L 13 R 151/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 R 313/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 151/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 460/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Klagen gegen die Bescheide vom 11. Oktober 2005 und 9. Juni 2006 werden abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Altersrente.

Der 1935 geborene Kläger ist Staatsangehöriger Marokkos mit dortigem Wohnsitz. Am 06.12.2001 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Zahlung von Altersrente. Auf Anfrage der Beklagten teilte der Kläger mit Schreiben vom 01.08. 2002 mit, er habe in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1961 bis 1966 rentenrechtliche Zeiten zurückgelegt. Er sei bei verschiedenen Firmen, auch bei der Bundesbahn in F. und bei der Stadt F. , beschäftigt gewesen.

Mit Bescheid vom 11.12.2002 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Altersrente mit der Begründung ab, deutsche Versicherungszeiten seien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Die Ermittlungen aufgrund der Angaben des Klägers und der eingereichten Unterlagen seien ergebnislos verlaufen, Versicherungs- oder Beschäftigungsunterlagen seien von dem Kläger trotz Aufforderung nicht eingereicht worden. Der Bescheid wurde dem Kläger am 23.12.2002 zugestellt. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass gegen diesen Bescheid Widerspruch innerhalb von drei Monaten nach der Bekanntgabe möglich sei. Der Widerspruch des Klägers ging am 29.12.2003 bei der Beklagten ein. Mit Schreiben vom 23.02.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Widerspruch sei wegen Fristablaufs als unzulässig zurückzuweisen. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der unzulässige Widerspruch als Rentenneuantrag angesehen werden solle. Eine Antwort auf dieses Schreiben ist bei der Beklagten nicht eingegangen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Der Widerspruch sei verspätet eingegangen. Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich. Die Widerspruchsstelle könne deshalb nicht in eine sachlich-rechtliche Prüfung des angefochtenen Bescheides eintreten.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 01.06.2004 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und ausgeführt, er sei Arbeiter in Deutschland gewesen und bitte um eine Altersrente oder eine finanzielle Hilfe, da er Invalide und auf medizinische Behandlung angewiesen sei. Er legte dazu eine Bescheinigung über die Zuteilung eines Kennzeichens des Zollamtes F. vom 25.01.1967 sowie eine Kopie des Auszuges eines Antrags auf Lohnsteuerjahresausgleich für das Jahr 1966 vor, in dem er angegeben hatte, sich seit dem 06.11. 1961 in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten und am 05.02.1967 nach Marokko zurückzukehren.

Auf Anregung des SG hat die Beklagte eine Überprüfung des Bescheids vom 11.12.2002 vorgenommen und mit Bescheid vom 11.10. 2005 erneut einen Anspruch auf Regelaltersrente abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen sei die Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt, denn es seien insgesamt an deutschen Versicherungszeiten nur 14 Kalendermonate zu berücksichtigen. Mit Vormerkungsbescheid vom 12.10.2005 stellte die Beklagte an glaubhaft gemachten Versicherungszeiten die Zeiträume 09.11.1961 bis 02.02.1962, 21.02.1962 bis 15.05. 1962 und 09.04.1964 bis 17.09.1964 fest. Im Übrigen blieben die Ermittlungen der Beklagten bei der AOK F. , der Bahnversicherungsanstalt, der Stadt F. , der Zusatzversorgungskasse für die Gemeinden und Gemeindeverbände in W. , der Landesversicherungsanstalt Hessen und der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz erfolglos.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2006 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 11.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbe- scheids vom 07.05.2004 abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe erst nach einem Jahr und somit nicht innerhalb der Dreimonatsfrist Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch sei somit von der Beklagten zutreffend als unzulässig zurückgewiesen worden.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung einge- legt. Er sei mit der Entscheidung nicht einverstanden, weil er von 1961 bis 05.07.1967 gearbeitet habe. Er hat erneut der Auszug des Antrages auf Lohnsteuer-Jahresausgleich von 1966 vorgelegt.

Aufgrund eines weiteren Überprüfungsantrages des Klägers vom 31.01.2006, eingegangen bei der Beklagten am 13.02.2006, mit dem er Lohnunterlagen über eine Beschäftigung bei der Stadt F. in den Jahren 1965 und 1966 vorgelegt hat, hat die Beklagte mit Bescheid vom 09.06.2006 einen Anspruch erneut abgelehnt. Zwar seien weitere Pflichtbeitragszeiten in den Jahren 1965 und 1966 zu berücksichtigen. Nachgewiesen seien jedoch von einer für einen Anspruch auf Regelaltersrente erforderlichen Wartezeit von fünf Jahren nur 29 Monate.

Der Senat hat bei dem Kläger mit Schreiben vom 22.05.2006 angefragt, bei welchen Arbeitgebern er zu welchen Zeiträumen mit welchen Unterbrechungen in der Bundesrepublik Deutschland und wo er vor und nach seinem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet habe. Die gestellten Fragen blieben unbeantwortet.

Der in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17.01. 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2004 und die Bescheide vom 11.10.2005 und 09.06.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund seines Antrags vom 06.12.2001 Regelaltersrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), sie ist jedoch nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG vom 17.01.2006 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat zu Recht mit Widerspruchsbescheid vom 07.05. 2004 den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 11.12. 2002 als unzulässig zurückgewiesen, weil der Widerspruch nicht fristgerecht bei der Beklagten einging. Der Bescheid wurde also in der Sache bindend. Die Beklagte hat auch im Widerspruchsbescheid keine sachliche Entscheidung getroffen.

Das SG hat zwar zutreffend ausgeführt, der Bescheid der Beklagten, dem Kläger am 23.12.2002 zugestellt, sei wegen des am 15.12.2003 verspätet eingelegten Widerspruchs bestandskräftig geworden. Allerdings hat die Beklagte Überprüfungen nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durchgeführt. Die Überprüfungsbescheide vom 11.10.2005 und 09.06.2006 sind Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden (§§ 96 Abs.1, § 153 Abs.1 SGG).

Nach § 96 Abs.1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn er den mit der Klage angefochtenen früheren Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Geändert oder ersetzt wird ein Bescheid dann, wenn er denselben angefochtenen Streitgegenstand des Ursprungsbescheids betrifft bzw. in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird. Die Feststellung, ob der neue Bescheid in die Regelung des Erstbescheids eingegriffen hat, ist durch Vergleich der in den Verwaltungsakten getroffenen Regelungen, d.h. der ergangenen Verfügungssätze, zu treffen (BSGE 10, 103; BSG SozR 1500 § 96 Nr.13; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 96 Rdnr.4 und 4a).

Diese Voraussetzungen des § 96 Abs.1 SGG liegen hier bezüglich des während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangenen Bescheids vom 11.10.2005 vor, so dass eine materiell-rechtliche Überprüfung eines Anspruchs des Klägers durch das SG hätte erfolgen müssen. Unbeachtlich ist, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.12.2002 wegen Fristversäumnis unzulässig war und im Widerspruchsbescheid keine sachliche Entscheidung getroffen worden ist. § 44 SGB X eröffnet der Beklagten auch während eines anhängigen Gerichtsverfahrens die Möglichkeit, einen angefochtenen Bescheid nach § 44 SGB X zu überprüfen, denn die Vorschrift erfasst gerade ausdrücklich auch Verwaltungsakte, die noch nicht unanfechtbar geworden sind. Ergeht ein für den Kläger positiver Bescheid während eines Gerichtsverfahrens, so nimmt die Beklagte den ursprünglich angefochtenen Bescheid zurück und ändert ihn somit im Sinne des § 96 Abs.1 SGG. Entsprechendes gilt, wenn die Beklagte einer während des Gerichtsverfahrens eingetretenen Änderung durch einen Bescheid nach § 48 Abs.1 SGB X Rechnung trägt. Deshalb wird auch ein Bescheid, mit dem die Beklagte während eines Gerichtsverfahrens ablehnt, nach § 44 SGB X tätig zu werden oder einer Änderung Rechnung zu tragen, gemäß § 96 Abs.1 SGG Gegenstand des Verfahrens. Nur so kann auch vermieden werden, dass über denselben Streitgegenstand mehrere gerichtliche Verfahren nebeneinander geführt werden. Aus prozessökonomischen Gründen ist deshalb § 96 Abs.1 SGG nicht eng auszulegen (BSG, Urteil vom 20.07.2005 - B 13 RJ 37/04 R; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 96 Rndr.1).

Der erkennende Senat kann den Bescheid vom 11.10.2005, der gemäß § 96 Abs.1 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden ist und über den nicht entschieden wurde, zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen und über die Klage gegen diesen Bescheid als erste Instanz entscheiden. Ein solches so genanntes Heraufholen von Prozessresten ist im Zuge der Klageerweiterung gemäß § 99 SGG möglich, wenn die Beteiligten einverstanden sind. Von einem solchen Einverständnis ist auszugehen. Die Beklagte hat selbst auf § 96 SGG hingewiesen und der Kläger hat wiederholt sein Begehren an einer Entscheidung in der Sache zu erkennen gegeben. Auch der im Berufungsverfahren ergangene Bescheid vom 02.06.2006 nach § 44 SGB X ist Gegenstand des Verfahren geworden, weil § 96 Abs.1 SGG entsprechend für das Berufungsverfahren gilt (§ 153 Abs.1 SGG). Dieser Bescheid hat den Bescheid vom 11.12.2002 zuletzt ersetzt. Gegenstand der Prüfung im Berufungsverfahren sind somit die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten durch die Bescheide vom 11.10.2005 und 02.06.2006.

Nach § 44 Abs.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass das Recht bei seinem Erlass unrichtig angewandt worden ist und aus diesem Grunde Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Eine Begrenzung der Prüfungs- und Beurteilungsverpflichtung der Beklagten und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist dabei im Verfahren nach § 44 SGB X nicht gegeben (BSG SozR 1300 § 44 Nr.4).

Vorliegend ist nicht nachgewiesen, dass die Beklagte das Recht unrichtig angewandt hat und dem Kläger zu Unrecht Regelaltersrente nicht gewährt. Gemäß § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf eine solche Rente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die allgemeine Wartezeit als erforderliche Mindestversicherungszeit für einen Anspruch auf Regelaltersrente beträgt fünf Jahre (§§ 34 Abs.1, § 50 SGB VI).

Diese Mindestversicherungszeit von fünf Jahren ist nicht nachgewiesen. Weitere Zeiten als sie im Versicherungsverlauf vom 14.06.2006 angeführt sind, können nicht zumindest glaubhaft gemacht werden. Die Ermittlungen ergaben, dass im Zeitraum vom 09.11.1961 bis 13.10.1966 nur 29 Monate Pflichtbeitragszeiten berücksichtigt werden können.

Der Kläger gab an, von 1961 bis 1966 in der Bundesrepublik Deutschland bei verschiedenen Betrieben, zuletzt bei der Stadt F. gearbeitet zu haben. Im Zuge des zweiten Überprüfungsverfahrens legte der Kläger weitere Lohnabrechnungen für den Zeitraum August 1965 bis Oktober 1966 vor, die die Beklagte auch als Pflichtbeitragszeiten anerkannt hat. Insgesamt ergeben sich somit die rentenrechtlich relevanten Zeiträume 09.11.1961 bis 02.02.1962, 21.02.1962 bis 15.05.1962, 09.04.1964 bis 17.09.1964, 11.11.1964 bis 12.11.1964, 01.08.1965 bis 31.12.1965 und 01.01.1966 bis 13.10.1966, in der Summe damit nur 29 Monate Pflichtversicherungszeiten.

Anfragen der Beklagten bei der AOK F. , der Stadt F. , der Zusatzversorgungskasse für die Gemeinden und Gemeindeverbände in W. , der Landesversicherungsanstalt Hessen und der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz blieben erfolglos. Die Bahnversicherungsanstalt, Bezirksleitung Rosenheim, konnte zwar einen Vorgang eines Versicherten mit dem Familiennamen der Eltern des Klägers ermitteln, aufgrund der Daten (z.B. Beschäftigungszeiten vom Oktober 1961 bis September 1983) ist jedoch keine Personengleichheit gegeben. Für das Jahr 1963 konnten keinerlei Beitragszeiten nachgewiesen werden. Aus der vom Kläger übermittelten polizeilichen Anmeldebestätigung vom 12.02. 1963 ergibt sich nur, dass er als Fahrzeugreiniger tätig war. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung in diesem Zeitraum bzw. in den übrigen Lücken des Versicherungsverlaufs vom 14.06.2006 ausgeübt wurde, ist den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Eine erneute Anfrage des Senats bei der Stadt F. blieb erfolglos.

Zusätzlich zu berücksichtigende in Marokko zurückgelegte Versicherungszeiten liegen offenbar nicht vor. Aus den Mitteilungen des marokkanischen Versicherungsträgers ergibt sich, dass dem Kläger dort keine Versicherungsnummer zugeteilt ist.

Weitere Ermittlungen des Senats waren nicht möglich, weil der Kläger auf das gerichtliche Schreiben vom 25.05.2006 nicht antwortete. Der Senat weist jedoch den Kläger darauf hin, dass dieses Urteil eine weitere Überprüfung durch die Beklagte nicht ausschließt. Dementsprechend hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 09.06.2006 den Kläger gebeten, weitere Unterlagen zur Bestätigung von Versicherungszeiten zu übersenden, um gegebenenfalls eine neue Entscheidung treffen zu können.

Sofern die Wartezeit von fünf Jahren nicht nachgewiesen werden kann und auch der marokkanische Versicherungsträger keine Rente gewährt, besteht für den Kläger lediglich die Möglichkeit eines Antrages auf Beitragserstattung.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 17.01.2006 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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