Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 V 11/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 27/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.06.2004 wird aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 28.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 dahin abgeändert, dass die Berechnung der Ausgleichsrente für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 ohne Anwendung des § 12 Ausgleichsrentenverordnung in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung erfolgt und eine Erstattung von 626,00 EUR nicht gefordert wird.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der der Klägerin ab 01.01.2001 zustehenden Ausgleichsrente und die Erstattung überzahlter Rentenleistungen in Höhe von 626,00 EUR.
Die 1927 geborene Klägerin bezog von dem Beklagten eine Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Grundrente und Ausgleichsrente. Der Beklagte stellte die vom Einkommen abhängigen Versorgungsbezüge gem. § 60a Abs 1 BVG mit Bescheid vom 25.06.1993 endgültig fest. Nach vorheriger vorläufiger Anrechnung der Mieteinkünfte aus der Vermietung des Anwesens E.str. enthielt der Bescheid nunmehr den Hinweis, dass Einkommen aus Hausbesitz, soweit der vermietete Anteil - wie vorliegend - den Einheitswert von 15.000,00 DM nicht übersteige, anrechnungsfrei sei.
Nach dem Bescheid vom 02.08.2000 erhielt die Klägerin Witwenrente zuletzt ab 01.07.2000 in Höhe von insgesamt 950,00 DM (692,00 DM Grundrente und 258,00 DM Ausgleichsrente). Die Berechnung der Ausgleichsrente erfolgte unter Einkommensanrechnung der Rente und Hinterbliebenenrente aus der Arbeiterrentenversicherung, der Hinterbliebenenrente aus einer Zusatzversicherung sowie von Einkünften aus Verpachtung (monatlich 100,88 DM). Nach der Stufenzahl 88 der Anrechnungs-VO ergab sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 507,00 DM, so dass die volle Ausgleichsrente von 765,00 DM auf 258,00 DM zu mindern war.
Im April 2001 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie seit 1992 auch Einkünfte aus der Vermietung des Einfamilienhauses E.str. in Höhe von monatlich 500,00 DM erziele (Fragebogen zu Haus- und Grundbesitz vom 17.04.2001).
Mit Bescheid vom 28.11.2001 stellte der Beklagte die Witwenrente gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wegen Änderung der Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz, Änderung des BVG sowie Änderung der Einkünfte aus Renten oder ähnlichen Leistungen neu fest. Aufgrund einer Änderung des § 12 Ausgleichsrentenverordnung (AusglV) werde mit Wirkung ab 01.01.2001 bei den anzurechnenden Einkünften aus Hausbesitz und Verpachtung eine Werbungskostenpauschale in Höhe von 50 vH der Einnahmen berücksichtigt. Für die Zeit vor dem 01.01.2001 erfolge keine Neuberechnung, da aufgrund des zuletzt eingesandten Einkommensfragebogens festgestellt worden sei, dass die Klägerin nur über Einkünfte verfüge, die bereits bekannt gewesen seien. Der Witwenrentenanspruch betrage monatlich ab 01.01.2001 834,00 DM und ab 01.07.2001 862,00 DM. Die Klägerin erhalte ab 01.01.2001 die Grundrente in Höhe von monatlich 692,00 DM (ab 01.07.2001: 705,00 DM). Die Ausgleichsrente sei ab 01.01.2001 in Höhe von monatlich 142,00 DM zu gewähren (ab 01.07.2001: 157,00 DM). Der Einkommensanrechnung zur Berechnung der Ausgleichsrente lägen neben den Zahlungen der Rente und Hinterbliebenenrente aus der Arbeiterrentenversicherung und der Hinterbliebenenrente aus einer Zusatzversicherung die Einkünfte aus Verpachtung (50,44 DM, die Hälfte des erzielten monatlichen Pachtzinses) sowie die Mieteinkünfte (250,00 DM, die Hälfte des erzielten monatlichen Mietzinses) zu Grunde. Nach der Stufenzahl 108 der Anrechnungs-VO sei ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 623,00 DM zu berücksichtigen. Für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 sei eine Überzahlung in Höhe von 1.224,00 DM (626,00 EUR) eingetreten, die gem. § 50 SGB X zu erstatten sei.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30.04.2002). Im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Renovierungskosten seien schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil ab dem 01.01.2001 nach § 12 Abs 1 AusglV der Überschuss der jährlichen Einnahmen über die Werbungskostenpauschale als Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz zu Grunde zu legen sei.
Im nachfolgend beim Sozialgericht (SG) Würzburg geführten Klageverfahren hat sich die Klägerin gegen die rückwirkende Anrechnung des Einkommens aus Hausbesitz ab Januar 2001 gewandt. Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Neufeststellung nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X seien nicht erfüllt. Mit Urteil vom 08.06.2004 hat das SG die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin daran festgehalten, dass die Voraussetzungen einer rückwirkenden Neufeststellung nicht erfüllt seien. Insbesondere habe sie eine Mitteilungspflicht nicht verletzt. Der Beklagte habe im Bescheid vom 28.11.2001 darauf hingewiesen, dass eine Neuberechnung der Bezüge nicht für die Zeit vor dem 01.01.2001 erfolge, da aufgrund des zuletzt eingesandten Einkommensfragebogens festzustellen gewesen sei, dass die Klägerin nur über Einkünfte verfüge, die schon bekannt gewesen seien.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.06.2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 28.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 dahin abzuändern, dass die Berechnung der Ausgleichsrente in der Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 ohne Anwendung des § 12 Ausgleichsrentenverordnung in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung erfolgt und eine Erstattung von 626,00 EUR nicht gefordert wird.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Aus Gründen der Gleichbehandlung sei es zwingend geboten gewesen, auch in den Fällen, in denen bereits endgültige Bescheide vorliegen, rückwirkend zum 01.01.2001 eine Neufeststellung zur Umsetzung der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Rechtsänderung durchzuführen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), und auch begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 28.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 ist insofern rechtswidrig, als die Berechnung der Ausgleichsrente rückwirkend für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 unter Anwendung der AusglV - in der durch Art 1 der Verordnung zur Änderung der AusglV vom 13.11.2000 (BGBl I S 1503) mit Wirkung ab 01.01.2001 geänderten Fassung - erfolgte und die Erstattung der Überzahlung in Höhe 626,00 EUR gefordert wird.
Der Beklagte war nicht gem. § 48 SGB X berechtigt, den Rentenbescheid vom 02.08.2000 abzuändern und der Klägerin rückwirkend ab 01.01.2001 die Ausgleichsrente unter Einkommensanrechnung nach der zu diesem Datum ohne Übergangsvorschrift in Kraft getretenen Neufassung des § 12 AusglV zu gewähren. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder - was hier allein in Betracht kommt - rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ein derartiger Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die in dieser Vorschrift genannten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
Entgegen der Auffassung des SG kann sich der Beklagte nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X berufen. Denn die Klägerin ist nicht einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Nach § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat, wer Sozialleistungen erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Änderungen in den Einkommensverhältnissen der Klägerin sind jedoch nicht eingetreten. Die Mieteinkünfte hinsichtlich des Anwesens E. Str waren dem Beklagten auch bekannt. Gerade in Hinblick auf diese Einkünfte erfolgte die endgültige Feststellung gem. § 60a Abs 1 BVG (Bescheid vom 25.06.1993). Hierauf hat auch der Beklagte im Bescheid vom 28.11.2001 hingewiesen, so dass eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung der Klägerin nicht vorliegt.
Der Beklagte kann sich ebenfalls nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X stützen. Danach kann eine rückwirkende Änderung erfolgen, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Von dieser Regelung wird nur eine nachträgliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen umfasst (vgl. Gesamtkommentar, Schneider-Danwitz, SGB X, § 48 RdNr 56 und Hauck/Noftz, Kommentar, SGB X, § 48 RdNr 19), nämlich die Erzielung von Einkommen oder Vermögen nach Erlass des aufzuhebenden Bescheids (von Wulffen/ Wiesner, SGB X, Kommentar, 5.Aufl, § 48 RdNr 24). Vorliegend hat die Klägerin das Einkommen bereits vor Erlass des aufgehobenen Bescheides erzielt, so dass § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nicht anwendbar ist. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass das erzielte Einkommen bei der Bemessung der Dauerleistung aufgrund der eingetretenen Rechtsänderung nunmehr in anderer Höhe anzurechnen ist. Dieser Rechtsänderung kommt nur materiell-rechtliche Bedeutung hinsichtlich der noch nicht durch Verwaltungsakt festgestellten Ausgleichsrentenansprüche zu, führt aber nicht zu einer relevanten Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem aufzuhebenden Bescheid zu Grunde lagen.
Der Beklagte war auch nicht nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X ermächtigt, die Rentenbewilligung rückwirkend für die Zeit ab 01.01.2001 abzuändern. Nach dieser Vorschrift soll der Dauerverwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der sich aus dem Bescheid vom 02.08.2000 ergebende Anspruch der Klägerin aufgrund der Änderung des § 12 AusglV weder ruht noch ganz oder teilweise weggefallen ist. Allerdings geht der Beklagte davon aus, dass die Vorschrift des § 12 AusglV die bisherigen Bewilligungen von Ausgleichsrenten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsänderung kraft Gesetzes unmittelbar abändert. Dies ist jedoch dem Wortlaut dieser Vorschrift, der ausschließlich materiell-rechtliche Bedeutung zukommt, nicht zu entnehmen. Vielmehr hat die Änderung der materiellen Rechtslage keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Bewilligungen, die auf Grund der bisherigen Regelung ergangen sind. Erst die Umsetzung der Rechtsänderung durch einen auf den Einzelfall bezogenen Verwaltungsakt entfaltet Rechtswirkungen gegenüber dem Betroffenen. Denn nicht der Selbstvollzug des Gesetzes, sondern seine Umsetzung durch Verwaltungsakt unter Anwendung des Rechts auf den Einzelfall prägt auch das Sozialverwaltungsrecht als das Recht der sozialen Sicherung und ist aus Gründen der Rechtsklarheit und der damit verbundenen Rechtssicherheit geboten (BSGE 65, 185, 188 f; 77, 86, 91 f; 77, 253, 258 ff).
Im Ergebnis rechtfertigt das Gebot der Gleichbehandlung, das vom Beklagten - außerhalb der abschließend aufgeführten Tatbestände des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X - zur Anwendung des § 48 SGB X herangezogen wird, nicht die rückwirkende Anwendung des § 12 AusglV. Nach der Wertung des § 48 Abs 1 SGB X ist der Vertrauensschutz des Einzelnen auf den Bestand der im Dauerverwaltungsakt zugesagten Begünstigung höher einzuschätzen als das öffentliche Interesse daran, den Verwaltungsakt möglichst zum Zeitpunkt der Rechtsänderung anzupassen. Der Beklagte kann sich daher nicht auf eine gesetzliche Ermächtigung zur rückwirkenden Abänderung des Bescheides vom 02.08.2000 für die Zeit ab 01.01.2001 bis 31.12.2001 berufen.
Dies zugrunde gelegt ergibt sich auch, dass der Beklagte nicht berechtigt war, die überzahlten Leistungen gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückzufordern.
Nach alledem ist die Entscheidung des SG aufzuheben. Die angefochtenen Bescheide sind insofern aufzuheben, als die Berechnung der Ausgleichsrente in der Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 unter Anwendung des § 12 AusglV in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung erfolgte und eine Erstattung von 626,00 EUR gefordert wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Ab 2 Nrn 1 und 2 SGG).
II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der der Klägerin ab 01.01.2001 zustehenden Ausgleichsrente und die Erstattung überzahlter Rentenleistungen in Höhe von 626,00 EUR.
Die 1927 geborene Klägerin bezog von dem Beklagten eine Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Grundrente und Ausgleichsrente. Der Beklagte stellte die vom Einkommen abhängigen Versorgungsbezüge gem. § 60a Abs 1 BVG mit Bescheid vom 25.06.1993 endgültig fest. Nach vorheriger vorläufiger Anrechnung der Mieteinkünfte aus der Vermietung des Anwesens E.str. enthielt der Bescheid nunmehr den Hinweis, dass Einkommen aus Hausbesitz, soweit der vermietete Anteil - wie vorliegend - den Einheitswert von 15.000,00 DM nicht übersteige, anrechnungsfrei sei.
Nach dem Bescheid vom 02.08.2000 erhielt die Klägerin Witwenrente zuletzt ab 01.07.2000 in Höhe von insgesamt 950,00 DM (692,00 DM Grundrente und 258,00 DM Ausgleichsrente). Die Berechnung der Ausgleichsrente erfolgte unter Einkommensanrechnung der Rente und Hinterbliebenenrente aus der Arbeiterrentenversicherung, der Hinterbliebenenrente aus einer Zusatzversicherung sowie von Einkünften aus Verpachtung (monatlich 100,88 DM). Nach der Stufenzahl 88 der Anrechnungs-VO ergab sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 507,00 DM, so dass die volle Ausgleichsrente von 765,00 DM auf 258,00 DM zu mindern war.
Im April 2001 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie seit 1992 auch Einkünfte aus der Vermietung des Einfamilienhauses E.str. in Höhe von monatlich 500,00 DM erziele (Fragebogen zu Haus- und Grundbesitz vom 17.04.2001).
Mit Bescheid vom 28.11.2001 stellte der Beklagte die Witwenrente gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wegen Änderung der Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz, Änderung des BVG sowie Änderung der Einkünfte aus Renten oder ähnlichen Leistungen neu fest. Aufgrund einer Änderung des § 12 Ausgleichsrentenverordnung (AusglV) werde mit Wirkung ab 01.01.2001 bei den anzurechnenden Einkünften aus Hausbesitz und Verpachtung eine Werbungskostenpauschale in Höhe von 50 vH der Einnahmen berücksichtigt. Für die Zeit vor dem 01.01.2001 erfolge keine Neuberechnung, da aufgrund des zuletzt eingesandten Einkommensfragebogens festgestellt worden sei, dass die Klägerin nur über Einkünfte verfüge, die bereits bekannt gewesen seien. Der Witwenrentenanspruch betrage monatlich ab 01.01.2001 834,00 DM und ab 01.07.2001 862,00 DM. Die Klägerin erhalte ab 01.01.2001 die Grundrente in Höhe von monatlich 692,00 DM (ab 01.07.2001: 705,00 DM). Die Ausgleichsrente sei ab 01.01.2001 in Höhe von monatlich 142,00 DM zu gewähren (ab 01.07.2001: 157,00 DM). Der Einkommensanrechnung zur Berechnung der Ausgleichsrente lägen neben den Zahlungen der Rente und Hinterbliebenenrente aus der Arbeiterrentenversicherung und der Hinterbliebenenrente aus einer Zusatzversicherung die Einkünfte aus Verpachtung (50,44 DM, die Hälfte des erzielten monatlichen Pachtzinses) sowie die Mieteinkünfte (250,00 DM, die Hälfte des erzielten monatlichen Mietzinses) zu Grunde. Nach der Stufenzahl 108 der Anrechnungs-VO sei ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 623,00 DM zu berücksichtigen. Für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 sei eine Überzahlung in Höhe von 1.224,00 DM (626,00 EUR) eingetreten, die gem. § 50 SGB X zu erstatten sei.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30.04.2002). Im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Renovierungskosten seien schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil ab dem 01.01.2001 nach § 12 Abs 1 AusglV der Überschuss der jährlichen Einnahmen über die Werbungskostenpauschale als Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz zu Grunde zu legen sei.
Im nachfolgend beim Sozialgericht (SG) Würzburg geführten Klageverfahren hat sich die Klägerin gegen die rückwirkende Anrechnung des Einkommens aus Hausbesitz ab Januar 2001 gewandt. Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Neufeststellung nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X seien nicht erfüllt. Mit Urteil vom 08.06.2004 hat das SG die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin daran festgehalten, dass die Voraussetzungen einer rückwirkenden Neufeststellung nicht erfüllt seien. Insbesondere habe sie eine Mitteilungspflicht nicht verletzt. Der Beklagte habe im Bescheid vom 28.11.2001 darauf hingewiesen, dass eine Neuberechnung der Bezüge nicht für die Zeit vor dem 01.01.2001 erfolge, da aufgrund des zuletzt eingesandten Einkommensfragebogens festzustellen gewesen sei, dass die Klägerin nur über Einkünfte verfüge, die schon bekannt gewesen seien.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.06.2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 28.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 dahin abzuändern, dass die Berechnung der Ausgleichsrente in der Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 ohne Anwendung des § 12 Ausgleichsrentenverordnung in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung erfolgt und eine Erstattung von 626,00 EUR nicht gefordert wird.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Aus Gründen der Gleichbehandlung sei es zwingend geboten gewesen, auch in den Fällen, in denen bereits endgültige Bescheide vorliegen, rückwirkend zum 01.01.2001 eine Neufeststellung zur Umsetzung der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Rechtsänderung durchzuführen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), und auch begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 28.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 ist insofern rechtswidrig, als die Berechnung der Ausgleichsrente rückwirkend für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 unter Anwendung der AusglV - in der durch Art 1 der Verordnung zur Änderung der AusglV vom 13.11.2000 (BGBl I S 1503) mit Wirkung ab 01.01.2001 geänderten Fassung - erfolgte und die Erstattung der Überzahlung in Höhe 626,00 EUR gefordert wird.
Der Beklagte war nicht gem. § 48 SGB X berechtigt, den Rentenbescheid vom 02.08.2000 abzuändern und der Klägerin rückwirkend ab 01.01.2001 die Ausgleichsrente unter Einkommensanrechnung nach der zu diesem Datum ohne Übergangsvorschrift in Kraft getretenen Neufassung des § 12 AusglV zu gewähren. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder - was hier allein in Betracht kommt - rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ein derartiger Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die in dieser Vorschrift genannten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
Entgegen der Auffassung des SG kann sich der Beklagte nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X berufen. Denn die Klägerin ist nicht einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Nach § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat, wer Sozialleistungen erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Änderungen in den Einkommensverhältnissen der Klägerin sind jedoch nicht eingetreten. Die Mieteinkünfte hinsichtlich des Anwesens E. Str waren dem Beklagten auch bekannt. Gerade in Hinblick auf diese Einkünfte erfolgte die endgültige Feststellung gem. § 60a Abs 1 BVG (Bescheid vom 25.06.1993). Hierauf hat auch der Beklagte im Bescheid vom 28.11.2001 hingewiesen, so dass eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung der Klägerin nicht vorliegt.
Der Beklagte kann sich ebenfalls nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X stützen. Danach kann eine rückwirkende Änderung erfolgen, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Von dieser Regelung wird nur eine nachträgliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen umfasst (vgl. Gesamtkommentar, Schneider-Danwitz, SGB X, § 48 RdNr 56 und Hauck/Noftz, Kommentar, SGB X, § 48 RdNr 19), nämlich die Erzielung von Einkommen oder Vermögen nach Erlass des aufzuhebenden Bescheids (von Wulffen/ Wiesner, SGB X, Kommentar, 5.Aufl, § 48 RdNr 24). Vorliegend hat die Klägerin das Einkommen bereits vor Erlass des aufgehobenen Bescheides erzielt, so dass § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nicht anwendbar ist. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass das erzielte Einkommen bei der Bemessung der Dauerleistung aufgrund der eingetretenen Rechtsänderung nunmehr in anderer Höhe anzurechnen ist. Dieser Rechtsänderung kommt nur materiell-rechtliche Bedeutung hinsichtlich der noch nicht durch Verwaltungsakt festgestellten Ausgleichsrentenansprüche zu, führt aber nicht zu einer relevanten Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem aufzuhebenden Bescheid zu Grunde lagen.
Der Beklagte war auch nicht nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X ermächtigt, die Rentenbewilligung rückwirkend für die Zeit ab 01.01.2001 abzuändern. Nach dieser Vorschrift soll der Dauerverwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der sich aus dem Bescheid vom 02.08.2000 ergebende Anspruch der Klägerin aufgrund der Änderung des § 12 AusglV weder ruht noch ganz oder teilweise weggefallen ist. Allerdings geht der Beklagte davon aus, dass die Vorschrift des § 12 AusglV die bisherigen Bewilligungen von Ausgleichsrenten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsänderung kraft Gesetzes unmittelbar abändert. Dies ist jedoch dem Wortlaut dieser Vorschrift, der ausschließlich materiell-rechtliche Bedeutung zukommt, nicht zu entnehmen. Vielmehr hat die Änderung der materiellen Rechtslage keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Bewilligungen, die auf Grund der bisherigen Regelung ergangen sind. Erst die Umsetzung der Rechtsänderung durch einen auf den Einzelfall bezogenen Verwaltungsakt entfaltet Rechtswirkungen gegenüber dem Betroffenen. Denn nicht der Selbstvollzug des Gesetzes, sondern seine Umsetzung durch Verwaltungsakt unter Anwendung des Rechts auf den Einzelfall prägt auch das Sozialverwaltungsrecht als das Recht der sozialen Sicherung und ist aus Gründen der Rechtsklarheit und der damit verbundenen Rechtssicherheit geboten (BSGE 65, 185, 188 f; 77, 86, 91 f; 77, 253, 258 ff).
Im Ergebnis rechtfertigt das Gebot der Gleichbehandlung, das vom Beklagten - außerhalb der abschließend aufgeführten Tatbestände des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X - zur Anwendung des § 48 SGB X herangezogen wird, nicht die rückwirkende Anwendung des § 12 AusglV. Nach der Wertung des § 48 Abs 1 SGB X ist der Vertrauensschutz des Einzelnen auf den Bestand der im Dauerverwaltungsakt zugesagten Begünstigung höher einzuschätzen als das öffentliche Interesse daran, den Verwaltungsakt möglichst zum Zeitpunkt der Rechtsänderung anzupassen. Der Beklagte kann sich daher nicht auf eine gesetzliche Ermächtigung zur rückwirkenden Abänderung des Bescheides vom 02.08.2000 für die Zeit ab 01.01.2001 bis 31.12.2001 berufen.
Dies zugrunde gelegt ergibt sich auch, dass der Beklagte nicht berechtigt war, die überzahlten Leistungen gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückzufordern.
Nach alledem ist die Entscheidung des SG aufzuheben. Die angefochtenen Bescheide sind insofern aufzuheben, als die Berechnung der Ausgleichsrente in der Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 unter Anwendung des § 12 AusglV in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung erfolgte und eine Erstattung von 626,00 EUR gefordert wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Ab 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved