L 15 B 44/03 R KO

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 1600/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 B 44/03 R KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Die Frage der Bewilligung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit gestattet grundsätzlich ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben. Entgegen der Auffassung des LSG Thüringen bedingt dies jedoch nicht die Festsetzung der Höchstgebühr im Regelfall. Nach der sogenannten Kompensationstheorie kann zwar ein einziger Umstand im Sinne des § 12 BRAGO ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen; eine Automatik besteht diesbezüglich aber nicht. Die Schwierigkeit in Berücksichtigung der Auslandsberührung rechtfertigt zwar eine Abweichen von der Mittelgebühr nach oben. Andererseits ist die anwaltliche Tätigkeit ( Fünfseitige Klagebegründung und nur noch drei weitere kurze Schriftsätze) nicht als überdurchschnittlich zu qualifizieren. Zu Lasten ist auch zu berücksichtigen, dass der zeitliche Umfang von einer dreiviertel Stunde inklusive Wartezeit anlässlich der Wahrnehmung des Termins eher gering gewesen ist. Der Ermessensspielraum endet im Allgemeinen spätestens dort, wo die vom Gericht für angemessen erachtete Gebühr um 20 v.H. zuzüglich einer über die 20%-Grenze hinausgehende Aufrundung auf volle 10,00 DM überschritten wird. Insgesamt daher nur die Mittelgebühr von 700 DM angemessen. Bei Anwaltssozietäten oder einer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ist nur ein namentlich zu benennender Anwalt beizuordnen. Durch die Beiordnung eines bestimmten Anwalts ist klargestellt, dass dieser zwar durch einen der Gesellschaft angehörenden anderen Kollegen, der die gesetzlichen Voraussetzungen für das Auftreten vor dem angerufenen Gericht erfüllt, vertreten lassen kann, jedoch nur zu den Bedingungen des konkret beigeordneten Rechtsanwalts. Entsprechendes gilt auch für den wie hier vorliegenden Fall, in dem die Rechtsanwältin nach Aufnahme in die Sozietät de facto die Sachbearbeitung übernommen hat.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 13.12.2002 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 25.11.2002 - S 11 RJ 1600/97 A - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In dem am Sozialgericht Landshut anhängig gewesenen Rentenstreitverfahren ist dem Kläger mit Beschluss vom 21.05.1999 Prozesskostenhilfe (PKH) ab dem 14.01.1998 bewilligt und der Beschwerdeführer Rechtsanwalt F. beigeordnet worden.

Der Beschwerdeführer hat mit Vergütungsantrag vom 09.06.1999 die Prozessgebühr in Höhe von 950,00 DM geltend gemacht, ebenso den Pauschsatz von 40,00 DM zuzüglich Schreibauslagen von 48,00 DM.

Die Kostenbeamtin des Sozialgerichts Landshut hat mit Kostenfestsetzung vom 25.06.1999 die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 788,00 DM festgesezt. Hierbei ist die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts gemäß § 116 Abs.1 Ziffer 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) auf 700,00 DM festgesetzt worden. Im Übrigen ist die Auslagenpauschale gemäß § 26 BRAGO sowie die Schreibauslagen gemäß § 27 BRAGO mit 40,00 DM bzw. 48,00 DM antragsgemäß festgesetzt worden.

Das Sozialgericht Landshut hat die Erinnerung mit Beschluss vom 25.11.2002 zurückgewiesen. Gegenstand der Erinnerung sei allein die Frage, ob eine Gebühr von 700,00 DM oder von 950,00 DM für das Klageverfahren als Gebühr nach § 116 BRAGO anzusetzen sei. Die Vertretungsgebühr gemäß § 116 Abs.1 BRAGO betrage hier 700,00 DM, weil insbesondere zu berücksichtigen sei, dass bei dem Kläger ausgesprochen schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorgelegen hätten. Im Übrigen werde auf die Kostenfestsetzung vom 25.06.1999 Bezug genommen: Die Kostenrechnung des Rechtsanwalts sei gemäß §§ 12, 116 BRAGO unbillig. Die Klagebegründung vom 29.06.1998 lasse ein besonderes Mühewalten des Prozessbevollmächtigten erkennen. Die rechtliche und tatsächliche Sachaufklärung mit abschließender 20-minütiger Verhandlung möge für den Prozessbevollmächtigten des Klägers tatsächlich schwieriger gewesen sein als eine medizinische Sachaufklärung mit Hilfe von geeigneten Sachverständigen, eine andere Entscheidung habe jedoch aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht ergehen können.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 13.12.2002 ging am selben Tag im Sozialgericht Landshut ein. Zur Begründung hob der Beschwerdeführer hervor, dass im Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Landshut eine ausdrückliche Feststellung darüber fehle, welche Bedeutung der Rechtsstreit für den Kläger hatte, welchen Umfang die anwaltliche Tätigkeit hatte und welche rechtliche Schwierigkeit der Rechtsstreit aufwies. Inwieweit das mit dem Beschluss festgestellte besondere Mühewalten des Prozessbevollmächtigten eine Feststellung darüber träfe, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei überdurchschnittlich gewesen und die rechtlichen Schwierigkeiten seien überdurchschnittlicher Art, bleibe unklar. Aus der weiteren Begründung ergäbe sich indirekt, dass der Kostenbeamte erkannt habe, der Rechtsstreit habe überdurchschnittliche rechtliche Schwierigkeiten aufgewiesen. - In Streit habe die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gestanden, die aufgrund von 163 Monaten deutscher Versicherungszeiten voraussichtlich den Betrag der vom Kläger bezogenen bosnischen Invalidenpension um ein Vielfaches überstiegen hätte und deshalb geeignet gewesen wäre, dessen überwiegendes laufendes Einkommen darzustellen. Die Bedeutung der Angelegenheit sei für den Kläger weit überdurchschnittlicher Art gewesen (§ 12 BRAGO). Es werde auch geltend gemacht, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit überdurchschnittlicher Art gewesen sei (fünfseitige Klagebegründung samt weiterer Schriftsätze vom 18.08.1998, 11.12.1998 und 21.01.1999). - Ferner werde geltend gemacht, dass die besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage einen erhöhten Erklärungsbedarf des Klägerbevollmächtigten gegenüber dem Kläger erforderlich gemacht habe.

Der Beschwerdegegner rügte mit Schriftsatz vom 03.03.2003, die Staatskasse habe zunächst noch Zweifel, ob die beschwerdeführende Rechtsanwältin S. überhaupt nach derzeitiger Aktenlage zu einer Beschwerdeeinlegung bzw. Betreibung des Beschwerdeverfahrens legitimiert sei. Beigeordnet worden sei nämlich nur Rechtsanwalt F ... Demzufolge habe auch nur dieser einen eigenen Anspruch auf Vergütung gegen die Staatskasse nach §§ 121 ff. BRAGO. Die von Rechtsanwalt F. im Klageverfahren erteilte Untervollmacht an Rechtsanwältin S. sei für das vorliegende Vergütungsverfahren ohne Belang. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die geltend gemachte Verzinsung hier gemäß § 128 BRAGO nicht möglich sei.

Der Beschwerdeführer erklärte mit Nachricht vom 13.03.2003 ausdrücklich, dass Rechtsanwältin S. von ihm bevollmächtigt gewesen sei, Beschwerde einzulegen und das Beschwerdeverfahren zu betreiben. Die Bevollmächtigung sei nicht widerrufen worden und gelte weiterhin.

Der Beschwerdegegener führte mit Schreiben vom 23.06.2003 ergänzend aus, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben sei hier nicht gerechtfertigt.

Im Folgenden hielten die Beteiligten mit wechselseitigen Schriftsätzen vom 21.07.2003, 12.09.2003 und 10.10.2003 an ihren jeweiligen Auffassungen fest.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 02.01.2003 beantragt: 1. Der Kostenbeschluss des Sozialgerichts Landshut vom 25.11.2002 wird aufgehoben. 2. Der Erinnerung der Klägerbevollmächtigten vom 15.07.1999 wird stattgegeben und die für anwaltliche Vertretung entstandenen Kosten mit insgesamt 1.038,00 DM, entsprechend 530,72 EUR, nebst gesetzlichen Zinsen seit Erlass des Kostenfestsetzungsbescheides erstattet.

Der Beschwerdegegner hat mit Schreiben vom 23.06.2003 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Von Seiten des Kostensenats sind die Akten des Sozialgerichts Landshut beigezogen worden.

II.

Die Beschwerde vom 13.12.2002 ist gemäß § 128 Abs.4 BRAGO zulässig, weil der Beschwerdegegenstand 50,00 EUR übersteigt.

Die Beschwerde erweist sich jedoch als unbegründet (§§ 12, 116 BRAGO). Die Frage der Bewilligung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ist für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen und gestattet grundsätzlich ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben. Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts Thüringen mit Beschluss vom 14.03.2001 - L G B 3/01 SF bedingt dies jedoch nicht die Festsetzung der Höchstgebühr im Regelfall. Nach der sogenannten Kompensationstheorie kann zwar ein einziger Umstand im Sinne des § 12 BRAGO ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen; eine Automatik besteht diesbezüglich aber nicht. Vielmehr bestimmen sich die Rahmengebühren nach § 12 Abs.1 Satz 1 BRAGO im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände wie auch der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, des Umfangs sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.

Hier gebietet auch die Schwierigkeit in Berücksichtigung der Auslandsberührung ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben.

Andererseits ist die anwaltschaftliche Tätigkeit nicht als überdurchschnittlich zu qualifizieren. In Ergänzung zu der fünfseitigen Klagebegründung vom 29.06.1998 sind nur noch kurze Schriftsätze am 18.08.1998, 11.12.1998 und 21.01.1999 eingereicht worden.

Zu Lasten des Beschwerdeführers ist auch zu berücksichtigen, dass der zeitliche Umfang anläßlich der Wahrnehmung des Termines vom 14.04.1999 eher gering gewesen ist: Inklusive Wartezeit ab 9.45 Uhr bis zum Ende der Verhandlung um 10.30 Uhr ist eine dreiviertel Stunde angefallen.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sind aktenkundig beengt. Dies hat eine Ermäßigung der Gebühren zur Folge (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Rz.14 zu § 12 BRAGO).

Insgesamt ist daher festzustellen, dass sich die Gesichtspunkte für ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben und nach unten in etwa die Waage halten, so dass auch in diesem Sozialrechtsfall die Mittelgebühr in Höhe von 700,00 DM gemäß §§ 12, 116 Abs.1 BRAGO angemessen ist.

Weiterhin zutreffend hat die Kostenbeamtin des Sozialgerichts Landshut mit Festsetzung vom 25.0.1999 darauf hingewiesen, dass nur dann die Erstattungsforderung herabgesetzt werden kann, wenn die von dem beigeordneten Rechtsanwalt festgesetzte Gebühr unbillig ist. Der Ermessensspielraum endet im Allgemeinen spätestens dort, wo die vom Gericht für angemessen erachtete Gebühr um 20 v.H. zuzüglich einer über die 20 %-Grenze hinausgehende Aufrundung auf volle 10,00 DM überschritten wird. Die mögliche Ausschöpfung dieses Rahmens (840,00 DM) ist hier mit der geltend gemachten Vertretungsgebühr von 950,00 DM deutlich überschritten worden.

Soweit die Beteiligten die Frage problematisiert haben, ob Rechtsanwalt F. oder Rechtsanwältin S. hat tätig werden dürfen, ist vorab darauf hinzuweisen, dass ausweislich der geänderten Briefköpfe vom 09.01.1998 und 29.06.1998 der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 21.05.1999 zu einem Zeitpunkt erging, als dem Gericht die zwischenzeitliche Aufnahme von Rechtsanwältin S. in die Rechtsanwaltskanzlei F. und Koll. noch nicht bekannt gewesen ist. Es hätte daher nahe gelegen, anstelle von Rechtsanwalt F. nunmehr Rechtsanwältin S. gemäß § 121 Zivilprozessordnung (ZPO) beizuordnen. Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts hat die Partei, wenn der Staatskasse dadurch keine höheren Ausgaben entstehen (Reichold in Thomas/Putzo, Rz.3 zu § 121 ZPO).

Nachdem dies hier nicht geschehen ist, verbleibt es bei dem Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 21.05.1999: Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt F ... Dieser ist jedoch berechtigt gewesen, sich durch Rechtsanwältin S. vertreten zu lassen. Das Oberlandesgericht Celle hat mit Beschluss vom 02.05.2003 - 7 U 11/03 grundlegend ausgeführt: Entgegen der von dem Kläger vertretenen Auffassung ist bei Anwaltssozietäten oder, wie im vorliegenden Fall, einer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nur ein namentlich zu benennender Anwalt beizuordnen und zwar entweder der von der Partei gewählte oder mangels Benennung derjenige, der die Partei schriftsätzlich vertritt (Zöller-Philippi, ZPO, 23. Auflage, § 121 Rdnr.2) ... Trotz der Neuregelung der §§ 59 c ff. BRAO hat der Gesetzgeber die Regelungen nach §§ 78 und 121 ZPO, denen zur Folge nur ein bei dem Gericht zugelassener Rechtsanwalt die Vertretung der Partei übernehmen kann, nicht geändert, so dass daran festzuhalten ist, dass nur ein namensgleich genannter Rechtsanwalt als natürliche Person beigeordnet werden kann. Hierfür spricht auch, dass durch die Beiordnung eines individualisierten Anwaltes vermieden wird, dass bei einer überörtlich tätigen Gesellschaft zusätzliche Kosten dadurch entstehen könnten, dass ein Anwalt für die Gesellschaft tätig wird, in dessen Person zwar die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen vorliegen, der aber einer entfernten Niederlassung angehört. Durch die Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwaltes hingegen ist klargestellt, dass dieser zwar durch einen der Gesellschaft angehörenden anderen Kollegen, der die gesetzlichen Voraussetzungen für das Auftreten vor dem angerufenen Gericht erfüllt, vertreten werden kann, jedoch nur zu den Bedingungen des konkret beigeordneten Rechtsanwaltes.

Entsprechendes gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem Rechtsanwältin S. nach Aufnahme in die Sozietät de facto die Sachbearbeitung übernommen hat.

Nach alledem ist die Beschwerde vom 02.01.2003 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 25.11.2002 - S 11 RJ 1600/97 A zurückzuweisen gewesen.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§ 177, 193 SGG).
Rechtskraft
Aus
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