L 6 AL 303/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AL 890/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 AL 303/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist für die vom Kläger erhobene Amtshaftungsklage nicht eröffnet. Der Rechtsstreit wird insoweit an das Landgericht Berlin verwiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger, der seit dem 01. Januar 2005 Arbeitslosengeld II (monatliche Regelleistung 345,00 EUR und monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) 242,37 EUR bzw 306,42 EUR; ab dem 01. Juli 2006 monatliche Regelleistung 345,00 EUR und KdU 242,37 EUR, befristet bis zum 31. Oktober 2006) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhält, begehrt von der Beklagten die Weiterzahlung von Arbeitslosenhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus.

Er ist im März 1946 geboren und unterzeichnete am 11. Februar 2004 eine Erklärung nach § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III); hinsichtlich deren Einzelheiten wird auf Bl 6 der Gerichtsakte Bezug genommen. Mit Bescheid vom 01. Juni 2004 bewilligte ihm die Beklagte Arbeitslosenhilfe mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 180,46 EUR (gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt von 560 EUR; einfacher Leistungssatz und Leistungsgruppe A/0) bis zum 31. Dezember 2004. Der von ihm gegen die Befristung erhobene Widerspruch blieb ebenso erfolglos wie die anschließend erhobene Klage, die wegen Verfristung als unzulässig abgewiesen wurde (Widerspruchsbescheid vom 13. August 2004 und Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Berlin - S 22 AL 1350/05).

Den von ihm im August 2004 gegenüber der Beklagten erhobenen Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04. August 2005 ab. Die hiergegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG Berlin vom 28. November 2005). Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt: Der vom Kläger erhobene Anspruch finde im geltenden Recht keine Grundlage. Der Gesetzgeber habe mit Wirkung zum 01. Januar 2005 die Arbeitslosenhilfe als Sozialleistung abgeschafft. Es habe dafür eine völlig neuartige Leistung, dass Arbeitslosengeld II, gesetzlich geregelt. Bei beiden Leistungen handele es sich um steuerfinanzierte Leistungen, die nicht auf eigenen Beiträgen des Betroffenen beruhten. Bei derartigen Leistungen habe der Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einen weiten Gestaltungsspielraum zur Änderung und Abschaffung der Leistungen ohne den Schutz des durch Art 14 Grundgesetz (GG) gewährten Eigentumsrechts beachten zu müssen, weil es sich nicht um Eigentumspositionen handele. Diesen Gestaltungsspielraum habe der Gesetzgeber nicht verletzt. Ein Verletzung schutzwürdigen Vertrauens des Klägers auf den Fortbestand der ihm gewährten Arbeitslosenhilfe könne auch nicht angenommen werden, soweit er sich auf eine Vereinbarung mit der Beklagten berufe, dass ihm bei Abgabe der Erklärung nach § 428 SGB III Arbeitslosenhilfe bis zum Rentenbeginn weitergewährt werde. Eine solche Vereinbarung sei zu keinem Zeitpunkt geschlossen worden. Die über die Erklärung nach § 428 Abs 1 SGB III gewährte Vergünstigung gelte für Leistungsbezieher nach dem SGB II über § 65 SGB II weiter. Ebenso wenig habe eine entsprechende Zusicherung der Beklagten nach § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorgelegen; hierfür mangele es bereits an der Schriftform. Schließlich existiere auch – entgegen der Auffassung des Klägers - keine Garantieerklärung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Der Kläger beziehe sich insofern lediglich auf ein spätestens Ende 2003 überholtes Merkblatt, das Hinweise gebe, aber keinerlei verbindliche Erklärungen gegenüber dem Kläger enthalte.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 04. August 2005 als unbegründet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 16. März 2006).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31. Dezember 2004 hinaus Arbeitslosenhilfe zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen.

II.

Die mit dem Hauptantrag verfolgte zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Rechtsmittel kann daher durch Beschluss zurückgewiesen werden, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs 4 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Das SG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe über den 31. Dezember 2004 zusteht, da hierfür keine Anspruchsgrundlage ersichtlich ist. Richtigerweise hat die Beklagte diesen Anspruch mit (Zweit-)Bescheid vom 04. August 2005 (vgl BSG SozR 3-4700 § 128 Nr 10 und SozR 3-1300 § 41 Nr 7) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 abgelehnt, der den Bescheid vom 01. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 13. August 2004, soweit darin der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bis zum 31. Dezember 2004 befristet worden war, ohne ausdrückliche Aufhebung in der Sache ersetzt hat, so dass sich dieser Bescheid insoweit gemäß § 39 Abs 2 SGB X erledigt hat.

Ab dem 01. Januar 2005 kann Arbeitslosenhilfe nicht mehr gezahlt werden, weil die diese Leistungsart regelnden Vorschriften der §§ 190 bis 206 SGB III ab diesem Zeitpunkt aufgehoben sind (Art 3 Nr 1d und Nr 15 iVm Art 61 Abs 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (4. ModDienstlG); BGBl I 2954). Ab dem 01. Januar 2005 wird daher nach der Entscheidung des Gesetzgebers Arbeitslosenhilfe nicht mehr gewährt. Anstelle dessen haben Antragsteller die Möglichkeit, Leistungen nach dem SGB II (Art 1 4. ModDienstlG) oder nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 3022) zu beantragen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Vorgehen des Gesetzgebers bestehen nicht.

Er war insbesondere nicht daran gehindert, diese Leistungsart abzuschaffen und für die Sicherstellung des Lebensunterhalts ein anderes Regelungswerk einzuführen (zum Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe ab 01. Januar 2000 vgl BSG SozR 4-4300 § 434b Nr 1). Die Arbeitslosenhilfe ist - wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat - nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert und fällt daher nicht in den Schutzbereich des Art 14 GG und damit der Eigentumsgarantie (vgl BVerfG Beschluss vom 26. September 2005 – 1 BvR 1773/03 – zur Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Bemessung von Arbeitslosenhilfe).

Ein Anspruch auf Weiterzahlung von Arbeitslosenhilfe (in der dem Kläger) zuletzt gewährten Höhe ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Vertrauens- und Bestandsschutzes für Arbeitslosenhilfeempfänger, die eine Erklärung nach § 428 Abs 1 SGB III in der früheren Fas¬sung (im Folgenden ohne Zusatz) abgegeben haben ("so genannte 58er Regelung").

Nach dieser Vorschrift, die gemäß § 198 Satz 2 Nr 3 SGB III auch für die Arbeitslosenhilfe galt, haben Anspruch auf Arbeitslosengeld Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Nach § 428 Abs 2 SGB III soll die Beklagte dem Arbeitslosen, der nach Unterrichtung über die Regelung des Satzes 2 drei Monate Arbeitslosengeld nach Abs 1 bezogen hat und in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersrente voraussichtlich erfüllt, auffordern, innerhalb eines Monats Altersrente zu beantragen; dies gilt nicht für Altersrenten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können.

Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, kann der Kläger aus der von ihm am 11. Februar 2004 unterschriebenen Erklärung zu § 428 SGB III keinen Anspruch auf Fortzahlung von Leistungen in der bis zum 31. Dezember 2004 gewährten Höhe ableiten.

Weder ist mit der Unterzeichnung des betreffenden Formblattes ein Vertrag mit der Beklagten des Inhalts geschlossen worden, dass ihm bis zur Altersberentung die Arbeitslosenhilfe in unveränderter Höhe weitergewährt wird. Noch kann diesem Formblatt eine entsprechende Zusicherung der Behörde im Sinne des § 34 SGB X entnommen werden. Denn in dem Formblatt ist weder eine Aussage zur Höhe der Arbeitslosenunterstützung noch eine Erklärung dahingehend enthalten, dass auch bei einer Änderung der Rechtslage die bisherige Leistungshöhe beibehalten werde. Nach Wortlaut und Inhalt der Erklärung wird ein von Gesetzes wegen bestehender Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung vorausgesetzt und lediglich erläutert, dass mit der Inanspruchnahme der so genannten "58er Regelung" nach § 428 SGB III die sonst mit der Leistungsgewährung verbundenen Verpflichtungen des Arbeitslosen (uneingeschränkte Arbeitsbereitschaft, Beschäftigungssuche und Erreichbarkeit) weitestgehend entfallen. Diese Privilegierung (Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes trotz fehlender Arbeitsbereitschaft) bleibt dem Kläger auch nach Außer- Kraft- Treten der Regelungen über die Arbeitslosenhilfe zum 01. Januar 2005 erhalten, da der Gesetzgeber mit § 65 Abs 4 SGB II eine mit § 428 Abs 1 SGB III inhaltsgleiche Regelung für die Bezieher von Arbeitslosengeld II geschaffen hat.

Die Ersetzung der Arbeitslosenhilfe durch das Arbeitslosengeld II verstößt auch nicht gegen den aus Art 20 Abs 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) hergeleiteten Grundsatz des Vertrauens- und Bestandsschutzes (vgl BVerfGE 94, 241, 258). Denn wie bereits dargestellt hat der Gesetzgeber mit § 65 Abs 4 SGB II praktisch eine wortgleiche Regelung zum § 428 Abs 1 SGB III geschaffen, so dass der Kläger weiterhin von dieser Privilegierung profitiert. Zwar ist nicht zu verkennen, dass der von § 428 SGB III erfasste Personenkreis bei Abgabe der Erklärung darauf vertraut hat, er werde nunmehr Arbeitslosenhilfe bis zum Eintritt in die Altersrente erhalten, ohne ständig der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen zu müssen. Es kann jedoch im Hinblick auf die um Fortbestand und Ausgestaltung der Arbeitslosenhilfe seit Jahren öffentlich geführten politischen Diskussionen nicht von einem im Sinne des Art 20 Abs 3 GG geschützten Vertrauen ausgegangen werden. Die Arbeitslosenhilfe stand wegen ihres Charakters als Sozialhilfeleistung schon immer unter der Prämisse der jederzeitigen Änderbarkeit. Der Gesetzgeber hat für die Arbeitslosenhilfeempfänger, die eine Erklärung nach § 428 SGB III abgegeben hatten, ausreichende Übergangsregelungen durch § 65 Abs 4 SGB II und der Möglichkeit eines befristeten Zuschlags nach § 24 SGB II, welcher in vertretbarem Maße den vorherigen Arbeitslosengeldbezug und damit die Beitragszahlung an die Arbeitslosenversicherung berücksichtigt, geschaffen und damit den Anforderungen des angemessenen Bestands- und Vertrauensschutzes Genüge getan. Für einen darüber hinaus weitergehenden Schutz bestand kein Anlass. Insbesondere kann die Erwartung nicht schützenswert sein, dass die neue Leistung des Arbeitslosengelds II in gleicher Höhe wie zuvor die frühere Arbeitslosenhilfe erbracht wird. Denn der Gesetzgeber hätte, da es sich bei der Arbeitslosenhilfe wie beim Arbeitslosengeld II um eine steuerfinanzierte Sozialleistung handelt, die Leistung jederzeit - bis auf das Niveau der Sozialhilfe - absenken können (vgl Mayer in Oestreicher SGB XII/SGB II RdNrn 39 zu § 65 SGB II ). Im Übrigen würde es zu einer möglicherweise verfassungsrechtlich unzulässigen, da sachlich nicht zu rechtfertigenden (Art 3 Abs 1 GG) Privilegierung derjenigen älteren Arbeitslosen führen, die sich aus dem Arbeitsmarkt im Rahmen der "58er Regelung" zurückgezogen haben, wenn dieser Personengruppe ein Vertrauensschutz hinsichtlich Art und/oder Höhe der bis zum 31. Dezember 2004 bezogenen Entgeltersatzleistungen zugebilligt würde, nicht aber den über 58 jährigen Arbeitslosen, die in der Vermittlung verblieben sind; diese würden dann gleichsam für ihre Arbeitsbereitschaft "bestraft" (vgl Sozialgericht Chemnitz Gerichtsbescheid vom 12. Januar 2006 S 21 AS 491/05 in juris, Rechtsprechung der Länder mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).

III.

Über den erstmals während des Berufungsverfahrens für den Fall der Erfolglosigkeit des mit der Berufung verfolgten Hauptantrages gestellten Hilfsantrag auf Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs wegen Amtspflichtverletzung gegen die Beklagte (Art 34 Grundgesetz (GG) iVm § 839 Bürgerliches Gesetzbuch) kann der Senat nicht entscheiden, da für diesen Anspruch der Sozialrechtsweg (§ 51 SGG) nicht eröffnet ist. Vielmehr fällt die Entscheidung hierüber in die Zuständigkeit der Zivilgerichte (Art 34 Satz 3 GG, § 17 Abs 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG); vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 28). Für Amtshaftungsansprüche besteht unabhängig vom Streitwert eine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte (§ 71 Abs 2 Nr 2 GVG). Da der Kläger von dem ihm zustehenden Wahlrecht (§ 35 Zivilprozessordnung (ZPO), § 17a Abs 2 Satz 2 GVG) Gebrauch gemacht hat und eine Verweisung an das Landgericht (LG) Berlin beantragt hat, ist der Rechtsstreit dorthin - und nicht an das LG Nürnberg, dem allgemeinen Gerichtsstand für Amtshaftungsklagen gegen die Beklagte (§ 17 ZPO) - zu verweisen. Denn für Klagen aus unerlaubter Handlung - zu denen auch solche aus Amtshaftung zählen (LG Mainz NJW-RR 2000, 588) - ist (auch) das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist (§ 32 ZPO).

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist gemäß § 17a Abs 4 Satz 4 und 5 GVG nicht zuzulassen, da sich keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen und der Senat mit seiner Entscheidung nicht von höchstrichterlicher Rechtssprechung abweicht.
Rechtskraft
Aus
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