werden) muss.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, durch die er so gestellt werden würde, als hätte er die Berufungsfrist nicht versäumt (§ 67 Abs. 1 SGG), hat der auf diese Möglichkeit hingewiesene Kläger nicht beantragt. Auch ohne Antrag ist ihm keine Wiedereinsetzung zu gewähren (§ 67 Abs. 2 Satz 4 SGG), da Gründe dafür nicht erkennbar sind. Voraussetzung wäre nämlich, dass der Kläger ohne sein Verschulden gehindert gewesen wäre, die Berufungsfrist einzuhalten. Da-für besteht kein Anhalt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass und aufgrund welcher Umstän-de der Kläger berechtigterweise hätte annehmen dürfen, die von ihm am Abend des 3. Novem-ber 2005 in Linz als Einschreiben zur Post gegebene Berufungsschrift werde ungeachtet des bevorstehenden Wochenendes (5./6. November 2005) spätestens am Montag, dem 7. Novem-ber 2005 beim Sozialgericht Berlin eingehen.

Die nach allem nicht fristgemäß eingelegte Berufung ist dementsprechend ohne sachliche Überprüfung des Klageanspruchs als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 SGG). Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, durch Beschluss zu entscheiden (§ 158 Satz 2 SGG), da eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich erscheint.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor. Die Nichtzulassung der Revision kann jedoch so, als wenn der Senat durch Urteil entschieden hätte, gemäß der beige-fügten Rechtsmittelbelehrung mit der Beschwerde angefochten werden (§ 160a i.V.m. § 158 Abs. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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