L 13 SB 91/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 46 SB 2795/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 91/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 2003 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50.

Die 1953 geborene Klägerin beantragte im August 1998 bei dem Beklagten die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen verschiedener Funktionseinschränkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, des rechten Knies, des rechten Armes sowie Herzrythmus-Störungen und Schilddrüsenüberfunktion. Der Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. T und des Orthopäden Dr. Tein. Auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Sozialmedizin Dr. S erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 1999 als Behinderung Funktionsminderung der Wirbelsäule mit Nervenstörungen, Gelenkverschleiß, Fußfehlform mit einem GdB von 30 an. Im anschließenden Widerspruchsverfahren reichte die Klägerin u.a. einen MRT-Befund vom 10. Juni 1999 ein, dem ein Bandscheiben-Massenvorfall L5/S1 mit sehr wahrscheinlicher Alteration der Nervenwurzel S 1 links zu entnehmen war.

Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1999 gab der Beklagte dem Widerspruch dahingehend statt, dass ein GdB von 40 wegen "Funktionsminderung der Wirbelsäule mit Nervenstörungen bei lumbalem Bandscheibenvorfall, Gelenkverschleiß, Fußfehlform" vorliege.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin Befundberichte von Dr. T, Dr. T, der Ärztin für Frauenheilkunde Dr. Vund des Facharztes für Neurochirurgie Dr. S eingeholt. Auf der Grundlage dieser Befunde hat der Beklagte als weitere Funktionseinschränkung eine Blasenschwäche nach Gebärmutterentfernung anerkannt, die er verwaltungsintern mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet hat. Eine Erhöhung des GdB ergebe sich hieraus nicht. Da die Klägerin eine weitere Verschlimmerung geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht weitere Befundberichte von Dr. T und Dr. T eingeholt, die den Beklagten zu einer Begutachtung durch den Orthopäden Dr. Vveranlasst haben. Dr. Vhat bei seiner Untersuchung vom 12. November 2002 mittelgradige bis allenfalls stärkere funktionelle Einschränkungen in zwei Wirbelsäulen-Abschnitten ohne neurologische Ausfälle festgestellt, die einen GdB von 40 bedingten. Ein Verschleißleiden beider Kniegelenke und der Daumensattelgelenke sei jeweils geringgradig und mit einem GdB von 10 zu bewerten.

Nach Beiziehung der Akten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S hat das Sozialgericht durch Urteil vom 7. April 2003 die Klage abgewiesen. Eine Bewertung der bei der Klägerin vorliegenden Wirbelsäulenschäden mit einem GdB von 40 entspreche den Vorgaben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (Anhaltspunkte)1996. Ein Einzel-GdB von 50 scheide aus, weil nach sämtlichen gutachterlichen Beobachtungen nicht alle drei Wirbelsäulenabschnitte in schwerem Maß betroffen seien. Im Bereich der Kniegelenke sei die Vergabe eines Einzel-GdB von 10 allenfalls aufgrund des festgestellten patello-femoralen Verschiebeschmerzes beiderseits sowie unter Berücksichtigung der Fußfehlform gerechtfertigt. Das Gleiche gelte für den mit einem GdB von 10 bewerteten Daumensattelgelenksverschleiß, der allenfalls unter Berücksichtigung der von den Gutachtern im Rentenverfahren bestätigten Epicondylitis humero ulnaris beidseits begründbar sei.

Gegen das ihr am 23. Juni 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. Juli 2003 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, dass die Blasenschwäche, das Schilddrüsenleiden, der Bluthochdruck und die durch die Veränderungen der Wirbelsäule bewirkten Schmerzzustände nicht berücksichtigt worden seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 2003 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 18. März 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1999 sowie den Bescheid vom 4. Juli 2001 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, sie als schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Befundberichte von Dr. T und von dem Orthopäden Dr. Teingeholt, denen der Beklagte in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27. Februar 2004 keine aussagekräftigen Angaben entnehmen konnte. Des Weiteren sind ein MRT der Lendenwirbelsäule vom 16. Juli 2004 und Arztbriefe der Kardiologin Dr. H zur Akte genommen worden.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. S vom 18. Oktober 2005 eingeholt, der eine eingeschränkte Gehfähigkeit bei pseudoradikulärem Lumbalsyndrom bei degenerativer Spinalkanalstenose L4/L5 und multisegmentaler Osteochondrose der Lendenwirbelsäule und bei beginnender medial betonter Gonarthrose rechts sowie eine eingeschränkte Belastbarkeit der Arme bei pseudoradikulärem Halswirbelsäulensyndrom, Osteochondrose C5/C6, Epicondylitis und mäßiger Rhizarthrose beidseits festgestellt hat. Eine endgradige Bewegungseinschränkung der Fingergelenke, der Verdacht auf ein Carpaltunnelsyndrom beidseits und eine Adipositas per magna seien mit einem GdB 0 zu bewerten. Der Gesamt-GdB betrage nach wie vor 40.

Dagegen hat die Klägerin eingewandt, der Neurologe Dr. M habe am 31. Oktober 2005 ein Carpaltunnelsyndrom festgestellt.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines höheren GdB als 40 ab Antragstellung.

Nach §§ 2 Abs.1, 69 Abs.1 Sätze 3,4 des ab 1. Juli 2001 geltenden Sozialgesetzbuchs, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Gesundheitsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz und der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte in der Fassung des Jahres 2004 ( deren Vorgänger die Anhaltspunkte 1996 waren) zu bewerten, die als antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Qualität gelten.

Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gesamtausmaß der bei der Klägerin bestehenden Behinderungen keinen höheren als den von dem Beklagten mit den angefochtenen Bescheiden jeweils zuerkannten GdB bedingt.

Hinsichtlich der Funktionseinschränkungen und ihrer Bewertung folgt der Senat der zutreffenden Begründung des angefochtenen Urteils, in dem umfassend und unter eingehender Bezugnahme auf die Anhaltspunkte 1996 die Bewertung des GdB vorgenommen worden ist. Die im Berufungsverfahren eingeholten Befundberichte sowie das auf Antrag der Klägerin eingeholte Gutachten haben keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Sozialgericht die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, soweit sie als Funktionseinschränkungen zu objektivieren sind, unzutreffend bewertet hat.

Da sich durch die nunmehr zu berücksichtigenden Anhaltspunkte 2004 in der Bewertung der Funktionseinschränkungen durch Wirbelsäulenschäden (Nr. 26.18, S. 116) keine Änderung ergeben hat, sieht der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt, soweit sie eine fehlerhafte Bewertung ihrer Leiden geltend macht, keine andere Beurteilung. Allein aufgrund einer Verschlechterung der Röntgenbefunde kann kein höherer GdB festgestellt werden, da die insoweit festgestellte Verschlechterung nicht mit einer Zunahme der Funktionseinbußen verbunden war.

Auch die Diagnose des Carpaltunnelsyndroms führt zu keiner Änderung. Dem Untersuchungsbefund von Dr. M zufolge liegt kein Engpasssyndrom, aber ein grenzwertiges Carpaltunnelsyndrom vor. Dass sich hieraus weitergehende Funktionseinschränkungen als die durch die Daumengrundgelenksarthrose ergäben, konnte der Senat nicht feststellen. Denn die Befunderhebung erfolgte lediglich zwei Monate nach der Untersuchung durch Dr. S, der weder eine Daumenballenatrophie noch Sensibilitätsstörungen an Hohlhand und Fingern I bis III mitgeteilt hat.

Auch das geltend gemachte Bluthochdruckleiden und das Schilddrüsenleiden führen zu keiner anderen Bewertung. Dr. T hat in ihrem Befundbericht vom 26. Januar 2004 unveränderte Befunde mitgeteilt, so dass auf die im Rentenverfahren erhobenen Befunde durch Dr. B in seinem Gutachten vom 8. Mai 2002 abgestellt werden kann, der lediglich einen Bluthochdruck ohne dadurch bedingte Leistungseinschränkungen festgestellt hatte. Ein Bluthochdruck, der mit keinen oder geringen Leistungsbeeinträchtigungen verbunden ist, bedingt aber nach Nr. 26.9, S. 75 der Anhaltspunkte 2004 einen GdB von 0 bis 10. Die Untersuchung des Halses durch Dr. S hat darüber hinaus keinen pathologischen Befund ergeben.

Die Bildung eines Gesamt-GdB von 40, wie er in den angefochtenen Bescheiden vorgenommen worden ist, entspricht der Vorschrift des § 69 Abs.3 SGB IX. Danach ist dann, wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.

Die Vorschrift stellt klar, dass der Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren medizinischen Fachbereichen vorliegen, nicht durch bloße Zusammenrechnung der - für jede Funktionsbeeinträchtigung oder Behinderung nach den Tabellen in den Anhaltspunkten festzustellenden oder festgestellten - Einzel-GdB zu bilden ist, sondern durch eine Gesamtbeurteilung. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft größer wird. Dabei führen grundsätzlich leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtauswirkung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Anhaltspunkte 2004, Nr. 19 S. 24 bis 26 und BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 9). Der Beklagte ist bei der Bildung des Gesamt-GdB nach diesen Grundsätzen verfahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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