L 13 R 4046/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RA 188/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 4046/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Februar 2004 abgeändert und die Klage gegen den Bescheid vom 29. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2000 in vollem Umfang abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird abgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1944 geborene Kläger hat den Beruf des Gipsers erlernt (1958 bis 1961) und war nach einer Umschulung zum Industriekaufmann (1974 bis 1976) bis April 1987 nach eigenen Angaben bei verschiedenen Arbeitgebern als Lagerleiter, Depotleiter, Versandleiter, sowie Lager- und Versandleiter versicherungspflichtig beschäftigt. Ab Mai 1987 entrichtete er freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Zuletzt war er von Februar 1997 bis zum 30. November 1998 als Handelsvertreter selbständig tätig.

Am 7. Juli 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Aufgrund eines Skiunfalls vom Dezember 1997, bei dem er nach eigenen Angaben Kopf-, Nacken- und Wirbelsäulenverletzungen erlitten hat, könne er keine Arbeiten mehr verrichten. Er legte dazu ein Schreiben des Orthopäden Dr. B. vom 28. Juni 1999 für eine private Versicherung des Klägers vor. Darin wird ausgeführt, seit der letzten Untersuchung habe sich die Schulter- und Halswirbelsäulen (HWS)-Symptomatik weiter gebessert. Unverändert bestünden Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Ausstrahlung in die Beine. Längeres Sitzen und das Heben und Tragen von Lasten seien dem Kläger auf absehbare Zeit nicht möglich. Dauerhafte Verletzungsfolgen wurden nicht beschrieben.

Die Beklagte ließ den Kläger ambulant durch den Orthopäden, Rheumatologen und Sportmediziner Dr. W. begutachten (Gutachten vom 2. September 1999). Der Kläger gab bei der Untersuchung an, er gehe dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio und mache täglich Krankengymnastik. Ohne diese Übungen habe er sofort HWS-Probleme. Bei Belastung bestünden Schulterbeschwerden beidseits und vor allem bei längerem Sitzen LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke Bein. Er könne höchstens zwei Stunden sitzen und zwei Stunden auf ebenem Boden gehen. Dr. W. diagnostizierte ein chronisches HWS-Syndrom sowie ein chronisches LWS-Syndrom mit Foramenstenose L 5/S1 jeweils ohne Nervenwurzelreizerscheinungen, eine Spondylolisthesis L5/S1 mit Aufbrauchveränderungen und eine Enthesiopathie der Schultergelenke. Er hielt den Kläger noch für fähig, den Beruf des Industriekaufmanns vollschichtig auszuüben.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag vom 7. Juli 1999 wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab (Bescheid vom 29. September 1999). Der Kläger sei noch in der Lage, im bisherigen Berufsbereich vollschichtig tätig zu sein.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger im Wesentlichen vor, ihm sei weder längeres Sitzen noch längeres Gehen oder das Heben und Tragen von Lasten möglich. Er legte u.a. Nachweise über eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit seit 27. Januar 1998 (bis zum Februar 1999 wegen eines Impingement-Sydroms links, anschließend wegen HWS-Syndroms, LWS-Syndroms und PHS links) vor.

Zu seiner Tätigkeit als selbstständiger Handelsvertreter gab der Kläger an, seine Handelsvertretung laufe seit Dezember 1998 auf den Namen der Ehefrau. Er habe täglich ein bis zwei Stunden lang Pkw und Hänger mit Kartons und Maschinen beladen und entladen bei einem Gewicht zwischen 20 kg und 45 kg. Kaufmännische Aufgaben seien die Kalkulation und Buchhaltung (eine Stunde), Angebote (eine Stunde), Verkauf und Kundenberatung (drei Stunden) sowie Außendienst (fünf Stunden) gewesen.

Nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Orthopäden Dr. W. (vom 1. Dezember 1999) und einer Arbeitgeberauskunft mit Funktionsbeschreibung über die zuletzt von 1. April 1982 bis 30. April 1987 ausgeübte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Logistik-Leiter für Lager und Versand (vom 16. Februar 1999) wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2000). Der Kläger könne den gelernten Beruf als Industriekaufmann noch vollschichtig verrichten.

Dagegen hat der Kläger am 5. Juni 2000 (Eingang bei Gericht) beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben.

Das SG hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr. W. (vom 21. August 2000) sowie den Entlassungsbericht vom 3. August 1998 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 30. Juni 1998 bis 28. Juli 1998 beigezogen und ihn ambulant durch den Orthopäden Dr. H. begutachten lassen (Gutachten vom 8. November 2000). Der Kläger hat dort angegebenen, die Schulter sei 17 Monate nach dem Skiunfall wieder gut gewesen, jetzt kämen die Schmerzen aber immer wieder in beiden Schultergelenken und er habe seit Jahren LWS-Beschwerden, die Anlass für die Umschulung zum Industriekaufmann gewesen seien und sich durch den Unfall verschlimmert hätten. Er könne nicht lange sitzen oder laufen und habe bei extrem langem Sitzen Schmerzen im Bein. Die Untersuchung ergab eine endgradige Schmerzhaftigkeit in beiden Schultergelenken und eine altersentsprechend freie Beweglichkeit der HWS und LWS ohne Nervenwurzelreizerscheinungen. Dr. H. stellte als Gesundheitsstörungen ein HWS-Schulter-Arm-Syndrom ohne Nervenwurzelreizerscheinungen, einen Zustand nach Schultergelenksprellung, ein chronisches LWS-Syndrom ohne Nervenwurzelreizerscheinungen und eine Spondylolisthese Grad I nach Meyerding ohne Nervenwurzelreizerscheinungen mit geringen Aufbrauchserscheinungen fest. Schwere Arbeiten sowie Arbeiten in einseitiger Zwangshaltung, Arbeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeiten mit ständigem Sitzen oder Stehen seien dem Kläger nicht mehr möglich. Als Lagerleiter/Versandleiter könne er noch acht Stunden täglich, als Handelsvertreter/Industriekaufmann noch vier Stunden täglich erwerbstätig sein. Die Einschränkung als Handelsvertreter/Industriekaufmann beruhe darauf, dass der Kläger in diesen Berufen lange Zeit im Auto oder am Schreibtisch sitzen müsse und dies die geklagten Beschwerden sicher verstärke. Leichte Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen, ständiges Sitzen oder einseitige Zwangshaltung seien dem Kläger noch vollschichtig zumutbar.

Auf Antrag des Klägers hat das SG den Kläger nochmals ambulant durch den Orthopäden Dr. G. begutachten lassen (Gutachten vom 5. Juni 2001). Dieser hat ein Schulterengesyndrom beidseits, eine leichte Epikondylitis humeri radialis links sowie eine Spondylolisthesis L5/S1 Grad I nach Meyerding diagnostiziert und ausgeführt, der Kläger könne nur noch weniger als 6 Stunden als Lagerleiter oder Versandleiter tätig sein, weil bei dieser Tätigkeit das Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltung und längeres Sitzen am Schreibtisch erforderlich seien. Auch eine Tätigkeit als Handelsvertreter und Industriekaufmann sei nur noch unter 6 Stunden täglich möglich, weil der Kläger als Handelsvertreter lange Auto fahren und beim Be- und Entladen schwer heben und tragen müsse. Welche Einschränkungen einer vollschichtigen Tätigkeit als Industriekaufmann entgegenstehen, hat der Sachverständige nicht angegeben. Der Kläger könne insgesamt noch vollschichtig leichte Arbeiten im ständigen Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ohne Zeitdruck, Schichtarbeit, Zwangshaltung, häufiges Heben und Tragen von Lasten, Bücken, Besteigen von Treppen und Leitern, Arbeiten an laufenden Maschinen, überwiegend im Freien oder unter Einfluss von Kälte, Hitze und starken Temperaturschwankungen verrichten.

Nachdem der Kläger eine Verschlechterung der orthopädischen Gesundheitsstörungen angegeben hatte, hat das SG einen weiteren Befundbericht des Orthopäden Dr. W. (vom 30. Juli 2003) eingeholt und den Kläger von dem Orthopäden Dr. H. ambulant begutachten lassen (Gutachten vom 12. Dezember 2003). Der Kläger gab HWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in die Schultern, Schulterbeschwerden, gelegentliche Beschwerden am linken Ellenbogen und LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke Bein an. Dr. H. diagnostizierte ein Impingement-Sydrom beidseits bei Acromioclaviculargelenksarthrose rechts mehr als links, und endständiger Rotatorenmanschettenruptur rechts im Bereich der Supraspinatussehne, ein chronisch-rezidivierendes LWS-Syndrom ohne Wurzelkompressionen bei Bandscheibendegeneration und Spondylolisthese L5/S1 Grad I bis II nach Meyerding mit myostatischer Dysbalance sowie eine Epikondylitis humeri radialis und ulnaris rechts. An den Schultergelenken seien eine deutliche Impingement-Symptomatik beidseits und eine diskrete Kraftminderung im Bereich der Supraspinatussehne rechts festzustellen. Die LWS sei frei beweglich, die Beweglichkeit der HWS bei Rechtsrotation endgradig schmerzhaft eingeschränkt. Gegenüber dem Rentenverfahren sei im Bereich der rechten Schulter vermutlich innerhalb des letzten Jahres eine Rotatorenmanschettenruptur hinzugekommen. Als Industriekaufmann könne der Kläger wegen der damit verbundenen teilweise mittelschweren Belastung beim Be- und Entladen nur noch bis zu vier Stunden täglich tätig sein, ebenso als Handelsvertreter. Im Übrigen könne er noch vollschichtig leichte, gelegentlich auch mittelschwere Tätigkeiten im ständigen Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ohne Heben und Tragen von Lasten, Besteigen von Leitern oder Treppen ohne Geländer, Absturzgefahr, dauernde Überkopfarbeiten, dauernde Arbeiten in Armvorhalteposition, dauernde Zwangshaltung, Akkord, starke Temperaturschwankungen oder Zugluft verrichten, z.B. als Registrator, Mitarbeiter einer Poststelle oder Bürohilfe, sofern Überkopftätigkeiten ausgeschlossen seien.

Eine Einschränkung der Wegefähigkeit oder die Notwendigkeit zusätzlicher Pausen haben alle Sachverständigen übereinstimmend verneint.

Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nur noch einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit geltend gemacht hat, hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2000 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Mai 2001 bis 30. April 2004 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 2004, den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. Februar 2004, der Beklagten am 16. Februar 2004 zugestellt). Der Kläger könne (sowohl den erlernten Beruf des Gipsers als auch) den Umschulungsberuf des Industriekaufmanns nicht mehr vollschichtig ausüben. Sowohl Dr. G. als auch Dr. H. hätten überzeugend dargelegt, dass der Kläger wegen der bestehenden LWS-Beschwerden Arbeiten nur noch in ständigem Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen verrichten könne. Die Tätigkeit eines Industriekaufmanns werde aber überwiegend sitzend ausgeübt und entspreche damit nicht mehr dem Leistungsvermögen des Klägers. Da aber noch ein halb- bis untervollschichtiges Leistungsvermögen bestehe, komme nur eine befristete Rente in Betracht. Bei einem Leistungsfall vom Oktober 2000 (Untersuchung durch Dr. H.) beginne die Rente am 1. Mai 2001, so dass dem Kläger nach dem ab 1. Januar 2001 geltenden Recht anstelle einer Rente wegen Berufsunfähigkeit eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - n.F.) zu zahlen sei. Die Rente sei gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI auf drei Jahre zu befristen.

Gegen diese Entscheidung haben die Beklagte am 12. März 2004 und der Kläger am 30. März 2004 (Eingang bei Gericht) beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung bzw. Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte hat zur Begründung vorgetragen, der Kläger habe in seiner letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit als Logistikleiter einen großen Betriebsbereich mit 40 Mitarbeitern, darunter auch Fachangestellten, eigenverantwortlich geleitet, er sei ausschließlich der Geschäftsführung unterstellt gewesen und eigenverantwortlich für die Organisation, Überwachung und Kontrolle der Leistungserfüllung, die Finanzen sowie die Personalplanung und Personalführung zuständig gewesen. Sein Bruttogehalt habe der Gehaltsgruppe VII, der höchsten Gehaltsgruppe des Tarifsvertrags für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister des Metall verarbeitenden Handwerks in Bayern entsprochen. Danach würden Tätigkeiten entlohnt, die im Rahmen allgemeiner Richtlinien selbständig ausgeführt, eigenverantwortliche Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für den Betriebs- oder Geschäftsablauf erfordern oder Grundlagen für derartige Entscheidungen liefern würden. Bei einer derartigen Tätigkeit bestehe mehr als bei allen anderen Tätigkeiten die Möglichkeit selbstbestimmten Haltungswechsels. Eine weitere Möglichkeit dafür biete die persönliche Verteilzeit, die bei Bürotätigkeiten mit 10 bis 15% der regulären Arbeitszeit angesetzt werde. Hinzu kämen noch die tariflich vereinbarten Pausen, in denen eine Körperhaltung nach persönlichen Bedürfnissen eingenommen werden könne. Außerdem könne eine überwiegend sitzende Arbeitshaltung durch die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfen, wie einem höhenverstellbaren Schreibtisch oder einem Stehpult, durchbrochen werden. Damit könne insgesamt der Sitzanteil bei Bürotätigkeiten deutlich reduziert werden. Im Übrigen müssten längere Sitzphasen nicht unbedingt zu Zwangshaltungen oder unzumutbaren Wirbelsäulenbelastungen führen. Durch ergonomisch ausgestattete Arbeitsplätze und individuelles präventives Verhalten könne dies vermieden werden. Insgesamt lägen die mit den Aufgaben und Tätigkeitsmerkmalen des bisherigen Berufs verbundenen Anforderungen vollständig im Leistungsbild des Klägers. Kaufmännische Tätigkeiten seien unzweifelhaft körperlich leichte Arbeiten, bei denen ein Wechsel der Körperhaltung grundsätzlich möglich sei. Deshalb liege weder Berufsunfähigkeit noch Erwerbsunfähigkeit vor. Die Beklagte hat hierzu u.a. den für die letzte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers maßgebenden Rahmentarifvertrag (in der Fassung vom 2. August 1984), Unterlagen zur persönlichen Verteilzeit und ein für das Sozialgericht Chemnitz im Verfahren Az.: S 7 Kn 49/94 erstelltes berufskundliches Gutachten vom 13. Juni 1995 zum Beruf der Industriekauffrau vorgelegt.

Der Kläger hat seinerseits geltend gemacht, ihm sei Rente wegen Berufsunfähigkeit bereits ab Antragstellung, spätestens aber ab der Untersuchung durch Dr. H. im Oktober 2000, zu gewähren. Er sei aufgrund der letzten sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit sozial nur auf einen Fachangestelltenberuf wie den des Industriekaufmanns verweisbar. Gerade diesen Beruf könne er aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, denn er könne nicht mehr überwiegend sitzend tätig sein. Da auch keine Besserungsaussicht bestehe, sei Rente auf Dauer zu bewilligen.

Der Senat hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr. W. (von 22. September 2004) beigezogen, wonach im November 2004 eine partielle Läsion der langen Bizepssehne links mit sekundär ausgeprägtem Supraspinatussyndrom und Bizepssehnensyndrom festgestellt worden sei, und ergänzende Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. H. , Dr. G. und Dr. H. zum Leistungsvermögen des Klägers im Beruf des Industriekaufmanns eingeholt.

Der Sachverständige Dr. H. hat mitgeteilt, dass dem Kläger eine Arbeitszeit von mehr als vier Stunden möglich sei, wenn er während der Arbeit nicht ständig sitzen müsse und immer wieder aufstehen könne. Die von ihm genannten Einschränkungen bestünden nur für Arbeiten mit ständigem Sitzen oder Stehen (Stellungnahme vom 6. Dezember 2004).

Nach Ansicht des Sachverständigen Dr. G. sollte die sitzende Tätigkeit auf 1/3 der Arbeitszeit beschränkt werden und durchgehend nicht mehr als eine Stunde betragen. Er sehe aber keinen Widerspruch zur Feststellung des Vorgutachters Dr. H. , dass dem Kläger nur Arbeiten mit ständigem Sitzen unzumutbar seien (Stellungnahme vom 8. Dezember 2004).

Demgegenüber hat der Sachverständige Dr. H. angegeben, wenn es sich bei der Tätigkeit eines Industriekaufmanns um eine überwiegend sitzende Tätigkeit mit Wechsel zu stehenden und gehenden Tätigkeiten handle, sei eine Leistungsfähigkeit von 6 Stunden bis untervollschichtig gegeben (Stellungnahme vom 25. November 2004), ohne die Einschränkung auf eine untervollschichtige Tätigkeit zu begründen.

Zur Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger eine überwiegend sitzende Tätigkeit ausüben kann, hat der Senat den Kläger ambulant durch den Orthopäden Dr. L. (Gutachten vom 12. April 2005) und auf Antrag des Klägers durch den Orthopäden Prof. Dr. R. (Gutachten vom 6. März 2006) begutachten lassen. Beide Sachverständige sind übereinstimmend zu der Ansicht gelangt, dass der Kläger eine überwiegend sitzende Tätigkeit vollschichtig ausüben könne. Ausgeschlossen sei lediglich eine ausschließlich sitzende Tätigkeit. Auch sei nur ein gelegentlicher, nicht aber ein häufiger oder gar regelmäßiger Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen erforderlich. Ohne Unterbrechung könne der Kläger zwei bis drei Stunden sitzend arbeiten. Durch eine geeignete Arbeitsplatzgestaltung könne die Fähigkeit zu sitzenden Tätigkeiten außerdem verbessert werden.

Der Kläger hat dagegen eingewandt, als Leiter der Logistik könne er sozial nur auf eine Stellung als Abteilungsleiter verwiesen werden. Dies sei mit Stress und Zeitdruck verbunden und erfordere gute EDV-Kenntnisse, die er nicht besitze. Außerdem bezweifle er, dass er überhaupt EDV-tauglich sei. Auch sei ein Achtstundentag für Abteilungsleiter nicht ausreichend und er habe aufgrund seines Alters keine Aussicht, einen Arbeitgeber zu finden. Seine derzeit gute körperliche Verfassung beruhe darauf, dass er genügend Zeit habe, sich durch gezieltes Training fit zu halten. Er gehe zwei bis drei mal wöchentlich ins Fitnessstudio sowie regelmäßig Schwimmen, Radfahren und Laufen. Außerdem besuche er zweimal pro Monat Thermalbäder. Bei einem vollschichtigen Arbeitstag werde sich sein Gesundheitszustand sehr schnell verschlechtern. Das könne er durch Krankheitszeiten belegen, denn er sei unter anderem vom 28. August 2000 bis 4. Dezember 2000, 7. Dezember 2001 bis 7. Juli 2002, 27. September 2004 bis 16. Januar 2005 und 2. Februar 2006 bis 16. April 2006 arbeitsunfähig gewesen. Vor jeder dieser Zeiten habe er ein paar Wochen lang vollschichtig gearbeitet. Im Übrigen könne kein Arzt im Jahr 2006 feststellen, wie lange er im Oktober 2000 beziehungsweise im Januar 2001 eine überwiegend sitzende Tätigkeit habe ausüben können. Er hat hierzu ein Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 25. Mai 2000 vorgelegt, das dieser für eine private Lebensversicherungsgesellschaft erstellt hat. Danach konnte der Kläger noch leichte Tätigkeiten im Wechsel von maximal einer Stunde Sitzen, Gehen und Stehen, insgesamt maximal drei bis vier Stunden täglich verrichten.

Der Vertreter der Beklagten beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Februar 2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 29. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2000 abzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Februar 2004 sowie des Bescheides vom 29. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2000 zu verurteilen, ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu zahlen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Berufung und Anschlussberufung sind form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2000 nur insoweit, als es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 7. Juli 1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen. Soweit die Beklagte den weitergehenden Antrag des Klägers auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Erwerbsminderung abgewiesen hat, ist der Bescheid vom 29. September 1999 bestandskräftig geworden (§ 77 SGG), da der Kläger die hierzu erhobene Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht mehr aufrecht erhalten hat.

Soweit das SG die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger ab 1. Mai 2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu zahlen, ist die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, so dass auch die weitergehende Anschlussberufung des Klägers unbegründet ist.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.), da er den zu Grunde liegenden Rentenantrag vor dem 3. April 2001 gestellt hat und Rente (auch) für Zeiten vor dem 1. Januar 2001 begehrt (§ 300 Abs. 2 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -). Soweit ein Anspruch auf Rente dem Grunde nach erstmals für Zeiten nach dem 31. Dezember 2000 in Betracht kommt, richtet sich der Anspruch nach den Vorschriften des SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.).

Nach § 43 SGB VI (a.F.) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähig keit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Be schäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Unter den selben Voraussetzungen haben seit dem 1. Januar 2001 Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 2. Januar 1962 geboren sind, Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 1 i.V.m. § 43 SGB VI n.F.)

Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt. Zwar hat er die allgemeine Wartezeit (§§ 50 Abs.1 Satz 1, 51 Abs.1 SGB VI) erfüllt. Bei ihm liegt jedoch keine Berufsunfähigkeit vor.

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2 SGB VI a.F.).

Der Kläger kann im vorliegenden Fall auf die Tätigkeit eines Industriekaufmanns verwiesen werden, für die er erfolgreich umgeschult worden ist und die er in verschiedenen Funktionen bis 1987 sozialversicherungspflichtig ausgeübt hat. Die Tätigkeit eines Industriekaufmanns ist körperlich leicht, wird überwiegend sitzend ausgeübt, ermöglicht einen gelegentliche Haltungswechsel und entspricht von den weiteren Anforderungen her auch den von den Sachverständigen genannten qualitativen Leistungseinschränkungen. Sie ist insbesondere in der Regel nicht mit Schichtarbeit, Heben und Tragen von Lasten, einseitiger Zwangshaltung, dauernde Überkopfarbeit oder Witterungseinflüssen verbunden.

Dass der Kläger noch eine überwiegend sitzende Tätigkeit mit gelegentlichem Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen verrichten kann, ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L ... Danach bestehen beim Kläger ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom leichter Prägung mit geringgradigem Funktionsdefizit ohne sensomotorisches Defizit, eine unspezifische Periarthropathie des rechten Schultergelenks, eine beginnende Kontraktur des vierten Fingers rechts ohne Einschränkung der Greiffunktionen sowie Senkspreizfüße. Ein in den Vorgutachten angenommenes Wirbelgleiten im Bereich L5/S1 hat der Sachverständige ausdrücklich ausgeschlossen. Insgesamt zeigte sich der Kläger bezüglich des Stütz- und Bewegungsapparates in ausgezeichneter körperlicher Verfassung. An der HWS bestanden weder Beschwerden noch Funktionseinschränkungen. Auch die Beweglichkeit der BWS und LWS zeigte sich altersentsprechend frei. Der neurologische Befund war auch bei dieser Begutachtung unauffällig.

Aufgrund der von ihm erhobenen Befunde hat Dr. L. unter Berücksichtigung und eingehender Diskussion der Vorgutachten überzeugend und schlüssig dargelegt, dass der beim Kläger bestehende Wirbelversatz zwar bei Instabilität durchaus ein Schmerzsyndrom auslösen kann, ein solcher Gleitvorgang jedoch bereits vom Sachverständigen Dr. H. nach entsprechender Funktionsdiagnostik ausgeschlossen worden ist. Damit besteht lediglich ein leichtgradiges LWS-Syndrom das nur einen gelegentlichen Wechsel der Arbeitsposition zwischen Gehen, Stehen und Sitzen erfordert. Die Annahme der Vorgutachter, aufgrund des LWS-Syndroms sei ein häufiger oder gar regelmäßiger Haltungswechsel erforderlich, ist danach nicht haltbar. Durch eine geeignete Arbeitsplatzgestaltung kann außerdem nach Angaben des Sachverständigen die Fähigkeit zu sitzenden Tätigkeiten und die LWS-Symptomatik verbessert werden Dr. L. hat darüber hinaus ausgeführt, dass gerade die Funktionsbeschreibung der letzten Tätigkeit auch bei einer unterstellten sitzenden Tätigkeit mit Arbeiten am Bildschirm in vollem Umfang dem Leistungsvermögen des Klägers entspricht. Dieses Ergebnis ist angesichts der seit Jahren praktisch unveränderten, objektiv eher leichtgradigen Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers ohne weiteres nachvollziehbar.

Aus den Beschwerden an den Schultern, bei denen sich eine vom behandelnden Orthopäden angegebene Läsion der langen Bizepssehne links nicht nachweisen ließ, resultieren lediglich die bereits in den Vorgutachten festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen für Arbeiten mit vorgehaltenen Armen und Überkopfarbeiten. Weitergehende Gesundheitsstörungen, die das Leistungsvermögen des Klägers für körperlich leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten einschränken würden, liegen nicht vor.

Der Senat schließt sich der Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. L. an. Dr. L. hat die teilweise anders lautenden Beurteilungen der Vorgutachter unter Hinweis auf insoweit fehlende pathologische Befunde in seinem Gutachten ausführlich und begründet widerlegt. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass bei keiner der Vorbegutachtungen wesentliche Funktionseinschränkungen festzustellen waren. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für ein Schmerzsyndrom, das das Leistungsvermögen zeitlich oder spezifisch im Hinblick auf überwiegend sitzende Tätigkeiten einschränken würde. Auffallend ist insoweit, dass beim Kläger trotz seiner langjährigen Beschwerdeangaben bisher weder eine eingehende neurologische, noch eine schmerztherapeutische oder schmerzdistanzierende Behandlung stattgefunden hat. Es fehlen auch jegliche Anzeichen für eine psychische Beeinträchtigung, wie sie bei langjährigen erheblichen Schmerzzuständen zu erwarten wären.

Der Einwand des Klägers, er könne sozial zumutbar allenfalls auf eine Tätigkeit als Abteilungsleiter verwiesen werden, beruht auf einer Verkennung des vom SG zitierten Mehrstufenschemas des BSG. Maßgebend ist nicht die tarifliche Einstufung, sondern die Einstufung als Fachangestellter (mit mehr als zweijähriger Ausbildung), der auch auf angelernte Tätigkeiten verweisbar ist, oder als Fachangestellter mit besonders hoher Qualifikation, der lediglich auf Tätigkeiten als Fachangestellter verwiesen werden kann. Wird der Kläger - entsprechend der Bewertung der Beklagten in der berufskundlichen Stellungnahme vom 17. März 2004 - der Gruppe der Fachangestellten mit besonders hoher Qualifikation zugeordnet, so kann er sozial zumutbar jedenfalls auf die Tätigkeit eines Industriekaufmanns verwiesen werden, bei der es sich um einen Fachangestelltenberuf handelt. Dies bedarf allerdings im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung, weil dem Kläger dieser Beruf jedenfalls nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI a.F. (§ 240 Abs. 2 Satz 3 SGB VI n.F.) sozial zumutbar ist. Er hat die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten im Wege einer beruflichen Rehabilitation (Umschulung) erworben und in langjähriger Tätigkeit erfolgreich eingesetzt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Umschulungsberuf auf der Qualifikationsebene eines Fachangestellten auszuüben.

Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des SG deshalb insoweit aufzuheben, als die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI n.F.) zu zahlen hat. Die Anschlussberufung des Klägers, mit der er einen früheren Rentenbeginn, eine andere Rentenart (Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 SGB VI a.F.) und eine unbefristete Bewilligung der Rente begehrt hat, war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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