L 9 KR 158/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 1606/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 158/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für die Beschaffung des Medikaments Viagra.

Der im Jahre 1933 geborene Kläger leidet etwa seit dem Jahre 1988 an einer erektilen Dysfunktion, deren Ursache nicht genau geklärt ist. Am 18. Mai 1999, am 20. August 1999 und am 10. Februar 2000 verordnete der ihn behandelnde Arzt für Urologie Dr. V dem Kläger jeweils 4 Tabletten des Medikaments Viagra 100 mg. Der Kläger beschaffte sich diese Tabletten anhand der vorliegenden privatärztlichen Verordnung jeweils in der Apotheke selbst und zahlte für jede Medikamentenpackung 107,60 EUR.

Erst nachdem der Kläger sich die Medikamente selbst beschafft hatte, legte er die Verordnungen mit den darauf aufgedruckten Apothekenrechnungen der Beklagten mit dem Ziel der Kostenerstattung vor. Durch formlosen Bescheid vom 03. März 2000 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung mit der Begründung ab, es handele sich um keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2000 zurück: Nach dem Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 03. August 1998 dürften Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion und Mittel, die der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz dienten, nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Deshalb scheide auch eine Erstattung der Aufwendungen selbst beschaffter Arzneimittel durch die Krankenkasse aus, vorliegend auch deswegen, weil der Kläger zuvor keinen entsprechenden Antrag bei der Krankenkasse gestellt und dessen Bescheidung auch nicht abgewartet habe.

Während des anschließenden, bei dem Sozialgericht Berlin durchgeführten Klageverfahrens hat der Kläger ärztliche Verordnungen des behandelnden Urologen Dr. V vom 04. Juli 2000, vom 13. November 2000, vom 21. Mai 2001, vom 30. Oktober 2001 und vom 16. Mai 2002 erhalten, und zwar wiederum jeweils gerichtet auf die Verordnung von 4 Tabletten des Medikaments Viagra 100 mg. Alle diese Verordnungen hat der Kläger jeweils bei der Apotheke eingelöst und aus eigenen Mitteln bezahlt, wobei er für die Verordnungen vom 04. Juli 2000, vom 13. November 2000, vom 21. Mai 2001 und vom 30. Oktober 2001 jeweils 107,60 EUR und für die Verordnung vom 16. Mai 2002 55,01 EUR verauslagte; die Beklagte war vor Einlösung der Verordnungen bei der Apotheke nicht von diesen Verordnungen informiert.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht Berlin schriftliche Auskünfte des behandelnden Urologen Dr. V eingeholt, in denen der Arzt jeweils vor allem erläutert hat, dass die Ursache der erektilen Dysfunktion des Klägers nicht feststellbar sei, jedoch sich durch die Einnahme des Medikaments Viagra ein nach Angaben des Klägers normales Sexualleben erreichen lasse.

Durch Urteil vom 21. Oktober 2002 hat das Sozialgericht Berlin, das die Klage auf die Geltendmachung der Erstattung sämtlicher angefallener Arzneimittelkosten und auf die Feststellung einer zukünftigen Leistungspflicht der Beklagten gerichtet ansah, abgelehnt: Ein Erstattungsanspruch wegen der Kosten der mit Rezepten vom 18. Mai 1999, 20. August 1999 und vom 10. Februar 2000 beschafften Medikamente scheitere schon daran, dass sich der Kläger nicht zuvor an die Beklagte gewandt habe und es also an der Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der Kostenentstehung fehle. Im Übrigen stehe dem erhobenen Kostenanspruch entgegen, dass der Kläger keinen Sachleistungsanspruch auf die in Rede stehende Leistung besessen habe, weil der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu Recht einen Anspruch auf Versorgung mit Viagra ausgeschlossen habe.

Gegen dieses ihm am 05. November 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07. November 2002 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er meint, die Beklagte sei zur Kostenerstattung verpflichtet, weil der durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen vorgenommene Leistungsauschluss nicht rechtmäßig erfolgt sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die in der Zeit vom 18. Mai 1999 bis zum 31. Dezember 2003 entstandenen Kosten für die Beschaffung des Medikaments Viagra zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, den Kläger betreffend, Bezug genommen, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Soweit der Kläger die Kostenerstattung für die aufgrund Verordnungen vom 04. Juli 2000, vom 13. November 2000, vom 21. Mai 2001, vom 30. Oktober 2001 und vom 16. Mai 2002 sowie ggf. aufgrund späterer Verordnungen bis zum 31. Dezember 2003 beschafften Medikamente begehrt, ist die Klage bereits unzulässig. Denn das nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche Verwaltungsverfahren vor Durchführung einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage hat die Beklagte hinsichtlich dieser vorgenannten Medikamentenverordnungen nicht durchgeführt. Die Beklagte hat sich in den hier angefochtenen Bescheiden darauf beschränkt, über die Kostenerstattung für die drei eingereichten Verordnungen vom 18. Mai 1999, vom 20. August 1999 und vom 10. Februar 2000 zu entscheiden. Weder hat sich die Beklagte in den Bescheiden noch sonst inhaltlich zu den späteren Verordnungen geäußert, noch hat sie auf anderem Wege über eine Kostenerstattung von anderen Kosten als den drei zuerst eingereichten Verordnungen entschieden.

Soweit der Kläger die Erstattung von Kosten begehrt, die ihm in Folge der Selbstbeschaffung des Medikaments Viagra entstanden sind, nachdem es ihm am 18. Mai 1999, am 20. August 1999 und am 10. Februar 2000 ärztlich verordnet worden war, ist die Klage zwar zulässig, denn es wurde insbesondere ein Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren durchgeführt, sie ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen des hier allein als Rechtsgrundlage eines Erstattungsanspruchs in Betracht kommenden Vorschrift des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift entsteht ein Kostenerstattungsanspruch dann, wenn eine Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

Jedoch hat die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Eine solche Ablehnung zu Unrecht wäre dann erfolgt, wenn die Krankenkasse aufgrund eines Sachleistungsanspruches des Versicherten verpflichtet gewesen wäre, den Versicherten mit dem hier streitbefangenen Medikament im Sachleistungswege zu versorgen. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Durch Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss, im folgenden nur noch als Bundesausschuss bezeichnet) vom 03. August 1998 (Bundesanzeiger Nr. 182 vom 29. September 1998, Seite 14491) wurde Nr. 17.1 Buchstabe f der Arzneimittelrichtlinien (AMRL) geändert und nunmehr angeordnet, dass nicht verordnet werden dürfen: "Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion und Mittel die der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz dienen". Durch diese Neufassung sollte unterschiedslos jegliche Behandlung einer erektilen Dysfunktion mit Arzneimitteln und vor allem die Verordnungsfähigkeit des damals kurz vor der Zulassung stehenden Arzneimittels Viagra ausgeschlossen werden, weil die erektile Dysfunktion als solche nicht grundsätzlich bereits als Krankheit im Sinne des Leistungsrechts des SGB V anzusehen sei (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2005, B 1 KR 28/04 R).

Zwar hat das Bundessozialgericht in dem vorgenannten Urteil auch entschieden, dass der Bundesausschuss mit der Regelung in Nr. 17.1 Buchstabe f AMRL seinen ihm im Bereich des Wirtschaftlichkeitsgebotes zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat, doch heißt dies nicht für den vorliegenden Fall, dass dem Kläger tatsächlich ein Anspruch auf die Versorgung mit dem Medikament Viagra zugestanden hat. Denn nach der vorgenannten Entscheidung des Bundessozialgerichts würde dies dann gegolten haben, wenn der Kläger unter einer tatsächlich festgestellten Krankheit – im Falle des Bundessozialgerichts beruhte die erektile Dysfunktion auf einer multiplen Sklerose – gelitten hat. Ob der Kläger an einer solchen Krankheit tatsächlich gelitten hat oder leidet, ist indessen vorliegend nicht festgestellt worden und nach Auskunft seines behandelnden Arztes sowie nach allen sonst zur Verfügung stehenden medizinischen Erkenntnisquellen nicht zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund steht nicht fest, dass dem Kläger jedenfalls bis zum 31. Dezember 2003 ein Sachleistungsanspruch auf die Versorgung mit dem Medikament Viagra zugestanden hat.

Darüber hinaus fehlt es an einer weiteren Voraussetzung für die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V. Denn dem Kläger sind nicht dadurch Kosten entstanden, dass die Beklagte die Leistung abgelehnt hat. Damit gibt es im vorliegenden Falle keine Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der Kostenentstehung, denn der Kläger hat sich die in den ärztlichen Verschreibungen vom 18. Mai 1999, vom 20. August 1999 und vom 10. Februar 2000 verordneten Medikamente selbst beschafft, bevor er einen Antrag bei der Beklagten gestellt und deren Bescheidung abgewartet hatte. Die spätere Ablehnungsentscheidung der Beklagten war nicht ursächlich für die zeitlich bereits früher entstandenen Kosten für die Selbstbeschaffung des Medikaments.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved