L 2 KA 1/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 481/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 KA 1/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstat- ten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Zulassung der Klägerin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung über den 30.09.2004 hinaus ohne zeitliche Begrenzung fortbesteht.

Die am XX.XXXXXXXXX 1935 geborene Klägerin wurde mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte - Hamburg - vom 30. Juli 1984 als Ärztin für Allgemeinmedizin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und nahm ihre vertragsärztliche Tätigkeit am 4. September 1984 auf.

Mit Schreiben vom 27. November 2002 informierte der Zulassungsausschuss die Klägerin darüber, dass ihre Zulassung als Vertragsärztin nach Vollendung des 68. Lebensjahres im Dezember 2003 mit Ablauf des 31. Dezember 2003 ende (§ 95 Abs. 7 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -SGB V- in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung, vorher: Satz 2). Auf schriftlichen Antrag der Klägerin könne er die Zulassung bis längstens 30. September 2004 verlängern, weil sie erst im September 2004 insgesamt 20 Jahre als Vertragsärztin zugelassen sein werde (§ 95 Abs. 7 Satz 4 SGB V, vor dem 1. Januar 2004: Satz 3).

Nach einem entsprechenden Antrag der Klägerin stellte der Zulassungsausschuss mit Bescheid vom 12. März 2003 fest, dass deren Zulassung spätestens mit Ablauf des 30. September 2004 ende.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Altersgrenzenregelung als solche nicht rechtmäßig sei. Zum Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Vertragsärztin habe es eine solche Regelung noch nicht gegeben, und ihr sei auch nicht gesagt worden, dass es eine solche geben werde.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 16. Juli 2003, an die Klägerin abgesandt am 1. August 2003, unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen des § 95 Abs. 7 SGB V zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. August 2003 beim Sozialgericht Hamburg Klage erhoben und die Ansicht geäußert, dass die Regelung über die Altersgrenze für Vertragsärzte sowohl verfassungs- als auch europarechtswidrig sei.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 3. Januar 2006, der Klägerin zugestellt am 10. Januar 2006, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) zur Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenzenregelung abgewiesen. Auch Normen des Europäischen Gemeinschaftsrechts würden durch die Regelung nicht verletzt. Auf die Richtlinie des Rates 78/2000 vom 27. November 2000 (EGRL 78/2000), die auch ein Verbot der Diskriminierung wegen Alters enthalte, könne sich die Klägerin - selbst wenn die Altersgrenze für Vertragsärzte in deren Anwendungsbereich fallen sollte, was fraglich sei - nicht unmittelbar berufen, weil die Umsetzungsfrist erst am 2. Dezember 2006 ende.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Klägerin am 3. Februar 2006 eingelegte Berufung. Die Klägerin nimmt Bezug auf ihre Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren und beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Januar 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2003 aufzuheben und festzustellen, dass ihre Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung über den 30. September 2004 hinaus ohne zeitliche Begrenzung fortbesteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil die ordnungsgemäß geladenen Beigeladenen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Januar 2006 ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Zulassung der Klägerin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung endete mit Ablauf des 30. Septembers 2004.

Gemäß § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V endet ab 1. Januar 1999 die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung am Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Vertragsarzt sein 68. Lebensjahr vollendet. Dies war bei der Klägerin im Dezember 2003 der Fall. Da sie zu diesem Zeitpunkt weniger als 20 Jahre als Vertragsärztin tätig, jedoch bereits vor dem 1. Januar 1993 als solche zugelassen war, verlängerte der Zulassungsausschuss die Zulassung gemäß § 95 Abs. 7 Satz 4 SGB V bis zum Ende des Kalendervierteljahres, in dem die Klägerin 20 Jahre als Vertragsärztin tätig war, nämlich bis Ende September 2004. Eine weitere Verlängerungsmöglichkeit sieht § 95 Abs. 7 SGB V nicht vor. Dass die einfachgesetzliche Rechtslage so ist, ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

Entgegen der Auffassung der Klägerin begegnet diese Regelung weder verfassungsrechtlichen noch europarechtlichen Bedenken. Der Senat schließt sich insoweit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG an. Das BVerfG hat erstmals in seinem Beschluss vom 31. März 1998 (1 BvR 2167/93 und 1 BvR 2198/93, NJW 1998, 1776) überzeugend ausgeführt, dass § 95 Abs. 7 SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 nicht verfassungswidrig und insbesondere mit Art. 12 Abs. 1,14 Abs. 1 und 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Diese Rechtsprechung ist seither mehrfach durch das BVerfG selbst und auch das BSG bestätigt worden (vgl. Nachweise bei: LSG Hessen 15. März 2006 - L 4 KA 32/05, nv; zuletzt: BSG 27. April 2005 - B 6 KA 38/04 B, nv, mit nachfolgendem Beschluss über die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde hiergegen: BVerfG 22. November 2005 - 1 BvR 1957/05).

Selbst wenn man in der Altersgrenze für die vertragsärztliche Zulassung eine Beschränkung der Berufswahlfreiheit und nicht nur der Berufsausübungsfreiheit sehen sollte, ist diese subjektive Zulassungsbeschränkung zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, erforderlich, steht zu dem angestrebten Zweck nicht außer Verhältnis und enthält keine übermäßigen, unzumutbaren Belastungen.

Der Senat lässt offen, ob die angegriffene Regelung deshalb gerechtfertigt ist, weil sie - wie bei allen Altersgrenzen, die die Berufsausübung im höheren Alter einschränken - auch dazu dienen soll, die nach allgemeiner Lebenserfahrung auftretenden Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Berufstätigen ausgehen, einzudämmen (so ausdrücklich das BVerfG a.a.O.). Dabei gehe es um Gefahren, die von nicht mehr leistungsfähigen Vertragsärzten für die Gesundheit der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten ausgehen, die anders als privat versicherte Patienten aufgrund des Sachleistungsprinzips nur Anspruch auf Behandlung durch einen Vertragsarzt haben. Die Tätigkeit als Vertragsarzt stelle hohe Anforderungen an die volle körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, denn sie erfordere den vollen Einsatz für die Versicherten im Rahmen des Sicherstellungsauftrages der gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich der damit verbundenen Notdienste im Hinblick auf eine rasche und sichere Heilung der gesetzlichen Krankenversicherten und im Hinblick auf eine effektive und sparsame Verwendung der Krankenversicherungsbeiträge.

Die Regelung dient nämlich insbesondere auch der vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltenen Beschränkung der Vertragsarztzahlen, mit deren Ansteigen erfahrungsgemäß höhere Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden sind. Diese Beschränkung kann nicht nur zu Lasten der nachrückenden jüngeren Ärztegeneration erfolgen, sondern muss, um einer Überalterung der aktiven Ärzte entgegenzuwirken, mit einer Altersgrenze verbunden werden.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt. Die Folgen der Regelung werden dadurch abgemildert, dass die privatärztliche Tätigkeit ohne Altersgrenze möglich bleibt. Der Gesetzgeber ist im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums nicht darauf beschränkt, wie die Klägerin meint, jeweils im Einzelfall ab Vollendung des 68. Lebensjahres eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit zur Sicherstellung der vorgenannten Ziele vorzunehmen mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten wie z.B. der Schaffung eines neuen bürokratischen Apparats.

Eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil sich die Regelung über die Altersgrenze für Vertragsärzte auf die berufliche Betätigung und nicht auf deren Ergebnis bezieht. Die Möglichkeit des Verkaufs oder der Übertragung der Praxisräume einschließlich des Patientenstammes wird dadurch nicht berührt.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt schon deshalb nicht vor, weil für eine Ungleichbehandlung der Vertragsärzte im Vergleich zu privatärztlich Tätigen und auch zu anderen Berufsgruppen eine ausreichende Rechtfertigung aus den im Rahmen der Prüfung nach dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG genannten Gründen besteht. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Ärzten deutscher Staatsbürgerschaft im Vergleich zu Ärzten aus anderen Staaten der Europäischen Union bei ihrer Tätigkeit als Vertragsarzt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Auch europarechtliche Regelungen stehen der Anwendbarkeit der Bestimmung über die Altersgrenze für Vertragärzte nicht entgegen.

Zunächst liegt aus den gleichen wie den zuvor genannten Gründen kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsgrundrechte vor, gegen die § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V aber schon deshalb gar nicht verstoßen kann, weil diese Vorschrift nicht auf der Grundlage oder in Ausführung des europäischen Rechts festgesetzt worden ist und die gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts gelten (BSG a.a.O. m.w.N.).

Weiter kann offen bleiben, ob die vertragsärztliche Altersgrenze in den Anwendungsbereich der EGRL 78/2000 fällt und ob bejahendenfalls diese noch unbeachtlich ist, weil die Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt hat und die Umsetzungsfrist nach dem entsprechenden Verlängerungsantrag der Bundesrepublik Deutschland erst am 2. Dezember 2006 abläuft (in diesem Sinne: Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, NZS 2005, 393; BSG a.a.O.).

Denn selbst, wenn man aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 22. November 2005 (EugH 22.11.2005 - C-144/04, NJW 2005, 3695) der Auffassung sein sollte, dass das erkennende Gericht zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des allgemeinen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters jede der EGRL 78/2000 entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen muss, auch wenn die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, würde dies die Anwendbarkeit des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V nicht ausschließen, weil darin keine unzulässige Diskriminierung wegen Alters enthalten ist. Die EGRL 78/2000 enthält selbst insbesondere in Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Regelungen, nach denen eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann. Danach können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, dass im Zusammenhang mit den Diskriminierungsgründen des Art. 1 steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt bzw. sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Dabei haben die Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik (EuGH a.aO.). Danach jedoch verstößt die Regelung in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V aus den gleichen Gründen nicht gegen die EGRL 78/2000, aus denen der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem BVerfG und dem BSG eine Verfassungswidrigkeit der Regelung verneint (ebenso: LSG Hessen a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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