L 1 RA 88/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 RA 2154/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 88/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die 1933 geboren ist, begehrt der Sache nach eine höhere Rente.

Ihr wurde auf ihren Antrag hin mit Rentenbescheid vom 10. November 1993 Altersrente für Frauen ab dem 1. Januar 1994 gewährt. Die Beklagte lehnte es aber mit Bescheid vom 17. No¬vember 1994 ab, einen Renten-/Übergangszuschlag nach §§ 319 a, b Sozialgesetzbuch Sechs¬tes Buch (SGB VI) zu zahlen. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte mit Bescheid vom 9. März 1995 zurück. Die Klägerin hat am 30. März 2001 Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) erhoben, zunächst mit dem Antrag festzustellen, dass der Rentenwert Ost spätestens ab dem 1. Januar 1996 ver¬fassungswidrig sei. Die Leitung der Beklagten habe nichts unternommen, als Vertreterin der Ostrentner die Verfassungswidrigkeit zu bekämpfen. Sie sei daher zu verpflichten, ab dem 1. Januar 1996 Nachzahlungen zu leisten in Höhe der Differenzen zwischen dem aktuellen Ren¬tenwert und dem aktuellen Rentenwert Ost zuzüglich Zinsen. Die Beklagte hat die Klage auch als Widerspruch gegen die Rentenanpassungsmitteilung vom 1. Juli 2000 angesehen. Sie wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2003 zurück. Die Klägerin hat die Auffas¬sung vorgetragen, dem Rentenbescheid liege ein Verstoß gegen Art. 143 Grundgesetz (GG) zugrunde. Die Unterscheidung zwischen einem aktuellen Rentenwert und einem aktuellen Rentenwert Ost sei ebenfalls verfassungswidrig. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 21. Oktober 2004 hat sie beantragt,

die Rentenanpassungsmitteilung vom Juli 2000 in der Gestalt des Wider¬spruchsbescheides vom 04.03.2003 sowie die Rentenanpassungsmitteilungen vom Juli 2001, Juli 2002, Juli 2003 und Juli 2004 abzuändern und ihre Rente mit dem aktuellen Rentenwert neu zu berechnen.

Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die Klage abgewiesen. Der Klageantrag sei so auszule¬gen, dass die Klägerin eine Verpflichtung der Beklagten zur Neuberechnung ihrer Rente mit dem aktuellen Rentenwert begehre und sich im Übrigen gegen die Vorschriften der §§ 255 c und 255 e SGB VI wende, welche die Rentenanpassungen für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2000 regelten. Die Rentenanpassungsmitteilungen vom Juli 2001 bis Juli 2004 seien nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Ob die Klage auf Verpflichtung zur Neuberechnung der Rente mit dem aktuellen Rentenwert anstelle des aktuellen Rentenwertes Ost zulässig sei, könne dahinstehen. Die Klage sei jeden¬falls unbegründet. Die Beklagte habe zum einen bei der Anwendung des einschlägigen § 254 b Abs. 1 SGB VI keinen Fehler gemacht. Zum anderen bestünden gegen die Gütigkeit der Norm keine durch¬greifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber habe den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum bei der unterschiedlichen Behandlung verschiedener Gruppen von Normadressaten bei den Regelungen anlässlich der Herstellung der Rechtseinheit in der ge¬setzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet erworbenen An¬sprüche und Anwartschaften als Folge der Wiedervereinigung nicht verletzt (Bezugnahme auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG] BVerfGE 92, 53, 68 f; 95, 143, 157 ff; 96, 315, 325; 100, 1, 37). Die Überführung des DDR-Rentensystems in das gesamtdeutsche Rentensystem mit vorübergehend niedrigeren Zahlbeträ¬gen unter Wahrung des Bestandsschutzes sei mit Blick auf eine Begrenzung der finanziellen Ausgaben geeignet, erforderlich und für die Betroffenen auch zumutbar. Als verhältnismäßige Regelung sei sie erst recht nicht willkürlich. Die Regelung verstoße auch nicht gegen Artikel 14 GG. Verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz genössen Rentenansprüche und Rentenan¬wartschaften aus der ehemaligen DDR nur in der Form, die sie aufgrund der Regelung des Ei¬nigungsvertrages erhalten hätten. Nur insoweit sei der Schutzbereich berührt (Bezugnahme auf BVerfGE 91, 294, 397 f; 100, 1, 37). § 254 b SGB VI be¬achte die Vorgaben des Einigungsvertrages. Auch sei Artikel 143 GG nicht verletzt. § 254 b Abs. 1 SGB VI sei gerade verfassungsgemäß, stelle also keine Abweichung vom GG dar. Die Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2000 sei ebenfalls rechtmäßig. Die zugrunde lie¬gende Vorschrift des § 255 c SGB VI verstoße ebenfalls nicht gegen Verfassungsrecht. Ge¬schützt sein könnte nämlich nur der durch die Anpassung in Höhe der Inflationsrate gewähr¬leistete eigentumsgeschützte wirtschaftliche Wert des Rechtes auf Rente. Hinsichtlich der Rentenanpassungsmitteilungen ab Juli 2001 regele § 255 e SGB VI, wie sich der für die Rentenanpassung unter anderem maßgebende Faktor für die Veränderung des Bei¬tragssatzes zur Rentenversicherung bestimme. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick hierauf seien nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 30. Dezember 2004. Darin heißt es, die Begründung des SG enthalte obszöne Behauptungen über Misswirtschaft und Staatsbankrott der DDR. Sie wiederholt im Übrigen ihr erstinstanzliches Vorbringen der Verfassungswidrig¬keit der einschlägigen Normen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die die Klägerin betref¬fende Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat, sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlage und den weiteren Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht zu dieser Vorgehensweise zuletzt mit Verfügung vom 11. April 2006 hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klage ist zu Recht abgewiesen worden.

Soweit sich die Klägerin im Wege der Klagehäufung auch gegen die Feststellungen der Ren¬tenanpassungsmitteilungen vom Juli 2001, Juli 2002 und Juli 2003 wenden wollte, wäre diese Klage bereits unzulässig. Die Rentenanpassungsmitteilungen sind bereits bestandskräftig. Außerdem hat das nach § 78 SGG erforderliche Vorverfahren hinsicht¬lich der Rentenan-passungsmitteilungen ab Juli 2001 nicht stattgefunden. Eine Einbeziehung nach § 96 SGG wäre nicht möglich. Rentenanpassungsmitteilungen erset¬zen oder ändern nicht die vorangegangenen Bescheide. Sie treffen jeweils die wertmäßige Fortschreibung eines bereits zuerkannten Wertes des Rechtes auf Rente (vgl. Bundessozialge¬richt [BSG] SozR 3 – 2600 § 248 Nr. 8 Seite 47 mit weiteren Nachweisen) und bilden jeweils selbständige Streitgegenstände. Insoweit wird nicht über den Geldwert des Rechts auf Rente, sondern ausschließlich über den (jeweiligen) Grad der Anpassung entschieden.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Klägerin (nur) die aus ihrer Sicht verfassungswidrige Benachteiligung der Rentner des Beitrittsgebietes angreift und sich gegen die zugrunde liegen¬den gesetzlichen Vorschriften wendet. Die konkrete –nach ihrer Auffassung höhere- Rentenhöhe ist lediglich die automatische Folge hiervon. Auch das SG hat die Klage als gegen die zugrundeliegenden Normen gerichtet angesehen.

Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin keine Rente unter Zugrundelegung des aktuellen Rentenwertes anstelle des aktuellen Rentenwertes Ost zusteht. Der Senat macht sich die Begründung des angegriffenen Urteils vom 21. Oktober 2004 zu Eigen und sieht von einer eigenen weiteren Darstellung nach § 153 Abs. 2 SGG ab. Im Hinblick auf die Berufungsbegründung ist lediglich ergänzend auf den Beschluss des Bun¬desverfassungsgerichts vom 11. Mai 2005 – 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2300/98, 1 BvR 2144/00 – hinzuweisen (NJW 2005, 2213 ff). Darin hat das Verfassungsgericht erneut das gesetzliche System zur Überleitung von Renten aus dem Beitrittsgebiet in die gesamtdeutsche Rentenversicherung für verfassungsgemäß erachtet. Danach war der Gesetzgeber unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt gehalten, die strukturellen Vorteile der Sozialversiche¬rung der DDR zu erhalten und zugleich den Betroffenen die Vorteile des gesamtdeutschen Rentenversicherungssystems zugute kommen zu lassen.

Das SG hat auch zutreffend geurteilt, dass die Anpassung der Rente der Klägerin nur nach Maßgabe des aktuellen Rentenwerts Ost rechtmäßig ist. Der Senat folgt dem SG, dass keine verfassungsmäßigen Zweifel an den speziellen Sonderbewertungsvorschriften "Ost" der §§ 254 b, 254 c, 254 d, 255 a und 256 a SGB VI bestehen. Zwar ist auch das sogenannte "Alters- oder Rentnerlohnprinzip" ungleich ausgestaltet, also die Anpassung der Renten (exakter des aktuellen Rentenwertes nach § 68 SGB VI bzw. des aktu¬ellen Rentenwertes Ost nach § 254c SGB VI) an die aktuelle Lohn- und Gehaltsentwicklung der aktiv Beschäftigten. Der Gesetzgeber differenziert jedoch materiell danach, dass die Wirt¬schaft im Beitrittsgebiet deutlich weniger an Roherträgen erwirtschaftet als die im "alten Bun¬desgebiet", also auch entsprechend weniger zur Finanzierung der aktuellen Rentner beiträgt, sodass "Beitragstransfers" und "Steuertransfers" an die Rentner im Beitrittsgebiet notwendig sind. Diese gesetzliche Differenzierung ist gerechtfertigt (so zutreffend Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14.03.2006 – B 4 RA 41/04 R –). Maßgebend für die übergangsrechtliche Sonderbewertung ist bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet die Überlegung, dass der Geldwert von Renten im Beitrittsgebiet auch bei -bundesgesetzlich durch Aufwertung und Hochrechnung auf "West-Niveau"- gleichgestellten Vorleistungen dem im übrigen Bundesgebiet geltenden Geldwert erst dann entsprechen soll, wenn (auch) die Lohn- und Gehaltssituation im Beitrittsgebiet an die im übrigen Bundesgebiet angeglichen ist. Da¬durch wird zum einen eine Überlastung der Arbeitgeber und der aktiven Versicherten verhin¬dert und zum anderen gesichert, dass die Rentner "Ost" auch bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse an der Entwicklung der Löhne und Gehälter der aktiven Versicherten im Beitrittsgebiet nach dem Alterslohnprinzip teilhaben (so BSG, a. a. O. mit weiteren Nachweisen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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