L 1 RA 69/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 RA 707/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 69/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend.

Sie ist am 1935 in M in Ungarn geboren und musste vom 26. September 1944 bis zur Befreiung am 18. Januar 1945 im Ghetto Budapest (VII. Bezirk) leben. Nach ihren Angaben arbeitete sie – damals neun Jahre alt – zusammen mit ihrer zwölfjährigen Schwester in der Zentralküche des Ghettos als Küchenhilfe. Außerdem hätten sie alten kranken Leuten das Mittagessen ausgeliefert und ferner geholfen, diese zu pflegen.

Sie beantragte am 13. Juli 2003 die Zahlung einer Rente auf der Grundlage von Arbeit in einem Ghetto. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 30. Juli 2003 ab. In ihrem Widerspruch vom 6. Oktober 2003 gab die Klägerin an, eine registrierte Arbeitsstelle gehabt zu haben. Die Zeit im Ghetto habe ihr ganzes Leben negativ beeinflusst. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30. Dezember 2003 zurück. Eine Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 ZRBG liege nicht vor. Voraussetzung für die Anerkennung einer Beschäftigung in einem Ghetto als rentenrechtliche Zeit sei, dass die Beschäftigung freiwillig zustande gekommen und gegen Entgelt ausgeübt worden sei. Es müssten tatsächlich Entgelt oder Sachbezüge im wesentlichen Umfang gewährt worden sein. Die Verpflegung mit Lebensmitteln am Arbeitsplatz alleine sei nicht ausreichend. Nach den Angaben der Klägerin könne von einer entgeltlichen Beschäftigung nicht ausgegangen werden, weil eine Entlohnung in Geld oder in anderer Form nicht geltend gemacht worden sei. Das ZRBG sei vom Gesetzgeber nicht als Entschädigungsleistung für das erfahrene Unrecht oder den Aufenthalt und die Arbeit in einem Ghetto an sich geschaffen worden. Die Aufgabe des Gesetzes sei es vielmehr, versicherungsrechtlich relevante Zeiten einer Beschäftigung für Ghettoüberlebende zahlbar zu machen, auch wenn diese nicht als Berechtigte nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannt seien.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage an das Sozialgericht Berlin (SG) gewandt. Mit Schreiben vom 20. Januar 2004 hat sie nochmals ausgeführt, für ihre Arbeit keine Bezahlung erhalten zu haben. Leider habe die Ghettozeit für ihr gesamtes Leben tiefe nervliche und seelische Spuren hinterlassen. Die Arbeit im Ghetto sei freiwillig erfolgt.

Mit Urteil vom 28. Juli 2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides bezogen und ergänzend darauf hingewiesen, dass dem Gericht das harte Schicksal der Ghetto-Bewohner bewusst sei. Durch die nationalsozialistische Verfolgung hätten diese Menschen Gewalt und Unrecht erlitten. Im vorliegenden Fall sei jedoch ausschließlich über die rentenrechtlichen Ansprüche der Klägerin gegen den Träger der Rentenversicherung zu entscheiden gewesen.

In ihrer Berufung hingegen weist die Klägerin darauf hin, nur eine geringe Rente von zur Zeit 34.903,00 Forint monatlich zu erhalten, welche durch die jüdische Glaubensgemeinschaft um 7.616,00 Forint ergänzt werde. Sie sei seit längerem arbeitsunfähig. Die gemeinsame Firma ihrer Mutter und Großmutter sei wegen ihrer jüdischen Abstammung entschädigungslos enteignet worden. Die Erlebnisse als Neunjährige seien für ihr ganzes Leben und ihre materiellen Verhältnisse bestimmend gewesen. Sie habe täglich lange Arbeiten verrichten müssen, die für ein neunjähriges Kind ungeeignet gewesen seien. Ihre Schwester, die einen gleichen Antrag wie sie gestellt habe, habe unlängst ein Formular erhalten, auf dem sie ihre Kosten habe ausweisen sollen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Vorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Dem schriftlichen Vorbringen der Klägerin lässt sich das zulässige Berufungsbegehren entnehmen,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichtes Berlin vom 28. Juli 2004 sowie des Bescheides vom 30. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2003 zu verurteilen, ihr Regel- Altersrente für die Zeit der Beschäftigung im Ghetto Budapest zu zahlen.

Ein Anspruch auf Zahlung einer Rente ist jedoch von der Beklagten zu Recht verneint worden.

Ein Rentenanspruch der Klägerin scheitert bereits daran, dass keine Beitragszeiten vorliegen, aus denen sich ein Zahlungsanspruch errechnen könnte. Beitragszeiten nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sind in erster Linie Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Zeiten nach § 16 FRG, welche als Beitragszeiten in der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt sind, scheiden aus. Hierfür ist eine Beschäftigung nach dem vollendeten siebzehnten Lebensjahr erforderlich. Die Klägerin war jedoch zum Zeitpunkt ihres Zwangsaufenthaltes im Ghetto erst neun Jahre alt. Auch Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI wegen Internierung oder Verschleppung oder Freiheitseinschränkung (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI i.V.m. § 43, 47 Bundesentschädigungsgesetz) scheitern am erforderlichen Mindestalter von vierzehn Jahre.

Die Klägerin kann sich schließlich auch nicht auf das ZRBG stützen. Der Anwendungsbereich des ZRBG gilt nach § 1 Abs. 1 ZRBG (nur) für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung zum einen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und zum anderen gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom deutschen Reich besetzt wurde oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeit nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherung erbracht wird.

Hier hat die Klägerin nach ihren eigenen Angaben Kinderarbeit verrichtet, für welche sie kein Arbeitsentgelt erhalten hat. Ob es sich um ein freiwilliges Arbeitsverhältnis gehandelt hat, kann bereits deshalb dahin stehen. Die Klägerin selbst hat wiederholt angegeben, sie habe arbeiten müssen. Gegen Freiwilligkeit spricht indiziell auch das Alter von nur neun Jahren. Ob sich der Sachverhalt für ihre Schwester anders darstellen könnte, ist für das Verfahren der Klägerin nicht entscheidend.

Das SG hat bereits darauf hingewiesen, dass vorliegend nur über die Klage gegen den Rentenversicherungsträger (also nicht gegen den deutschen Staat selbst) auf Ansprüche aus einem speziellen Gesetz, dem ZRBG, zu entscheiden war. Es geht also nicht um eine grundsätzliche Wiedergutmachung außerhalb der deutschen Sozialversicherung für das ihr zugefügte Leid und das erlittene Unrecht, an deren Folgen die Klägerin bis heute zu leiden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 od. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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