L 27 B 42/05 R

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RJ 1055/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 B 42/05 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Januar 2005 wird aufgehoben.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussbeschwerde der Klägerin wird die Beklagte verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits vollen Umfangs zu erstatten.

Tatbestand:

I.

Umstritten ist die Kostentragungspflicht der Beklagten dem Grunde nach, nachdem das Verfahren anders als durch Urteil endete.

Die am 1956 geborene Klägerin beantragte am 20. Januar 2003 Rente wegen Erwerbsminderung. Zu ihrem beruflichen Werdegang gab sie an, sie habe von 1973 bis 1976 den Beruf einer Maschinenbauzeichnerin erlernt, die Prüfung hierfür bestanden. Sodann habe sie als Maschinenbauzeichnerin und Gütekontrolleurin bis 1983 in Beschäftigung gestanden. Von 1983 an bis zur Antragstellung sei sie als Bäcker/Verkäuferin beschäftigt gewesen im Betrieb ihres - wie sie später angegeben hat - Ehemannes Herrn D K. Sie gab ferner an, es habe bezüglich des Berufes Bäcker bzw. Verkäuferin ein Anlernverhältnis seit 1983 bestanden. Arbeitsunfähig sei sie seit 11. April 2001 mit epileptischen Anfällen, Rückenschmerzen und einer "krummen Wirbelsäule". In der Klinik für Neurochirurgie der Charité sei am 08. Juni 2001 ein periinsuläres Gliom links festgestellt worden.

In ihrer für Rentenzwecke erstellten Arbeitsplatzbeschreibung vom 05. Februar 2003 erklärte die Klägerin, sie sei zuletzt als Bäcker beschäftigt gewesen mit den Tätigkeiten "Backen, alle anfallenden Arbeiten in (der) Backstube". Als Bäckereigehilfin sei die Klägerin unter drei Stunden einsetzbar. Im Übrigen könne sie leichte Tätigkeiten zeitweise in allen Haltungsarten, in Tagesschicht, in Früh- und Spätschicht unter Befreiung von Nachtarbeit und ohne Heben und Tragen von Lasten und Überkopfarbeiten verrichten. Er empfahl eine orthopädische Zusatzbegutachtung.

Diese unterblieb zunächst. Die Beklagte erließ ablehnenden Bescheid vom 04. April 2003. Es läge weder ein Versicherungsfall der teilweisen Erwerbsminderung, noch ein solcher der Berufsunfähigkeit vor: Auf dem allgemeinen Arbeitsfeld seien der Klägerin noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich gesundheitlich und sozial zumutbar. Im Widerspruchsverfahren erstattete der Orthopäde Dr. M ein Gutachten vom 27. August 2003 nach Untersuchung vom 31. Juli 2003. Er diagnostizierte einen Morbus Bechterew sowie ein langsam wachsendes niedrig malignes Gliom. Die Klägerin könne nicht mehr als Mitarbeiterin in der Backstube tätig sein. Leichte Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltung überwiegend im Sitzen seien ihr jedoch vollschichtig zumutbar. Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, der Einfluss von erheblichen Temperaturschwankungen, von Feuchtigkeit müssten ausscheiden. Ein Heben und Tragen von Lasten sei nicht möglich. Den Begründungsausführungen des zurückweisenden Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2003 zufolge hat die Beklagte die Klägerin als "Bäckereigehilfin" angesehen. Im Sinne des so genannten Mehrstufenschemas zur Beurteilung der Verweisungsbreite im Rahmen der Beurteilung von Berufsunfähigkeit sei die Klägerin als "angelernte Arbeiterin im oberen Bereich" anzusehen. Sie könne demzufolge auf das allgemeine Arbeitsfeld - ohne einfachste Tätigkeiten - verwiesen werden, etwa auf die Beschäftigung als Pförtnerin im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich. Mit ihrer am 20. November 2003 beim Sozialgericht Potsdam eingehenden Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf "volle Erwerbsminderungsrente" weiterverfolgt. Ab 1991 sei sie in der Bäckerei (Backstube) mit dem Tätigkeitsbild eines Bäckers tätig gewesen. Zum 31. Dezember 2003 wurde sie krankheitsbedingt gekündigt. In dem Arbeitgeberbericht ihres Ehemannes vom 30. März 2004 hieß es u. a.: Die Klägerin habe von 1983 bis 1985 zunächst als Verkäuferin alle anfallenden Arbeiten verrichtet. Sodann habe sie von 1986 bis 1990 als mithelfende Ehefrau in der Backstube, wo sie sich alle Arbeiten nach und nach angeeignet habe, gearbeitet. Schwerpunkt sei das Anlernen als Bäcker gewesen. Von 1991 bis 2003 sei sie dann so perfekt gewesen, dass sie alle Arbeiten auch als Bäcker verrichten konnte, etwa Teige machen, Ofenarbeiten usw. Auf die Frage zu Textziffer 4.1 des Fragebogens dahin, ob alle Arbeiten in Ansehung der Anlernung dennoch vollwertig wie bei einem normalen Ausbildungsweg in diesem Beruf verrichtet worden seien, wurde mit "ja" geantwortet. Auf die Frage, ob die Klägerin den gleichen Lohn wie Beschäftigte mit abgeschlossener Ausbildung erhalten hätten, wurde ebenfalls mit "ja" zu Textziffer 4.2 geantwortet. Zur Frage Kategorie Nr. 5 "Bei Ausübung einer sonstigen (nicht anerkannten) Anlerntätigkeit zu Textziffer 5.3": "Wie lange müsste eine völlig ungelernte Kraft angelernt werden?" lautete die Antwort ca. ein Jahr. Die Antwort zu Textziffer 7.1 "In welcher Tarifgruppe ist (war) die Klägerin eingestuft? lautete die Antwort "Bäcker" und "Konditorin".

Das Gericht stellte weitere medizinische Vorermittlungen an. Diverse Befundberichte - auch über eine Behandlung der Klägerin in der Rheuma-Klinik B - gingen der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses nebst Arbeitgeberauskunft vom 30. März 2004 und den eigenen Verwaltungsakten am 04. Mai 2004 seitens des Gerichts zu. Mit Schriftsatz vom 07. Juni 2004, der am 11. Juni 2004 bei Gericht einging, anerkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin bezüglich Rente wegen voller Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Versicherungsfalles vom 26. Januar 2004 und verpflichtete sich zur Leistungserbringung für Zeiten seit 01. Februar 2004. Diese Beurteilung habe sich mit erstmaligem Nachweis einer Entzündung im linken Hüftgelenk am 26. Januar 2004 ergeben, zumal die Behandlungsmöglichkeiten der entzündlichen Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankung wegen des Hirntumors erheblich beschränkt seien, so die prüfärztliche Stellungnahme vom 21. Mai 2005. Mit am 19. Juli 2004 eingehendem Schriftsatz hat die Klägerin die Hauptsache für erledigt erklärt und um Kostenentscheidung gebeten. Die Beklagte hat eine Kostenübernahme dem Grunde nach abgelehnt. Sie habe keinen Anlass zur Klagerhebung gegeben.

Mit Beschluss vom 31. Januar 2005 hat das Sozialgericht der Beklagten aufgegeben, der Klägerin die Hälfte der ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen. Diese ist beiden Beteiligten am 22. Februar 2005 zugestellt worden.

Die Beklagte hat Beschwerde am 11. März 2005 eingelegt. Zunächst sei nicht ersichtlich, warum die Beklagte zur Klageerhebung Anlass gegeben haben solle. Das Gericht stelle hierzu fest, dass die Klägerin ohne Inanspruchnahme des Gerichts nicht zu ihrem Recht gekommen wäre. Damit unterstelle es jedoch der Beklagten, dass bei gleicher Sachlage bei erneuter Rentenantragstellung wiederum abschlägig entschieden worden wäre. Dies könne nicht hingenommen werden.

Weiterhin übersehe das Gericht, dass die Klägerin erst am 26. Januar 2004, damit also weit nach Erteilung der angefochtenen Bescheide zur Behandlung im Rheuma-Klinikum Berlin-Buch war und dort dann die zur Anerkennung der Erwerbsminderung führende Entzündung im linken Hüftgelenk festgestellt worden sei. Von diesem Aspekt habe die Beklagte somit nichts wissen können.

Am 22. März 2005 hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Die Voraussetzungen für den Rentenanspruch seien entgegen dem Vortrag der Beklagten von vornherein erfüllt gewesen.

Der Senat entnimmt aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin den Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 31. Januar 2005 aufzuheben und zu entscheiden, dass sie, die Beschwerdeführerin, außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten habe.

Der Senat entnimmt aus dem Vorbringen der Anschlussbeschwerdeführerin den Antrag,

den angefochtenen Beschluss vom 31. Januar 2005 aufzuheben und zu entscheiden, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin vollen Umfangs zu erstatten habe.

Beiden Beschwerden hat das Sozialgericht nicht abgeholfen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die genannten Unterlagen haben dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

II.

Die zulässige Beschwerde der Beschwerdeführerin ist unbegründet. Hingegen ist die ebenfalls zulässige Beschwerde der Anschlussbeschwerdeführerin begründet. Dementsprechend war zu tenorieren.

Ob und in welchem Umfange die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil - wie hier durch angenommenes Anerkenntnis - beendet wird (§ 193 Abs. 1 Satz 3 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht nach Ermessen des Gerichts ohne Rücksicht auf die Anträge der Beteiligten. Dabei muss das Gericht alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen, nicht also nur auf das Ergebnis des Rechtsstreits abstellen. Das Gericht kann den Anlass für die Klageerhebung berücksichtigen, zum Beispiel wenn die Behörde bei falscher Sachbehandlung, auch falscher oder fehlender Begründung des Verwaltungsaktes Anlass für unzulässige oder unbegründete Klage gegeben hat (vgl. die Darstellung bei Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 193 Rz. 12 ff. mit Hinweisen auf Rechtsprechungsergebnisse).

Bei Erledigung des Rechtsstreits durch u. a. - wie hier angenommenes Anerkenntnis - entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (Rechtsgedanke des § 91 a ZPO; vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., ebenda Rz. 13).

Vorliegend hatte die Beklagte im Verwaltungsverfahren aufzuklären und unter Einbezug der Mitwirkung der Klägerin zu beurteilen, ob dieser ein Anspruch u. a. auf Rente wegen Berufsunfähigkeit zustehen könnte. Diesbezüglich hatte die Klägerin in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung vom 05. Februar 2003 erklärt, sie sei zuletzt als "Bäcker" beschäftigt gewesen mit allen in der Backstube anfallenden Arbeiten. Diese Erklärung hätte Anlass sein müssen, bereits im Verwaltungsverfahren umfassend aufzuklären, ob und ggf. mit welchen rechtlichen Konsequenzen die Klägerin auf informellem Wege die Berufsqualifikation einer Bäckergesellin vergleichbar der einer gelernten Kraft wettbewerbsfähig erlangt hatte. Dies hatte Beklagte erkennbar unterlassen. Sie ist hingegen davon ausgegangen, die berufliche Anlernqualifikation der Klägerin sei (nur) auf der Stufe einer angelernten Arbeiterin im oberen Bereich einzuordnen. Sie könne deswegen auf das allgemeine Arbeitsfeld - ohne einfachste Tätigkeiten - verwiesen werden, etwa auf die Beschäftigung einer Pförtnerin im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich. Diese Beurteilung hat die Klägerin mit ihrer Klage, welche "auf voller Erwerbsminderungsrente" gerichtet war, zur Überprüfung gestellt. Sie hat ausdrücklich geltend gemacht, ab 1991 sei sie in der Bäckerei (Backstube) ihres Ehemannes mit dem Tätigkeitsbild eines Bäckers tätig gewesen.

Erst die Ermittlungen im gerichtlichen Verfahren haben aufgrund der Arbeitgeberauskunft des Ehemannes der Klägerin ergeben, dass für die Richtigkeit dieser Annahme mehr spricht als dagegen. Auch tariflich sei sie wie eine ausgebildete Kraft behandelt worden. Zu Irritationen könnte nur die Beantwortung der Frage zu Textziffer 5.3 führen. Hier hat der Arbeitgeber der Klägerin angegeben, dass eine völlig ungelernte Kraft ca. ein Jahr für die Anlernung benötige. Indes ist diese Frage an sich gar nicht zu beantworten gewesen, da sie nur bei Ausübung einer sonstigen - nicht anerkannten - Anlerntätigkeit im Ausgangspunkt zu beantworten gewesen wäre. Die Fragestellung ist daher für eine informelle Erlernung eines Berufes im Vollhandwerk des Bäckers im Ausgangspunkt nicht einschlägig.

In der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung hatte die Beklagte allen Anlass gehabt, den Berufsschutz der Klägerin weiter intensiv aufzuklären. Viel spricht dafür, dass sich die Verweisungsproblematik im Hinblick auf einen Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit anders als im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dargestellt hätte.

Die Beklagte hat deswegen kostenrechtlich die Klagerhebung veranlasst. Es war wie geschehen zu entscheiden.

Gegen diese Entscheidung sieht das Gesetz einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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