L 6 U 1974/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 633/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1974/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung der Erkrankungen des 1955 geborenen Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 und/oder Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der Kläger bat die Beklagte am 26. November 1996 unter Vorlage des Arztbriefes des Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arztes Dr. O. vom 6. November 1996 um Prüfung, ob bei ihm BKen vorliegen. Am 31. Januar 1997 legte der Kläger neben von ihm ausgefüllten Vordrucken den Arztbrief des Hautarztes und Allergologen Dr. W. vom 20. Dezember 1996 vor. Am 17. Februar 1997 ging bei der Beklagten die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit des Arztes und Homöopathen Dr. H.-P. ein. Beigefügt waren die Arztbriefe von Dr. K. vom 23. Juli 1993 und Dr. H. vom 1. Dezember 1993, jeweils von der Universitätsklinik für HNO-Heilkunde T. sowie des Radiologen und Nuklearmediziners Dr. Zeller vom 27. Dezember 1996.

Die Beklagte zog Unterlagen über Mitgliedschafts- und Arbeitsunfähigkeitszeiten von der Betriebskrankenkasse der M. GmbH sowie der AOK R. bei. Gegenüber der Beklagten machte die M. GmbH in den von ihr am 3. März 1997 ausgefüllten Vordrucken, unter dem 17. Dezember 1997 und 15. April 1998 weitere Angaben zur beruflichen Tätigkeit des Klägers.

Sodann holte die Beklagte die Auskünfte des Internisten Dr. F. vom 20. Februar und 4. August 1997, von Dr. W. vom 13. März 1997, des Hautarztes und Allergologen Dr. K. vom 13. März 1997, von Dr. O. vom 8. April 1997, der Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. M.-H. vom 18. Juli 1997, von Dr. H.-P. vom 3. September 1997, von Dr. Zeller vom 10. Dezember 1997, der HNO-Ärztin Dr. H. vom 15. Dezember 1997 sowie von Dr. M.-H. vom 14. Januar 1998 ein.

Des Weiteren zog die Beklagte über die Landesversicherungsanstalt B. (LVA) den Entlassungsbericht von Dr. M.-W./Dr. B./K. von der Rehaklinik H. B.-B. vom 24. Juli 1995 über die vom 20. Juni bis zum 18. Juli 1995 durchlaufene Rehabilitationsmaßnahme und den ärztlichen Entlassungsbericht von Dr. M.-W./Dr. F./Dr. C. vom 12. März 1992 über die in der Rehaklinik H. in B.-B. vom 13. Februar bis zum 12. März 1992 durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei. Aktenkundig sind die Arztbriefe von Dr. P. vom 5. März 1997 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Fachpsychologie für klinische Psychologie Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. vom 15. Dezember 1997.

Die Beklagte veranlasste daraufhin den Untersuchungsbericht ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 16. März 1998. Hieraus geht hervor, dass der Kläger in der Kleinkolbenfertigung als Einrichter Hautkontakt mit verschiedenen Ölen (Spindel-, Maschinen-, Schmieröl) und mit Kühlschmierstoff-Emulsion gehabt hat. Die Benutzung von Schutzhandschuhen sei bei den Tätigkeiten des Einrichters nicht möglich. Außerdem habe der Kläger Umgang mit Waschbenzin und Aceton gehabt. Dabei wäre die Verwendung von Schutzhandschuhen möglich und zumutbar gewesen. Durch den Betrieb einer Per-Reinigungsanlage sei der Kläger früher einer gewissen Raumluftbelastung durch Per ausgesetzt gewesen, die heute nicht mehr quantifizierbar sei. Per sei bis 1978/1979 zur Teilereinigung im Einsatz gewesen. Gearbeitet worden sei in einem 80x60 cm großen offenen Becken, in dem Gitterkörbe mit den Teilen getaucht worden seien. Dies sei an etwa 1 bis 3 Tagen und nicht in jeder Woche gemacht worden. Der Kläger selbst habe an dieser Anlage nicht gearbeitet. Seither gebe es eine geschlossene Reinigungsanlage, die im Durchlauf betrieben werde und die den geltenden Vorschriften entspreche. Waschbenzin werde zum Reinigen von Stempeln und Werkzeugen benutzt. Dazu werde es auf Lappen gegeben. Außerdem gebe es im Nebenraum zur Kleinkolbenfertigung eine ca. 40x50 cm große Reinigungswanne mit Deckel, in der ebenfalls mit Waschbenzin Rückstände von Läpp-Paste mit einer Bürste entfernt würden bzw. worden seien. Diese Nacharbeit werde neuerdings mit Rivolta MTX anstelle von Waschbenzin erledigt. Dabei handle es sich auch um ein lösemittelhaltiges Produkt, allerdings mit geringerer Flüchtigkeit. Weiterhin hätten nach Bedarf die Spannbacken vom so genannten Einpassdrehen dort gereinigt werden müssen. An diesem Reinigungsplatz sei teilweise ganztägig - allerdings nicht vom Kläger und nicht regelmäßig jede Woche - gearbeitet worden. Der Kläger sei als Einrichter nicht mit Nacharbeiten befasst gewesen, habe aber sicherlich Werkzeuge, Spannbacken oder andere Maschinenteile bei Bedarf mit Waschbenzin reinigen müssen. Von einem täglich bestehenden Kontakt müsse ausgegangen werden. Bei Kolben für Zweitaktmotoren müssten so genannte Verdrehsicherungen eingebracht werden. Es handle sich dabei um Stahlstifte, die vor dem Einlegen in die entsprechende Maschine mit Aceton gewaschen würden. Dies geschehe im Durchschnitt 1-mal wöchentlich auf Vorrat in einem Behälter mit Deckel und Absaugung. Diese Arbeiten seien auch vom Kläger übernommen worden. Bei Spindelöl handle es sich um Mineralöl, dessen spezifisches Gewicht früher mit einer Spindel bestimmt worden sei. In der Kleinkolbenfertigung werde Spindelöl an den dort vorhandenen drei Rollenmaschinen beim Verdichten der Bolzenbohrung an den bearbeiteten Kolben, dem so genannten Rollieren, eingesetzt. Dabei werde der Dorn, der die eigentliche Materialverdichtung bewirke, über eine Tropfschmierung versorgt. Der Maschinenbediener müsse die Kolben in eine Aufnahmevorrichtung einsetzen und nach dem Rollieren wieder entnehmen. Der Einrichter, also auch der Kläger, habe nur beim Rüsten der Maschinen Hautkontakt mit dem Spindelöl. Der Maschinenbediener habe durch die Handhabung der bearbeiteten Kolben ständig Ölkontakt gehabt. Die durchweg älteren Maschinen im Zuständigkeitsbericht des Klägers seien mit einer Zentralschmierung ausgerüstet gewesen, deren Vorratsbehälter ca. 3-mal pro Woche habe nachgefüllt werden müssen. Während dies früher zu den Tätigkeiten der Mitarbeiter der Kleinkolbenfertigung gehört habe, gebe es inzwischen eine betriebsübergreifend tätige Schmiergruppe, die sich um Maschinenlager-, Bahnen- und Führungen kümmere. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger gelegentlich selbst früher Schmierarbeiten übernommen habe. Beim so genannten Rillen, das mit einer Drehzahl von maximal 2400 Umdrehungen/Minute an einer Maschine erfolge, werde Luft aufgeblasen. Durch die relativ niedrige Drehzahl erfolge keine starke Verneblung, etwa im Gegensatz zu schnelllaufenden Bohr-, Fräs- oder Drehwerkzeugen. Das Öl diene als nichtwassermischbares Kühlschmiermittel.

Sodann ließ die Beklagte den Kläger untersuchen und begutachten. Dr. H. führte in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 18. Juni 1998 aus, aus neuropsychiatrischer Sicht handle es sich beim Kläger allenfalls um ein ganz matt depressives Syndrom, dass auch durch die Primärpersönlichkeit bedingt sein möge. Die Nervenleitungsmessungen an den oberen Extremitäten sprächen für ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom mit einer Rechtsbetonung, das sicher nicht in ursächlichen Zusammenhang mit irgendwelchen Gasen oder Reizstoffen bzw. organischen Lösungsmitteln gebracht werden könne. Hinweise auf eine Polyneuropathie oder gar eine Enzephalopathie hätten nicht gefunden werden können. Die festgestellten Gesundheitsstörungen seien durch die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht verursacht worden. Eine BK liege aus neuropsychiatrischer Sicht nicht vor. Prof. Dr. N. führte in seinem arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Fachgutachten vom 3. September 1998 aus, zwar lasse die Angabe des Klägers über pränarkotische Symptome an gelegentlich stark erhöhte Lösemittel-Expositionen denken. Doch bestünden Zweifel bezüglich einer ausreichenden Einwirkungsdauer, da es sich nur um intermittierende Belastungen gehandelt habe, die nicht täglich und auch nicht regelmäßig in jeder Woche vorgekommen seien. Bei zweifelhaften arbeitstechnischen Voraussetzungen sei daher festzustellen, dass eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV, nämlich eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische, nicht vorliege. Die Beschwerden des Klägers müssten daher auf andere als berufliche Ursachen zurückgeführt werden. Auch erscheine es ausgeschlossen, dass es sich bei dem von Dr. Dr. Dipl.-Psych. Z. erhobenen Befund um einen solchen handle, der einer Polyneuropathie zuzuordnen wäre, und es erscheine äußerst zweifelhaft, ob dieser Befund einer ansonsten nicht erkennbaren Encephalopathie zugeordnet werden könne. Der Kläger schildere neben Atemwegsbeschwerden eine allgemeine Müdigkeit, Missempfindungen in den unteren Extremitäten, ein Unwohlsein, eine Durchfallneigung, Kopfschmerzen, einen gelegentlichen linksbetonten Stirnhöhlenschmerz, nasale Beschwerden und eine leichte Belastungsdyspnoe. Diese Beschwerden seien allerdings seit einem Arbeitsplatzwechsel im November 1996 rückläufig. Ferner berichte der Kläger über einen zeitweilig auftauchenden Drehschwindel und Gedächtnisstörungen sowie über eine extreme Geruchsempfindlichkeit. Der Kläger leide unter einer Überempfindlichkeit gegenüber Gräser- und Roggenpollen, einem matt depressiven Syndrom, einer Innenohrschwerhörigkeit und einem MCS-Syndrom. Ferner bestehe der Verdacht einer Störung der akustischen Informationsverarbeitung im Hörnerven aufgrund eines abklärungsbedürftigen Befundes. Abgesehen von der Innenohrschwerhörigkeit sei keine der Krankheitserscheinungen mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit des Betroffenen in rechtlich wesentlichem Maße verursacht worden.

Die Beklagte zog das hautfachärztliche Gutachten von Dr. S. vom 22. September 1998, die fachärztliche Stellungnahme der Ärztin für Hautkrankheiten und Arbeitsmedizin Dr. B. vom 24. Oktober 1998 sowie die vom Sozialgericht Reutlingen (SG) eingeholte sachverständige Zeugenauskunft von Dr. H. vom 20. Oktober 1998 bei. Dr. S. beschrieb als berufsbedingte Erkrankungen einen Zustand nach toxisch irritativ ausgelöster Dermatitis im Bereich der Hände und Unterarme, einen Zustand nach toxisch irritativer Schädigung der Nasenschleimhäute und eine Propfallergie durch Duftstoffmix und eigene Berufsstoffe wie Fimitol Avantin und Spindelöl Shell CLP 3. Dr. B. führte aus, beim Kläger bestehe eine atopische Diathese. Das derzeit nicht vorliegende irritativ toxische oder kumulativ toxische Kontaktekzem könne durchaus mit der beruflichen Tätigkeit in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden, da sich Kühlschmiermittel auf der Haut irritativ auswirken könnten. Für ein allergisches Geschehen ergebe sich kein Anhalt.

Dr. K. führte in der gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 19. Oktober 1998 aus, eine BK gemäß Nr. 1317 der Anlage zur BKV werde nicht zur Anerkennung vorgeschlagen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Erkrankung könne nicht festgestellt werden. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Januar 1999 führte Prof. Dr. N. aus, eine BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV liege nicht vor. Chronische Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe manifestierten sich an den Erfolgsorganen der Haut, des zentralen Nervensystems, des Herzens sowie der parenchymatösen Organe Leber und Niere. Die Manifestationen der chronisch/toxischen Wirkung von Halogenkohlenwasserstoffen seien aus dem Geltungsbereich der Nr. 1302 der Anlage zur BKV herausgenommen worden. Hinweise auf chronische Schädigungen der Haut, des Herzens, der Leber oder der Niere lägen nicht vor. Daher könne das Vorliegen einer BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV nicht angenommen werden. Des Weiteren führte Prof. Dr. N. aus, das von ihm diagnostizierte MCS-Syndrom sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Schadstoffeinwirkung zurückzuführen. Eine wesentlich erhöhte Gefährdung bestimmter Berufsgruppen im Hinblick auf das MCS-Syndrom habe bisher nicht nachgewiesen werden können.

Mit Bescheid vom 25. März 1999 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr. 1302 oder 1317 der Anlage zur BKV ab. Eine BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV liege nicht vor, da Hinweise auf chronische Schädigungen der Haut, des Herzens, der Leber oder der Niere nach fachärztlicher Beurteilung nicht gegeben seien. Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV liege ebenfalls nicht vor. Im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. N. hätten keine Hinweise auf eine Polyneuropathie oder Encephalopathie gefunden werden können. Die Beschwerden seien nicht nur am Arbeitsplatz aufgetreten, sondern bestünden auch arbeitsplatzunabhängig. Auch das MCS-Syndrom könne nicht auf die beruflichen Einwirkungen zurückgeführt werden.

Hiergegen erhob der Kläger am 9. April 1999 Widerspruch. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2000 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 8. März 2000 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Er legte den Arztbrief von Dr. W. von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie R. in R. vom 9. Juni 1999 über die vom 10. Februar bis zum 29. April 1999 durchlaufene stationäre Maßnahme vor. Dort wurde ausgeführt, diagnostisch habe der Verdacht auf eine Lösungsmittel-Encephalopathie bestanden. Eine isolierte granulomatöse Angiitis des zentralen Nervensystems sei nicht sicher auszuschließen. Ferner habe der Verdacht auf eine leichte axonale distal symmetrische Polyneuropathie bestanden. Eine Encephalomyelitis disseminata und eine systemische Vasculitis hätten ausgeschlossen werden können. Für eine organische Lösemittel-Encephalopathie habe die über 10-jährige Entwicklungsdauer, das Auftreten von rauschartigen Zuständen während der Arbeit, das Arbeiten ohne Maske in unmittelbarer Nähe der Substanzen und die fehlende Progredienz nach Expositionsende gesprochen. Etwas gegen die Lösemittel-Encephalopathie habe die fehlende Besserung der Symptomatik nach der Dauer von 2 Jahren gesprochen, wobei sich die Frage gestellt habe, inwieweit hier psychische Faktoren mitspielten. Da die isolierte cerebrale Vasculitis ähnliche klinische Symptome habe und keine zwingenden Laborveränderungen mache und insbesondere zum bildgebenden Befund gut passen würde, müsse sie in der Diskussion berücksichtigt werden. Ihre Kardinalsymptome seien Kopfschmerzen, Encephalopathie und Schlaganfälle. Während Schlaganfälle anamnestisch fehlten und die Kopfschmerzen nur vage belastungsabhängig ausgeprägt gewesen seien, sei immerhin eine leichte erworbene Encephalopathie nach dem psychologischen Testbefund vorhanden. Unter Berücksichtigung der ernsten Prognose einer cerebralen Vasculitis, der einschneidenden therapeutischen Implikationen und des jungen Alters werde eine Angiographie zum sicheren Ausschluss einer cerebralen Vasculitis empfohlen.

Der Kläger vertrat die Ansicht, das Gutachten von Dr. H. sei wegen des Arztbriefs von Dr. W. nicht verwertbar. In Bezug auf das Gutachten von Prof. Dr. N. wies der Kläger darauf hin, dass es sich bei dem MCS-Syndrom nicht nur um eine Ausschlussdiagnose, sondern um ein eigenständiges Erkrankungsbild handle. Außerdem habe Prof. Dr. N. die BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV lediglich nach Aktenlage abgelehnt. Immerhin aber habe Prof. Dr. N. festgestellt, dass sich Halogenkohlenwasserstoffe an dem Erfolgsorgan Haut manifestieren könnten. Hierzu habe Dr. S. hinreichende Ausführungen gemacht. Der Kläger wies auch darauf hin, die Behauptung der Beklagten, nur bis 1979 einer Raumluftbelastung durch eine Perchlorethylen-Reinigungsanlage ausgesetzt gewesen zu sein, entspreche nicht den Tatsachen. Erst im Juli 1986 sei diese Anlage durch eine alkalische Reinigungsanlage ersetzt worden. Außerdem habe er als jüngster Einsteller und immer dann, wenn größere Aufträge gelaufen seien, d. h. es nicht für alle Einsteller Einstellungsarbeiten an den Maschinen gegeben habe, sehr wohl selbst an der Perchlorethylen-Reinigungsanlage Kolben ausgewaschen. Beigefügt waren diverse Betriebsprotokolle und -hausmitteilungen.

Die Beklagte führte aus, wenn nun während der stationären Behandlung in der Klinik R. gegenüber den von Dr. H. erhobenen Befunden eine Progredienz eingetreten sei, spreche dies gegen eine Encephalopathie durch organische Lösemittel oder deren Gemische. Außerdem seien bei den Untersuchungen durch Prof. Dr. N. und Dr. H. Krankheitsbilder im Sinne der Nr. 1302 und 1317 der Anlage zur BKV nicht wahrscheinlich gemacht worden. Dr. W. habe in ihrem Entlassungsbericht auch nur den Verdacht einer Lösungsmittel-Encephalopathie geäußert. Die Frage, ob ein MCS-Syndrom beruflich bedingt sein könne, sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Im angefochtenen Bescheid sei lediglich im Sinne einer umfassenden Aufklärung darauf hingewiesen worden, dass ein MCS-Syndrom nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht mit Wahrscheinlichkeit auf berufliche Einwirkungen zurückgeführt werden könne. Im Übrigen werde nicht bestritten, dass auch nach 1979 noch Perchlorethylen zur Teilereinigung zum Einsatz gekommen sei. Während bis 1979 in großen offenen Becken gereinigt worden sei, sei danach eine geschlossene Reinigungsanlage in Betrieb genommen worden, die im Durchlauf betrieben werde. Eine Raumbelastung werde hierdurch nicht mehr verursacht. Die vorgetragenen Formaldehydeinwirkungen stünden nicht im Zusammenhang mit der anhängigen Rechtssache. Formaldehyd gehöre auch nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu den neurotoxischen Lösungsmitteln.

Auf Anfrage des SG teilte die M. GmbH unter dem 27. Juni 2002 mit, die Aussage, die Per-Anlage sei schon 1978/1979 außer Betrieb genommen worden, lasse sich nicht mehr eindeutig belegen. Die Nachfolgeanlage sei tatsächlich im Jahr 1985 in Betrieb genommen worden.

Das SG holte das neuropsychologische Zusatzgutachten von Dr. Dipl.-Psych. U. vom 20. Juni 2002 und das neurologische Gutachten von Dr. R. vom 3. Juli 2002 ein. Dr. Dipl.-Psych. U. beschrieb eine deutlich kognitive Leistungsminderung. Das große Ausmaß dieser Leistungsminderung mit starken Defiziten sowohl im Aufmerksamkeitsbereich, im Gedächtnis und im problemlösenden Denken lasse eine organische Ursache vermuten. Dr. R. gelangte zu dem Ergebnis, beim Kläger liege ein psychoorganisches Syndrom vor. Der Begriff Encephalopathie könne synonym gebraucht werden. Diese Encephalopathie führe zu einer verminderten Belastbarkeit, vermehrten Reizbarkeit, Konzentrations- und Denkstörungen. Laut K.spintomographischem Befund von Dr. W. vom 14. Juni 2002 lägen Durchblutungsstörungen des Gehirns vor, z. B. im Rahmen einer Vasculitis (Gefäßentzündung). Eine andere entzündliche Erkrankung des Gehirns, z. B. eine multiple Sklerose sei nicht ausgeschlossen, wenn auch aufgrund des K.spintomogramms und des klinischen Verlaufs weniger wahrscheinlich. Eine Polyneuropathie liege nicht vor. Es gebe zahlreiche Krankheitsbilder, die die festgestellten K.spintomographischen Veränderungen verursachen könnten. Chemikalien als Ursache einer Vasculitis würden, wenn überhaupt, in der Literatur nur am Rande erwähnt. Deshalb könne die Exposition gegenüber solchen Chemikalien nicht mit Wahrscheinlichkeit als Ursache für die Erkrankung angenommen werden. Das Krankheitsbild sei sowohl laut Schilderung des Klägers wie auch vom Verlauf der K.spintomographie fortschreitend. Die Gesundheitsstörungen seien K. Berufskrankheit zuzuordnen.

Auf Anfrage des SG legte die Beklagte Kopien der Auskünfte der Hersteller zu den vom Kläger verwendeten Arbeitsstoffen vor.

Der Kläger erhob Einwände gegen das Gutachten von Dr. R. und gegen den Bericht des TAD. Er legte u. a. den Befundbericht von Dr. B. vom 1. Juli 2002 und die Arztbriefe von Dr. S. vom 4. Dezember 1998 sowie vom Augenarzt Dr. S. vom 5. September 2002 vor.

Zu den vom Kläger formulierten Einwänden nahm Dr. R. unter dem 11. Dezember 2002 Stellung. Da im Arztbrief von Dr. O. neben Parästhesien auch Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen und ein Tinnitus geklagt worden seien und all diese Symptome auf eine Störung zurückzuführen seien, die im Gehirn lokalisiert würden, wo - im Gegensatz zur Polyneuropathie - auch ein morphologischer Schaden beim Kläger festgestellt worden sei, und weil früher nie eine Polyneuropathie habe gesichert werden können, seien diese Störungen eher einem cerebralen Prozess als einer Polyneuropathie zuzuordnen. Des Weiteren spreche der K.spintomographische Befund am ehesten für eine Vasculitis. Eine Sicherung dieser Diagnose sei derzeit jedoch nicht möglich. Die Tatsache, dass im Ultraschall der hirnversorgenden Arterien keine Gefäßwandveränderungen hätten festgestellt werden können, spreche nicht gegen das Vorliegen einer Vasculitis, da es zahlreiche Formen einer Vasculitis gebe, wo die Veränderungen in den mittleren und kleinen Gefäßen vorlägen, die jedoch mittels Ultraschall nicht dargestellt werden könnten. Außerdem seien bei einer Vasculitis veränderte Blutwerte bei Weitem nicht obligat. Im Übrigen gebe es für eine Vasculitis weit über 50 mögliche Ursachen. Eine Verursachung von Vasculitiden durch gewerblich genutzte Substanzen werde unter zahlreichen Ursachen, wenn überhaupt, dann nur sehr am Rande als ungewöhnliche Ursache erwähnt. Da der K.spintomographische Befund nicht typisch für eine lösungsmittelindizierte Encephalopathie sei, reiche der unspezifische Befund einer supraventrikulären Tachykardie, die kein seltenes Krankheitsbild darstelle, nicht aus, um eine berufsbedingte Schädigung zu beweisen. Dr. R. wies auch darauf hin, dass bildgebende Verfahren bei lösungsmittelverursachten Encephalopathien in der Regel Normalbefunde ergäben. Da es zahlreiche Ursachen für eine Vasculitis gebe und auch eine multiple Sklerose differenzialdiagnostisch bedacht werden müsse, könne eine beruflich bedingte Erkrankung nicht wahrscheinlich gemacht werden. Des Weiteren führte Dr. R. aus, Spektographie und Positronenemissionstomographie hätten bei der vorliegenden Fragestellung nur einen relativ geringen wissenschaftlich anerkannten Aussagewert. Auch sei eine akute oder subakute Nieren- oder Leberschädigung von ärztlicher Seite nie berichtet worden. Schließlich ergebe sich aus dem Befundbericht von Dr. S. kein Unterschied zur Einschätzung von Dr. W., zumal dieser eine vaskuläre Encephalopathie für wahrscheinlicher gehalten habe.

Mit Urteil vom 25. März 2003 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zutreffend die Feststellung einer BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV abgelehnt, da chronische Schädigungen von Haut, Herz, Leber oder Niere im Fall des Klägers nicht vorlägen. Auch sei eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht festzustellen. Die beim Kläger festgestellte Encephalopathie sei nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge einer beruflichen Schädigung. Bereits die haftungsbegründende Kausalität sei nicht erfüllt. Insoweit stützte sich das SG auf den Bericht des TAD und die Beurteilung von Prof. Dr. N., der das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen als zweifelhaft bewertet habe. Bezüglich der Arbeiten unter Per-Belastung am Reinigungsbecken ging das SG nicht von einer extremen Belastung und dem täglichen Ausführen von Reinigungsarbeiten aus. Zudem sei ein Zeitraum von 10 Jahren der beruflichen Belastung durch die Reinigung mit Per nicht erreicht worden. Auch hinsichtlich der Belastung durch Waschbenzin und Aceton sei von einer fraglichen, nicht einer nachgewiesenen, ausreichenden, Einwirkungsdauer auszugehen. Die gesundheitsschädliche Erheblichkeit der Exposition sei hier gleichfalls nicht belegt. Die haftungsausfüllende Kausalität liege gleichfalls nicht vor. Es lägen im Kernspin ausgeprägte Befunde vor, die auf eine organische Erkrankung schließen ließen und das psychoorganische Syndrom wahrscheinlich machten. Auch für die Kernspintomographisch festgestellten Veränderungen sei eine Verursachung durch gewerbliche Chemikalien wenig wahrscheinlich. Verursachend kämen Durchblutungsstörungen oder eine Vasculitis in Frage. Eine Auslösung einer Vasculitis, für die zahlreiche Ursachen in Betracht kämen, durch Chemikalien sei wenig wahrscheinlich. Die von der Klinik R. gestellte Verdachtsdiagnose einer lösungsmittelbedingten Erkrankung sei nicht belegt. Auch die Entwicklung der Erkrankung spreche gegen eine berufliche Erkrankung. Zeitnah zur Exposition, die von der Klägerseite als besonders belastend dargetan worden sei, seien Beschwerden einer Encephalopathie nicht belegt. Eine dokumentierte Entwicklung der Erkrankung gebe es erst ab 1996. Zwar habe der Kläger wiederholt angegeben, dass Beschwerden bereits langjährig bestanden hätten. Insoweit sei aber festzustellen, dass unspezifische Beschwerden vorgelegen hätten, für die vielfältige Ursachen möglich seien. Weiter sei den Akten nicht zu entnehmen, dass eine Behandlung neurologisch-psychiatrischer Beschwerden früher und bezogen auf ein Auftreten am Arbeitsplatz stattgefunden habe. Die von Dr. R. im Vergleich mit der Beurteilung der Vorgutachter festgestellte Verstärkung der Beschwerden jahrelang nach Ende der beruflichen Exposition spreche gleichfalls gegen eine berufliche Verursachung. Eine Polyneuropathie sei ebenfalls nicht festgestellt worden. Die Kammer schließe sich insgesamt dessen schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. R. an.

Gegen das ihm am 22. April 2003 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 20. Mai 2003 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. März 2003 und den Bescheid vom 25. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Lösungsmittelschädigung als BK anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v. H., hilfsweise um 10 v. H., zu gewähren,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, zwischen dem Beginn der Erkrankung im Sinne einer BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV und der Exposition gegenüber den angeschuldigten neurotoxischen Lösemitteln müsse ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen. Allein schon aus diesem Grund könnten die erstmals 1995 objektivierten Beschwerden nicht mehr auf die zuletzt im Juli 1986 nachgewiesene Exposition gegenüber neurotoxischen Lösemitteln, insbesondere Perchlorethylen, zurückgeführt werden.

Der Senat hat die Stellungnahme von Dr. R. vom 30. Oktober 2003 eingeholt. Zunächst könne dem Arztbrief der Klinik R. nicht entnommen werden, es liege eine toxische Encephalopathie vor. Hauptargument gegen die berufliche Verursachung sei der für eine toxische Encephalopathie völlig atypische K.spintomographische Befund, der sich jedoch gut mit einem Gefäßprozess, z. B. einer Vasculitis oder einer multiplen Sklerose, vereinbaren lasse. Da eine Polyneuropathie nie gesichert worden sei und sich die Symptome durch Befall anderer Strukturen im zentralen Nervensystem erklären ließen, sei das Vorliegen einer Polyneuropathie nicht glaubhaft zu machen. Er hat auch darauf hingewiesen, dass in der Klinik R. ein Routinelabor abgenommen worden sei, das Leberwerte üblicherweise einschließe. Die Leberwerte GPT und Gamma-GT hätten im Normbereich gelegen. Dasselbe gelte auch für das Kreatinin als Nierenwert.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das nervenärztlich-umweltmedizinische Zusatzgutachten von Dr. R. vom 12. Oktober 2004 und das internistisch-umweltmedizinische Gutachten von Prof. Dr. H. vom 23. März 2005 eingeholt. Dr. R. hat eine Polyneuropathie unklarer Genese, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit berufsbedingt durch Schadstoffe, eine Encephalopathie mittelgradigen Ausmaßes, wahrscheinlich auf der gleichen Basis, und einen Verdacht auf ein MCS-Syndrom, wahrscheinlich auf gleicher Basis, diagnostiziert. Polyneuropathie und Encephalopathie seien als erworben und nicht als anlagebedingt anzusehen. Die Tatsache, dass es immer unter beruflicher Belastung zu einer Verschlechterung, bei Entlastung zu einer Verbesserung gekommen sei, spreche dafür, dass die Ursache im beruflichen Bereich liege. Als die sechs häufigsten Ursachen für Polyneuropathien seien Diabetes mellitus, Alkoholismus, andere metabolische Ursachen, Intoxikationen, Gefäßerkrankungen und entzündlich-allergische Geschehen anzunehmen. Andere als Intoxikationen hätten bisher weitgehend durch die Voruntersuchungen ausgeschlossen werden können. Daher liege eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV vor. Die Gesamt-MdE betrage 50 v. H. Prof. Dr. H. hat eine atopische Diathese mit Sensibilität auf Gräser- und Getreidepollen, einen Zustand nach chronischer Sinusitis, einen Zustand nach Epstein-Barr-Virus-Infektion, einen Zustand nach Herpes-Simplex-Virus-Infektion Typ 1 und Typ 2, einen Zustand nach Coxackie-Virus-Infektion, eine Encephalopathie Stadium II B, eine deutliche Minderung der cerebralen Glukoseutilisation im PET des zentralen Nervensystems, rauschartige Benommenheitszustände, eine Polyneuropathie, einen Zustand nach Belastung mit Lösemitteln (Perchlorethylen, Waschbenzin, Aceton, Spindelöl und Schmieröl) sowie einen Tinnitus diagnostiziert und ist zu der Ansicht gelangt, dass die Encephalopathie, die Minderung der cerebralen Glukoseutilisation, die rauschartigen Benommenheitszustände, die Polyneuropathie, und der Zustand nach Belastung mit Lösemitteln Folge des beruflichen Umgangs des Klägers mit Lösemitteln seien. Die Gesamt-MdE hat Prof. Dr. H. auf 50 v. H. geschätzt. Dem Gutachten beigefügt war der Arztbrief des Radiologen Dr. H. vom 15. Juli 2003.

Die Beklagte hat ausgeführt, zwar habe beim Kläger eine berufliche Exposition gegenüber Perchlorethylen bis 1985 vorgelegen. Aceton, Maschinenöl und Kühlschmierstoffemulsionen seien aber keine neurotoxischen Lösemittel. Außerdem ließen die von Dr. R. erhobenen Befunde keinen Rückschluss auf die Ursache der Erkrankung zu. Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt eine Polyneuropathie nachgewiesen sei, sei aufgrund des großen zeitlichen Abstandes zur angeschuldigten Exposition ein ursächlicher Zusammenhang nicht wahrscheinlich. Hinsichtlich möglicher Ursachen einer Encephalopathie ließen sich dem Gutachten von Dr. R. keine verwertbaren Aussagen entnehmen. Die letzte Exposition habe im Jahr 1985 gelegen, während die ersten Beschwerden frühestens auf das Jahr 1990/1991 und die erste Diagnose auf das Jahr 1996 datiert werden müsse. Die von Prof. Dr. H. durchgeführten Untersuchungen, bei denen es sich im Wesentlichen um Laboruntersuchungen handle, brächten hinsichtlich der Diagnose des Erkrankungsbilds ebenfalls keinerlei neuen Erkenntnisse. Die von Dr. H. durchgeführte PET-Untersuchung lasse weder einen Rückschluss auf das Vorliegen einer Encephalopathie noch auf deren Ursachen zu. Darüber hinaus sei dem Bericht von Dr. H. zu entnehmen, dass jedenfalls auch von ihm eine vaskuläre Störung nicht ausgeschlossen werde. Schließlich spreche der Nachweis von cerebrovaskulären Störungen gegen eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV, da diese Veränderungen nicht zum typischen Krankheitsbild einer toxischen Encephalopathie gehörten.

Hierzu hat Prof. Dr. H. unter dem 21. September 2005 Stellung genommen. Er hat ausgeführt, die von Dr. R. erhobenen Befunde seien eindeutige Befunde, wie sie bei einer Polyneuropathie beschrieben würden. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden entsprächen den Symptomen der Encephalopathie. Die Bewertung der Diagnose Encephalopathie erfolge keinesfalls ausschließlich durch die Berücksichtigung der PET-Untersuchung, vielmehr unter der gemeinsamen Bewertung der Symptome während der beruflichen Tätigkeiten und dem labordiagnostischen Ausschluss einer Encephalopathie. Eine Encephalitis sei aufgrund der Untersuchung durch Dr. W. mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Auch habe Dr. H. für die Diagnose einer Vasculitis keine diagnostischen Hinweise gefunden. Schließlich habe der Kläger eindeutig rauschartige Benommenheitszustände während der Berufstätigkeit beschrieben. Auch habe der Kläger ausgeführt, bei der Maschinenbedienung habe er die Maschine mit Per einsprühen müssen.

Hierzu hat sich die Beklagte dahingehend geäußert, der Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs ergebe sich nicht allein aus der Tatsache, dass der Versicherte während seiner früheren Tätigkeit einer Lösemittelexposition ausgesetzt gewesen sei. Darüber hinaus dürfe nur die Lösemittelexposition berücksichtigt werden, für die ein Vollbeweis vorliege, des Weiteren kämen auch nur die Lösemittel in Betracht, die nach medizinischen Erkenntnissen eine neurotoxische Wirkung hätten. Prof. Dr. H. gehe ohne nähere Prüfung davon aus, dass Spindelöl, Maschinenöl oder Kühlschmierstoffe als Lösemittel im Sinne einer BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV gälten. Hinsichtlich der Diagnose einer Encephalopathie seien Symptome während der nachgewiesenen Exposition nicht festgestellt worden. Soweit Prof. Dr. H. nunmehr davon ausgehe, der Versicherte habe rauschartige Benommenheitszustände beschrieben, müsse hier differenziert betrachtet werden, zu welchem Zeitpunkt diese Schilderungen erfolgten und für welche Tätigkeit diese beschrieben worden seien. Erstmals bei der Begutachtung bei Prof. Dr. N. seien vom Kläger auf entsprechende Befragung starke Geruchsbeschwerden bei der Tätigkeit geschildert worden, wobei zu diesem Zeitpunkt vorwiegend Aceton als Lösemittel verwendet worden sei. Aceton gelte nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen nicht als neurotoxisches Lösemittel und werde daher auch nicht im neu gefassten ärztlichen Merkblatt aufgeführt. Demzufolge ließen sich aus den jetzt aus der Erinnerung heraus beschriebenen Rauschzuständen keine Rückschlüsse auf das Ausmaß einer früheren neurotoxischen Exposition ziehen. Im Übrigen sei eine Exposition gegenüber Per lediglich bis 1979 gesichert. Aber selbst wenn bis 1985 weiter mit Per gearbeitet worden wäre, spreche der zeitliche Abstand mit dem Auftreten erster Beschwerden im Jahr 1991 gegen einen Ursachenzusammenhang.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Beim Kläger liegt weder eine BK nach Nr. 1302 noch nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV vor. Er hat daher keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Gemäß §§ 212 und 214 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) kommen vorliegend die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsverordnung (RVO) zur Anwendung, da der Versicherungsfall - dessen Anerkennung unterstellt - vor dem 1. Januar 1997 eingetreten und über die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung auch für die Zeit vor Inkrafttreten des SGB VII zu entscheiden ist.

Der Verletzte erhält eine Rente, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche (§ 580 Abs. 1 RVO) nach dem Arbeitsunfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist (§ 580 Abs. 1 Satz 1 und § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO).

Als Arbeitsunfall gilt eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind (§ 550 Abs. 1 RVO). Für die Berufskrankheiten gelten die für Arbeitsunfälle maßgebenden Vorschriften entsprechend (§ 550 Abs. 3 Satz 1 RVO).

BKen sind nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe und nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, d. h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSG, Urteil vom 4. August 1955 - 2 RU 62/54 - BSGE 1, 174, 178; BSG, Urteil vom 14. November 1984 - 9b RU 38/84 - SozR 2200 § 581 Nr. 22).

Für die Gewährung einer Rente wegen einer BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung gilt bei einer Berufskrankheit ebenso wie beim Arbeitsunfall die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach genügt abweichend von einer naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalitätsbetrachtung nach der Bedingungs- und Äquivalenztheorie nicht jedes Glied in einer Ursachenkette, um die Verursachung zu bejahen, weil dies zu einem unendlichen Ursachenzusammenhang führt. Als kausal und im Sozialrecht erheblich werden vielmehr nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt "wesentlich" beigetragen haben. Das heißt, dass nicht jeder Gesundheitsschaden, der durch eine Einwirkung naturwissenschaftlich verursacht wird, im Sozialrecht als Folge einer BK anerkannt wird, sondern nur diejenige, die "wesentlich" durch die Einwirkung verursacht wurde. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 - BSGE 1, 150; BSG, Urteil vom 1. Dezember 1960 - 5 RKn 66/59 - BSGE 13, 175).

Nach Überzeugung des Senats ist das beim Kläger diagnostizierte psychoorganische Syndrom nicht Folge einer BK.

Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV ist nicht gegeben. Denn beim Kläger liegt weder eine lösungsmittelbedingte Encephalopathie noch eine Polyneuropathie vor.

Dabei stützt sich der Senat auf die Gutachten von Dr. H. vom 18. Juni 1998, Prof. Dr. N. vom 3. September 1998 mit Stellungnahme vom 12. Januar 1999, Dr. U. vom 20. Juni 2002 und Dr. R. vom 3. Juli 2002 mit Stellungnahmen vom 11. Dezember 2002 und 30. Oktober 2003.

Dr. H. hat lediglich ein matt depressives Syndrom, aber keine Hinweise auf eine Polyneuropathie oder Encephalopathie beschrieben. Dessen Einschätzung war für den Senat nachvollziehbar, da sowohl seine allgemeine neurologische Untersuchung als auch seine apparativen Zusatzuntersuchungen (EEG, AEP, SEP tib., Doppler und PSI) völlig unauffällig waren. Deswegen hat Prof. Dr. N. zu Recht weder eine Polyneuropathie noch eine lösungsmittelbedingte Encephalopathie angenommen. Auch hat Dr. R. für den Senat schlüssig und gut nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen das Krankheitsbild des Klägers nicht demjenigen der BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV entspricht. Als maßgeblich erachtet der Senat die von Dr. R. vorgenommene Bewertung des von Dr. W. am 14. Juni 2002 erhobenen kernspintomographischen Befundes, wonach sich zahlreiche Herde gefunden hätten, die auf eine organische Erkrankung schließen ließen. Aufgrund dieses ausgeprägten, auf Durchblutungsstörungen des Gehirns hinweisenden Befundes sei das Vorliegen eines psychoorganischen Syndroms wahrscheinlich. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, für diese kernspintomographischen Veränderungen gebe es eine Vielzahl möglicher Erkrankungen, deren eindeutige Erklärung bislang habe nicht gefunden werden können. So hat Dr. R. darauf hingewiesen, dass die erhobenen Befunde mit dem Erkrankungsbild einer Vasculitis vereinbar wären. Entsprechende Hinweise ergeben sich auch aus den Berichten von Dr. W. vom 9. Juni 1999 und Dr. H. vom 15. Juli 2003. So hat Dr. W. in Auswertung des damals erstellten Computertomogramms auch eine cerebrale Vaskulitis in Betracht gezogen. Diese Möglichkeit hat auch Dr. H. zunächst geschildert, sich dann aber für den Senat wenig plausibel für eine toxische Enceophalopathie entschieden. Dr. R. hat aber für den Senat nachvollziehbar dargelegt, die kernspintomographischen Befunde seien nicht typisch für einen Folgezustand einer Intoxikation mit chemischen Substanzen. Wegen des kernspintomographischen Befundes liegt nach Überzeugung des Senats keine lösungsmittelbedingte Encephalopathie vor. Denn bildgebende Verfahren - wie z. B. kernspintomogramm - ergeben bei den lösungsmittelverursachten Encephalopathien in der Regel Normalbefunde, sind aber - was sich, wie oben dargelegt, im Fall des Klägers bestätigt hat - für die Differentialdiagnostik bedeutend (Merkblatt zur BK 1317, III. Krankheitsbild und Diagnose, Toxische Encephalopathie). Gegen das Vorliegen einer Polyneuropathie spricht auch der Umstand, dass nach Dr. R. objektivierbare Zeichen einer Polyneuropathie, wie Reflexabschwächung oder Ausfall der Achillessehnenreflexe (gegenüber den übrigen Muskeleigenreflexen) oder entsprechende Veränderungen im EMG/NLG, nicht vorliegen. Für den Senat nachvollziehbar waren auch die Stellungnahmen von Dr. R., in welchen er sich dezidiert mit den Vorbefunden und Einwänden des Klägers auseinandergesetzt und dargelegt hat, dass das Vorliegen einer Polyneuropathie nicht glaubhaft zu machen sei, wenn sich die Symptome durch Befall anderer Strukturen im zentralen Nervensystem erklären ließen.

Etwas Anderes ergibt sich nach Überzeugung des Senats auch nicht aus den Gutachten von Dr. R. und Prof. Dr. H ... Dr. R. hat zwar ausgeführt, es liege "zweifelsfrei eine Polyneuropathie vor, die mit einfachsten Mitteln innerhalb weniger Minuten von jedem Richter nachgewiesen" werden könne. Andererseits hat er aber an K. Stelle seines Gutachtens dargelegt, auf Grund welcher Befunde er zu diesem Ergebnis gelangt ist. Möglicherweise schließt Dr. R. das Vorliegen einer Polyneuropathie aus der von ihm vorgenommenen Messung der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit und der sensiblen Neurographie des Nervus tibialis rechts. Denn beide Messungen beurteilte er mit einer - u. a. für eine neurotoxische Polyneuropathie typischen (Merkblatt zur BK 1317, III. Krankheitsbild und Diagnose, Polyneuropathie) - verlangsamten Nervenleitgeschwindigkeit, während er in seinem Gutachten ansonsten keine pathologischen Befunde geschildert hat. Dr. R. ist aber weder darauf, dass Dr. H. in seinem Gutachten vom 18. Juni 1998 nach Durchführung von Nervenleitmessungen keine Hinweise auf eine Polyneuropathie gefunden hat, noch auf die von Dr. R. in seinem Gutachten vom 3. Juli 2002 vorgenommene Beurteilung eingegangen, einer Polyneuropathie entsprechende Veränderungen im EMG/NLG hätten nicht vorgelegen. Nicht nachvollziehbar ist für den Senat auch die von Dr. R. gestellte Diagnose einer Polyneuropathie unklarer Genese einerseits, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit berufsbedingt durch Schadstoffe andererseits. Dieser Widerspruch ("unklare Genese" - "berufsbedingt") klärt sich an K. Stelle seines Gutachtens auf. Ebenso war für den Senat nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Befunde Dr. R. eine lösungsmittelbedingte Encephalopathie diagnostiziert hat.

Ebenso unklar ist für den Senat die gutachterliche Einschätzung von Prof. Dr. H ... Seinem Gutachten vom 23. März 2005 kann nicht entnommen werden, aufgrund welcher Befunde er eine Polyneuropathie und lösungsmittelbedingte Encephalopathie diagnostiziert hat. Insbesondere erschließt sich dem Senat nicht, wie Prof. Dr. H. die von ihm erhobenen Laborbefunde beurteilt hat. Dies hat Prof. Dr. H. auch nicht in seiner Stellungnahme vom 21. September 2005 zu klären vermocht. Soweit er auf die Befunderhebung von Dr. R. hingewiesen hat, beim Kläger sei eine Minderempfindung in den Extremitäten festgestellt worden, ergibt sich hieraus nicht, dass damit eine Polyneuropathie objektiviert wäre. Außerdem ist nach Ansicht des Senats der Hinweis von Prof. Dr. H. auf den Befundbericht von Dr. H. vom 15. Juli 2003 nicht weiterführend. Soweit Dr. H. dort ausgeführt hat, vaskuläre Störungen würden bei noch relativ jungen Patienten ohne Systemerkrankung nur gesehen, wenn eine Noxe auf den Patienten einwirke, ergibt sich hieraus keineswegs, dass gerade beim Kläger eine Polyneuropathie oder eine lösungsmittelbedingte Encephalopathie vorliegt. Im Übrigen lässt die von Dr. H. vorgenommene Untersuchung keine Schlüsse auf das Vorliegen einer lösungsmittelbedingten Encephalopathie zu. Völlig unklar werden die Ausführungen von Prof. Dr. H. in seiner Stellungnahme vom 21. September 2005, wonach die Bewertung der Diagnose Encephalopathie neben der Berücksichtigung der PET-Untersuchung unter der gemeinsamen Bewertung der Symptome während der beruflichen Tätigkeiten und dem labordiagnostischen Ausschluss einer Encephalopathie erfolgt sei. Denn der labordiagnostische Ausschluss einer Encephalopathie hätte gerade zur Verneinung derselben führen müssen.

Nach Überzeugung des Senats liegt beim Kläger auch keine BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV vor. Denn beim Kläger liegt kein Krankheitsbild vor, das üblicherweise durch Halogenkohlenwasserstoffe hervorgerufen wird. Als durch Halogenkohlenwasserstoffe hervorgerufene Krankheitsbilder kommen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (z. B. bei der toxischen Encephalopathie: pseudoneurasthenisches Syndrom, organisches Psychosyndrom oder Hirnleistungsschwäche), des peripheren Nervensystems (z. B. Neuropathieerkrankungen vor allem der Hirnnerven), der Leber, Nieren und anderer parenchymatöser Organe (z. B. Bauchspeicheldrüse, Milz, Nebennierenrinde, Knochenmark), von Herz und Kreislauf, des Blutes, der Atemwege und Lungen sowie Krebs in Betracht (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 21.7, S. 1312 f.). Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems in Form einer lösungsmittelbedingten Encephalopathie liegen - wie bereits dargelegt - nicht vor. Erkrankungen der Leber, Nieren und anderer parenchymatöser Organe, von Herz und Kreislauf, des Blutes, der Atemwege und Lungen sowie eine Krebserkrankung sind nicht aktenkundig. Insoweit stützt sich der Senat auf die Stellungnahme von Prof. Dr. N. vom 12. Januar 1999.

Daher war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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