Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 190/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2006 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Dem Antragsteller wird für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I aus X bewilligt.
Gründe:
I. Mit Bescheid vom 24.04.2006 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 524,35 Euro.
Unter dem 30. Mai 2006 führte der Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin bei dem Antragsteller einen Ortstermin durch. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass der Antragsteller zusammen mit einer Frau M wohnt. Beide schlafen in einem Schlafzimmer. Mit Schreiben vom 30.05.2006 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau M offenzulegen, und Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen, Sparbücher, Nachweise über Grundeigentum usw. von Frau M bis spätestens zum 16.06.06 vorzulegen.
Unter dem 06.06.2006 teilte der Antragsteller mit, er sei homosexuell und ein eheähnliches Verhältnis sei nur nach außen hin gewollt erkennbar um ihn vor spießigen Übergriffen aus der hetero-sexuellen Gesellschaft zu schützen.
Mit Bescheid vom 12.06.2006 stellte die Antragsgegnerin die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung ein, weil der Antragsteller die zuvor geforderten Unterlagen bis dahin nicht vorgelegt hatte.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 03.07.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, es sei zutreffend, dass der Antragsteller im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten nicht gehalten sein könne, Einkommensnachweise der Frau M beizuziehen. Die Leistung sei aber wegen Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers einzustellen.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller unter dem 2. August 2006 Klage erhoben und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt und der Antragsteller daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklagen gegen einen Verwaltungsakt der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch für Bescheide, mit denen eine bereits bewilligte Leistung eingestellt wird.
(LSG NRW, Beschluss vom 31.03.2006, Az.: L 19 B 15/06 AS ER; LSG Rheinland Pfalz. Beschluss vom 26.04.2006, Az.: L 3 ER 47/06 AS; LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss vom 22.02.2006, Az.: L 9 AS 127/06 ER).
Richtiger Rechtsbehelf ist daher vorliegend der Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache - auf Antrag - in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Eine solche Anordnung hat zu ergehen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen.
(LSG Hamburg, Beschluss vom 02.02.2006, Az.: L 5 B 396/05 ER AS).
Dies ist vorliegend der Fall. Das Gericht vermag zunächst nicht zu erkennen, auf welche Rechtsgrundlage sich die angefochtenen Bescheide stützen. Zwar gibt der Bescheid vom 12.06.2006 als Rechtsgrundlage die §§ 60 ff. SGB I an, diese Anspruchsgrundlage kommt aber hier erkennbar deswegen schon nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin selbst im Widerspruchsbescheid einräumt, dass die Voraussetzungen der §§ 60 ff. nicht vorliegen. Da die Einstellung nach §§ 60 ff. SGB I nur so lange wirkt, wie eine Nachholung der Mitwirkung nach § 67 SGB I nicht erfolgt, müssen diese Rechtswirkungen auch für den Fall entfallen, dass die Antragsgegnerin selbst sich nicht mehr auf diese Vorschrift stützt. Der Antragsteller kann nämlich vom Gericht nicht auf fehlende Mitwirkung verwiesen werden, wenn diese fehlende Mitwirkung von der Antragsgegnerin gar nicht mehr geltend gemacht wird, also eine Nachholung der Mitwirkung nicht mehr zur Leistungsbewilligung führt. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass sich aus dem SGB II keine Auskunftspflichten über die persönlichen Verhältnisse von Nichtmitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft ergeben.
(vgl. Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 02.09.2004, Az.: 1 BvR 1962/04).
Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Mit der Aufforderung vom 30.05.2006 wird vom Antragsteller etwas rechtlich unmögliches verlangt. Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich die Antragsgegnerin hinsichtlich der Anforderung der entsprechenden Unterlagen an den Antragsteller und nicht an Frau M wendet, obwohl Letzteres nach § 60 SGB II ausdrücklich vorgeschrieben ist.
Zwar hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 03.07.2006 die Begründung für den Entzug der Leistung ausgewechselt, eine neue Rechtsgrundlage für den Leistungsentzug wird jedoch in dem Bescheid nicht angegeben. Da nach dem oben Gesagten die §§ 60 ff. SGB I als Rechtsgrundlage ausscheiden, kommen als Ermächtigungsgrundlage nur die §§ 48 (siehe hierzu unten unter 1. und 45 (siehe hierzu unten unter 2.) SGB X in Betracht.
1. § 48 SGB X kommt vorliegend als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht, weil in den tatsächlichen Verhältnissen des Antragstellers seit Erteilung des Bescheides vom 24.04.2006 eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sein dürfte. § 48 SGB X könnte nämlich nur dann Anwendung finden, wenn im Zeitraum zwischen dem 24.04.2006 und dem 12.06.2006 sich die Verhältnisse des Antragstellers dahingehend geändert hätten, dass nunmehr eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" vorliegt. Dies wird aber weder von dem Antragsteller noch von der Antragsgegnerin behauptet. Hierfür liegen auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, denn der Antragsteller lebt schon seit vielen Jahren mit Frau M zusammen.
2. Als mögliche Ermächtigungsgrundlage kommt daher nur § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 3 in Betracht. Ob der Widerspruchsbescheid den Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage entspricht, erscheint eher fraglich.
Vorliegend ist schon zweifelhaft, ob der Bewilligungsbescheid vom 24.04.2006 rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt wäre nur dann rechtswidrig, wenn der Antragsteller mit Frau M in "eheähnlicher Lebensgemeinschaft" leben würde (siehe hierzu unten b)) und Frau M über Einkommen verfügen würde, das der Höhe nach einen Anspruch des Antragstellers ausschließen würde (siehe hierzu unten a)). Zu beiden Voraussetzungen liegen keine ausreichenden tatsächlichen Ermittlungen der Antragsgegnerin vor.
a) Das Einkommen von Frau M ist weiterhin unbekannt. Ermittlungen nach § 60 SGB II hat die Antragsgegnerin bisher nicht angestellt.
b) Auch ist nach den bisherigen Ermittlungen völlig ungeklärt, ob zwischen Frau M und dem Antragsteller tatsächlich eine eheähnliche Lebensgemeinschaft besteht. Insoweit wäre zunächst der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller tatsächlich homosexuell ist. Die Kammer geht jedenfalls davon aus, dass eine homosexuelle Neigung des Antragstellers das Vorliegen einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" erheblich in Frage stellen dürfte.
Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin keine Ermittlungen angestellt, die geeignet wären, eine eheähnliche Lebensgemeinschaft zu belegen. Die Antragsgegnerin hat lediglich festgestellt, dass der Antragsteller und Frau M in einem gemeinsamen Zimmer schlafen, wobei auch hier anzumerken ist, dass im Schlafzimmer 2 getrennte Betten standen mit 2 getrennten Kleiderschränken und getrennten Schuhschränken. Es ist weder ermittelt, ob der Antragsteller und Frau M ein gemeinsames Konto unterhalten, noch ob sich diese in irgendeiner Weise gegenseitig unterhalten oder ob Vermögensgegenstände bestehen, über die beide verfügen können. Die letztgenannten Kriterien sind aber die nach der Rechtsprechung maßgeblichen Kriterien für das Bestehen einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft"
(siehe hierzu auch die Neufassung des § 7 Abs. 3 SGB II vom 01.08.2006 und Bundesverfassungsgericht - Beschluss vom 9. November 2004 - Az: 1 BvR 684/98 ; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992, Az: 1 BvL 8/87 ;Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 7 AS 23/06 ER – Beschluss vom 16.03.2006; Hessisches Landessozialgericht - Az.: L 7 AS 1/05 ER - Beschluss vom 29.06.2005; Hessisches Landessozialgericht - Az.: L 7 AS 18/05 ER - Beschluss vom 27.07.2005; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 10 B 1274/05 AS ER 15.02.2006 ; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 14 B 18/06 AS ER - Beschluss vom 02.03.2006; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 19 B 98/06 AS ER - Beschluss vom 03.03.2006; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 19 B 109/05 AS ER – Beschluss vom 15.03.2006 ; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Az.: L 19 B 85/05 AS ER – Beschluss vom 17.02.2006 ; Landessozialgericht Baden-Württemberg - Az.: L 8 AS 4496/05 ER-B - Beschluss vom 02.12.2005; Landessozialgericht Baden-Württemberg - Az.: L 7 AS 108/06 ER-B - Beschluss vom 31.01.2006; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 5 B 1362/05 AS ER - Beschluss vom 18.01.2006; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 29 B 1212/05 AS ER - Beschluss vom 22.11.2005).
Unabhängig davon ist dem angefochtenen Widerspruchsbescheid eine Ermessensausübung nicht zu entnehmen. Zwar bestimmt § 330 Abs. 2 SGB III, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X der Verwaltungsakt auch ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, diese Vorschrift ist allerdings hier nicht einschlägig, weil die Antragsgegnerin den Verwaltungsakt nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen hat, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft. Bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes für die Zukunft ist jedoch in jedem Fall eine Ermessensausübung erforderlich
(vgl. Niesel SGB III 3. Auflage § 330 Anm. 24). Es kann daher dahinstehen, ob der Antragsteller grob fahrlässig falsche Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 gemacht hat. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass in Fällen wie dem Vorliegenden immer problematisch ist, ob die Nichtangabe einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft im Antragsvordruck den Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt. Bei der eheähnlichen Lebensgemeinschaft handelt es sich nämlich um ein umstrittenes Rechtsinstitut. Einem Laien erscheint es grundsätzlich nicht möglich, die Tatbestandsmerkmale dieses Rechtsinstituts zutreffend zu subsumieren (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Az.: L 19 B 81/05 AS ER - Beschluss vom 21.12.2005). Die Antragsvordrucke der Antragsgegnerin verlangen vom Antragsteller hinsichtlich der Angaben zur eheähnlichen Gemeinschaft nicht etwa tatsächliche Angaben, wie Zusammenleben, gemeinsames Konto, etc., sondern eine rechtliche Bewertung einer komplizierten Rechtsfrage. Derartige Antragsvordrucke hält das Gericht für völlig ungeeignet. Die Behörde kann in sinnvoller Weise in Antragsvordrucken nur tatsächliche Sachverhalte abfragen, nicht aber Rechtsauffassungen der Antragsteller. Tut Sie dies gleichwohl – wie vorliegend – so kann Sie jedenfalls dem Antragsteller die mutmaßlich falsche Beantwortung der Rechtsfrage (hier: liegt eine eheähnliche Gemeinschaft vor?) nicht als grob fahrlässig unrichtige Angabe im Sinne des § 45 SGB X vorhalten, denn die falsche Beantwortung einer komplizierten Rechtsfrage wird von § 45 Abs. 2 Satz 3 gerade nicht sanktioniert, sondern nur die Angabe falscher Tatsachen (vergl. BSGE 13,56; BSG- Soz-R 3-1300 § 45 SGB X Nr. 24;BSG SozR 3-4300 § 137 Nr. 3; von Wulffen SGB X , 5. Aufl. § 45 Anm 22 ff mit weiteren Nachweisen). Das Gericht weist die Beteiligten ausdrücklich darauf hin, dass der vorliegende Beschluss faktisch Rechtswirkungen nur bis zum Ende des Bewilligungszeitraums (31.10.2006) entfalten kann. Voraussetzung für eine Weiterbewilligung von Leistungen über diesen Zeitpunkt hinaus, ist ein Folgeantrag auf SGB II Leistungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Prozesskostenhilfe ist zu bewilligen, weil der Rechtsbehelf erfolgreich ist ...
Gründe:
I. Mit Bescheid vom 24.04.2006 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 524,35 Euro.
Unter dem 30. Mai 2006 führte der Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin bei dem Antragsteller einen Ortstermin durch. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass der Antragsteller zusammen mit einer Frau M wohnt. Beide schlafen in einem Schlafzimmer. Mit Schreiben vom 30.05.2006 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau M offenzulegen, und Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen, Sparbücher, Nachweise über Grundeigentum usw. von Frau M bis spätestens zum 16.06.06 vorzulegen.
Unter dem 06.06.2006 teilte der Antragsteller mit, er sei homosexuell und ein eheähnliches Verhältnis sei nur nach außen hin gewollt erkennbar um ihn vor spießigen Übergriffen aus der hetero-sexuellen Gesellschaft zu schützen.
Mit Bescheid vom 12.06.2006 stellte die Antragsgegnerin die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung ein, weil der Antragsteller die zuvor geforderten Unterlagen bis dahin nicht vorgelegt hatte.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 03.07.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, es sei zutreffend, dass der Antragsteller im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten nicht gehalten sein könne, Einkommensnachweise der Frau M beizuziehen. Die Leistung sei aber wegen Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers einzustellen.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller unter dem 2. August 2006 Klage erhoben und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt und der Antragsteller daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklagen gegen einen Verwaltungsakt der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch für Bescheide, mit denen eine bereits bewilligte Leistung eingestellt wird.
(LSG NRW, Beschluss vom 31.03.2006, Az.: L 19 B 15/06 AS ER; LSG Rheinland Pfalz. Beschluss vom 26.04.2006, Az.: L 3 ER 47/06 AS; LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss vom 22.02.2006, Az.: L 9 AS 127/06 ER).
Richtiger Rechtsbehelf ist daher vorliegend der Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache - auf Antrag - in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Eine solche Anordnung hat zu ergehen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen.
(LSG Hamburg, Beschluss vom 02.02.2006, Az.: L 5 B 396/05 ER AS).
Dies ist vorliegend der Fall. Das Gericht vermag zunächst nicht zu erkennen, auf welche Rechtsgrundlage sich die angefochtenen Bescheide stützen. Zwar gibt der Bescheid vom 12.06.2006 als Rechtsgrundlage die §§ 60 ff. SGB I an, diese Anspruchsgrundlage kommt aber hier erkennbar deswegen schon nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin selbst im Widerspruchsbescheid einräumt, dass die Voraussetzungen der §§ 60 ff. nicht vorliegen. Da die Einstellung nach §§ 60 ff. SGB I nur so lange wirkt, wie eine Nachholung der Mitwirkung nach § 67 SGB I nicht erfolgt, müssen diese Rechtswirkungen auch für den Fall entfallen, dass die Antragsgegnerin selbst sich nicht mehr auf diese Vorschrift stützt. Der Antragsteller kann nämlich vom Gericht nicht auf fehlende Mitwirkung verwiesen werden, wenn diese fehlende Mitwirkung von der Antragsgegnerin gar nicht mehr geltend gemacht wird, also eine Nachholung der Mitwirkung nicht mehr zur Leistungsbewilligung führt. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass sich aus dem SGB II keine Auskunftspflichten über die persönlichen Verhältnisse von Nichtmitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft ergeben.
(vgl. Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 02.09.2004, Az.: 1 BvR 1962/04).
Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Mit der Aufforderung vom 30.05.2006 wird vom Antragsteller etwas rechtlich unmögliches verlangt. Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich die Antragsgegnerin hinsichtlich der Anforderung der entsprechenden Unterlagen an den Antragsteller und nicht an Frau M wendet, obwohl Letzteres nach § 60 SGB II ausdrücklich vorgeschrieben ist.
Zwar hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 03.07.2006 die Begründung für den Entzug der Leistung ausgewechselt, eine neue Rechtsgrundlage für den Leistungsentzug wird jedoch in dem Bescheid nicht angegeben. Da nach dem oben Gesagten die §§ 60 ff. SGB I als Rechtsgrundlage ausscheiden, kommen als Ermächtigungsgrundlage nur die §§ 48 (siehe hierzu unten unter 1. und 45 (siehe hierzu unten unter 2.) SGB X in Betracht.
1. § 48 SGB X kommt vorliegend als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht, weil in den tatsächlichen Verhältnissen des Antragstellers seit Erteilung des Bescheides vom 24.04.2006 eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sein dürfte. § 48 SGB X könnte nämlich nur dann Anwendung finden, wenn im Zeitraum zwischen dem 24.04.2006 und dem 12.06.2006 sich die Verhältnisse des Antragstellers dahingehend geändert hätten, dass nunmehr eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" vorliegt. Dies wird aber weder von dem Antragsteller noch von der Antragsgegnerin behauptet. Hierfür liegen auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, denn der Antragsteller lebt schon seit vielen Jahren mit Frau M zusammen.
2. Als mögliche Ermächtigungsgrundlage kommt daher nur § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 3 in Betracht. Ob der Widerspruchsbescheid den Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage entspricht, erscheint eher fraglich.
Vorliegend ist schon zweifelhaft, ob der Bewilligungsbescheid vom 24.04.2006 rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt wäre nur dann rechtswidrig, wenn der Antragsteller mit Frau M in "eheähnlicher Lebensgemeinschaft" leben würde (siehe hierzu unten b)) und Frau M über Einkommen verfügen würde, das der Höhe nach einen Anspruch des Antragstellers ausschließen würde (siehe hierzu unten a)). Zu beiden Voraussetzungen liegen keine ausreichenden tatsächlichen Ermittlungen der Antragsgegnerin vor.
a) Das Einkommen von Frau M ist weiterhin unbekannt. Ermittlungen nach § 60 SGB II hat die Antragsgegnerin bisher nicht angestellt.
b) Auch ist nach den bisherigen Ermittlungen völlig ungeklärt, ob zwischen Frau M und dem Antragsteller tatsächlich eine eheähnliche Lebensgemeinschaft besteht. Insoweit wäre zunächst der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller tatsächlich homosexuell ist. Die Kammer geht jedenfalls davon aus, dass eine homosexuelle Neigung des Antragstellers das Vorliegen einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" erheblich in Frage stellen dürfte.
Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin keine Ermittlungen angestellt, die geeignet wären, eine eheähnliche Lebensgemeinschaft zu belegen. Die Antragsgegnerin hat lediglich festgestellt, dass der Antragsteller und Frau M in einem gemeinsamen Zimmer schlafen, wobei auch hier anzumerken ist, dass im Schlafzimmer 2 getrennte Betten standen mit 2 getrennten Kleiderschränken und getrennten Schuhschränken. Es ist weder ermittelt, ob der Antragsteller und Frau M ein gemeinsames Konto unterhalten, noch ob sich diese in irgendeiner Weise gegenseitig unterhalten oder ob Vermögensgegenstände bestehen, über die beide verfügen können. Die letztgenannten Kriterien sind aber die nach der Rechtsprechung maßgeblichen Kriterien für das Bestehen einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft"
(siehe hierzu auch die Neufassung des § 7 Abs. 3 SGB II vom 01.08.2006 und Bundesverfassungsgericht - Beschluss vom 9. November 2004 - Az: 1 BvR 684/98 ; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992, Az: 1 BvL 8/87 ;Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 7 AS 23/06 ER – Beschluss vom 16.03.2006; Hessisches Landessozialgericht - Az.: L 7 AS 1/05 ER - Beschluss vom 29.06.2005; Hessisches Landessozialgericht - Az.: L 7 AS 18/05 ER - Beschluss vom 27.07.2005; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 10 B 1274/05 AS ER 15.02.2006 ; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 14 B 18/06 AS ER - Beschluss vom 02.03.2006; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 19 B 98/06 AS ER - Beschluss vom 03.03.2006; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 19 B 109/05 AS ER – Beschluss vom 15.03.2006 ; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Az.: L 19 B 85/05 AS ER – Beschluss vom 17.02.2006 ; Landessozialgericht Baden-Württemberg - Az.: L 8 AS 4496/05 ER-B - Beschluss vom 02.12.2005; Landessozialgericht Baden-Württemberg - Az.: L 7 AS 108/06 ER-B - Beschluss vom 31.01.2006; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 5 B 1362/05 AS ER - Beschluss vom 18.01.2006; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 29 B 1212/05 AS ER - Beschluss vom 22.11.2005).
Unabhängig davon ist dem angefochtenen Widerspruchsbescheid eine Ermessensausübung nicht zu entnehmen. Zwar bestimmt § 330 Abs. 2 SGB III, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X der Verwaltungsakt auch ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, diese Vorschrift ist allerdings hier nicht einschlägig, weil die Antragsgegnerin den Verwaltungsakt nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen hat, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft. Bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes für die Zukunft ist jedoch in jedem Fall eine Ermessensausübung erforderlich
(vgl. Niesel SGB III 3. Auflage § 330 Anm. 24). Es kann daher dahinstehen, ob der Antragsteller grob fahrlässig falsche Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 gemacht hat. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass in Fällen wie dem Vorliegenden immer problematisch ist, ob die Nichtangabe einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft im Antragsvordruck den Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt. Bei der eheähnlichen Lebensgemeinschaft handelt es sich nämlich um ein umstrittenes Rechtsinstitut. Einem Laien erscheint es grundsätzlich nicht möglich, die Tatbestandsmerkmale dieses Rechtsinstituts zutreffend zu subsumieren (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Az.: L 19 B 81/05 AS ER - Beschluss vom 21.12.2005). Die Antragsvordrucke der Antragsgegnerin verlangen vom Antragsteller hinsichtlich der Angaben zur eheähnlichen Gemeinschaft nicht etwa tatsächliche Angaben, wie Zusammenleben, gemeinsames Konto, etc., sondern eine rechtliche Bewertung einer komplizierten Rechtsfrage. Derartige Antragsvordrucke hält das Gericht für völlig ungeeignet. Die Behörde kann in sinnvoller Weise in Antragsvordrucken nur tatsächliche Sachverhalte abfragen, nicht aber Rechtsauffassungen der Antragsteller. Tut Sie dies gleichwohl – wie vorliegend – so kann Sie jedenfalls dem Antragsteller die mutmaßlich falsche Beantwortung der Rechtsfrage (hier: liegt eine eheähnliche Gemeinschaft vor?) nicht als grob fahrlässig unrichtige Angabe im Sinne des § 45 SGB X vorhalten, denn die falsche Beantwortung einer komplizierten Rechtsfrage wird von § 45 Abs. 2 Satz 3 gerade nicht sanktioniert, sondern nur die Angabe falscher Tatsachen (vergl. BSGE 13,56; BSG- Soz-R 3-1300 § 45 SGB X Nr. 24;BSG SozR 3-4300 § 137 Nr. 3; von Wulffen SGB X , 5. Aufl. § 45 Anm 22 ff mit weiteren Nachweisen). Das Gericht weist die Beteiligten ausdrücklich darauf hin, dass der vorliegende Beschluss faktisch Rechtswirkungen nur bis zum Ende des Bewilligungszeitraums (31.10.2006) entfalten kann. Voraussetzung für eine Weiterbewilligung von Leistungen über diesen Zeitpunkt hinaus, ist ein Folgeantrag auf SGB II Leistungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Prozesskostenhilfe ist zu bewilligen, weil der Rechtsbehelf erfolgreich ist ...
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