L 5 B 280/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 127/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 280/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Zur Problematik der Umdeutung eines Aufhebungsbescheides nach § 48 SGB X in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 24. März 2006 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2005 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Darstellung des Sachverhalts und auf die zutreffende rechtliche Würdigung im erstinstanzlichen Beschluss (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

In Würdigung des Beschwerdevorbringens bleibt lediglich ergänzend auszuführen:

Der Aufhebungsbescheid vom 8. Februar 2006 ist rechtswidrig. Die Antragsgegnerin stützt ihn auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 SGB III, weil sie zu der Auffassung gelangt ist, dass das für den im selben Haushalt lebenden volljährigen Sohn der Antragstellerin bezogene Kindergeld als deren Einkommen zu berücksichtigen ist. § 48 Abs. 1 SGB X kann insoweit aber nicht taugliche Rechtsgrundlage sein, was die Antragsgegnerin inzwischen selbst erkennt. Die Antragstellerin hatte schon im Jahre 2004 angegeben, dass Ihr Sohn in ihrem Haushalt lebe. Nach Erlass des Bewilligungsbescheides am 25. November 2005 trat in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen keine Änderung ein.

§ 45 SGB X darf auch zur Überzeugung des Senats nicht im Wege der Umdeutung als Rechtsgrundlage herangezogen werden.

Der Senat lässt dabei ausdrücklich offen, ob der Bewilligungsbescheid vom 25. November 2005 von Anfang an rechtswidrig war, weil das für den erwachsenen Sohn bezogene Kindergeld als Einkommen der Antragstellerin hätte angerechnet werden müssen. Die Regelungen in § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II und § 1 Nr. 8 Alg II-VO könnten allerdings dafür sprechen, dass die Antragsgegnerin nunmehr die richtige Rechtsauffassung verfolgt und im Falle von volljährigen im Haushalt lebenden Kindern das Kindergeld als Einkommen des Leistungsempfängers zu berücksichtigen ist.

§ 45 SGB X kommt jedenfalls deshalb nicht als Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid vom 8. Februar 2006 in Betracht, weil die Antragstellerin Vertrauensschutz genießt, § 45 Abs. 2 SGB X. Gründe nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, die den Vertrauensschutz von Gesetzes wegen ausschließen, sind nicht erkennbar: Weder hat die Antragstellerin den Bewilligungsbescheid vom 25. November 2005 durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt (Nr. 1), noch beruhte die Bewilligung auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben der Antragstellerin (Nr. 2). Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Antragstellerin die (unterstellte) Rechtswidrigkeit der Bewilligung kannte oder hätte kennen müssen (Nr. 3), denn die Rechtslage in Bezug auf die Anrechnung von Kindergeld ist schwierig und von einem Laien nicht von vornherein zu durchschauen. Im Übrigen kommt es im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin für die Frage der "Kenntnis" im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ausschließlich auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des zu korrigierenden Bescheides an. Andernfalls könnte die Verwaltung den gesetzlichen Vertrauensschutz durch nachträgliche Belehrungen z.B. im (hier sogar unterbliebenen) Anhörungsverfahren ausschalten (so ausdrücklich Bundessozialgericht, Urteil vom 4. Februar 1998, B 9 V 24/96 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Rdnr. 41 zu § 45 SGB X).

Liegt danach kein Fall von § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vor, durfte die Antragsgegnerin sich auch nicht über § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III für gebunden halten, die Leistungsbewilligung aufzuheben, sondern hätte eine Ermessensentscheidung treffen müssen. Auch deshalb ist es von vornherein ausgeschlossen, den Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 SGB III in eine Rücknahme gemäß § 45 SGB X umzudeuten (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 17. April 1986, 7 RAr 101/84, AuB 1986, 224-225).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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