Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 744/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 116/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
II. Der Klägerin sind ihre außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren von der Beklagten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Aufhebung einer Ar- beitslosengeldbewilligung für den Zeitraum vom 01.06.2002 bis 13.06.2004 sowie die Rückforderung von 10.075,60 EUR.
Die 1952 geborene, schwerbehinderte Klägerin stammt aus Vietnam und hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie war vom 29.05.1978 bis 31.03.2002 als Montagekraft bei der Fa. S. und vom 01.04.2002 bis 31.05.2002 als Produktionshilfskraft/Montagekraft bei der Auffanggesellschaft M. in T. beschäftigt.
Zum 01.06.2002 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg).
Mit Bescheid vom 10.07.2002 bewilligte die Beklagte Alg in Höhe von 268,61 Euro wöchentlich nach einem Bemessungsentgelt von 895 Euro wöchentlich und einem Leistungsentgelt von 469,33 Euro wöchentlich. Der Bewilligungsbescheid enthält ferner eine Rubrik "Prozentsatz", in die die Zahl 60 eingetragen ist.
Am 10.02.2003 meldete sich die Klägerin nach einem Krankengeldbezug vom 24.01.2003 bis 07.02.2003 erneut arbeitslos. Sie bezog daraufhin ab 08.02.2003 erneut Alg (Bescheid vom 24.02. 2003). Am 28.11.2003 erfolgte eine erneute Arbeitslosmeldung nach einem Auslandsaufenthalt vom 01.10. bis 27.11.2003. Die Klägerin bezog daraufhin erneut Alg ab 28.11.2003 aufgrund eines Bewilligungsbescheides vom 02.12.2003. Das in den genannten Bescheiden zugrunde gelegte Bemessungsentgelt entsprach dem des Bewilligungsbescheides vom 10.07.2002.
Ab 14.06.2004 bezog die Klägerin Arbeitslosenhilfe nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 399,19 EUR. Im Rahmen des entsprechenden Bewilligungsverfahrens bemerkte die Beklagte, dass der Leistungsgewährung ein Bemessungsentgelt zugrunde lag, bei dem die DM-Betragszahl als Euro-Betragszahl ausgewiesen war.
Die Beklagte hörte die Klägerin gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu einer beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligung der gewährten Leistungen für den Zeitraum ab 01.06.2002 an. Die Klägerin habe in der Zeit vom 01.06.2002 bis 13.06.2004 aufgrund eines Bearbeitungsfehlers ein wöchentliches Alg in Höhe von 281,61 EUR erhalten. Nach den Bestimmungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) hätten ihr aber nur Leistungen in Höhe von 174,37 EUR wöchentlich zugestanden. Insgesamt sei ein Betrag in Höhe von 10.075,60 EUR zu Unrecht gezahlt worden.
Mit Schreiben vom 06.07.2004 nahm die Klägerin zu der beabsich- tigten Aufhebung Stellung. Sie habe den Umstand, dass es zu einer Überzahlung gekommen sei, nicht zu vertreten. Des Weiteren habe sie im Jahre 2002 zum ersten Mal Alg erhalten. Es sei somit für sie in keinster Weise leicht zu erkennen gewesen, dass ein Bearbeitungsfehler in den Berechnungsdaten vorgelegen habe.
Mit Bescheid vom 13.07.2004 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.06.2002 bis 12.01.2003, vom 08.02.2003 bis 30.09.2003, und vom 28.11.2003 bis 13.06.2004 teilweise zurück und forderte eine Erstattung von 10.075,60 Euro. Es liege ein Berechnungsfehler zugrunde. Die Klägerin habe die Überzahlung nicht verursacht. Dennoch habe sie aufgrund der Höhe der bewilligten Leistungen mit einfachsten und ganz naheliegenden Überlegungen erkennen können, dass ihr Alg in dieser Höhe nicht zustehe. Denn die der Klägerin bewilligte Leistung könne nicht höher sein als das versicherungspflichtige Entgelt, das sie vorher erzielt habe.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und wiederholte ihr Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass sie vietnamesischer Abstammung sei und aufgrund ihrer erlittenen Kriegsverletzungen im Vietnamkrieg nicht in der Lage gewesen sei, ohne weiteres zu erkennen, dass ein Bearbeitungsfehler bei den Berechnungsdaten des Arbeitsamtes vorgelegen habe. Darüber hinaus sei festzustellen, dass sie Alg in etwa der Höhe des zuletzt erzielten Nettoentgeltes bekommen habe. Der Umstand, dass ihr lediglich 60 % des zuletzt erzielten Nettoentgelts laut Bemessungsgrundlage zustehen, sei ihr nicht bekannt und habe von ihr auch nicht ohne weiteres nachvollzogen werden können. Davon unabhängig habe sie auf die Rechtmäßigkeit der bestehenden Verwaltungsakte seitens der Arbeitsverwaltung vertraut und die erhaltenen Leistungen zum Lebensunterhalt verbraucht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe im Bemessungszeitraum tatsächlich nur ein durchschnittliches Entgelt in Höhe von wöchentlich 457,77 EUR erzielt, daher habe ihr rechtmäßig im Zeitraum vom 01.06.2002 bis 31.12.2002 Alg in Höhe von wöchentlich 174,37 EUR zugestanden, vom 01.01.2003 bis 12.01. 2003, vom 08.02. bis 30.09.2003 und vom 28.11. bis 31.12.2003 in Höhe von jeweils 173,25 EUR sowie im Zeitraum vom 01.01.2004 bis 13.06.2004 in Höhe von wöchentlich 177,03 EUR. Die Klägerin habe zwar keine Schuld an der Entstehung der fehlerhaften Entscheidung getroffen, dennoch lägen die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme der Alg-Bewilligung vor. In den Bescheiden vom 10.07.2002, 24.02.2003 und 02.12.2003 sei jeweils nicht nur das wöchentliche Arbeitslosengeld aufgeführt, sondern auch das pauschalierte Nettoentgelt (Leistungsentgelt) sowie das Bemessungsentgelt (sozialversicherungspflichtiges Bruttoentgelt). Somit hätte die Klägerin auch ohne Rechtskenntnisse sehen müssen, dass das zugrunde gelegte Bemessungsentgelt von wöchentlich 895,33 EUR (entspreche einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 3.879,76 EUR) bzw. das Leistungsentgelt von wöchentlich 469,33 EUR (entspreche einem Nettoverdienst von monatlich 2.033,66 EUR) niemals den zuletzt erzielten Einkünften der Klägerin entsprechen könne. Daher habe sich der Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen aufdrängen müssen. Ebenso habe die Klägerin aus den Ausführungen im Merkblatt 1 für Arbeitslose wissen müssen, dass die Höhe des Alg nur 60 % des pauschalierten Nettoentgelts betrage. Auch die nachgewiesenen Kriegsverletzungen hätten die Klägerin nicht daran gehindert, die Bewilligungsbescheide und die Merkblätter sorgfältig durchzulesen. Das zu Unrecht erhaltene Alg sei gemäß § 50 Abs.1 SGB X zu erstatten.
Gegen den Bescheid vom 13.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2004 hat die Klägerin mit Schreiben vom 30.09.2004 Klage zum Sozialgericht Augsburg - SG - erhoben und mit Schreiben vom 12.10.2004 im Wesentlichen ihre Begründung aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit Schreiben vom 29.10.2004 begründet. Wegen Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
Beim SG ist die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2005 gehört worden. Sie hat im Wesentlichen bekundet, sozial isoliert zu leben, der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig zu sein und insgesamt nur gewusst zu haben, dass das Alg 60% vom letzten Bruttolohn betrage. Wegen des genauen Inhalts der in der mündlichen Verhandlung vor dem SG von der Klägerin abgegebenen Erklärungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Mit Urteil vom 22.02.2005 hat das SG den Bescheid vom 13.07. 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2004 aufgehoben. Zur Begründung hat es sinngemäß im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin aufgrund ihres Urteils- und Einsichtsvermögens unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles die unzutreffende höhere Leistung nicht habe auffallen müssen.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und sinngemäß und im Wesentlichen - wie schon in ihrem Klageabweisungsantrag beim SG - zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin aus dem Inhalt der Bewilligungsentscheidungen ohne weiteres habe erkennen können, dass ihr Alg nach einem wesentlich zu hohen Bemessungsentgelt bewilligt worden sei. Die Entscheidung einer grundsätzlich Rentenberechtigten, im Hinblick auf Hinzuverdienstgrenzen lieber voll zu arbeiten, sage nichts darüber aus, ob und inwieweit ihr eventuell später eine zu hohe Leistungsbewilligung auffallen müsse. Die Auffassung, grob fahrlässig könne nur handeln, wer bereits einmal Alg bezogen habe, sei grundlegend falsch. Sie lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Unabhängig hiervon zeige die Einlassung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung, dass sie das Wesentliche im Zahlenwerk des Bewilligungsbescheides verstanden habe. Die Klägerin sei fähig gewesen, aus dem Merkblatt für Arbeitslose heraus zu erkennen, dass sie im Falle von Arbeitsunfähigkeit die AU-Bescheinigungen bei der Beklagten einzureichen habe, wie sie dies am 03.06.2002 initiativ getan habe. Auch sei sie in der Lage gewesen, aufgrund der Hinweise im Merkblatt einen Auslandsaufenthalt anzuzeigen und sich entsprechend abzumelden. Entsprechendes gelte hinsichtlich ihrer Anzeige über die Erzielung von Nebeneinkommen bzw. die Abgabe entsprechender Vorbescheinigungen. Des Weiteren sei sie in der Lage gewesen, sich wegen Folgen um ihre Rechte oder der Einholung von Rat an andere zu wenden. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich, dass sie sich durchaus Gedanken gemacht habe, ja sogar durch den Währungswechsel erforderliche Umrechnungen vorgenommen habe. Ebenso sei sie in der Lage gewesen, die im Bewilligungsbescheid aufgeführten Wochenbeträge auf den Monat umzurechnen, was sie auch getan habe. Auch sei ihr bekannt gewesen, dass es die Leistung Alg überhaupt gebe. Wer dies aber wisse, wisse auch oder könne spätestens anhand des Merkblattes ohne weiteres erkennen, dass diese Lohnersatzleistung den Entgeltausfall bei weitem nicht ausgleiche, sondern nur einen Teil des ausgefallenen Nettoentgelts ersetze.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.02.2006 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 13.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.9.2004 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Auch bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung des LSG hat die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen beim SG wiederholt. Zusätzlich hat sie ihr Verbrauchs- und Konsumverhalten erläutert und Angaben zu Ihrem Schulbesuch und ihren intellektuellen Fähigkeiten gemacht. Wegen der genauen Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.07.2006 Bezug genommen.
Zum Verfahren waren die Verwaltungsakten und die Insolvenzgeldakten der Beklagten, die Akten der Landesversicherungsanstalt - LVA - Schwaben, Auszüge aus der Akte der AOK betreffend die Bewilligung von Krankengeld und die Akten des ersten Instanz beigezogen, worauf wegen Einzelheiten Bezug genommen wird.
Aus der Rentenakte der LVA ergibt sich insbesondere, dass der Klägerin aufgrund des Rentenbescheides der LVA Schwaben vom 23.10.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zustand, die ab 01.08.2001 (Rentenbeginn) unter Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenze wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens nicht gezahlt wurde. Aus der Insolvenzgeldakte ist ersichtlich, dass der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2002 bis 26.03.2002 Insolvenzgeld - Insg - in Höhe von insgesamt 1.261,54 EUR bewilligt wurde, und zwar nur für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.01.2002 in Höhe von 127,90 Euro und für die Zeit vom 01.03.2002 bis 31.03.2002 in Höhe von 1133,64 Euro (Bescheid vom 21.05.2002).
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs.1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht einge- legt (§§ 143, 151, 153 Abs.1, 87 Abs.1 Satz 2 SGG).
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg, da der streitgegenständliche Bescheid vom 13.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2004 durch das Urteil des SG vom 22.02.2005 zu Recht aufgehoben wurde. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Berufungsklägerin ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen der Aufhebungsvorschrift des § 45 SGB X sowie der Erstattungspflicht nach § 50 SGB X nicht vorlagen. Seine Aufhebung führt bei der erhobenen Anfechtungsklage direkt zum Erfolg des Klagebegehrens.
Die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vom 13.07.2004 misst sich, da die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S.2 SGB X im Hinblick auf die Kenntnis der Beklagten ab Juni 2004 und auch die Fristen des § 45 Abs.3 SGB X offensichtlich eingehalten sind, an der Frage der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides zum Zeitpunkt seines Erlasses und an den den Vertrauensschutz regelnden Vorschriften des § 45 SGB X iVm § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Rücknahmevoraussetzungen vorliegen. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X sind die Bewilligungsbescheide nur in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 des SGB X für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Vorliegend handelt es sich um eine Aufhebung für die Vergangenheit. Auch waren die begünstigenden Bewilligungsbescheide der Beklagten im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig. Von den in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X geregelten Fällen kommt thematisch nur Nr. 3 des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X in Betracht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
Die begünstigenden Bescheide der Beklagten vom 10.07.2002, 24.02.2003 und vom 02.12.2003 waren im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig. Dabei kann hier wegen der in jedem Falle fehlenden Aufhebungsbefugnis der Beklagten dahinstehen, ob im Zeitpunkt des Erlasses der weiteren Bescheide vom 24.02.2002 und 02.12.2003 die Aufhebungsbefugnis aus § 45 SGB X oder § 48 SGB X in Betracht käme (vgl. zu diesem Problemkreis BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 42). Der Klägerin stand zum Zeitpunkt des Erlasses ein geringeres wöchentliches Bemessungsentgelt und damit ein geringeres Alg als in den Bewilligungsbescheiden festgestellt zu. Das Bruttobemessungsentgelt war falsch angesetzt, da die auf einem Hilfsblatt schon errechnete Euroumstellung zum Jahreswechsel 2001/2002 keine Berücksichtigung in dem maschinell gefertigten Bescheid fand. Die zugrunde liegenden Berechnungsdaten wurden durch einen von der Verwaltung der Beklagten mehrfach nicht entdeckten Eingabefehler nicht von DM-Beträgen zu Euro-Beträgen umgerechnet. Ab dem Leistungsbeginn am 01.06. 2002 wurde der Klägerin daher für die hier fraglichen Leistungszeiträume ein wöchentlicher Leistungssatz zwischen 278,74 EUR und 285,74 EUR nach einem gerundeten wöchentlichen Bruttobemessungsentgelt von 895 EUR anstelle von 895 DM (entspricht gerundet 458 EUR) bewilligt. Tatsächlich stand der Klägerin jedoch nur ein wöchentlicher Leistungssatz zwischen 173,25,74 EUR und 177,03 EUR nach einem gerundeten Bruttobemessungsentgelt von 458 EUR zu. In Höhe der jeweiligen Differenzbeträge wurden der Klägerin somit rechtswidriger Weise von Anfang an zu hohe Leistungen bewilligt.
Die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind hier nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit sie die Rechtswidrigkeit der ergangenen Verwaltungsakte kannte - was hier offensichtlich nicht gegeben ist - oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nur gegeben, wenn der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Das ist hier nicht der Fall.
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187; BSGE 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273, zuletzt Urteil vom 05.02.2006, Az.: B 70 AL 58/05 R). Ein Kennenmüssen ist jedoch erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Rechtswidrigkeit ohne Mühe erkennen konnte (BVerwGE 40, 212). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist im Wesentlichen eine Frage der Würdigung des Einzelfalles, die dem Tatsachengericht obliegt (BSGE SozR 2200 § 1301 Nr. 7). Entscheidend für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteils- und Kritikfähigkeit, sein Einsichtsvermögen und im Übrigen auch sein Verhalten.
Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X die Rechtswidrig- keit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachen- feststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Be- reich der Rechtsanwendung", wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind (vgl. BSGE 62, 103, 106 = SozR 1300 § 48 Nr.39), Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Vor- aussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und dass diese Mängel unter Zugrundelegung des Einsichtsvermögens des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind.
Für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind zunächst (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45) folgende Feststellungen zu treffen: Die schwerbehinderte Klägerin stammt aus Vietnam und beherrscht die deutsche Sprache für das Führen einer komplizierten Unterhaltung nicht ausreichend, wie die Befragungen in den mündlichen Verhandlungen gezeigt haben. Sie hat in Vietnam lediglich für einen Zeitraum von drei bis vier Jahren eine Schule besucht und lebt aufgrund ihrer stigmatisierenden Kriegsverletzungen weitgehend ohne soziale Kontakte. Den ersten Bewilligungsbescheid wie auch die weiteren Bewilligungsbescheide hat die Klägerin nach ihren glaubhaften Ausführungen nur mit ihren Zahlbeträgen zur Kenntnis genommen. Nach dem in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2006 gewonnenen Gesamteindruck steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass sie die Zahlenangaben in den Bewilligungsbescheiden nicht zutreffend zuordnen und begreifen konnte. Aufgrund mangelhafter Deutschkenntnisse ist die Sprache des SGB III sowie der Bescheidformulare der Beklagten insgesamt für die Klägerin schwer verständlich. So kennt sie den Unterschied zwischen Insolvenz- und Arbeitslosengeld nicht, wie sich bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck des Senats kann die Klägerin überhaupt mit derartigen Begriffen wenig anfangen. Die Klägerin bezog ab 01.06.2002 erstmals Alg; sie hatte insoweit keine Vorkenntnisse. Die erfolgte Überzahlung ist von der Klägerin nicht durch ihr eigenes Zutun verursacht. Eine vollständige Auszahlung ihres Arbeitsentgelts in Euro hatte die Klägerin nur bezüglich ihrer Tätigkeit bei der Auffanggesellschaft erhalten und nicht für ihre Tätigkeit im Januar, Februar und März bei der Firma S ... Der Verdienst bei der Firma M. war niedriger als das bewilligte Alg. Die Klägerin ging nach der aufgrund der Aussage vor dem SG gewonnenen Überzeugung des Senates tatsächlich davon aus, dass sich das höhere Alg aus dem vorherigen höheren Verdienst errechnet. Die Klägerin ging ferner davon aus, dass das Alg einen prozentualen Anteil des zuvor zustehenden Bruttoarbeitsentgelts (nicht: Nettoarbeitsentgelts) ausmacht.
Vorliegend lassen schon die Angaben in dem Bewilligungsbescheid unter Zugrundelegung des Einsichtsvermögens der Klägerin eine Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennen. Die Klägerin konnte mit ihrer Schulbildung und ihren intellektuellen Fähigkeiten, von denen sich der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2006 wie auch schon die Kammer des SG ein Bild machen konnte, die Unrichtigkeit der Alg-Berechnung (falsches Bemessungs- und Leistungsentgelt) nicht erkennen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Bewilligungsbescheid auf der Rückseite die Alg-Berechnung in ihren einzelnen Schritten darstellt. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin selbst die groben Schritte der Alg-Berechnung nicht nachvollziehen konnte. Dem Entscheidungssatz des Bescheides lässt sich ohnehin nicht ohne weiteres entnehmen, auf welche Weise Bemessungs- und Leistungsentgelt sowie die Leistung selbst errechnet werden.
Insgesamt stellt das Verhalten der Klägerin im Hinblick auf eine anzustrengende grobe Plausibilitätsprüfung hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Entgelt aus aktiver Beschäftigung und Bezug von Alg angesichts der vorliegenden subjektiven Umstände jedenfalls keinen besonders schweren Verstoß gegen Sorgfalts- bzw. Überprüfungspflichten im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Alt. SGB X dar.
Die letzten Bezüge der Klägerin bei der Auffanggesellschaft M. GmbH (April und Mai 2002: jeweils 1481,71 brutto/ 1045,21 netto) waren zwar niedriger als das zur Auszahlung gelangte Alg. Dies wurde von der Klägerin aber in einer für den Senat überzeugenden Weise dadurch erklärt, dass sie glaubte, dieses Entgelt nicht für Arbeit, sondern für eine "Schulung" erhalten zu haben, und dass deswegen ein Ausgleich vorgenommen worden sei.
Signifikant höher als die ab Januar zustehenden Arbeitsentgelte lag aber mit 6.209,95 DM (= 3.175,10 EUR) das von der Klägerin im letzten Jahr vor der Arbeitlosigkeit erzielte höchste Bruttomonatsarbeitsentgelt im Oktober 2001. Dieses Entgelt rückte in die Nähe des der fehlerhaften Alg-Berechnung zugrunde gelegten monatlichen Bemessungsentgelts von 3.879,76 EUR, wobei insbesondere zu berücksichtigen war, dass durch die wöchentliche (und nicht monatliche) Gewährung des Alg einerseits und durch die Auszahlung des Arbeitsentgelts für 2001 noch in DM andererseits auch einem geübteren Rechner bestehende Diskrepanzen jedenfalls nicht sofort ins Auge springen. Dies gilt erst recht für die Klägerin mit ihren geringen intellektuellen, insbesondere mangelhaften mathematischen Fähigkeiten. Wegen des relativ hohen, noch in DM berechneten und ausgezahlten Entgelts im Jahre 2001 (erklärt durch Nachtarbeit und gute Bezahlung) musste der Klägerin auch keine Diskrepanz in der Höhe des - ihr bekannten - Prozentsatzes von 60% zwischen dem (von ihr fälschlich als relevant angenommenen) Bruttoeinkommen und dem gezahlten Alg ins Auge springen. Ausweislich der aktenkundigen Arbeitsbescheinigung belief sich ihr beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt für Juni 2001 auf 4289,62 DM, für Juli 2001 auf 3432,66 DM, für August 2001 auf 3616,94 DM, für September 2001 auf 3278,33 DM, für Oktober 2001 - wie bereits ausgeführt - auf 6209,95 DM, für November 2001 auf 3571,32 DM und für Dezember 2001 auf 4610,99 DM. Geht man unter Zugrundelegung des hier einschlägigen subjektiven Maßstabs von dem von der Klägerin irrtümlich als Bezugsgröße für die Alg-Berechnung angenommenen prozentualen Anteil am Bruttoarbeitsentgelt aus, ergeben sich für die genannten Monatszeiträume jeweils Beträge, die zumindest in die Nähe des fehlerhaft gewährten Alg für einen Monat (= 1220,31 Euro = 268,61 Euro wöchentlich x 13:3) kommen.
Auch aufgrund der sonstigen Umstände musste der Klägerin angesichts ihrer kognitiven Fähigkeiten die Unrichtigkeit der Alg-Höhe nicht ins Auge springen. Die Klägerin bekundete in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2006 in glaubhafter Weise, nur einfache Additions- und Subtraktionsrechnungen vornehmen zu können. Das Vertrauen der Klägerin in die Richtigkeit der Entscheidungen der Behörde wurde durch die zweifache Wiederbewilligung des Alg in der fehlerhaften Höhe gestärkt. Das Arbeitsentgelt für die Zeiträume von Januar bis März 2002 (ausweislich der beigezogenen Akten der Landesversicherungsanstalt Schwaben im Januar 2002: 1278,97 Euro, im Februar 2002: 1076,44 Euro, im März 2002: 1133,64 Euro jeweils netto pro Monat) kam aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers der Klägerin nicht bzw. nicht vollständig zur Auszahlung. Für den genannten Zeitraum erhielt die Klägerin einen Insg-Betrag, der der Höhe nach in etwa dem Betrag des fehlerhaft gewährten Alg für einen Monat (= 1220,31 Euro = 268,61 Euro wöchentlich x 13:3) entsprach. Der Umstand der Insolvenzgeldzahlung für einen Zeitraum von drei Monaten zeigt, dass sich für die Klägerin kein in der Höhe stetiger monatlicher Entgeltfluss entnehmen ließ. Auch die Diskrepanz zwischen der Höhe des falsch gewährten Alg und der Höhe des bezogenen Krankengelds ändert an dem Ergebnis nichts. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Kg-Bewilligung andere Maßgaben zugrunde liegen als der Alg-Bewilligung. Auch die Zahlung durch unterschiedliche Leistungsträger drängte die Klägerin nicht zu einem Vergleich der beiden Leistungen. Im Übrigen bezog sich die Kg-Bewilligung auf einen Zeitraum von zwei Wochen, und zwar vom 24.01.2003 bis 07.02.2003, während die Alg-Bewilligung einen wöchentlichen Leistungssatz auswirft, was wiederum einen direkten Vergleich erschwerte. Der zu hohe Betrag des zur Auszahlung gelangten Alg musste der Klägerin bei ihrem intellektuellen Zuschnitt auch nicht im Hinblick auf den im Zusammenhang mit der Insg-Gewährung genannten Nettobetrag ohne weiteres auffallen, da zum einen die Insg-Berechnung nach anderen Maßgaben erfolgt als die Alg-Bewilligung, und da zum anderen sich der Insg-Betrag auf einen viel längeren Zeitraum als die Alg-Bewilligung, nämlich - wie bereits ausgeführt - auf einen Zeitraum von drei Monaten, bezog. Im Übrigen steht nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin bezüglich der von ihr erhaltenen Sozialleistungen auch einfachste Gesichtspunkte bezüglich der Grundsätze der entsprechenden Leistungsbewilligungen nicht zu verstehen in der Lage ist. So war sie durch die Frage nach dem Unterschied zwischen Insolvenzgeld und Arbeitslosengeld in der mündlichen Verhandlung völlig überfordert.
Zu einem für die Klägerin ungünstigen Ergebnis, also der Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße, führt auch nicht der Umstand, dass sie sich keinen Rat bezüglich der Richtigkeit der Alg-Berechnung einholte. Dazu hatte sie unter Zugrundelegung des hier maßgeblichen objektiven Maßstabs keine Veranlassung. Nach dem in der mündlichen Verhandlung beim LSG gewonnenen Eindruck von den haushälterischen Kenntnissen und Fähigkeiten der Klägerin bestimmte sich ihr Verbrauchs- und Konsumverhalten im Wesentlichen nach dem aktuellen Geldzufluss, über den sie sich im einzelnen keine besonderen Gedanken machte. So bekundete sie, kein Haushaltsbuch zu führen. Auch konnte sie ihre durchschnittlichen monatlichen Gesamtausgaben nicht einmal überschlägig benennen. Dieses mangelhaft ausgeprägte ökonomische Verhalten zeigt auch das Vorhandensein nur geringer finanzieller Rücklagen in Höhe von 600 bzw. 900 Euro im Spar- und Girokonto. Die Klägerin war letztlich mit dem Zufluss des bewilligten Arbeitslosengeldes völlig zufrieden und in keiner Weise wegen dessen Höhe verunsichert. Zwar kann sich ein Versicherter grundsätzlich nicht mit Erfolg auf mangelnde Sprachkenntnisse berufen, da er einen Dolmetscher hätte befragen können (vgl. BSG 24.04.1997 - 11 RAr 89/96). Vorliegend war aber zu berücksichtigen, dass die schwerbehinderte Klägerin - wie sie selbst in glaubhafter Weise angab - ganz alleine lebt und offensichtlich ein relativ zurückgezogenes Leben führt, so dass sich die unterlassene Einholung einer Auskunft - gegebenenfalls nach entsprechender Übersetzung - im vorliegenden Fall jedenfalls nicht als besonders schwerer Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten darstellt.
Die dokumentierten Vorsprachen der Klägerin beim Arbeitsamt wegen Urlaubsnahme und wegen Krankheit sowie bei der LVA Schwaben wegen Hinzuverdienstgrenzen (Schreiben vom 04.11.2001- Blatt 34), die von der Beklagten zum Beweis eines doch hinreichend vorhandenen Sorgfaltsverhaltens angeführt werden, beweisen umgekehrt eine völlige Redlichkeit und Arglosigkeit der Klägerin gegenüber behördlichem Verhalten. Sie belegen, dass die Klägerin quasi blind der Richtigkeit des Handelns der Beklagten vertraute.
Nach alledem wird bei der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit durch die Verkennung der Fehlerhaftigkeit der Alg-Höhe das Ausmaß einer schweren Obliegenheitsverletzung im Sinne einer groben Fahrlässigkeit nach § 45 Abs.2 Nr.3 2. Alt. SGB X nicht erreicht.
Da die Aufhebung der Alg-Bewilligung hinsichtlich der gesamten Bescheide somit rechtswidrig war, sind die bereits erbrachten Leistungen auch nicht gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Aufgrund des Obsiegens der Klägerin in beiden Rechtszügen war die Beklagte zur entsprechenden Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu verpflichten, § 193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nnr. 1 und 2 SGG).
II. Der Klägerin sind ihre außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren von der Beklagten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Aufhebung einer Ar- beitslosengeldbewilligung für den Zeitraum vom 01.06.2002 bis 13.06.2004 sowie die Rückforderung von 10.075,60 EUR.
Die 1952 geborene, schwerbehinderte Klägerin stammt aus Vietnam und hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie war vom 29.05.1978 bis 31.03.2002 als Montagekraft bei der Fa. S. und vom 01.04.2002 bis 31.05.2002 als Produktionshilfskraft/Montagekraft bei der Auffanggesellschaft M. in T. beschäftigt.
Zum 01.06.2002 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg).
Mit Bescheid vom 10.07.2002 bewilligte die Beklagte Alg in Höhe von 268,61 Euro wöchentlich nach einem Bemessungsentgelt von 895 Euro wöchentlich und einem Leistungsentgelt von 469,33 Euro wöchentlich. Der Bewilligungsbescheid enthält ferner eine Rubrik "Prozentsatz", in die die Zahl 60 eingetragen ist.
Am 10.02.2003 meldete sich die Klägerin nach einem Krankengeldbezug vom 24.01.2003 bis 07.02.2003 erneut arbeitslos. Sie bezog daraufhin ab 08.02.2003 erneut Alg (Bescheid vom 24.02. 2003). Am 28.11.2003 erfolgte eine erneute Arbeitslosmeldung nach einem Auslandsaufenthalt vom 01.10. bis 27.11.2003. Die Klägerin bezog daraufhin erneut Alg ab 28.11.2003 aufgrund eines Bewilligungsbescheides vom 02.12.2003. Das in den genannten Bescheiden zugrunde gelegte Bemessungsentgelt entsprach dem des Bewilligungsbescheides vom 10.07.2002.
Ab 14.06.2004 bezog die Klägerin Arbeitslosenhilfe nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 399,19 EUR. Im Rahmen des entsprechenden Bewilligungsverfahrens bemerkte die Beklagte, dass der Leistungsgewährung ein Bemessungsentgelt zugrunde lag, bei dem die DM-Betragszahl als Euro-Betragszahl ausgewiesen war.
Die Beklagte hörte die Klägerin gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu einer beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligung der gewährten Leistungen für den Zeitraum ab 01.06.2002 an. Die Klägerin habe in der Zeit vom 01.06.2002 bis 13.06.2004 aufgrund eines Bearbeitungsfehlers ein wöchentliches Alg in Höhe von 281,61 EUR erhalten. Nach den Bestimmungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) hätten ihr aber nur Leistungen in Höhe von 174,37 EUR wöchentlich zugestanden. Insgesamt sei ein Betrag in Höhe von 10.075,60 EUR zu Unrecht gezahlt worden.
Mit Schreiben vom 06.07.2004 nahm die Klägerin zu der beabsich- tigten Aufhebung Stellung. Sie habe den Umstand, dass es zu einer Überzahlung gekommen sei, nicht zu vertreten. Des Weiteren habe sie im Jahre 2002 zum ersten Mal Alg erhalten. Es sei somit für sie in keinster Weise leicht zu erkennen gewesen, dass ein Bearbeitungsfehler in den Berechnungsdaten vorgelegen habe.
Mit Bescheid vom 13.07.2004 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.06.2002 bis 12.01.2003, vom 08.02.2003 bis 30.09.2003, und vom 28.11.2003 bis 13.06.2004 teilweise zurück und forderte eine Erstattung von 10.075,60 Euro. Es liege ein Berechnungsfehler zugrunde. Die Klägerin habe die Überzahlung nicht verursacht. Dennoch habe sie aufgrund der Höhe der bewilligten Leistungen mit einfachsten und ganz naheliegenden Überlegungen erkennen können, dass ihr Alg in dieser Höhe nicht zustehe. Denn die der Klägerin bewilligte Leistung könne nicht höher sein als das versicherungspflichtige Entgelt, das sie vorher erzielt habe.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und wiederholte ihr Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass sie vietnamesischer Abstammung sei und aufgrund ihrer erlittenen Kriegsverletzungen im Vietnamkrieg nicht in der Lage gewesen sei, ohne weiteres zu erkennen, dass ein Bearbeitungsfehler bei den Berechnungsdaten des Arbeitsamtes vorgelegen habe. Darüber hinaus sei festzustellen, dass sie Alg in etwa der Höhe des zuletzt erzielten Nettoentgeltes bekommen habe. Der Umstand, dass ihr lediglich 60 % des zuletzt erzielten Nettoentgelts laut Bemessungsgrundlage zustehen, sei ihr nicht bekannt und habe von ihr auch nicht ohne weiteres nachvollzogen werden können. Davon unabhängig habe sie auf die Rechtmäßigkeit der bestehenden Verwaltungsakte seitens der Arbeitsverwaltung vertraut und die erhaltenen Leistungen zum Lebensunterhalt verbraucht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe im Bemessungszeitraum tatsächlich nur ein durchschnittliches Entgelt in Höhe von wöchentlich 457,77 EUR erzielt, daher habe ihr rechtmäßig im Zeitraum vom 01.06.2002 bis 31.12.2002 Alg in Höhe von wöchentlich 174,37 EUR zugestanden, vom 01.01.2003 bis 12.01. 2003, vom 08.02. bis 30.09.2003 und vom 28.11. bis 31.12.2003 in Höhe von jeweils 173,25 EUR sowie im Zeitraum vom 01.01.2004 bis 13.06.2004 in Höhe von wöchentlich 177,03 EUR. Die Klägerin habe zwar keine Schuld an der Entstehung der fehlerhaften Entscheidung getroffen, dennoch lägen die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme der Alg-Bewilligung vor. In den Bescheiden vom 10.07.2002, 24.02.2003 und 02.12.2003 sei jeweils nicht nur das wöchentliche Arbeitslosengeld aufgeführt, sondern auch das pauschalierte Nettoentgelt (Leistungsentgelt) sowie das Bemessungsentgelt (sozialversicherungspflichtiges Bruttoentgelt). Somit hätte die Klägerin auch ohne Rechtskenntnisse sehen müssen, dass das zugrunde gelegte Bemessungsentgelt von wöchentlich 895,33 EUR (entspreche einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 3.879,76 EUR) bzw. das Leistungsentgelt von wöchentlich 469,33 EUR (entspreche einem Nettoverdienst von monatlich 2.033,66 EUR) niemals den zuletzt erzielten Einkünften der Klägerin entsprechen könne. Daher habe sich der Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen aufdrängen müssen. Ebenso habe die Klägerin aus den Ausführungen im Merkblatt 1 für Arbeitslose wissen müssen, dass die Höhe des Alg nur 60 % des pauschalierten Nettoentgelts betrage. Auch die nachgewiesenen Kriegsverletzungen hätten die Klägerin nicht daran gehindert, die Bewilligungsbescheide und die Merkblätter sorgfältig durchzulesen. Das zu Unrecht erhaltene Alg sei gemäß § 50 Abs.1 SGB X zu erstatten.
Gegen den Bescheid vom 13.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2004 hat die Klägerin mit Schreiben vom 30.09.2004 Klage zum Sozialgericht Augsburg - SG - erhoben und mit Schreiben vom 12.10.2004 im Wesentlichen ihre Begründung aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit Schreiben vom 29.10.2004 begründet. Wegen Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
Beim SG ist die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2005 gehört worden. Sie hat im Wesentlichen bekundet, sozial isoliert zu leben, der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig zu sein und insgesamt nur gewusst zu haben, dass das Alg 60% vom letzten Bruttolohn betrage. Wegen des genauen Inhalts der in der mündlichen Verhandlung vor dem SG von der Klägerin abgegebenen Erklärungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Mit Urteil vom 22.02.2005 hat das SG den Bescheid vom 13.07. 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2004 aufgehoben. Zur Begründung hat es sinngemäß im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin aufgrund ihres Urteils- und Einsichtsvermögens unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles die unzutreffende höhere Leistung nicht habe auffallen müssen.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und sinngemäß und im Wesentlichen - wie schon in ihrem Klageabweisungsantrag beim SG - zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin aus dem Inhalt der Bewilligungsentscheidungen ohne weiteres habe erkennen können, dass ihr Alg nach einem wesentlich zu hohen Bemessungsentgelt bewilligt worden sei. Die Entscheidung einer grundsätzlich Rentenberechtigten, im Hinblick auf Hinzuverdienstgrenzen lieber voll zu arbeiten, sage nichts darüber aus, ob und inwieweit ihr eventuell später eine zu hohe Leistungsbewilligung auffallen müsse. Die Auffassung, grob fahrlässig könne nur handeln, wer bereits einmal Alg bezogen habe, sei grundlegend falsch. Sie lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Unabhängig hiervon zeige die Einlassung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung, dass sie das Wesentliche im Zahlenwerk des Bewilligungsbescheides verstanden habe. Die Klägerin sei fähig gewesen, aus dem Merkblatt für Arbeitslose heraus zu erkennen, dass sie im Falle von Arbeitsunfähigkeit die AU-Bescheinigungen bei der Beklagten einzureichen habe, wie sie dies am 03.06.2002 initiativ getan habe. Auch sei sie in der Lage gewesen, aufgrund der Hinweise im Merkblatt einen Auslandsaufenthalt anzuzeigen und sich entsprechend abzumelden. Entsprechendes gelte hinsichtlich ihrer Anzeige über die Erzielung von Nebeneinkommen bzw. die Abgabe entsprechender Vorbescheinigungen. Des Weiteren sei sie in der Lage gewesen, sich wegen Folgen um ihre Rechte oder der Einholung von Rat an andere zu wenden. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich, dass sie sich durchaus Gedanken gemacht habe, ja sogar durch den Währungswechsel erforderliche Umrechnungen vorgenommen habe. Ebenso sei sie in der Lage gewesen, die im Bewilligungsbescheid aufgeführten Wochenbeträge auf den Monat umzurechnen, was sie auch getan habe. Auch sei ihr bekannt gewesen, dass es die Leistung Alg überhaupt gebe. Wer dies aber wisse, wisse auch oder könne spätestens anhand des Merkblattes ohne weiteres erkennen, dass diese Lohnersatzleistung den Entgeltausfall bei weitem nicht ausgleiche, sondern nur einen Teil des ausgefallenen Nettoentgelts ersetze.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.02.2006 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 13.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.9.2004 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Auch bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung des LSG hat die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen beim SG wiederholt. Zusätzlich hat sie ihr Verbrauchs- und Konsumverhalten erläutert und Angaben zu Ihrem Schulbesuch und ihren intellektuellen Fähigkeiten gemacht. Wegen der genauen Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.07.2006 Bezug genommen.
Zum Verfahren waren die Verwaltungsakten und die Insolvenzgeldakten der Beklagten, die Akten der Landesversicherungsanstalt - LVA - Schwaben, Auszüge aus der Akte der AOK betreffend die Bewilligung von Krankengeld und die Akten des ersten Instanz beigezogen, worauf wegen Einzelheiten Bezug genommen wird.
Aus der Rentenakte der LVA ergibt sich insbesondere, dass der Klägerin aufgrund des Rentenbescheides der LVA Schwaben vom 23.10.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zustand, die ab 01.08.2001 (Rentenbeginn) unter Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenze wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens nicht gezahlt wurde. Aus der Insolvenzgeldakte ist ersichtlich, dass der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2002 bis 26.03.2002 Insolvenzgeld - Insg - in Höhe von insgesamt 1.261,54 EUR bewilligt wurde, und zwar nur für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.01.2002 in Höhe von 127,90 Euro und für die Zeit vom 01.03.2002 bis 31.03.2002 in Höhe von 1133,64 Euro (Bescheid vom 21.05.2002).
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs.1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht einge- legt (§§ 143, 151, 153 Abs.1, 87 Abs.1 Satz 2 SGG).
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg, da der streitgegenständliche Bescheid vom 13.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2004 durch das Urteil des SG vom 22.02.2005 zu Recht aufgehoben wurde. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Berufungsklägerin ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen der Aufhebungsvorschrift des § 45 SGB X sowie der Erstattungspflicht nach § 50 SGB X nicht vorlagen. Seine Aufhebung führt bei der erhobenen Anfechtungsklage direkt zum Erfolg des Klagebegehrens.
Die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vom 13.07.2004 misst sich, da die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S.2 SGB X im Hinblick auf die Kenntnis der Beklagten ab Juni 2004 und auch die Fristen des § 45 Abs.3 SGB X offensichtlich eingehalten sind, an der Frage der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides zum Zeitpunkt seines Erlasses und an den den Vertrauensschutz regelnden Vorschriften des § 45 SGB X iVm § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Rücknahmevoraussetzungen vorliegen. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X sind die Bewilligungsbescheide nur in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 des SGB X für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Vorliegend handelt es sich um eine Aufhebung für die Vergangenheit. Auch waren die begünstigenden Bewilligungsbescheide der Beklagten im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig. Von den in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X geregelten Fällen kommt thematisch nur Nr. 3 des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X in Betracht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
Die begünstigenden Bescheide der Beklagten vom 10.07.2002, 24.02.2003 und vom 02.12.2003 waren im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig. Dabei kann hier wegen der in jedem Falle fehlenden Aufhebungsbefugnis der Beklagten dahinstehen, ob im Zeitpunkt des Erlasses der weiteren Bescheide vom 24.02.2002 und 02.12.2003 die Aufhebungsbefugnis aus § 45 SGB X oder § 48 SGB X in Betracht käme (vgl. zu diesem Problemkreis BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 42). Der Klägerin stand zum Zeitpunkt des Erlasses ein geringeres wöchentliches Bemessungsentgelt und damit ein geringeres Alg als in den Bewilligungsbescheiden festgestellt zu. Das Bruttobemessungsentgelt war falsch angesetzt, da die auf einem Hilfsblatt schon errechnete Euroumstellung zum Jahreswechsel 2001/2002 keine Berücksichtigung in dem maschinell gefertigten Bescheid fand. Die zugrunde liegenden Berechnungsdaten wurden durch einen von der Verwaltung der Beklagten mehrfach nicht entdeckten Eingabefehler nicht von DM-Beträgen zu Euro-Beträgen umgerechnet. Ab dem Leistungsbeginn am 01.06. 2002 wurde der Klägerin daher für die hier fraglichen Leistungszeiträume ein wöchentlicher Leistungssatz zwischen 278,74 EUR und 285,74 EUR nach einem gerundeten wöchentlichen Bruttobemessungsentgelt von 895 EUR anstelle von 895 DM (entspricht gerundet 458 EUR) bewilligt. Tatsächlich stand der Klägerin jedoch nur ein wöchentlicher Leistungssatz zwischen 173,25,74 EUR und 177,03 EUR nach einem gerundeten Bruttobemessungsentgelt von 458 EUR zu. In Höhe der jeweiligen Differenzbeträge wurden der Klägerin somit rechtswidriger Weise von Anfang an zu hohe Leistungen bewilligt.
Die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind hier nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit sie die Rechtswidrigkeit der ergangenen Verwaltungsakte kannte - was hier offensichtlich nicht gegeben ist - oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nur gegeben, wenn der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Das ist hier nicht der Fall.
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187; BSGE 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273, zuletzt Urteil vom 05.02.2006, Az.: B 70 AL 58/05 R). Ein Kennenmüssen ist jedoch erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Rechtswidrigkeit ohne Mühe erkennen konnte (BVerwGE 40, 212). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist im Wesentlichen eine Frage der Würdigung des Einzelfalles, die dem Tatsachengericht obliegt (BSGE SozR 2200 § 1301 Nr. 7). Entscheidend für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteils- und Kritikfähigkeit, sein Einsichtsvermögen und im Übrigen auch sein Verhalten.
Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X die Rechtswidrig- keit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachen- feststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Be- reich der Rechtsanwendung", wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind (vgl. BSGE 62, 103, 106 = SozR 1300 § 48 Nr.39), Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Vor- aussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und dass diese Mängel unter Zugrundelegung des Einsichtsvermögens des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind.
Für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind zunächst (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45) folgende Feststellungen zu treffen: Die schwerbehinderte Klägerin stammt aus Vietnam und beherrscht die deutsche Sprache für das Führen einer komplizierten Unterhaltung nicht ausreichend, wie die Befragungen in den mündlichen Verhandlungen gezeigt haben. Sie hat in Vietnam lediglich für einen Zeitraum von drei bis vier Jahren eine Schule besucht und lebt aufgrund ihrer stigmatisierenden Kriegsverletzungen weitgehend ohne soziale Kontakte. Den ersten Bewilligungsbescheid wie auch die weiteren Bewilligungsbescheide hat die Klägerin nach ihren glaubhaften Ausführungen nur mit ihren Zahlbeträgen zur Kenntnis genommen. Nach dem in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2006 gewonnenen Gesamteindruck steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass sie die Zahlenangaben in den Bewilligungsbescheiden nicht zutreffend zuordnen und begreifen konnte. Aufgrund mangelhafter Deutschkenntnisse ist die Sprache des SGB III sowie der Bescheidformulare der Beklagten insgesamt für die Klägerin schwer verständlich. So kennt sie den Unterschied zwischen Insolvenz- und Arbeitslosengeld nicht, wie sich bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck des Senats kann die Klägerin überhaupt mit derartigen Begriffen wenig anfangen. Die Klägerin bezog ab 01.06.2002 erstmals Alg; sie hatte insoweit keine Vorkenntnisse. Die erfolgte Überzahlung ist von der Klägerin nicht durch ihr eigenes Zutun verursacht. Eine vollständige Auszahlung ihres Arbeitsentgelts in Euro hatte die Klägerin nur bezüglich ihrer Tätigkeit bei der Auffanggesellschaft erhalten und nicht für ihre Tätigkeit im Januar, Februar und März bei der Firma S ... Der Verdienst bei der Firma M. war niedriger als das bewilligte Alg. Die Klägerin ging nach der aufgrund der Aussage vor dem SG gewonnenen Überzeugung des Senates tatsächlich davon aus, dass sich das höhere Alg aus dem vorherigen höheren Verdienst errechnet. Die Klägerin ging ferner davon aus, dass das Alg einen prozentualen Anteil des zuvor zustehenden Bruttoarbeitsentgelts (nicht: Nettoarbeitsentgelts) ausmacht.
Vorliegend lassen schon die Angaben in dem Bewilligungsbescheid unter Zugrundelegung des Einsichtsvermögens der Klägerin eine Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennen. Die Klägerin konnte mit ihrer Schulbildung und ihren intellektuellen Fähigkeiten, von denen sich der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2006 wie auch schon die Kammer des SG ein Bild machen konnte, die Unrichtigkeit der Alg-Berechnung (falsches Bemessungs- und Leistungsentgelt) nicht erkennen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Bewilligungsbescheid auf der Rückseite die Alg-Berechnung in ihren einzelnen Schritten darstellt. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin selbst die groben Schritte der Alg-Berechnung nicht nachvollziehen konnte. Dem Entscheidungssatz des Bescheides lässt sich ohnehin nicht ohne weiteres entnehmen, auf welche Weise Bemessungs- und Leistungsentgelt sowie die Leistung selbst errechnet werden.
Insgesamt stellt das Verhalten der Klägerin im Hinblick auf eine anzustrengende grobe Plausibilitätsprüfung hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Entgelt aus aktiver Beschäftigung und Bezug von Alg angesichts der vorliegenden subjektiven Umstände jedenfalls keinen besonders schweren Verstoß gegen Sorgfalts- bzw. Überprüfungspflichten im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Alt. SGB X dar.
Die letzten Bezüge der Klägerin bei der Auffanggesellschaft M. GmbH (April und Mai 2002: jeweils 1481,71 brutto/ 1045,21 netto) waren zwar niedriger als das zur Auszahlung gelangte Alg. Dies wurde von der Klägerin aber in einer für den Senat überzeugenden Weise dadurch erklärt, dass sie glaubte, dieses Entgelt nicht für Arbeit, sondern für eine "Schulung" erhalten zu haben, und dass deswegen ein Ausgleich vorgenommen worden sei.
Signifikant höher als die ab Januar zustehenden Arbeitsentgelte lag aber mit 6.209,95 DM (= 3.175,10 EUR) das von der Klägerin im letzten Jahr vor der Arbeitlosigkeit erzielte höchste Bruttomonatsarbeitsentgelt im Oktober 2001. Dieses Entgelt rückte in die Nähe des der fehlerhaften Alg-Berechnung zugrunde gelegten monatlichen Bemessungsentgelts von 3.879,76 EUR, wobei insbesondere zu berücksichtigen war, dass durch die wöchentliche (und nicht monatliche) Gewährung des Alg einerseits und durch die Auszahlung des Arbeitsentgelts für 2001 noch in DM andererseits auch einem geübteren Rechner bestehende Diskrepanzen jedenfalls nicht sofort ins Auge springen. Dies gilt erst recht für die Klägerin mit ihren geringen intellektuellen, insbesondere mangelhaften mathematischen Fähigkeiten. Wegen des relativ hohen, noch in DM berechneten und ausgezahlten Entgelts im Jahre 2001 (erklärt durch Nachtarbeit und gute Bezahlung) musste der Klägerin auch keine Diskrepanz in der Höhe des - ihr bekannten - Prozentsatzes von 60% zwischen dem (von ihr fälschlich als relevant angenommenen) Bruttoeinkommen und dem gezahlten Alg ins Auge springen. Ausweislich der aktenkundigen Arbeitsbescheinigung belief sich ihr beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt für Juni 2001 auf 4289,62 DM, für Juli 2001 auf 3432,66 DM, für August 2001 auf 3616,94 DM, für September 2001 auf 3278,33 DM, für Oktober 2001 - wie bereits ausgeführt - auf 6209,95 DM, für November 2001 auf 3571,32 DM und für Dezember 2001 auf 4610,99 DM. Geht man unter Zugrundelegung des hier einschlägigen subjektiven Maßstabs von dem von der Klägerin irrtümlich als Bezugsgröße für die Alg-Berechnung angenommenen prozentualen Anteil am Bruttoarbeitsentgelt aus, ergeben sich für die genannten Monatszeiträume jeweils Beträge, die zumindest in die Nähe des fehlerhaft gewährten Alg für einen Monat (= 1220,31 Euro = 268,61 Euro wöchentlich x 13:3) kommen.
Auch aufgrund der sonstigen Umstände musste der Klägerin angesichts ihrer kognitiven Fähigkeiten die Unrichtigkeit der Alg-Höhe nicht ins Auge springen. Die Klägerin bekundete in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2006 in glaubhafter Weise, nur einfache Additions- und Subtraktionsrechnungen vornehmen zu können. Das Vertrauen der Klägerin in die Richtigkeit der Entscheidungen der Behörde wurde durch die zweifache Wiederbewilligung des Alg in der fehlerhaften Höhe gestärkt. Das Arbeitsentgelt für die Zeiträume von Januar bis März 2002 (ausweislich der beigezogenen Akten der Landesversicherungsanstalt Schwaben im Januar 2002: 1278,97 Euro, im Februar 2002: 1076,44 Euro, im März 2002: 1133,64 Euro jeweils netto pro Monat) kam aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers der Klägerin nicht bzw. nicht vollständig zur Auszahlung. Für den genannten Zeitraum erhielt die Klägerin einen Insg-Betrag, der der Höhe nach in etwa dem Betrag des fehlerhaft gewährten Alg für einen Monat (= 1220,31 Euro = 268,61 Euro wöchentlich x 13:3) entsprach. Der Umstand der Insolvenzgeldzahlung für einen Zeitraum von drei Monaten zeigt, dass sich für die Klägerin kein in der Höhe stetiger monatlicher Entgeltfluss entnehmen ließ. Auch die Diskrepanz zwischen der Höhe des falsch gewährten Alg und der Höhe des bezogenen Krankengelds ändert an dem Ergebnis nichts. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Kg-Bewilligung andere Maßgaben zugrunde liegen als der Alg-Bewilligung. Auch die Zahlung durch unterschiedliche Leistungsträger drängte die Klägerin nicht zu einem Vergleich der beiden Leistungen. Im Übrigen bezog sich die Kg-Bewilligung auf einen Zeitraum von zwei Wochen, und zwar vom 24.01.2003 bis 07.02.2003, während die Alg-Bewilligung einen wöchentlichen Leistungssatz auswirft, was wiederum einen direkten Vergleich erschwerte. Der zu hohe Betrag des zur Auszahlung gelangten Alg musste der Klägerin bei ihrem intellektuellen Zuschnitt auch nicht im Hinblick auf den im Zusammenhang mit der Insg-Gewährung genannten Nettobetrag ohne weiteres auffallen, da zum einen die Insg-Berechnung nach anderen Maßgaben erfolgt als die Alg-Bewilligung, und da zum anderen sich der Insg-Betrag auf einen viel längeren Zeitraum als die Alg-Bewilligung, nämlich - wie bereits ausgeführt - auf einen Zeitraum von drei Monaten, bezog. Im Übrigen steht nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin bezüglich der von ihr erhaltenen Sozialleistungen auch einfachste Gesichtspunkte bezüglich der Grundsätze der entsprechenden Leistungsbewilligungen nicht zu verstehen in der Lage ist. So war sie durch die Frage nach dem Unterschied zwischen Insolvenzgeld und Arbeitslosengeld in der mündlichen Verhandlung völlig überfordert.
Zu einem für die Klägerin ungünstigen Ergebnis, also der Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße, führt auch nicht der Umstand, dass sie sich keinen Rat bezüglich der Richtigkeit der Alg-Berechnung einholte. Dazu hatte sie unter Zugrundelegung des hier maßgeblichen objektiven Maßstabs keine Veranlassung. Nach dem in der mündlichen Verhandlung beim LSG gewonnenen Eindruck von den haushälterischen Kenntnissen und Fähigkeiten der Klägerin bestimmte sich ihr Verbrauchs- und Konsumverhalten im Wesentlichen nach dem aktuellen Geldzufluss, über den sie sich im einzelnen keine besonderen Gedanken machte. So bekundete sie, kein Haushaltsbuch zu führen. Auch konnte sie ihre durchschnittlichen monatlichen Gesamtausgaben nicht einmal überschlägig benennen. Dieses mangelhaft ausgeprägte ökonomische Verhalten zeigt auch das Vorhandensein nur geringer finanzieller Rücklagen in Höhe von 600 bzw. 900 Euro im Spar- und Girokonto. Die Klägerin war letztlich mit dem Zufluss des bewilligten Arbeitslosengeldes völlig zufrieden und in keiner Weise wegen dessen Höhe verunsichert. Zwar kann sich ein Versicherter grundsätzlich nicht mit Erfolg auf mangelnde Sprachkenntnisse berufen, da er einen Dolmetscher hätte befragen können (vgl. BSG 24.04.1997 - 11 RAr 89/96). Vorliegend war aber zu berücksichtigen, dass die schwerbehinderte Klägerin - wie sie selbst in glaubhafter Weise angab - ganz alleine lebt und offensichtlich ein relativ zurückgezogenes Leben führt, so dass sich die unterlassene Einholung einer Auskunft - gegebenenfalls nach entsprechender Übersetzung - im vorliegenden Fall jedenfalls nicht als besonders schwerer Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten darstellt.
Die dokumentierten Vorsprachen der Klägerin beim Arbeitsamt wegen Urlaubsnahme und wegen Krankheit sowie bei der LVA Schwaben wegen Hinzuverdienstgrenzen (Schreiben vom 04.11.2001- Blatt 34), die von der Beklagten zum Beweis eines doch hinreichend vorhandenen Sorgfaltsverhaltens angeführt werden, beweisen umgekehrt eine völlige Redlichkeit und Arglosigkeit der Klägerin gegenüber behördlichem Verhalten. Sie belegen, dass die Klägerin quasi blind der Richtigkeit des Handelns der Beklagten vertraute.
Nach alledem wird bei der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit durch die Verkennung der Fehlerhaftigkeit der Alg-Höhe das Ausmaß einer schweren Obliegenheitsverletzung im Sinne einer groben Fahrlässigkeit nach § 45 Abs.2 Nr.3 2. Alt. SGB X nicht erreicht.
Da die Aufhebung der Alg-Bewilligung hinsichtlich der gesamten Bescheide somit rechtswidrig war, sind die bereits erbrachten Leistungen auch nicht gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Aufgrund des Obsiegens der Klägerin in beiden Rechtszügen war die Beklagte zur entsprechenden Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu verpflichten, § 193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nnr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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