S 16 U 163/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 163/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 165/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger an einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV leidet.

Der 1942 geborene Kläger erlernte in der Zeit von 1959 bis 1962 den Beruf des Chemielaboranten, studierte danach bis 1964 Chemie und arbeitete anschließend bis 1966 bei der Firma T, C1. Von 1967 bis 1983 war er im sogenannten Technikum der Firma C2, M, als Chemielaborant beschäftigt; seitdem ist er nicht mehr erwerbstätig.

Im Juli 2000 wurde beim Kläger ein maligner Blasentumor festgestellt. Es wurde eine Instillationsbehandlung durchgeführt. Bei einer urinzytologischen Untersuchung am 09.10.2000 konnten keine vitalen Tumorzellen mehr nachgewiesen werden. Eine histologische und zytologische Untersuchung am 28.06.2002 deutete auf eine high-grade Neoplasie hin. Nach erneuter Instillationsbehandlung ergaben weitere zytologische Untersuchungen keine Hinweise mehr auf maligne Zellen.

Im September 2000 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er die Erkrankung auf den berufsbedingten Umgang mit aromatischen Aminen zurückführe. Auf Anfrage der Beklagten erteilte der Betriebsleiter des A U P (A) der Firma C2 mit, im Verlaufe seiner dreijährigen Tätigkeit in den Labors des A habe der Kläger mit einer Vielzahl von organischen und anorganischen Stoffen unterschiedlichster Einstufung gearbeitet. Wiederholt und für längere Zeiträume habe der Kläger dabei an Verfahren gearbeitet, bei denen aromatische Amine eingesetzt oder hergestellt worden seien. Weiterhin habe er Verfahren betreut, bei denen Hydrazinhydrat, Methylnitrit, Chlor, Thionylchlorid und Phosphorchloride eingesetzt worden seien. Die messtechnische Überprüfung der Laboratorien der Firma hätten eine dauerhaft sichere Einhaltung der Luftgrenzwerte ergeben. Die Laborarbeiten seien in Tischabzügen, an Labormitteltischen und in Standabzügen durchgeführt worden. Nach Auskunft der Betriebsleitung sei im A niemals mit Benzidin, 4-Aminodiphenyl oder 2-Naphtylamin gearbeitet worden.

Aufgrund einer Besprechung in der Firma C2, an der der Kläger teilgenommen hatte, äußerte der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten, der Kläger sei an mehreren Laborplätzen und in der Versuchsanlage für O-Toluidin tätig gewesen. Diese Anlage sei geschlossen bei hoher Druck- und hoher Temperatur gefahren worden, bei Störungen seien Aerosole aufgetreten, Handschuhe und Atemschutz seien verwendet worden. Zweimal 8 Wochen und einmal 14 Wochen habe der Kläger Umgang mit Metyhlethylanilien gehabt. Als weitere aromatische Amine seien 2,4-Nitronaphthylamin, N- und C-Nitrosodiphenylamin, Anilin, Dichloranilin sowie Diethoxyanilin, Diethoxytoluidin und N, N-Methylanilin verwendet worden. Außerdem habe der Kläger in der Zeit von 1972 bis 1978 mit Chlorzyan und Phosgen gearbeitet. Die messtechnische Überprüfung in verschiedenen Laboratorien der C2 AG hätten eine dauerhaft sichere Einhaltung der Grenzwerte ergeben. Zur Tätigkeit des Klägers bei der Firma T äußerte der Technische Aufsichtsdienst, es sei davon auszugehen, dass der Kläger als Chemielaborant in der damaligen Kunststoff-Forschung des Unternehmens regelmäßig gegenüber aromatischen Arminen, insbesondere Anilin und Fluorendiamin exponiert tätig gewesen sei.

Zur Klärung der Frage, ob die Krebserkrankung des Klägers eine berufliche Ursache hatte, hörte die Beklagte nach Aktenlage I. Dieser kam in seinem Gutachten vom 21.08.2001 zu dem Ergebnis, es sei möglich, dass die Blasenkrebserkrankung des Klägers auf die Einwirkungen krebserzeugender Stoffe am Arbeitsplatz zurückzuführen sei. Andererseits müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger starker Zigarettenraucher sei. Der Zusammenhang zwischen inhalativem Zigarettenrauchen und der Erhöhung des Blasenkrebsrisikos sei eindeutig erwiesen. Aus einer Reihe einschlägiger Untersuchungen seien gute quantitative Daten im Sinne von Dosis-Wirkungsbeziehungen verfügbar. Danach sei im Durchschnitt bei Zigarettennrauchern das Blasenkrebsrisiko verdoppelt. Bei starkem Rauchen liege es – je nach Höhe des Zigarettenkonsums – deutlich darüber. Eine solche Risikokonstellation, nämlich eine Verdoppelung des Risikos im Vergleich zu Nichtrauchern, liege beim Kläger vor. Eine Quantifizierung des ursächlichen Beitrags der beruflichen Exposition sei nicht möglich. Es könne größer, gleichgroß oder unerheblich sein. Jeder Versuch eines quantitativen Vergleichs sei spekulativ. Eine additive Wirkung der beiden Komponenten – beruflich und nichtberuflich – sei nach wissenschaftlichem Kenntnisstand zu unterstellen. Bei dieser Sachlage, d. h. dem Fehlen der Möglichkeit einer Quantifizierung der beruflichen Komponente könne zwar die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer maßgeblichen Beteiligung der beruflichen Exposition unterstellt werden, dem Überwiegen der Expostion aus der privaten Lebensführung (starkes inhalatives Zigarettenrauchen) komme jedoch nach der aktenmäßigen Beweislage die höhere Wahrscheinlichkeit zu. Auf dieser medizinischen Grundlage lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV ab (Bescheid vom 25.09.2001). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Belastungen, denen er an seinem Arbeitsplätzen ausgesetzt gewesen seien, seien fehlerhaft ermittelt worden. Die Beklagte schaltete daraufhin erneut ihren Technischen Aufsichtsdienst ein. Zur Tätigkeit des Klägers bei der Firma T äußerte der Technische Aufsichtsbeamte, Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit existierten nicht mehr. Eine Rücksprache mit einem Mitarbeiter der Rechtsnachfolgerin der Firma T habe jedoch ergeben, dass chlorierte armomatische Amine nie bei der Feststellung oder Erforschung von Härtesystemen für Kunstharz eingesetzt worden seien. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass 4-Chlor-O-Toluidin im Beschäftigungszeitraum des Klägers bei der Firma T nicht verwendet worden sei. Zur Tätigkeit des Klägers bei der Firma C2 berichtete der Technische Aufsichtsbeamte, man habe noch einmal eine Arbeitsplatzanamnese durchgeführt und festgestellt, dass im Zeitraum von 1972 bis 1978 Versuche mit aromatischen Aminen gemacht worden seien. Alle Versuche seien nach Aussage des Betriebes und des Klägers im Abzug ausgeführt worden. Größere Apparaturen hätten in begehbaren Abzügen aufgebaut werden müssen. Die Reaktionskontrolle und die abschließende Demontage und Reinigung seien ebenfalls in diesen begehbaren Abzügen erfolgt; hier sei eine Expostion möglich gewesen. Ca. 10 bis 15 % der Versuche seien in begehbaren Abzügen erfolgt. Die durchschnittliche Ansatzgröße habe 50 g Ausgangsmaterial (60 % aller Versuche) die restlichen 40 % der Versuche seien in 200/300 g Maßstab durchgeführt worden. Sodann holte die Beklagte ein arbeitsmedizinisches Gutachten von C3 ein. Dieser führte aus, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Exposition des Klägers gegen aromatische Armine als gering einzustufen sei. Dies bedeute, dass konkurrierenden Faktoren wie z. B. dem Rauchen eine große Bedeutung zukomme. Der Kläger habe eigenen Angaben zufolge seit seinem 16. Lebensjahr in der Zeit bis zu seinem 30. Lebensjahr ca. 6 Zigaretten pro Tag geraucht. Danach bis zu seinem 60. Lebensjahr 20 bis 30 Zigaretten pro Tag und seitdem ca. 10 Zigaretten pro Tag. Unter Berücksichtigung der beruflichen und außerberuflichen Risikofaktoren für ein Harnblasenkarzinom sei festzustellen, dass die geringe berufliche Expostion nicht als wesentliche Teilursache für das Harnblasenkarzinom des Klägers angesehen werden könne. Die Widerspruchsstelle bei der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 23.07.2003). Mit seiner am 28.07.2003 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Beifügung von Laborjournalen trägt der Kläger vor, bisher sei vernachlässigt worden, dass er bei umfangreichen Vorarbeiten für Versuchsreihen ebenfalls Belastungen durch Amine ausgesetzt gewesen sei. Die Vorarbeiten hätten entweder im Lager (nur Abluft) auf dem Innenhof im Freien, auf einer Bühne im Betrieb oder aber auch im Labor stattgefunden. Die Einsatzware sei nicht auf Nebenverbindungen analysiert worden. Vor der Durchführung der dann zu protokollierenden Versuchen seien zuvor einige "Handversuche" gemacht worden. Die so ermittelten Ergebnisse hätten erst die Durchführung der protokollierten Versuche mit dem mit B-Naphthylamin kontominierten Produkt ermöglicht. Unberücksichtigt geblieben seien auch Kontaminations- und Expositionsmöglichkeiten mit anderen chemischen Stoffen, mit denen er 1977/1978 gearbeitet habe. Er habe mit mehr als 80 aromatischen Aminen in der Zeit von 1970 bis 1980 gearbeitet. Die bisherigen Gutachten beruhten auf fehlerhaften Feststellungen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2003 zu verurteilen, beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV festzustellen und nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf eine im Klageverfahren eingeholte ergänzende Stellungnahme von C3 und verweist im Übrigen auf weitere Ausführungen ihres Technischen Aufsichtsdienstes.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 25.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2003 ist rechtmäßig. Beim Kläger liegt keine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV vor. Zwar besteht die Möglichkeit, dass die Blasenkrebserkrankung des Klägers durch arbeitsplatzbedingte Einwirkungen aromatischer Amine mitverursacht worden ist. Die bloße Möglichkeit eines berufsbedingten Ursachenzusammenhangs reicht jedoch zur Feststellung einer Berufskrankheit nicht aus, da der berufliche Zusammenhang wahrscheinlich sein muss, d. h. es müssen mehr Umstände dafür als dagegen sprechen, dass die Erkrankung auf schädigende Einwirkungen am Arbeisplatz zurückzuführen ist. Ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang der Krebserkrankung mit arbeitsplatzbedingten Einwirkungen von aromatischen Aminen lässt sich jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit herstellen. Davon ist die Kammer aufgrund der plausibelen Ausführungen von I und C3 überzeugt. Danach ist es wahrscheinlich, dass die Krebserkrankung durch das Zigarettenrauchen des Klägers zumindest mitverursacht worden ist, offen bleibt jedoch, ob der beruflichen Exposition überhaupt ein Ursachenbeitrag zukommt. Eigenen Angaben zufolge raucht der Kläger seit seinem 16. Lebensjahr: In der Zeit bis zu seinem 30. Lebensjahr will er ca. 6 Zigaretten, in der Zeit bis zu seinem 60. Lebensjahr ca. 20 bis 30 Zigaretten pro Tag geraucht haben. Zigarettenrauch enthält eine Vielzahl von Substanzen, die krebserregend sind. Zu diesen Substanzen gehören auch aromatische Amine. I hat auf Untersuchungen hingewiesen, die ergeben haben, dass Zigarettenrauchen das Blasenkrebsrisiko durchschnittlich verdoppelt und eine solche Risikokonstellation auch beim Kläger angenommen werden kann. Damit ist es wahrscheinlich, dass die Blasenkrebserkrankung des Klägers durch sein Rauchverhalten zumindest wesentlich mitverursacht worden ist. Fraglich bleibt dagegen das Ursachengewicht der beruflichen Exposition gegen aromatische Amine. Dies ist nach Auffassung der Kammer auf der Grundlage der Feststellungen der medizinischen Gutachter sowie der Darlegungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten eher als gering einzustufen: Alle Versuche wurden im Technikum der Firma C2 im Abzug ausgeführt. Größere Apparaturen mussten in begehbaren Abzügen aufgebaut werden. Die Reaktionskontrolle und anschließende Demontage und Reinigung der Apparaturen erfolgte ebenfalls in den begehbaren Abzügen. Der Kläger war dabei zwar den Einwirkungen aromatischer Amine ausgesetzt. Jedoch muss die Expostion als gering eingestuft werden, da eine Expostion nur dann möglich war, wenn die Versuche im begehbaren Abzug durchgeführt wurden oder beim Reinigen der Geräte außerhalb der Abzüge erfolgte. Im Übrigen ist ein Überschreiten der Grenzwerte aufgrund von Messungen in vergleichbaren Einrichtungen als eher unwahrscheinlich anzusehen, zumal auch die lüftungstechnischen Einrichtungen überprüft wurden. Es ist deshalb einleuchtend, dass sich ein berufsbedingter ursächlicher Beitrag nicht wahrscheinlich machen lässt, während die außerberufliche Verursachung infolge des Zigarettenrauchens feststeht. Soweit der Kläger nach wie vor meint, die Blasenkrebserkrankung sei auf berufliche Einwirkungen von aromatischen Aminen zurückzuführen, hat sich damit die Richtigkeit seiner Behauptung trotz umfangreicher Sachaufklärung nicht beweisen lassen. Die Last des nicht erbrachten Beweises von anspruchsbegründenen Tatsachen hat aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der aus der behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist hier der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved