L 9 KR 647/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 864/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 647/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2001 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 aufgehoben. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem die Beklagte die Gewährung einer ambulanten LDL-Apherese als extrakorporales Hämotherapieverfahren abgelehnt hat.

Die 1956 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet u. a. an einer Hyperlipoproteinämie (a) mit fortschreitender koronarer Herzkrankheit mit Haupstammsteno-se. Auf ihren unter dem 1. Juni 1999 gestellten Antrag, ihr zur Behandlung dieser Krankheit eine LDL-Apherese als extrakorporales Hämotherapieverfahren zu gewähren, bewilligte ihr die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 18. Juni 1999 die beantragte Maßnahme "auf Krankenversi-cherungskarte" und teilte überdies mit, dass diese Zusage solange gelte, wie ihr gegenüber ein Leistungsanspruch bestehe. Nach nochmaliger Überprüfung der Angelegenheit zog die Beklag-te die Kostenzusage vom 18. Juni 1999 dann jedoch mit ihrem Bescheid vom 22. Dezember 1999 wieder zurück und führte aus: Sie habe bei der Erteilung der Kostenzusage übersehen, dass sie den Antrag der Klägerin zunächst der bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV Berlin) eingerichteten Dialysekommission zur Beurteilung hätte vorlegen müssen, die erst jetzt mit dem Fall der Klägerin befasst worden sei. Sobald sich die Kommission abschließend geäußert haben werde, werde sie den Vorgang wieder aufgreifen und der Klägerin eine neue Entscheidung übermitteln.

Nachdem die Dialysekommission und im Anschluss hieran auch der von der Beklagten ergän-zend eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin e. V. (MDK) ausgeführt hatten, eine Indikationsstellung für die beantragte Behandlung liege im Fall der Klägerin nicht vor, lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Berufung auf die Ausführungen des MDK mit ihrem Bescheid vom 24. Januar 2000 ab.

Im Laufe des sich hieran anschließenden Widerspruchverfahrens hörte die Beklagte die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 27. September 2000 zu ihrer Absicht an, den Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1999 mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Nachdem sich die Klägerin gegen diese Absicht gewandt hatte, teilte ihr die Beklagte unter dem 21. November 2000 u. a. mit: Neue Gesichtspunkte hätten sich nicht ergeben. Die von der Kasse mit Datum vom 22. Dezember 1999 ausgesprochene Rücknahme des rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes vom 18. Juni 1999 habe somit Bestand.

Mit ihrem Bescheid vom 16. Januar 2001 hob die Beklagte sodann den Bescheid vom 18. Juni 1999 nach § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) "unter Berücksichtigung der gesetzlichen Maßgaben, der Ausführungen der KV Berlin sowie der vorliegenden Unterla-gen" mit Wirkung für die Zukunft (nochmals) auf, weil der Bewilligungsbescheid rechtswidrig sei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin ebenfalls Widerspruch ein, über den die Beklagte noch nicht entschieden hat.

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 24. Januar 2000 wies die Beklagte demgegenüber mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2001 zurück und führte zur Begründung aus: Die beantragte Behandlung könne nicht gewährt werden. Denn sie gehöre im Fall der Klägerin nicht zur vertragsärztlichen Versorgung.

Die daraufhin erhobene Klage, mit der die Klägerin beantragt hat, den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die ambulante Durchführung der LDL-Elimination als extrakorporales Hämotherapieverfahren zu übernehmen, hat das Sozialgericht mit seinem Urteil vom 15. Juni 2001 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe auf die beantragte Behandlung keinen Anspruch. Denn die Behandlung solle in ihrem Fall außerhalb der hierfür vorgesehenen Indikationen zur Anwendung kommen und werde deshalb nicht vom Spektrum der vertragsärztlichen Versor-gung umfasst. Darüber hinaus lasse sich auch ein Systemversagen nicht feststellen.

Gegen dieses ihr am 27. Juni 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. Juli 2001 bei Gericht eingegangene Berufung, mit der die Klägerin zunächst an ihrem erstinstanzlich gestellten Antrag festgehalten hat. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf Empfehlung des Senats ihre prozessuale Vorgehensweise geändert und nur noch beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2001 zu ändern und den Be-scheid der Beklagten vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Bescheid für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist in dem mit der Berufung nur noch angegriffenen Umfang unzutreffend.

Die Klage, mit der sich die Klägerin auf Empfehlung des Senats in der mündlichen Verhandlung darauf beschränkt hat, nur noch die Aufhebung des Bescheides vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 zu beantragen, ist zulässig. Denn richtige Klageart ist nach den Besonderheiten des Falles die isolierte Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Klägerin das von ihr bis heu-te unverändert weiterverfolgte Klageziel, zu Lasten der Beklagten eine ambulante LDL-Apherese als extrakorporales Hämotherapieverfahren in Anspruch nehmen zu können, durch bloße Aufhebung des diese Leistung ablehnenden Bescheides erreichen kann.

Ablehnungsbescheid im vorgenannten Sinne ist im vorliegenden Fall allein der Bescheid vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001, der sich – weil sich die Beklagte zum Zeitpunkt seines Erlasses ersichtlich nicht mehr an die frühere Leistungsbewilligung vom 18. Juni 1999 gebunden gefühlt hat – sowohl aus der Sicht der Beklag-ten als auch aus der insoweit maßgeblichen Sicht eines objektiven Bescheidempfängers in der bloßen Leistungsablehnung erschöpft. Dementsprechend sind nicht Gegenstand der Anfechtungsklage die von der Beklagten im Übrigen erlassenen Bescheide, die sich auf irgendeine Art und Weise mit der Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 18. Juni 1999 befassen. Denn sie überschneiden sich mit der Leistungsablehnung vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 lediglich in ihren faktischen Folgen, nicht jedoch in ihrem Regelungsgehalt. Hierbei handelt es sich um den – im Übrigen vor der Leistungsablehnung erlassenen – Bescheid vom 22. Dezember 1999, mit dem die Beklagte mit regelnder Wirkung "die voreilig und fälschlicherweise ausgestellte Kostenzusage vom 18. Juni 1999 zurückgezogen" hat, das Schreiben vom 21. November 2000, mit dem die Beklagte aus der Sicht eines objektiven Bescheidempfängers mit regelndem Charakter bestimmt hat, dass die mit Datum vom 22. Dezember 1999 ausgesprochene Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 18. Juni 1999 Bestand habe, sowie den Bescheid vom 16. Januar 2001, mit dem die Be-klagte im Sinne eines die vorgenannten Bescheide ersetzenden echten Zweitbescheides den Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1999 schließlich mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben hat. Dieser (Zweit-) Bescheid musste mithin nicht in den Klageantrag aufgenommen werden. Er ist vielmehr Gegenstand eines separaten Widerspruchverfahrens, das bei der Beklagten nach wie vor anhängig ist.

Entgegen der von der Klägerin ursprünglich vertretenen Auffassung war die gegen den Bescheid vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 gerichtete Anfechtungsklage nach den Besonderheiten des Falles nicht mit einer unechten Leis-tungsklage im Sinne des § 54 Abs. 4 SGG zu kombinieren. Denn wie noch zu zeigen sein wird, kann die Klägerin bei Aufhebung des vorgenannten Bescheides bereits aus dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1999 die mit der Klage erstrebte Behandlung beanspruchen. Die Beklagte hat zwar diesen Bewilligungsbescheid mittlerweile mit ihrem - die früheren Aufhe-bungsbescheide ersetzenden - Bescheid vom 16. Januar 2001 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Hiergegen hat die Klägerin jedoch Widerspruch eingelegt, der aufschiebende Wirkung mit der Folge entfaltet, dass die Bewilligung weiterhin Berücksichtigung finden muss.

Die Anfechtungsklage war darüber hinaus auch weder mit einer echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG noch mit einer Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 SGG zu verbinden, ohne dass zu klären gewesen wäre, welcher Klageart gegebenenfalls der Vorrang hätte eingeräumt werden müssen. Denn Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei Aufhebung des von der Anfechtungsklage allein erfassten Ablehnungsbescheides vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 den durch den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 16. Januar 2001 ausgelösten Anspruch aus dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1999 nicht erfüllen wird, sind nicht ersichtlich. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin weder der Titulierung des aus dem Bewilligungsbescheid folgenden Anspruchs noch der Feststellung bedarf, dass ihrem Widerspruch gegen die Aufhebung des Bewilligungsbescheides aufschiebende Wirkung zukommt.

Die zulässige Anfechtungsklage der Klägerin ist auch begründet. Denn der von ihr erfasste Ablehnungsbescheid vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hätte die beantragte Behandlung nicht ablehnen dürfen, weil die Klägerin diese Leistung aus dem zuvor erlassenen Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1999 aus prozessrechtlichen Gründen nach wie vor beanspruchen kann.

Mit dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1999 hat die Beklagte der Klägerin die beantragte ambulante LDL-Apherese als extrakorporales Hämotherapieverfahren "auf Krankenversicherungskarte" zuerkannt, und zwar so lange, wie ihr gegenüber ein Leistungsanspruch besteht. Dieser Bescheid lässt sich aus der Sicht eines objektiven Bescheidempfängers bei vernünftiger Betrachtung nicht anders verstehen, als dass die Beklagte der Klägerin auf die in Rede stehende Behandlung einen Sachleistungsanspruch eingeräumt hat, der in zeitlicher Hinsicht allein durch ein Ausscheiden der Klägerin aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten begrenzt worden ist. Wie bereits ausgeführt, hat die Beklagte diesen von ihr mittlerweile als rechtswidrig eingestuften Dauerverwaltungsakt zwar mit ihrem – die zuvor erlassenen Bescheide vom 22. De-zember 1999 und 21. November 2000 in jeder Hinsicht ersetzenden – Bescheid vom 16. Januar 2001 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben, d. h. für die Zeit ab Zugang des Bescheides vom 16. Januar 2001 zurückgenommen. Diese Rücknahme darf hier jedoch noch nicht vollzogen werden, weil die Klägerin gegen den Rücknahmebescheid am 20. Februar 2001 Wider-spruch eingelegt hat, über den die Beklagte noch nicht entschieden hat. Diesem Widerspruch kommt nach § 86 Abs. 2 SGG in der im vorstehenden Zusammenhang noch maßgeblichen Fassung bis zum 1. Januar 2002 aufschiebende Wirkung zu. Denn abgesehen davon, dass sich dieser Widerspruch als rechtzeitig erweist, weil über die Absendung des Bescheides vom 16. Januar 2001 kein Aktenvermerk existiert und der Bescheid der Klägerin nach den Angaben ihrer Prozessbevollmächtigten erst am 23. Januar 2001 zugegangen ist, hat die Beklagte der Klägerin eine ihr zuvor mit einem Dauerverwaltungsakt zuerkannte laufende Leistung (mit Wirkung für die Zukunft) entzogen. Dies bedeutet, dass während eines (zunächst) bis zur Entscheidung über den Widerspruch andauernden Schwebezustandes keine Folgerungen aus der Rücknahme gezogen werden dürfen, die Bewilligung mithin weiterhin zu beachten ist. Sie ist im Übrigen von der Beklagten mit dem Bescheid vom 16. Januar 2001 auch nicht in rechtmäßiger Weise zurückgenommen worden, weil die Beklagte das ihr insoweit nach § 45 Abs. 1 SGB X einge-räumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme vorliegen, muss hier nicht geprüft werden, erscheint jedoch vor allem mit Blick auf die jüngste – nach Verkündung des hiesigen Urteils veröffentlichte – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 –) äußert fraglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt hinsichtlich der Berufung dem Ergebnis in der Hauptsache. Hinsichtlich des Leistungsanspruches, auf dessen prozessuale Geltendmachung die Klägerin im Berufungsverfahren auf Empfehlung des Senates verzichtet hat, steht der Klägerin gegen die Beklagte ebenfalls ein Anspruch auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten zu, weil die Beklagte diese Kosten durch Missachtung der aufschiebenden Wirkung des von der Klägerin gegen den Bescheid vom 16. Januar 2001 eingelegten Widerspruchs verursacht hat.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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