L 12 RA 45/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 RA 6659/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 RA 45/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2003 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung einer Hinterbliebenenrente, vorab streitig ist jedoch die Zulässigkeit der Berufung.

Die 1933 geborene Klägerin ist die Witwe des 1929 geborenen und 2001 verstorbenen H K(Versicherter). Der Versicherte, der Rentenversicherungszeiten ausschließlich in Polen zurückgelegt hatte, war im September 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hier bis zu seinem Tode mit Wohnsitz gemeldet. Die Anerkennung seiner Vertriebeneneigenschaft war abgelehnt worden. Die Beklagte hatte ihm mit Bescheid vom 9. Mai 2000 Regelaltersrente ab 1. Dezember 1994 gewährt. "Bei einem Besuch" in Polen war er verstorben.

Den Witwenrentenantrag der Klägerin, die nach eigenen Angaben im Dezember 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, jedoch im März 1998 nach Polen zurückgekehrt war, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 2001 ab, Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2001, Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2003). Unter Zugrundelegung des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 8. Dezember 1990 könne die in Polen lebende Klägerin eine Rente nicht erhalten, weil der Versicherte keine Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt habe. Das deutsch-polnische Abkommen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 finde auf die Klägerin keine Anwendung, weil sie nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnsitz wieder in Polen genommen habe.

Gegen das ihr am 14. Januar 2004 per Einschreiben zugestellte Urteil des Sozialgerichts richtet sich die in einem Schreiben mit Datum vom 8. April 2004, das am 19. April 2004 beim Sozialgericht eingegangen ist, eingelegte Berufung der Klägerin. Der Briefumschlag trägt den Poststempel vom 14. April 2004. Die Klägerin meint, ihr stünde eine Rente zu, weil sie bereits im Jahre 1989 in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sei und hier acht Jahre gelebt habe. Deshalb müsse das Gesetz von 1975 so wie für ihren Mann auch für sie gelten.

Auf den Hinweis des Senats, dass die Berufungsfrist versäumt worden sei, hat die Klägerin erklärt, sie habe die Berufung "in der richtigen Frist geschrieben". Der Brief sei jedoch "nicht rechtzeitig vom Briefkasten genommen" worden. Sie beantragt, wie ihrem schriftlichen Vorbringen zu entnehmen ist,

ihr wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2003 und den Bescheid vom 30. Juli 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Witwenrente nach dem 1929 geborenen Versicherten H K zu gewähren.

Die – seit dem 1. Oktober 2005 unter dem Namen "Deutsche Rentenversicherung Bund" fort- geführte (§ 1 Satz 1 des als Art. 82 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9. Dez. 2004 (BGBl. I S. 3242) verkündeten Gesetzes zur Errich- tung der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Knapp- schaft-Bahn-See) – Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Diese sei nicht fristgerecht erhoben. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, da ein fehlendes Verschulden der Klägerin an der Fristversäumnis nicht dargelegt und schon gar nicht glaubhaft gemacht sei. Soweit sie sich darauf berufe, der Berufungsschriftsatz sei nicht rechtzeitig dem Briefkasten entnommen worden, bleibe unklar, ob damit der Postbriefkasten in T oder der Gerichtsbriefkasten gemeint sei. Der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post bzw. des Einwurfs in den Briefkasten bleibe unerwähnt.

Die Klägerin hat sich dazu trotz Aufforderung nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Prozessakte des Sozialgerichts Berlin – – sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten – – haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. II

Die Berufung der Klägerin, über die anstelle des nicht mehr bestehenden Landessozialgerichts Berlin das in Übereinstimmung mit § 28 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – durch den Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 errichtete Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu entscheiden hat, auf das das Verfahren gemäß Art. 28 des Staatsvertrages am 1. Juli 2005 in dem Stand, in dem es sich an diesem Tage befunden hat, übergegangen ist, ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig erhoben worden ist.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichtes einzulegen. Ist das angefochtene Urteil im Ausland zugestellt worden, beträgt die Berufungsfrist gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG drei Monate (allgemeine Meinung, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 151 Rdnr. 6). Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Da das Urteil am 14. Januar 2004 zugestellt worden ist, hat die Berufungsfrist am 15. Januar 2004 begonnen und am 14. April 2004 geendet (vgl. § 64 Abs. 1, 2 SGG). Die Berufung ist jedoch erst am 19. April 2004 und damit verspätet beim Landessozialgericht eingegangen.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, durch die die Klägerin so gestellt werden würde, als hätte sie die Berufungsfrist nicht versäumt, kann ihr nicht gewährt werden. Voraussetzung dafür wäre nämlich, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Verschulden im prozessrechtlichen Sinne ist das Außerachtlassen der von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt (Bundessozialgericht, Entscheidungssammlung Band 1, Seite 227, 232). Das Urteil enthält eine zutreffende und vollständige Rechtsmittelbelehrung, aus der sich ergibt, wie, wo und innerhalb welcher Frist die Berufung einzulegen war (insbesondere dass sie innerhalb der Frist bei einem der genannten Gerichte eingehen musste und nicht lediglich anzufertigen oder zur Post zu geben war). Die Klägerin hätte demgemäß bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt die Berufung so rechtzeitig zur Post geben müssen, dass diese bei normalem Postlauf noch innerhalb der Frist beim Landessozialgericht hätte eingehen können. Unter anderem auch wegen der längeren Postlaufzeiten wird bei Bekanntgabe im Ausland eine längere (dreimonatige statt einmonatige) Berufungsfrist eingeräumt.

Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Klägerin berechtigt hätte davon ausgehen dürfen, der Brief mit der Berufungsschrift werde bei normalem Postlauf bereits am 14. April 2004 das Landessozialgericht erreichen. Er trägt den Poststempel vom 14. April 2004. Zu diesem Zeitpunkt hätte er jedoch – fristwahrend – bereits beim Landessozialgericht eingegangen sein müssen. Dass die Klägerin ihn gleichwohl vorher so rechtzeitig "zur Post gegeben" hätte, dass er bei "normalem Postlauf" zu diesem Zeitpunkt das Landessozialgericht schon erreicht hätte, hat sie weder dargetan noch glaubhaft gemacht. Insbesondere ist weder erläutert, wann der Brief in den Briefkasten eingeworfen worden ist, noch dass die Klägerin gegebenenfalls mit einer früheren Leerung hätte rechnen dürfen, zumal in dem Zeitraum zwischen Datierung der Berufungsschrift (8. April 2004) und Fristablauf die Osterfeiertage lagen.

Ist die Berufung demgemäß nicht fristgemäß eingelegt worden und konnte der Klägerin wegen des Außerachtlassens der im prozessualen Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, war ihre Berufung ohne sachliche Überprüfung des Klageanspruchs gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Diese Entscheidung konnte durch Beschluss ergehen (§ 158 Satz 2 SGG). Von dieser Möglichkeit hat der Senat Gebrauch gemacht, insbesondere da eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich erscheint.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Die Nichtzulassung der Revision kann jedoch, so als wenn der Senat durch Urteil entschieden hätte, gemäß der anhängenden Rechtsmittelbelehrung mit der Beschwerde angefochten werden (§ 158 Satz 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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