Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3575/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 362/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Die 1952 geborene Klägerin kroatischer Staatsangehörigkeit lebt seit 1970 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war versicherungspflichtig als Küchenhilfe, Arbeiterin bei einem Modellbauhersteller, als Serviererin/Zimmermädchen und zuletzt als Metzgereiverkäuferin in einem Supermarkt bis 30. April 2002 beschäftigt, seitdem ist sie arbeitsunfähig erkrankt.
Ihren am 1. Juli 2002 gestellten Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit begründete sie damit, dass sie an Gelenksarthrose, Wirbelsäulen- und Hüftbeschwerden, Hypertonie, chronischer Venenentzündung und -erweiterung sowie chronischen Kopfschmerzen und einer Magenschleimhautentzündung leide. Ihren Angaben zufolge hat die Klägerin keine Berufsausbildung absolviert.
Die Krankenkasse (KKH) legte der Beklagten ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vor, wonach die Klägerin an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leide. Bei ihr liege nach Auffassung des Gutachters Dr. B. eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 51 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, wobei eindeutige körperliche Befunde, die einer Wiederaufnahme der bisherigen Berufstätigkeit entgegen stünden, nicht vorlägen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine ambulante Begutachtung der Klägerin auf orthopädischem und internistischem/nervenärztlichem Fachgebiet. Der Orthopäde Dr. S. diagnostizierte ein muskuläres Wirbelsäulensyndrom, einen Verdacht auf Fibromyalgie sowie eine Periarthritis humero scapularis beidseits. Er erachtete die Klägerin noch in der Lage, als Metzgereiverkäuferin oder in anderen leichten und mittelschweren Tätigkeiten mindestens 6 Stunden und mehr arbeiten zu können. Die Klägerin habe sich in gutem Allgemein- und übergewichtigem Ernährungszustand befunden, wobei die oberen und unteren Extremitäten keine wesentlichen Funktionseinschränkungen bei der Untersuchung ergeben hätten. Sie habe sämtliche Muskelansatzpunkte, nicht nur die Tender points, als druckschmerzhaft angegeben. Ein morphologisches Korrelat für die geklagten Beschwerden habe sich weder klinisch noch röntgenologisch gefunden. Demgegenüber befand der Internist und Psychotherapeut Dr. W. unter Berücksichtigung der orthopädischen Befunde die Klägerin für nur noch in der Lage, 3 bis unter 6 Stunden täglich Arbeiten zeitweise im Stehen, überwiegend im Gehen und zeitweise im Sitzen zu verrichten. Auf internistischem Fachgebiet leide sie an Bluthochdruck (gut eingestellt, ohne Herzbeteiligung), einem beginnenden metabolischen Syndrom bei Übergewicht (Adipositas 2. Grades) mit gemischter Hyperlipidämie, grenzwertig erhöhter Harnsäure, einem leichten Diabetes mellitus und Zeichen einer Leberzellverfettung sowie venösen Stauungsbeschwerden nach Unterschenkelthrombose, welche sich aber nur zu einem geringen Grad leistungsmindernd auswirkten. Nach Einholung einer Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. K., die die Auffassung vertrat, lediglich das Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin sei auf unter 3 Stunden eingeschränkt, zog die Beklagte berufskundliche Unterlagen über das Berufsfeld der Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk sowie Verweisungstätigkeiten bei. Daraufhin lehnte sie den Rentenantrag mit Bescheid vom 23. Januar 2003 mit der Begründung ab, die Klägerin könne noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts und in der ihr zumutbaren Beschäftigung als Kassiererin an Etagenkassen in Kaufhäusern oder großen Bekleidungsgeschäften, vergütet nach Gehaltsgruppe K 2 und K 3 im Einzelhandel, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie sei deshalb weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr chronisches Schmerzsyndrom sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Sie könne weder sitzend noch stehend arbeiten. Auch sei sie jeglichen Belastungen aufgrund des Blutdruck- und Herzleidens nicht gewachsen. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere internistische Begutachtung der Klägerin nach ambulanter Untersuchung. Dr. K. führte aus, die internistischen Krankheitsbilder (Adipositas per magna, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus Typ II sowie Steatose der Leber) bedingten keine wesentliche Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates ließen sich nicht sicher einordnen, am ehesten liege ein psychosomatisches Krankheitsbild vor. Er befürwortete ein Leistungsvermögen von über 6 Stunden täglich sowohl für die Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin wie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wobei häufiges Bücken, einseitige Zwangshaltungen sowie Heben und Tragen schwerer Lasten ebenso wie Tätigkeiten unter Witterungseinfluss, Nässe, Zugluft oder extrem schwankenden Temperaturen vermieden werden sollten. Der letzte Arbeitgeber der Klägerin, die Firma S., gab auf Nachfrage der Beklagten an, die Klägerin verfüge über eine abgeschlossene Ausbildung als Fachverkäuferin Fleisch/Wurst, die für die von ihr ausgeübte Tätigkeit erforderlich gewesen wäre. Sie sei seit Februar 2000 in der Metzgereiabteilung des Unternehmens beschäftigt worden, wobei sie ständigen körperlichen Belastungen in gebeugter und gebückter Haltung unter Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft ausgesetzt gewesen sei. Die Klägerin sei in die Vergütungsstufe G 2 nach dem Tarifvertrag für Arbeitnehmer im Einzelhandel (einfache kaufmännische Tätigkeit, auch an SB-Kassen) entlohnt worden. Die Beklagte holte hierauf eine Stellungnahme der berufskundlichen Beraterin J. ein, die die Auffassung vertrat, die Klägerin könne als Fleischfachverkäuferin nicht mehr berufstätig sein. Unter Berücksichtigung des attestierten Restleistungsvermögens sei sie aber noch in der Lage, die Tätigkeit einer Kassiererin an Etagenkassen in großen Bekleidungsgeschäften nach der Gehaltsgruppe II des Tarifvertrages des Einzelhandels für das Bundesland Baden-Württemberg zu verrichten. Hierbei handle es sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet werde und mit Gehen und Stehen verbunden sei. In Bekleidungsgeschäften sei das Tragen, Heben und Bewegen größerer Lasten nicht notwendig. Das Kassieren sei Teilaufgabe einer Fleischfachverkäuferin. Somit könne erwartet werden, dass sie sich in die benannte Verweisungstätigkeit innerhalb von drei Monaten erfolgreich einarbeite. Die Beklagte bewilligte der Klägerin noch eine Kur in der B.-Klinik D., die vom 8. März bis 19. April 2004 durchgeführt wurde. Die Klägerin wurde mit den Diagnosen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, einer Adipositas, einer arteriellen Hypertonie, einer Hypercholesterinämie sowie einem Verdacht auf eine Essstörung als vollschichtig leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitmarkt für einen Einsatz in überschaubaren und strukturierten Tätigkeiten in überwiegend sitzender Haltung unter Vermeidung von schwerem Heben und Tragen, Zwangshaltungen sowie Nässe-, Zugluft- und Kälteexposition entlassen. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2004 wies die Beklagten daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück, wobei ergänzend ausgeführt wurde, dass auch die Gehaltsgruppe der benannten Verweisungstätigkeit als Kassiererin der Gehaltsgruppe entspreche, die bislang für die Klägerin maßgebend gewesen sei. Somit handle es sich nicht um einen unzumutbaren sozialen Abstieg. Es handle sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet werde und mit Gehen und Stehen verbunden sei. Auch das Tragen, Heben und Bewegen größerer Lasten sei in Bekleidungsgeschäften nicht notwendig, so dass sie mit ihrem attestierten Restleistungsvermögen den Verweisungsberuf noch ausüben könne.
Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie könne ihren erlernten Beruf als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr ausüben. Die in Betracht kommenden Verweisungsberufe seien mit Zwangshaltungen verbunden, die ihr nach den medizinischen Feststellungen nicht mehr zumutbar wären. Sie sei auch aus der B.-Klinik D. als arbeitsunfähig entlassen worden, wobei ihre Leistungsfähigkeit für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes als eingeschränkt angesehen worden wäre.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das Gericht die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt sowie diese anschließend neurologisch-psychiatrisch begutachten lassen.
Der Allgemeinmediziner Dr. S. führte aus, dass die Beschwerden der Klägerin parallel mit der Dauer des Rentenrechtsstreits zunähmen und in der Schilderung und im subjektiven Erleben zunehmend bizzarer und vielfältiger würden, obwohl sich der Gesundheitszustand objektiv seit Anfang 2002 nicht geändert habe. Die Schwierigkeit in der Beurteilung des Leistungsvermögens läge in der Tatsache, dass objektive körperlichen Befunde rar seien, das subjektive Erleben aber aufgrund der beschriebenen Defizite im Bereich sozialer Kompetenz und psychopathologischer Persönlichkeitsstörung erheblichen Leidensdruck signalisiere. Die Klägerin täusche aber nicht Beschwerden im Sinne einer Simulation vor, wobei er andererseits die sozialmedizinische Beurteilung einer leichten Tätigkeit von mindestens 6 Stunden täglich durchaus nachvollziehen könne. Dieses Ergebnis würde aber dazu führen, dass sich die Klägerin zunehmend in ein negatives Krankheitserleben flüchte und sich dadurch ihr Gesundheitszustand noch weiter verschlechtern könne. Hilfreich könne in diesem Zusammenhang die Gewährung einer Zeitrente sein, was ihr den Druck von außen nehmen könnte. Der Internist/Kardiologe Dr. B. gab an, er habe die Klägerin wegen Verdachts auf eine Herzerkrankung einmalig behandelt, der sich aber im Verlauf der Untersuchung nicht habe erhärten lassen. Risikofaktoren seien ein arterieller Hypertonus, eine Blutfettstörung sowie ein Übergewicht. Im Vordergrund der Beschwerden stehe eine Polyarthrose bei degenerativem Wirbelsäulenleiden mit chronischem Schmerzsyndrom, welches das wiederholte Druckgefühl auf der linken Brustseite mit Auftreten in Ruhe, aber auch unter körperlicher wie seelischer Belastung, selbstverständlich erklären könne. Aus kardialer Sicht ergäben sich keine Bedenken gegen eine 6-stündige Ausübung leichter Arbeiten.
Der gerichtliche Sachverständige, der Neurologe und Psychiater Dr. N., beschrieb eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die vermerkte Druckempfindlichkeit sei nicht auf die fibromyalgietypsichen Druckpunkte beschränkt, sondern generalisiert am ganzen Körper zu finden, wobei die Wirbelsäulenfunktion abgesehen von einer mäßigen Rotationseinschränkung der Halswirbelsäule nicht beeinträchtigt sei. Die Klägerin könne sich ungehindert bewegen, habe während der Untersuchung und beim An- und Auskleiden keine Probleme gezeigt. Auch die psychiatrische Untersuchung sei unergiebig geblieben. Die Klägerin habe sich klar strukturiert gezeigt und mache einen temperamentvollen, zielgerichteten Eindruck. Sie sei alles andere als depressiv. Ihr Tagesablauf sei so strukturiert, dass sie nach Morgentoilette und Frühstück zum Einkaufen gehe oder einen kurzen Spaziergang mache, dann Physiotherapeuten oder Ärzte (ca. 2 mal pro Woche) aufsuche. Sie koche jeden Tag zum Mittag, gehe dann am Nachmittag erneut spazieren, empfange Besuche von der Schwägerin, von Freunden oder von den Verwandten ihres Partners. Sie lese gerne, höre auch gerne Musik. Abends sitze sie vor dem Fernseher. Ihr Partner unterstütze sie bei der Hausarbeit. Er erachtete die Klägerin daher insgesamt noch für in der Lage, leichte körperliche Arbeiten mehr als sechs Stunden täglich unter Vermeidung von schwerem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 5 kg, in gleichförmiger Körperhaltung, häufigem Bücken, Tätigkeiten in Kälte, Zugluft, Nässe und Arbeiten unter Zeitdruck zu verrichten. Sie könne zwar als Metzgereiverkäuferin nicht mehr tätig sein, wohl aber noch als Kassiererin, wenn sie spätestens nach einer Stunde die Möglichkeit habe, aufzustehen und einige Minuten lang umherzugehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2005, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 28. Dezember 2005, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe zwar einen Ausbildungsabschluss nicht nachgewiesen, es werde aber zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie gegebenenfalls nach Anlernung und jahrelanger Arbeit in der Metzgerei bzw. in der Fleischabteilung eines Supermarktes als Fachverkäuferin tätig gewesen wäre. Diese Arbeit könne sie unstreitig nicht mehr fortführen, sei jedoch noch zumutbar auf eine Tätigkeit als Kassiererin an einer Sammelkasse in einem Kaufhaus oder größeren Bekleidungsfachgeschäften verweisbar und damit weder berufs- noch erwerbsunfähig. Sie leide vorwiegend unter Schmerzen im Bereich der Muskulatur, der großen Gelenke und der Wirbelsäule. Dies habe der Gerichtsgutachter als ein psychosomatisches Beschwerdebild einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung diagnostiziert. Der Sachverständige habe die Schmerzstörung nachvollziehbar als anhaltend und chronifiziert eingeschätzt und sei zu dem Ergebnis eines noch mehr als 6-stündigen täglichen Leistungsvermögens unter Beachtung qualitativer Einschränkungen gelangt. Die daraus resultierenden Belastungen seien mit der von der Beklagten genannten Tätigkeiten vereinbar. Das Gericht habe sich insoweit auf die berufskundlichen Unterlagen und die berufskundliche Stellungnahme, die von der Beklagten im Vorverfahren erstellt worden sei, gestützt. Dies werde auch durch das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2003 Az. L 3 RA 20/01 bestätigt. Danach handle es sich bei der benannten Verweisungstätigkeit um eine körperlich leichte Arbeit überwiegend im Sitzen, verbunden mit Gehen und Stehen und mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel. So sei z. B. Wechselgeld auszuhändigen, gegebenenfalls Reklamationsvorgänge zu bearbeiten, bei angeschlossener Warenausgabe seien Waren mit den Kassenbelegen zu vergleichen, Waren zu verpacken und auszuhändigen. Nachdem die Klägerin auch in der Vergangenheit Verkaufstätigkeiten ausgeübt habe, sei von einer Einarbeitungszeit von nicht mehr als 3 Monaten auszugehen. Auch die Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet stünden dieser Verweisungstätigkeit nicht entgegen.
Mit ihrer dagegen am 23. Januar 2006 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, sie könne aufgrund der bei ihr vorliegenden Multimorbidität keine nennenswerte Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr ausüben. Dies gelte auch für die Tätigkeit einer Kassiererin an einer Sammelkasse in einem Kaufhaus. Sie sei auch körperlich und psychisch dem Leistungsdruck einer irgendwie gearteten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr gewachsen. Ihr Gesundheitszustand habe sich auch noch dadurch verschlechtert, dass sie verstärkt Schmerzmittel mit entsprechenden Nebenwirkungen einnehmen müsse.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Dezember 2005 sowie den Bescheid vom 23. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2002 sowie Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 1. Januar 2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass die von der Klägerin vorgebrachten Leiden und Beschwerden bekannt und schlüssig und umfassend fachgutachterlich beurteilt und bewertet worden wären. Danach sei die Klägerin für leichte Tätigkeiten vollschichtig belastbar. Der Verlust des Lebensgefährten sei mit Sicherheit ein traumatisches Erlebnis für die Klägerin mit nachvollziehbarer Trauerreaktion und möglicher Arbeitsunfähigkeit. Eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung resultiere daraus jedoch nicht.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat den behandelnden Hausarzt der Klägerin erneut als sachverständigen Zeugen befragt.
Der Allgemeinmediziner Dr. S. führte aus, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich gegenüber Januar 2005 nicht wesentlich verändert. Gebessert habe sich die Blutdruckeinstellung sowie die Zucker- und Fettstoffwechselstörung ohne jedoch das subjektiv erlebte Krankheitsgefühl zu verbessern. Im Dezember 2005 sei unerwartet plötzlich der langjährige Lebensgefährte der Klägerin verstorben. Zur beschriebenen Problematik geselle sich daher eine depressive Verstimmung im Rahmen einer Trauerreaktion, die es ihr noch weniger möglich mache, sich mit dem Gedanken an eine mehrstündige Berufstätigkeit anzufreunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, da die Berufung einen Zeitraum von mehr als 1 Jahr umfasst (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und damit insgesamt zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Bescheid vom 23. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung und Berufsunfähigkeit sind im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Zwar erfüllt sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung, wie sich aus dem angefochtenen Bescheid vom 23. Januar 2003 ergibt, sie ist jedoch weder berufsunfähig noch teilweise oder voll erwerbsgemindert.
Die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit scheidet jedenfalls deswegen aus, weil die Klägerin zumutbar auf die Tätigkeit einer Kassiererin in einem Kaufhaus bzw. Bekleidungsgeschäft verwiesen werden und diese Tätigkeit nach dem vorliegenden und festgestellten medizinischen Sachverhalt noch ausüben kann. Diese Tätigkeit ist ihr sozial zumutbar, da sie sogar in der gleichen Lohngruppe entlohnt wird wie zuvor. Insofern konnte der Senat dahingestellt sein lassen, ob der Klägerin überhaupt ein Berufsschutz als kaufmännische Angestellte zukommt. Hieran bestehen angesichts des beruflichen Werdegangs, den die Klägerin in ihrem Rentenantrag wie auch sämtlichen Gutachtern gegenüber beschrieben hat, erhebliche Zweifel. Sie hat nämlich selbst angegeben, sie habe keine Ausbildung absolviert und auch keinerlei Unterlagen über einen Ausbildungsabschluss vorgelegt. Auch ihre letzte Vergütung, die nach dem Tarifvertrag nur für einfachste kaufmännische Tätigkeiten gezahlt wird wie z. B. an einer SB-Kasse, spricht nicht für eine jahrelange Tätigkeit als Spezialverkäuferin. Das SG hat aber in vertretbarer Weise zugunsten der Klägerin und in Übereinstimmung mit der Beurteilung der Beklagten unterstellt, dass diese angesichts ihrer seit 1987 andauernden Beschäftigung in einer Metzgerei bzw. in der Fleischabteilung eines Supermarktes als Fachverkäuferin tätig war. Letztlich bedurfte der Berufschutz der Klägerin aber keiner weiteren Aufklärung, da sie jedenfalls den ihr benannten Verweisungsberuf noch ausüben kann und deswegen auch nicht berufsunfähig ist.
Das SG hat weiter im angefochtenen Gerichtsbescheid ausführlich begründet dargelegt, dass die Klägerin bei der im Vordergrund stehenden Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nicht erwerbsgemindert ist. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat in vollem Umfang an und nimmt deshalb insoweit auf die Entscheidungsgründe Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Ermittlungen im Berufungsverfahren zu keinem anderen Ergebnis geführt haben. Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. S. hat vielmehr bestätigt, dass es im Grunde bei einem gleich bleibenden Gesundheitszustand geblieben ist und er sich deswegen dem Gutachten von Dr. N. in vollem Umfang anschließen könne, sogar eine gewisse Verbesserung der internistischen Befunde (Blutdruckeinstellung, Zucker- und Feststoffwechselstörung) eingetreten ist. Dass es im Zusammenhang mit dem plötzlichen Versterben des langjährigen Lebensgefährten zu einer depressiven Verstimmung im Rahmen der Trauerreaktion gekommen ist, ist auch für den Senat nachvollziehbar, begründet aber nicht eine Erwerbsminderung. Dies hat auch Dr. S. nicht angenommen. Nach dem Gutachter Dr. N. geschilderten Tagesablauf ist die Klägerin auch noch in der Lage, ihren Haushalt selbstständig zu bewältigen und ihren Hobbys nachzugehen bzw. einen Bekanntenkreis zu pflegen. Dies belegt, dass sie im privaten Bereich durch die chronische Schmerzstörung nicht nennenswert eingeschränkt ist, so dass auch für den Senat das Ergebnis der Begutachtung, die Klägerin könne noch vollschichtig leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen verrichten, nachvollziehbar war.
Nach alledem war deshalb die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Die 1952 geborene Klägerin kroatischer Staatsangehörigkeit lebt seit 1970 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war versicherungspflichtig als Küchenhilfe, Arbeiterin bei einem Modellbauhersteller, als Serviererin/Zimmermädchen und zuletzt als Metzgereiverkäuferin in einem Supermarkt bis 30. April 2002 beschäftigt, seitdem ist sie arbeitsunfähig erkrankt.
Ihren am 1. Juli 2002 gestellten Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit begründete sie damit, dass sie an Gelenksarthrose, Wirbelsäulen- und Hüftbeschwerden, Hypertonie, chronischer Venenentzündung und -erweiterung sowie chronischen Kopfschmerzen und einer Magenschleimhautentzündung leide. Ihren Angaben zufolge hat die Klägerin keine Berufsausbildung absolviert.
Die Krankenkasse (KKH) legte der Beklagten ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vor, wonach die Klägerin an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leide. Bei ihr liege nach Auffassung des Gutachters Dr. B. eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 51 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, wobei eindeutige körperliche Befunde, die einer Wiederaufnahme der bisherigen Berufstätigkeit entgegen stünden, nicht vorlägen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine ambulante Begutachtung der Klägerin auf orthopädischem und internistischem/nervenärztlichem Fachgebiet. Der Orthopäde Dr. S. diagnostizierte ein muskuläres Wirbelsäulensyndrom, einen Verdacht auf Fibromyalgie sowie eine Periarthritis humero scapularis beidseits. Er erachtete die Klägerin noch in der Lage, als Metzgereiverkäuferin oder in anderen leichten und mittelschweren Tätigkeiten mindestens 6 Stunden und mehr arbeiten zu können. Die Klägerin habe sich in gutem Allgemein- und übergewichtigem Ernährungszustand befunden, wobei die oberen und unteren Extremitäten keine wesentlichen Funktionseinschränkungen bei der Untersuchung ergeben hätten. Sie habe sämtliche Muskelansatzpunkte, nicht nur die Tender points, als druckschmerzhaft angegeben. Ein morphologisches Korrelat für die geklagten Beschwerden habe sich weder klinisch noch röntgenologisch gefunden. Demgegenüber befand der Internist und Psychotherapeut Dr. W. unter Berücksichtigung der orthopädischen Befunde die Klägerin für nur noch in der Lage, 3 bis unter 6 Stunden täglich Arbeiten zeitweise im Stehen, überwiegend im Gehen und zeitweise im Sitzen zu verrichten. Auf internistischem Fachgebiet leide sie an Bluthochdruck (gut eingestellt, ohne Herzbeteiligung), einem beginnenden metabolischen Syndrom bei Übergewicht (Adipositas 2. Grades) mit gemischter Hyperlipidämie, grenzwertig erhöhter Harnsäure, einem leichten Diabetes mellitus und Zeichen einer Leberzellverfettung sowie venösen Stauungsbeschwerden nach Unterschenkelthrombose, welche sich aber nur zu einem geringen Grad leistungsmindernd auswirkten. Nach Einholung einer Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. K., die die Auffassung vertrat, lediglich das Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin sei auf unter 3 Stunden eingeschränkt, zog die Beklagte berufskundliche Unterlagen über das Berufsfeld der Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk sowie Verweisungstätigkeiten bei. Daraufhin lehnte sie den Rentenantrag mit Bescheid vom 23. Januar 2003 mit der Begründung ab, die Klägerin könne noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts und in der ihr zumutbaren Beschäftigung als Kassiererin an Etagenkassen in Kaufhäusern oder großen Bekleidungsgeschäften, vergütet nach Gehaltsgruppe K 2 und K 3 im Einzelhandel, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie sei deshalb weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr chronisches Schmerzsyndrom sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Sie könne weder sitzend noch stehend arbeiten. Auch sei sie jeglichen Belastungen aufgrund des Blutdruck- und Herzleidens nicht gewachsen. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere internistische Begutachtung der Klägerin nach ambulanter Untersuchung. Dr. K. führte aus, die internistischen Krankheitsbilder (Adipositas per magna, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus Typ II sowie Steatose der Leber) bedingten keine wesentliche Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates ließen sich nicht sicher einordnen, am ehesten liege ein psychosomatisches Krankheitsbild vor. Er befürwortete ein Leistungsvermögen von über 6 Stunden täglich sowohl für die Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin wie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wobei häufiges Bücken, einseitige Zwangshaltungen sowie Heben und Tragen schwerer Lasten ebenso wie Tätigkeiten unter Witterungseinfluss, Nässe, Zugluft oder extrem schwankenden Temperaturen vermieden werden sollten. Der letzte Arbeitgeber der Klägerin, die Firma S., gab auf Nachfrage der Beklagten an, die Klägerin verfüge über eine abgeschlossene Ausbildung als Fachverkäuferin Fleisch/Wurst, die für die von ihr ausgeübte Tätigkeit erforderlich gewesen wäre. Sie sei seit Februar 2000 in der Metzgereiabteilung des Unternehmens beschäftigt worden, wobei sie ständigen körperlichen Belastungen in gebeugter und gebückter Haltung unter Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft ausgesetzt gewesen sei. Die Klägerin sei in die Vergütungsstufe G 2 nach dem Tarifvertrag für Arbeitnehmer im Einzelhandel (einfache kaufmännische Tätigkeit, auch an SB-Kassen) entlohnt worden. Die Beklagte holte hierauf eine Stellungnahme der berufskundlichen Beraterin J. ein, die die Auffassung vertrat, die Klägerin könne als Fleischfachverkäuferin nicht mehr berufstätig sein. Unter Berücksichtigung des attestierten Restleistungsvermögens sei sie aber noch in der Lage, die Tätigkeit einer Kassiererin an Etagenkassen in großen Bekleidungsgeschäften nach der Gehaltsgruppe II des Tarifvertrages des Einzelhandels für das Bundesland Baden-Württemberg zu verrichten. Hierbei handle es sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet werde und mit Gehen und Stehen verbunden sei. In Bekleidungsgeschäften sei das Tragen, Heben und Bewegen größerer Lasten nicht notwendig. Das Kassieren sei Teilaufgabe einer Fleischfachverkäuferin. Somit könne erwartet werden, dass sie sich in die benannte Verweisungstätigkeit innerhalb von drei Monaten erfolgreich einarbeite. Die Beklagte bewilligte der Klägerin noch eine Kur in der B.-Klinik D., die vom 8. März bis 19. April 2004 durchgeführt wurde. Die Klägerin wurde mit den Diagnosen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, einer Adipositas, einer arteriellen Hypertonie, einer Hypercholesterinämie sowie einem Verdacht auf eine Essstörung als vollschichtig leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitmarkt für einen Einsatz in überschaubaren und strukturierten Tätigkeiten in überwiegend sitzender Haltung unter Vermeidung von schwerem Heben und Tragen, Zwangshaltungen sowie Nässe-, Zugluft- und Kälteexposition entlassen. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2004 wies die Beklagten daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück, wobei ergänzend ausgeführt wurde, dass auch die Gehaltsgruppe der benannten Verweisungstätigkeit als Kassiererin der Gehaltsgruppe entspreche, die bislang für die Klägerin maßgebend gewesen sei. Somit handle es sich nicht um einen unzumutbaren sozialen Abstieg. Es handle sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet werde und mit Gehen und Stehen verbunden sei. Auch das Tragen, Heben und Bewegen größerer Lasten sei in Bekleidungsgeschäften nicht notwendig, so dass sie mit ihrem attestierten Restleistungsvermögen den Verweisungsberuf noch ausüben könne.
Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie könne ihren erlernten Beruf als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr ausüben. Die in Betracht kommenden Verweisungsberufe seien mit Zwangshaltungen verbunden, die ihr nach den medizinischen Feststellungen nicht mehr zumutbar wären. Sie sei auch aus der B.-Klinik D. als arbeitsunfähig entlassen worden, wobei ihre Leistungsfähigkeit für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes als eingeschränkt angesehen worden wäre.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das Gericht die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt sowie diese anschließend neurologisch-psychiatrisch begutachten lassen.
Der Allgemeinmediziner Dr. S. führte aus, dass die Beschwerden der Klägerin parallel mit der Dauer des Rentenrechtsstreits zunähmen und in der Schilderung und im subjektiven Erleben zunehmend bizzarer und vielfältiger würden, obwohl sich der Gesundheitszustand objektiv seit Anfang 2002 nicht geändert habe. Die Schwierigkeit in der Beurteilung des Leistungsvermögens läge in der Tatsache, dass objektive körperlichen Befunde rar seien, das subjektive Erleben aber aufgrund der beschriebenen Defizite im Bereich sozialer Kompetenz und psychopathologischer Persönlichkeitsstörung erheblichen Leidensdruck signalisiere. Die Klägerin täusche aber nicht Beschwerden im Sinne einer Simulation vor, wobei er andererseits die sozialmedizinische Beurteilung einer leichten Tätigkeit von mindestens 6 Stunden täglich durchaus nachvollziehen könne. Dieses Ergebnis würde aber dazu führen, dass sich die Klägerin zunehmend in ein negatives Krankheitserleben flüchte und sich dadurch ihr Gesundheitszustand noch weiter verschlechtern könne. Hilfreich könne in diesem Zusammenhang die Gewährung einer Zeitrente sein, was ihr den Druck von außen nehmen könnte. Der Internist/Kardiologe Dr. B. gab an, er habe die Klägerin wegen Verdachts auf eine Herzerkrankung einmalig behandelt, der sich aber im Verlauf der Untersuchung nicht habe erhärten lassen. Risikofaktoren seien ein arterieller Hypertonus, eine Blutfettstörung sowie ein Übergewicht. Im Vordergrund der Beschwerden stehe eine Polyarthrose bei degenerativem Wirbelsäulenleiden mit chronischem Schmerzsyndrom, welches das wiederholte Druckgefühl auf der linken Brustseite mit Auftreten in Ruhe, aber auch unter körperlicher wie seelischer Belastung, selbstverständlich erklären könne. Aus kardialer Sicht ergäben sich keine Bedenken gegen eine 6-stündige Ausübung leichter Arbeiten.
Der gerichtliche Sachverständige, der Neurologe und Psychiater Dr. N., beschrieb eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die vermerkte Druckempfindlichkeit sei nicht auf die fibromyalgietypsichen Druckpunkte beschränkt, sondern generalisiert am ganzen Körper zu finden, wobei die Wirbelsäulenfunktion abgesehen von einer mäßigen Rotationseinschränkung der Halswirbelsäule nicht beeinträchtigt sei. Die Klägerin könne sich ungehindert bewegen, habe während der Untersuchung und beim An- und Auskleiden keine Probleme gezeigt. Auch die psychiatrische Untersuchung sei unergiebig geblieben. Die Klägerin habe sich klar strukturiert gezeigt und mache einen temperamentvollen, zielgerichteten Eindruck. Sie sei alles andere als depressiv. Ihr Tagesablauf sei so strukturiert, dass sie nach Morgentoilette und Frühstück zum Einkaufen gehe oder einen kurzen Spaziergang mache, dann Physiotherapeuten oder Ärzte (ca. 2 mal pro Woche) aufsuche. Sie koche jeden Tag zum Mittag, gehe dann am Nachmittag erneut spazieren, empfange Besuche von der Schwägerin, von Freunden oder von den Verwandten ihres Partners. Sie lese gerne, höre auch gerne Musik. Abends sitze sie vor dem Fernseher. Ihr Partner unterstütze sie bei der Hausarbeit. Er erachtete die Klägerin daher insgesamt noch für in der Lage, leichte körperliche Arbeiten mehr als sechs Stunden täglich unter Vermeidung von schwerem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 5 kg, in gleichförmiger Körperhaltung, häufigem Bücken, Tätigkeiten in Kälte, Zugluft, Nässe und Arbeiten unter Zeitdruck zu verrichten. Sie könne zwar als Metzgereiverkäuferin nicht mehr tätig sein, wohl aber noch als Kassiererin, wenn sie spätestens nach einer Stunde die Möglichkeit habe, aufzustehen und einige Minuten lang umherzugehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2005, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 28. Dezember 2005, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe zwar einen Ausbildungsabschluss nicht nachgewiesen, es werde aber zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie gegebenenfalls nach Anlernung und jahrelanger Arbeit in der Metzgerei bzw. in der Fleischabteilung eines Supermarktes als Fachverkäuferin tätig gewesen wäre. Diese Arbeit könne sie unstreitig nicht mehr fortführen, sei jedoch noch zumutbar auf eine Tätigkeit als Kassiererin an einer Sammelkasse in einem Kaufhaus oder größeren Bekleidungsfachgeschäften verweisbar und damit weder berufs- noch erwerbsunfähig. Sie leide vorwiegend unter Schmerzen im Bereich der Muskulatur, der großen Gelenke und der Wirbelsäule. Dies habe der Gerichtsgutachter als ein psychosomatisches Beschwerdebild einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung diagnostiziert. Der Sachverständige habe die Schmerzstörung nachvollziehbar als anhaltend und chronifiziert eingeschätzt und sei zu dem Ergebnis eines noch mehr als 6-stündigen täglichen Leistungsvermögens unter Beachtung qualitativer Einschränkungen gelangt. Die daraus resultierenden Belastungen seien mit der von der Beklagten genannten Tätigkeiten vereinbar. Das Gericht habe sich insoweit auf die berufskundlichen Unterlagen und die berufskundliche Stellungnahme, die von der Beklagten im Vorverfahren erstellt worden sei, gestützt. Dies werde auch durch das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2003 Az. L 3 RA 20/01 bestätigt. Danach handle es sich bei der benannten Verweisungstätigkeit um eine körperlich leichte Arbeit überwiegend im Sitzen, verbunden mit Gehen und Stehen und mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel. So sei z. B. Wechselgeld auszuhändigen, gegebenenfalls Reklamationsvorgänge zu bearbeiten, bei angeschlossener Warenausgabe seien Waren mit den Kassenbelegen zu vergleichen, Waren zu verpacken und auszuhändigen. Nachdem die Klägerin auch in der Vergangenheit Verkaufstätigkeiten ausgeübt habe, sei von einer Einarbeitungszeit von nicht mehr als 3 Monaten auszugehen. Auch die Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet stünden dieser Verweisungstätigkeit nicht entgegen.
Mit ihrer dagegen am 23. Januar 2006 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, sie könne aufgrund der bei ihr vorliegenden Multimorbidität keine nennenswerte Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr ausüben. Dies gelte auch für die Tätigkeit einer Kassiererin an einer Sammelkasse in einem Kaufhaus. Sie sei auch körperlich und psychisch dem Leistungsdruck einer irgendwie gearteten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr gewachsen. Ihr Gesundheitszustand habe sich auch noch dadurch verschlechtert, dass sie verstärkt Schmerzmittel mit entsprechenden Nebenwirkungen einnehmen müsse.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Dezember 2005 sowie den Bescheid vom 23. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2002 sowie Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 1. Januar 2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass die von der Klägerin vorgebrachten Leiden und Beschwerden bekannt und schlüssig und umfassend fachgutachterlich beurteilt und bewertet worden wären. Danach sei die Klägerin für leichte Tätigkeiten vollschichtig belastbar. Der Verlust des Lebensgefährten sei mit Sicherheit ein traumatisches Erlebnis für die Klägerin mit nachvollziehbarer Trauerreaktion und möglicher Arbeitsunfähigkeit. Eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung resultiere daraus jedoch nicht.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat den behandelnden Hausarzt der Klägerin erneut als sachverständigen Zeugen befragt.
Der Allgemeinmediziner Dr. S. führte aus, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich gegenüber Januar 2005 nicht wesentlich verändert. Gebessert habe sich die Blutdruckeinstellung sowie die Zucker- und Fettstoffwechselstörung ohne jedoch das subjektiv erlebte Krankheitsgefühl zu verbessern. Im Dezember 2005 sei unerwartet plötzlich der langjährige Lebensgefährte der Klägerin verstorben. Zur beschriebenen Problematik geselle sich daher eine depressive Verstimmung im Rahmen einer Trauerreaktion, die es ihr noch weniger möglich mache, sich mit dem Gedanken an eine mehrstündige Berufstätigkeit anzufreunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, da die Berufung einen Zeitraum von mehr als 1 Jahr umfasst (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und damit insgesamt zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Bescheid vom 23. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung und Berufsunfähigkeit sind im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Zwar erfüllt sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung, wie sich aus dem angefochtenen Bescheid vom 23. Januar 2003 ergibt, sie ist jedoch weder berufsunfähig noch teilweise oder voll erwerbsgemindert.
Die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit scheidet jedenfalls deswegen aus, weil die Klägerin zumutbar auf die Tätigkeit einer Kassiererin in einem Kaufhaus bzw. Bekleidungsgeschäft verwiesen werden und diese Tätigkeit nach dem vorliegenden und festgestellten medizinischen Sachverhalt noch ausüben kann. Diese Tätigkeit ist ihr sozial zumutbar, da sie sogar in der gleichen Lohngruppe entlohnt wird wie zuvor. Insofern konnte der Senat dahingestellt sein lassen, ob der Klägerin überhaupt ein Berufsschutz als kaufmännische Angestellte zukommt. Hieran bestehen angesichts des beruflichen Werdegangs, den die Klägerin in ihrem Rentenantrag wie auch sämtlichen Gutachtern gegenüber beschrieben hat, erhebliche Zweifel. Sie hat nämlich selbst angegeben, sie habe keine Ausbildung absolviert und auch keinerlei Unterlagen über einen Ausbildungsabschluss vorgelegt. Auch ihre letzte Vergütung, die nach dem Tarifvertrag nur für einfachste kaufmännische Tätigkeiten gezahlt wird wie z. B. an einer SB-Kasse, spricht nicht für eine jahrelange Tätigkeit als Spezialverkäuferin. Das SG hat aber in vertretbarer Weise zugunsten der Klägerin und in Übereinstimmung mit der Beurteilung der Beklagten unterstellt, dass diese angesichts ihrer seit 1987 andauernden Beschäftigung in einer Metzgerei bzw. in der Fleischabteilung eines Supermarktes als Fachverkäuferin tätig war. Letztlich bedurfte der Berufschutz der Klägerin aber keiner weiteren Aufklärung, da sie jedenfalls den ihr benannten Verweisungsberuf noch ausüben kann und deswegen auch nicht berufsunfähig ist.
Das SG hat weiter im angefochtenen Gerichtsbescheid ausführlich begründet dargelegt, dass die Klägerin bei der im Vordergrund stehenden Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nicht erwerbsgemindert ist. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat in vollem Umfang an und nimmt deshalb insoweit auf die Entscheidungsgründe Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Ermittlungen im Berufungsverfahren zu keinem anderen Ergebnis geführt haben. Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. S. hat vielmehr bestätigt, dass es im Grunde bei einem gleich bleibenden Gesundheitszustand geblieben ist und er sich deswegen dem Gutachten von Dr. N. in vollem Umfang anschließen könne, sogar eine gewisse Verbesserung der internistischen Befunde (Blutdruckeinstellung, Zucker- und Feststoffwechselstörung) eingetreten ist. Dass es im Zusammenhang mit dem plötzlichen Versterben des langjährigen Lebensgefährten zu einer depressiven Verstimmung im Rahmen der Trauerreaktion gekommen ist, ist auch für den Senat nachvollziehbar, begründet aber nicht eine Erwerbsminderung. Dies hat auch Dr. S. nicht angenommen. Nach dem Gutachter Dr. N. geschilderten Tagesablauf ist die Klägerin auch noch in der Lage, ihren Haushalt selbstständig zu bewältigen und ihren Hobbys nachzugehen bzw. einen Bekanntenkreis zu pflegen. Dies belegt, dass sie im privaten Bereich durch die chronische Schmerzstörung nicht nennenswert eingeschränkt ist, so dass auch für den Senat das Ergebnis der Begutachtung, die Klägerin könne noch vollschichtig leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen verrichten, nachvollziehbar war.
Nach alledem war deshalb die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
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